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China bestimmt, was an den Märkten passiert

 

Nicht mehr lange und China ist die größte Volkswirtschaft der Welt. Seit der Jahrhundertwende hat das Land Jahr für Jahr das Wachstum der Weltwirtschaft dominiert. Inzwischen sieht es aber danach aus, dass die Dynamik stark nachgelassen hat. Das hat kaum einen wichtigen Markt unberührt gelassen, ob Bonds, Aktien, Rohstoffe oder Währungen. Da es sich in China offenbar nicht nur um eine konjunkturelle Delle handelt, sondern um so ernste Vorgänge wie die Korrektur von massiven Fehlinvestitionen und eine Bilanzrezession, sind die Anpassungsprozesse noch nicht beendet.

Eine Bilanzrezession ist dadurch gekennzeichnet, dass überschuldete Haushalte, private und öffentliche Unternehmen sowie Kommunen versuchen, ihre Kreditwürdigkeit durch sparsames Wirtschaften wiederherzustellen. Zuletzt hatte die relative Verschuldung des privaten Sektors in China ein ähnlich hohes, also ebenso gefährliches Niveau erreicht wie in Japan vor 25 Jahren. Wo Ausgaben wegfallen oder deutlich langsamer zunehmen als gewohnt, gehen die Wachstumsrate des BIP und die gesamtwirtschaftliche Kapazitätsauslastung zurück. Inzwischen sind frühere Zuwachsraten von über zehn Prozent überhaupt nicht mehr vorstellbar. Die Regierung begnügt sich neuerdings mit 6,5 bis 7 Prozent, aber Analysten halten selbst das für Wunschdenken und setzen die tatsächlichen Werte zwischen zwei und vier Prozentpunkte niedriger an. Das ist immer noch besser als im Rest der Welt, gefühlt aber wirkt diese Wachstumsschwäche wie eine Rezession. Nicht zuletzt die Marktteilnehmer sehen das so.

Grafik: Chinas Anteil an der Weltwirtschaft

Kein Land hat in den letzten Jahren so viele Rohstoffe importiert wie China. Da die Lager an Rohöl, Kohle, Eisenerz, Kupfer und anderen Rohstoffen zurzeit geradezu überquellen, fällt an den Weltmärkten ein wichtiger Nachfrager weg, ohne dass angesichts der fundamentalen Probleme des Landes Besserung in Sicht ist. Es dürfte sich lohnen, auf weiter fallende Preise zu setzen. Damit bleiben die Währungen von Ländern wie Australien, Kanada, Südafrika, Russland, Brasilien, Norwegen, Indonesien, Nigeria oder Kasachstan unter Druck; irgendwann wird auch der saudische Riyal ins Visier der Spekulanten geraten. Die Überschüsse in den Leistungsbilanzen dieser Rohstoffexporteure schrumpfen, ihre öffentlichen Haushalte verschlechtern sich und die Unternehmen müssen sich ebenso wie die Anleger auf niedrigere Gewinnmargen und rückläufige Aktienkurse einstellen.

Für Südkorea, Japan, Taiwan, Vietnam, die Philippinen und mehrere andere asiatische Nachbarländer hat das langsamere Wachstum ihres wichtigsten Markts rezessive Effekte; auch ihre Exporte leiden. China wiederum versucht, seine schwache Binnennachfrage und freien Kapazitäten durch eine eigene Exportoffensive zu kompensieren. Der Yuan wurde aus diesem Grund im August von 6,21 auf 6,40 pro Dollar abgewertet (heute: 6,375). Insgesamt tobt in Asien so etwas wie ein Abwertungswettlauf. Solange das so ist, wird der Dollar die wichtigste Gegenpartei bleiben und tendenziell gegenüber den Währungen dieser Länder aufwerten. Ein freier Fall der asiatischen Aktienindices ist andererseits deshalb unwahrscheinlich, weil sich die gesunkenen Rohstoffpreise in einem Anstieg der Kaufkraft niederschlagen und so den Konsum und die Investitionen stabilisieren. Den Unternehmen geht es relativ gesehen nicht so schlecht wie den Unternehmen in den rohstoffexportierenden Ländern.

