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Flucht in die Sachwerte

 

In der Öffentlichkeit ist es noch nicht so richtig angekommen: In Deutschland findet zurzeit eine Flucht in die Sachwerte statt, aber diesmal nicht aus Furcht vor einer neuen Lohn-Preisspirale, sondern weil die Habenzinsen und Bondrenditen so außerordentlich niedrig sind. Die Anleger halten Ausschau nach Alternativen. Da es am Arbeitsmarkt ganz gut aussieht, sind sie wieder bereit, längerfristige Risiken einzugehen. Bislang handelt es sich eher um eine Normalisierung als um Vorboten neuer Immobilien- und Aktienblasen. Noch befindet sich die deutsche Wirtschaft in einer Phase, in der die steigenden Immobilienpreise und Aktienkurse positive Vermögenseffekte haben, also ihrerseits die allgemeine Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen stimulieren und den Konjunkturaufschwung damit robuster machen.

Am eindrucksvollsten ist, was sich derzeit am Bau tut. In den drei Monaten bis Februar übertrafen die realen Auftragseingänge im Wohnungsbau ihr Vorjahresniveau um nicht weniger als 12,9 Prozent; in nominaler Rechnung waren es 15,2 Prozent – es brummt, aber bei den Preisen ist das noch nicht angekommen. Aus der Differenz der beiden Zuwachsraten errechnet sich eine Steigerung der Baupreise für Wohnimmobilien von nur 2,1 Prozent. Das ist ein Zeichen, dass die Bauunternehmen noch über viele freie Kapazitäten verfügen und wir es weiterhin mit einem Käufermarkt zu tun haben, wie übrigens auch in den anderen Ländern des Euroraums. Von Überhitzung ist nichts zu sehen.

Grafik: Auftrageingang im Wohnungsbau und Baupreisindex seit 1999

Für deutsche Haushalte ist das Thema „deleveraging„, die Reduzierung der Schuldenquoten, glücklicherweise kein Thema, jedenfalls nicht so ein zentrales wie in den Krisenländern des Euroraums, die durch das Platzen kreditgetriebener Immobilienblasen immer noch gezwungen sind, ihre Schulden abzubauen. Mit noch so niedrigen Zinsen lassen sie sich nicht verleiten, neue Kredite aufzunehmen. Hierzulande gab es jedoch keinen Immobilienboom und damit auch keine Blasen, die hätten platzen können. Aus diesem Grund haben die Verbraucher auf ganz normale und vorhersehbar Weise auf die rekordniedrigen realen und nominalen Hypothekenzinsen reagiert. Sie sind nicht überschuldet, haben sich lange Zeit zurückgehalten und können sich jetzt erlauben, den Rubel rollen zu lassen.

Grafik: Auftrageingang im Wohnungsbau und Baupreisindex seit 1999

Sogar im gewerblichen Bau läuft es wieder. Sein Beitrag zu den Auftragseingängen im Hochbau ist etwa doppelt so hoch wie der des Wohnungsbaus. Real lag die Zuwachsrate in den drei Monaten bei 10,8 Prozent, nominal bei 12,9 Prozent, woraus sich auch hier eine nur bescheidene Erhöhung der Baupreise errechnet (1,8 Prozent).

Der Ausblick für die deutschen Investitionen ist so positiv wie seit Jahren nicht mehr: Erst lassen die Unternehmen Fabriken und Bürogebäude bauen, dann kaufen sie die Maschinen, Schreibtische und Computer für die Produktion. Der gewerbliche Bau ist ein Frühindikator für die Ausgaben für Maschinen und Anlagen. Der Boom im Wohnungsbau wiederum wird die Nachfrage nach Möbeln, Teppichen und sonstigen Haushaltsgegenständen anheizen, also den privaten Konsum. Ich wette daher nach wie vor darauf, dass die Mehrheit der Ökonomen ihre BIP-Prognosen im Verlauf des Jahres deutlich nach oben anpassen werden und dass am Ende für 2014 eine Drei vor dem Komma stehen wird.

Am Aktienmarkt geht es seit Jahresanfang auf hohem, wenn auch nicht übertrieben hohem Niveau seitwärts. Aktuell ist die Stimmung nicht gerade euphorisch – die Flucht in den Sachwert „deutsche Aktie“ dürfte erst einmal vorbei sein. Die Zeit seit dem zyklischen Tiefpunkt Anfang März 2009 lässt sich in zwei unterschiedliche Phasen einteilen, die konjunkturelle Erholungsphase bis zum Juli 2012, als der DAX im Jahresdurchschnitt 19,2 Prozent zulegte, und die euphorische Phase, die auf die Londoner Rede Mario Draghis vom 26. Juli 2012 folgte. Er hatte erklärt, dass die EZB alles tun werde, um den Euro zu stabilisieren, und dass es nicht an den Mitteln dafür fehle. Anlagen in deutschen und anderen europäischen Aktien gelten seitdem als wenig riskant. Bis Ende 2013 stieg der DAX mit einer durchschnittlichen Jahresrate von nicht weniger als 29,1 Prozent.

Grafik: Dax Performance-Index, tägl. seit 1999

Deutsche Aktien sind im Augenblick nicht populär, sie sind aber keineswegs teuer. Gemessen an den für dieses Jahr erwarteten Gewinnen liegt das gewogene Kurs-/Gewinnverhältnis laut Bloomberg bei 13,24, was einer (realen) Gewinnrendite von 7,55 Prozent entspricht (1/13,24). Die realen langfristigen und „risikolosen“ Anleiherenditen betragen zurzeit 0,5 Prozent (1,5 Prozent für 10-jährige Bundesanleihen minus die deutsche Inflationsrate von 1,0 Prozent), was eine „Risikoprämie“ von 7,05 Prozentpunkten ergibt. Je höher die Risikoprämie, desto billiger sind ceteris paribus die Aktien. Normal ist eine Prämie in der Größenordnung von fünf Punkten.

Der Aktienmarkt befindet sich aus zwei wichtigen Gründer in einer Konsolidierungsphase, die bis zum Herbst anhalten könnte. Erstens möchten die Anleger sehen, dass die Kursgewinne der vergangenen Jahre tatsächlich durch einen kräftigen Anstieg der Gewinne fundamental bestätigt werden. Die kommende Berichtssaison wird das vermutlich zeigen. Zweitens hängt jetzt das Damoklesschwert der russischen Expansionsgelüste über dem Markt. Sollte der Westen in den nächsten Wochen Sanktionen verhängen, die wirklich weh tun, würden sich die Gewinnaussichten der DAX-Unternehmen rasch verschlechtern, vor allem wenn russisches Auslandsvermögen eingefroren oder beschlagnahmt würde, oder wenn kein russisches Öl und Gas mehr gekauft würde. Die hohe Risikoprämie hat augenblicklich nicht zuletzt politische Gründe.

Beim Vergleich der Dividendenrenditen mit den 10-jährigen Renditen von Bundesanleihen oder Pfandbriefen schneiden Aktien nach wie vor sehr gut ab. Die Unternehmen zahlen im Durchschnitt eine Dividende von 2,8 Prozent auf den Kurswert, während die Festverzinslichen nur 1,5 beziehungsweise 1,72 Prozent abwerfen.

Trotzdem: „Sell in May, go away – and come back on St. Ledger’s Day“ (im September, zum Pferderennen).