Nein, so schlimm ist es natürlich nicht. Die Aussage stimmt nur indirekt: Weil die Kosten der Stromproduktion auf der Basis von Wind und Sonne seit Jahren dramatisch sinken und nicht abzusehen ist, dass dieser Prozess demnächst an sein Ende kommt, fallen auch die Preise von Erdöl, Gas und Kohle. Da zudem vor allem in Nordamerika durch neue Verfahren zusätzliche Öl- und Gasreserven erschlossen wurden, ist es am Weltmarkt zu einem strukturellen Überangebot fossiler Brennstoffe gekommen. Das wiederum führt dazu, dass es weniger Anreize gibt, sparsam mit ihnen umzugehen und die Energieeffizienz zu steigern. Die Leute kaufen wieder größere Autos, fliegen mehr als jemals zuvor und sparen weniger an der Heizung ihrer Häuser. Da die Ausgaben für Energie einen so großen Anteil an ihren Budgets haben, erhöht sich das real verfügbare Einkommen und mit ihm die Konsumnachfrage nach anderen Gütern und Dienstleistungen. Selbst in Deutschland ist der private Verbrauch nicht zuletzt aus diesem Grund neuerdings zu einem Konjunkturmotor geworden.
Für die Umwelt sind die sinkenden Preise für Erdöl, Gas und Kohle natürlich Gift. Im vergangenen Jahr sind in Deutschland die Emissionen von CO2 gegenüber 2015 leicht gestiegen; im Übrigen stagnieren sie mehr oder weniger bereits seit 2009 bei etwa 800 Mio Tonnen pro Jahr. Was ist aus dem Land der Energiewende geworden? Maria Krantzberger, die Präsidentin des Umweltbundesamtes, hat bereits resigniert: „Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, seine Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu mindern, derzeit ergibt sich nur eine Minderung von 27,6 Prozent.“ Wie das Amt berichtet, sind 2016 die Emissionen im Verkehrssektor am stärksten gestiegen, nämlich um 3,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, vor allem weil mehr Diesel getankt wurde und der Straßengüterverkehr um 2,8 Prozent gewachsen ist. „Die Effizienzsteigerungen bei Fahrzeugen sind durch das Verkehrswachstum auf der Straße verpufft.“
Da eine Lösung ja nicht darin bestehen kann, den Fortschritt bei den Erneuerbaren zu bremsen, muss das Verbrennen von Kohlenwasserstoffen mindestens in dem Maße wirtschaftlich unattraktiv gemacht werden, wie die Preise der alternativen Energieträger sinken. Konkret: Wir brauchen ein umfassendes System von Karbonsteuern auf die Emission von CO2, die so hoch sind, dass Haushalte und Unternehmen schon im Eigeninteresse versuchen, möglichst sparsam mit fossilen Brennstoffen umzugehen. Die Klimaziele lassen sich nur erreichen, wenn deutlich weniger CO2 in die Luft gepustet wird. Der immer billigere Strom aus alternativen Quellen darf nicht dazu führen, dass die Endverbraucher ständig weniger für traditionelle Energieträger bezahlen.
Im vergangenen Herbst hat die OECD einen detaillierten Bericht darüber vorgelegt, wie hoch in den einzelnen Ländern die effektive Belastung mit Karbonsteuern ist. Die Zahlen in der Tabelle stammen aus dieser Quelle.
Es zeigt sich, dass der CO2-Emittent „Straßenverkehr“ in Westeuropa außerordentlich stark besteuert wird, Industrie, Wohnen, Dienstleistungen, Flugverkehr und Landwirtschaft dagegen meist nur wenig. Wenn die Klimaziele erreicht werden sollen, muss sich das ändern. Die Politik darf sich nicht länger von dem Totschlagargument beeindrucken lassen, dass es Arbeitsplätze kostet, wenn die Produktion von Stahl oder Braunkohle durch eine hohe Karbonsteuer verteuert wird, denn: Erstens entstehen im Bereich erneuerbarer Energien mehr Jobs als in den traditionellen Industrien wegfallen, und zweitens dürften die Bürger in den reichen europäischen Ländern durchaus bereit sein, einen Preis für eine gesunde Umwelt zu zahlen. Allerdings muss die Politik darauf achten, dass der Strukturwandel sozial verträglich ist und, wenn es geht, gleichzeitig das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktivität steigert. Alle Emissionen sollten letztlich mit derselben Steuer belegt werden, damit die Investitionen nicht fehlgeleitet werden.
Um das Pariser Klimaziel zu erreichen, den Temperaturanstieg auf der Erde auf unter 2°C zu begrenzen, ist eine Karbonsteuern von bis zu 73 Euro pro Tonne CO2 im Jahr 2020 und bis 91 Euro im Jahre 2030 notwendig. (Mittlere Schätzungen liegen bei 46 und 57 Euro pro Tonne CO2.) Das ist das Ergebnis einer Kommission geleitet von Joseph Stiglitz und Nicholas Stern, die Ende Mai ihren Bericht vorgelegt hat. Je nach unterstelltem Szenario könnten danach noch höhere Steuern auf den CO2-Ausstoss erforderlich sein.
Lediglich die Niederlande, Dänemark und Norwegen liegen in Westeuropa in der Nähe dieser Zielmarken, wenn man bedenkt, dass die CO2-Emissionen des Straßenverkehrs zwar in allen in der Tabelle aufgeführten Ländern zu 100 Prozent (in China zu 95 Prozent) effektiv mit eine Karbonsteuer belegt sind, diese aber nur etwas über 20 Prozent der gesamten CO2-Emissionen ausmachen (Ausnahmen sind Frankreich und die Schweiz mit über 30 Prozent), während die anderen Emittenten für rund 80 Prozent des Ausstoßes verantwortlich sind, von denen aber nur je nach Land zwischen 40 und 90 Prozent effektiv besteuert werden.
Der Weg ist also noch lang, der Ehrgeiz der Politik, die Klimaziele tatsächlich zu erreichen, jedoch leider eher schwach ausgeprägt. Aber immerhin ist der gute Wille in Westeuropa erkennbar. Wie die Zahlen der OECD zeigen, kann davon in Russland und in den USA überhaupt keine Rede sein, aber auch in China und Japan sieht es nicht viel besser aus.
Ein Problem besteht darin, dass die Verschmutzung der Luft keine nationalen Grenzen kennt. Wenn die CO2-Emissionen hierzulande reduziert werden, schafft das für die Nachbarregionen einen Anreiz, selbst weniger zu tun. Trittbrettfahren lohnt sich. Ein anderer Aspekt: Wenn die Produktion wegen der Karbonsteuern zu teuer wird, wird sie nach den Regeln der Marktwirtschaft einfach in Länder verlagert, in denen die Steuern niedriger sind, so dass sich für die Welt insgesamt nicht viel verbessert. Dem kann allerdings durch Zölle auf Einfuhren aus den Ländern entgegengewirkt werden, die sich nicht um ihre Umwelt scheren.
Insgesamt sind verbindliche internationale Abkommen über Klimaziele die optimale Lösung. Sie laden allerdings zu Umgehungsstrategien ein und lassen sich nicht leicht durchsetzen. Trotzdem wäre schon sehr viel gewonnen, wenn sich zumindest die Länder der Europäischen Union auf einen Zeitplan für eine Konvergenz die effektiven Karbonsteuern einigen würden. Sie könnte im Übrigen zu einer gemeinsamen EU-Steuer ausgestaltet werden, wie sie zurzeit diskutiert wird.