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Inflationsziel: Kräftige Abwertung des Euro würde helfen

 

Die europäische Inflation will einfach nicht anspringen, egal wie viel Geld die EZB in den Bankensektor pumpt, egal wie niedrig die Leitzinsen sind. Die Verbraucher und Unternehmen sollen mehr Schulden machen, also mehr Geld ausgeben, stattdessen sind sie hauptsächlich immer noch darauf aus, ihre Schulden abzubauen und so wenig auszugeben wie sie nur können. Es wird immer deutlicher, dass selbst eine extrem expansive Geldpolitik gegen dieses fundamentale Dilemma nicht viel ausrichten kann. Solange die Schulden nicht auf ein „normales“ Niveau gesunken sind, kann die Geldpolitik die Gäule zur Tränke führen, saufen werden sie nicht, jedenfalls nicht so bald.

Grafik: Verschuldung des privaten Sektors im Euroraum, 1999Q1-2015Q2

Ohne es an die große Glocke zu hängen, hofft die EZB offenbar, dass sie durch einen abwertenden Wechselkurs ihrem Inflationsziel näherkommen kann. Schwacher Euro gleich steigende Preise für Importe und Exporte gleich stärker steigendes Preis- und Lohnniveau im Inland. Da Euroland sehr intensiv in die internationale Arbeitsteilung eingebunden ist, deutlich stärker als etwa die USA, kann das in der Tat eine wirksame Strategie sein, wenn auch keine, die das Inflationsproblem ein für alle Mal löst. Das massive Zusatzangebot an Zentralbankgeld, mit dem es die Märkte seit Anfang des Jahres zu tun haben, hat allerdings weder die Konjunktur erkennbar stimuliert noch hat es zu höheren Inflationsraten geführt. Das Schuldenproblem verschwindet ja nicht so einfach.

Der Angebotsdruck könnte aber den Wechselkurs des Euro nach unten treiben. Dadurch wird Inflation importiert, die dann mithilfe der Marktmechanismen das allgemeine Preisniveau erhöht und vielleicht eine neue Inflationsmentalität schafft. Auf die kommt es der EZB letztlich an. Im Übrigen verbessert eine Abwertung auch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und Beschäftigten, führt daher der Tendenz nach über einen größeren Außenhandelsüberschuss zu einem Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und verbessert so die konjunkturelle Lage – was es wiederum erleichtert, höhere Preise und Löhne durchzusetzen. Die Inflation nimmt also aus zwei Gründen zu: durch den Preismechanismus (Inflation wird importiert) und den Einkommenseffekt (konjunkturell läuft es besser).

Wie gesagt, noch sind die Erfolge ausgeblieben. Zum Einen ist der Euro zwar gegenüber Dollar, Pfund Sterling, Yen und Schweizer Franken kräftig in den Keller gerauscht, insgesamt aber, gegenüber der Gesamtheit der Handelspartner, hat er seit April dieses Jahres an den Devisenmärkten an Wert gewonnen. Das heißt, die EZB muss noch ein paar Schippen billiges Geld drauflegen, damit es wirklich zu einer nennenswerten Abwertung kommt. Es ist so gut wie sicher, dass der EZB-Rat das an diesem Donnerstag auch tun wird.

Grafik: Nominaler und realer effektiver Wechselkurs des Euro

Noch sind die Marktteilnehmer weiterhin ganz angetan von den gesunden Fundamentaldaten des Euro und lassen sich bislang nicht so richtig von der Aussicht auf eine größere Abwertung verschrecken. Ein Ausverkauf von Euro-Vermögenstiteln hat bisher nicht stattgefunden. Zwei Indizien: Die Rendite zehnjähriger deutscher Staatsanleihen beträgt nur 0,50 Prozent, während die Anleger für zehnjährige US Treasuries 2,23 Prozent verlangen. Auch von europäischen Aktien sind sie ganz angetan: Im Verlauf des Jahres hat der EuroStoxx50 11,4 Prozent zugelegt, während es beim amerikanischen S&P 500 nur 1,0 Prozent waren.

Zum anderen herrscht an den Weltmärkten für handelbare Güter und Dienstleistungen zurzeit nicht nur Preisstabilität, sondern Deflation. Der in Euro berechnete Rohstoffindex des Economist war zuletzt um 7,2 Prozent niedriger als vor einem Jahr, in Dollar gerechnet betrug der Abstand zum Vorjahr sogar 20,9 Prozent. Euroland importiert bisher keineswegs Inflation, sondern ganz im Gegenteil Deflation. Die deutschen Einfuhrpreise lagen im Oktober um 4,1 Prozent unter ihrem Vorjahreswert (Für den Euroraum insgesamt waren die Einfuhrpreise im September 5,8 Prozent niedriger als ein Jahr davor).

Das mit der höheren Inflation durch Abwertung funktioniert bisher jedenfalls noch nicht. Es fragt sich, wie weit die EZB gehen wird – und kann. Strebt sie vielleicht einen Wechselkurs von 0,8 Dollar je Euro an, also die Hälfte des Spitzenwerts vom Juli 2008? Auch wenn sie das vorhaben sollte, kann sie das nicht offen sagen, weil das an den Devisenmärkten einer Kriegserklärung gleich käme. In einem Abwertungswettlauf, der dadurch ausgelöst würde, könnte niemand gewinnen.

Während die Fed am 16. Dezember erstmals seit dem Sommer 2006 wieder die Zinsen erhöhen dürfte, verfolgt die EZB einen genau entgegengesetzten Kurs. Die beiden Notenbanken senden das Signal an die Märkte, dass sie nichts gegen einen schwachen Euro hätten. Gesamtwirtschaftlich bedeutet das natürlich, dass sich das Einkommen und das Vermögen der Europäer in Dollar gerechnet vermindern wird, dafür erhöht sich aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Inflation endlich wieder anspringt und vielleicht sogar die Arbeitslosigkeit etwas rascher zurückgeht. Noch beträgt sie inakzeptable 10,7 Prozent.