Europa mag, ebenso wie die USA, weit entfernt von China sein, trotzdem ist es durch mehrere Transmissionsmechanismen unmittelbar von den dortigen Entwicklungen betroffen. Positiv ist auch hier der Kaufkraftgewinn durch die gesunkenen Rohstoffpreise – die Reallöhne dürften weiterhin stärker steigen als erwartet, ebenso wie die Materialkosten der Unternehmen stärker sinken dürften. Negativ ist dagegen, dass die Ausfuhren nach China und die umliegenden Länder ins Stottern geraten sind und sich so schnell nicht erholen werden. Auch ist mit einem intensiveren Preiswettbewerb aus Richtung Asien zu rechnen, also vermehrten Importen. Für Deutschland beläuft sich der Außenhandel mit China, als Summe aus Exporten und Importen, zurzeit auf 5,3 Prozent des nominalen BIP; vor 16 Jahren war es nur rund ein Prozent. Ostasien ist sehr rasch sehr wichtig für unsere Wirtschaft geworden; insgesamt hat der Außenhandel mit dieser Region inzwischen knapp zehn Prozent des BIP erreicht.

Grafik: DE, EU, USA - Außenhandel mit China (in % des BIP)

China zieht die Welt zurzeit in eine Rezession, wenn man Rezession definiert als eine Wachstumsrate, die niedriger ist als im mittelfristigen Trend. Deutschland und die Eurozone sind davon nicht allzu stark betroffen, weil sich positive und negative Faktoren in etwa die Waage halten. Das wurde am Donnerstag erneut durch die neuen Ifo-Zahlen bestätigt, wie zuvor schon von den PMI-Indikatoren (Einkaufsmanager-Indices) für die Währungsunion insgesamt. Am Aktienmarkt aber dürfte sich die Kurskorrektur fortsetzen, weil dort die außenhandelsintensiven Unternehmen den Ton angeben – sie haben mit starkem Gegenwind zu tun.

Angelsächsische Analysten sagen dem Euro regelmäßig ein Abgleiten in die Parität zum Dollar voraus – sie argumentieren mit dem stärkeren amerikanischen Wachstum und der bevorstehenden zinspolitischen Wende. Wie es in der Leistungsbilanz und den öffentlichen Haushalten aussieht, wo die USA deutlich schlechter dastehen als Euroland, interessiert sie weniger. Nach meiner Erfahrung machen sie in dieser Hinsicht immer wieder den gleichen Fehler. Von den Vorgängen in China sind beide Volkswirtschaften in etwa gleichermaßen negativ betroffen, so dass sich nicht sagen lässt, wie der Wechselkurs darauf reagieren wird, wenn überhaupt. Von der Kaufkraft her ist der Euro allerdings unterbewertet und hat daher Aufwertungspotenzial.

Eins ist ziemlich sicher: Die globale Rezession wird den Spielraum für höhere Löhne und Preise vermindern und wirkt daher eher deflatorisch als inflatorisch. Die Fed mag mit dem Gedanken an höhere Zinsen spielen, das internationale Umfeld dürfte aber der Tendenz nach dafür sprechen, erst einmal nichts zu tun. Damit entfiele ein Faktor, durch den der Dollar zumindest gegenüber dem Euro aufwerten würde. Die EZB wird stillhalten. Wenn die aktuellen Inflationsraten, wie jetzt zu vermuten ist, in der Nähe von Null bleiben und sich dadurch die Inflationserwartungen von der Zielmarke von knapp unter zwei Prozent nach unten entfernen, dürfte es aller Voraussicht nach zu einer noch expansiveren Geldpolitik kommen. Von dieser Seite her sind größere Kursverluste bei europäischen Bonds nicht sehr wahrscheinlich.