Auf sehr lange Sicht beträgt die reale Rendite eines Aktienportfolios rund 7,5 Prozent und ist damit etwa so hoch wie die von Wohnimmobilien. Weil Letztere viel weniger im Preis schwanken, sind sie unter Risiko-Rendite-Gesichtspunkten die bessere Anlage, jedenfalls in Friedenszeiten.
Das ist eines der überraschenden Ergebnisse eines Working Papers, das im Dezember beim amerikanischen National Bureau of Economic Research (NBER) veröffentlicht wurde. Das Papier hat das Zeug, in vieler Hinsicht durch Fakten Klarheit zu schaffen, wo es bisher nur Vermutungen gab, zum Beispiel über die langfristige Performance von Bonds, Aktien und Immobilien, oder ob die reale Rendite auf Kapitalvermögen tatsächlich auf Dauer höher ist als die Zuwachsrate des realen BIP, wie das Thomas Piketty in seinem Bestseller Le Capital au XXI siècle aus dem Jahre 2013 (deutsch 2014 “Das Kapital im 21. Jahrhundert“) behauptet hat. Eine ökonomische Theorie mag noch so elegant und überzeugend sein, wenn sie nicht zu den Zahlen passt, taugt sie nichts und muss in die Mülltonne der Theoriegeschichte.
Die fünf Autoren des Papiers (The Rate of Return on Everything, 1870-2015, NBER Working Paper No. 24112) sind Katharina Knoll von der Bundesbank, Dmitry Kuvshinov und Moritz Schularick von der Uni Bonn sowie Òscar Jordà und Alan M. Taylor von der University of California Davis. (Frei herunterladbare Version)
In der folgenden Tabelle habe ich die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst. Dabei habe ich nur die Zahlen übernommen, die sich auf Friedenszeiten beziehen, die also die Jahre der beiden Weltkriege und die jeweils unmittelbare Nachkriegszeit ausklammern. Wer will, findet in dem Papier aber auch die Durchschnittswerte, die diese Perioden mit abdecken. Fünf kleinere westeuropäische Länder habe ich ausgelassen, um die Tabelle nicht zu groß werden zu lassen – die Durchschnittswerte beziehen sich jedoch auf alle untersuchten Länder.
Hier sind einige Highlights dieser Arbeit, der für alle zur Pflichtlektüre werden dürfte, die sich mit Themen wie Vermögensallokation, natürlicher Zins, säkulare Stagnation oder Einkommens- und Vermögensverteilung beschäftigen. Die Ergebnisse haben Gewicht, weil über einen Zeitraum von fast 150 Jahren (1870-2015) und für nicht weniger als 16 OECD-Länder die durchschnittlichen inflationsbereinigten Renditen von Geldmarktanlagen, Anleihen, Aktien und Wohnimmobilien berechnet wurden. Das gab es bisher noch nicht. Dabei darf man nie vergessen, dass die Trends der Vergangenheit nur eine Komponente im Entscheidungsprozess sind – es kommt bei einer Geldanlage oder Verschuldung auch immer darauf an, wie stark die aktuellen Werte von diesen Trends nach oben oder unten abweichen.
1. Anlagen am Geldmarkt verzinsen sich real auf Dauer am schlechtesten. Das entspricht den Erwartungen. Im Durchschnitt sind es knapp 2,25 Prozent. Warum es gleichzeitig eine so große Streuung gibt – von 0,89 Prozent pro Jahr in Frankreich bis 2,93 Prozent in den USA – ist nicht unmittelbar einleuchtend. Angeblich sind Geldmarktpapiere risikolose Aktiva, es zeigt sich aber, dass ihre Renditen vielfach stärker schwanken als die von theoretisch viel riskanteren Aktien oder Immobilien. Eigentlich darf das nicht sein. Nach den Zahlen dieses Papers dürfen Geldmarktpapiere nicht länger als der stabile Referenzwert verwendet werden, auf dessen Basis das Risiko anderer Anlageklassen berechnet wird.
2. Während Sparer, die Geldmarktanlagen bevorzugten, insgesamt schlecht gefahren sind, haben die Schuldner, einschließlich vieler Schatzämter, sehr davon profitiert. Das spricht im Übrigen dafür, die Duration staatlicher Schulden nicht allzu sehr zu verlängern.
3. Seit Mitte der achtziger Jahre sinkt in den entwickelten Ländern der sogenannte natürliche Zins (vgl. S. 15), was die These stützt, dass wir es tatsächlich, wie manche behaupten, mit einer säkularen Stagnation zu tun haben könnten. Der niedrige natürliche Realzins und seine Nähe zur Nullzinsgrenze der Leitzinsen wiederum stellt für die Autoren eine Grundannahme der heutigen Geldpolitik infrage, nämlich dass ein bestimmtes Inflationsziel sinnvoll ist („… the possibility that advanced economies are entering an era of low real rates calls into question standard monetary policy frameworks based on an inflation target.“ S. 4).
Von einer säkularen Stagnation kann allerdings keine Rede sein, wenn nicht nur die kurzfristigen Zinsen, sondern zusätzlich auch die beiden „riskanten“ Anlageklassen Aktien und Immobilien mit berücksichtigt werden. „Anders als risikolose Zinsen sind die Renditen riskanter Aktiva die meiste Zeit während der vergangenen 100 Jahre sowohl hoch als auch stabil gewesen und weisen kaum Anzeichen einer säkularen Stagnation auf. […] obwohl der risikolose Zins in letzter Zeit gesunken ist, […] befindet er sich in der Nähe seines historischen Durchschnitts. Diese beiden Beobachtungen lassen uns bezweifeln, dass wir gerade eine säkulare Stagnation erleben.“ (S. 41)
4. Bondportfolios weisen wegen der im Normalfall positiv geneigten Renditekurve – der Zins nimmt mit der Laufzeit zu – erwartungsgemäß eine bessere Performance auf als Geldmarktportfolios, und zwar im Jahresdurchschnitt um 1,25 bis 1,5 Prozentpunkte. Das kommt für mich der üblichen Zinsdifferenz zwischen lang und kurz sehr nahe. Insgesamt ist die Performance von Geldmarktanlagen und Bonds sehr eng korreliert. Wer in Bonds investiert ist, sollte daher ein gutes Gespür für die Politik der Notenbank haben.
5. In einer detaillierteren Tabelle (S. 17) zeigen die Autoren, dass es von 1980 bis 2015 am Bondmarkt außergewöhnlich hohe Realrenditen gab, also in der Zeit der Great Moderation, dem starken Rückgang der nominalen Renditen. Als gegen Ende der siebziger Jahre die Inflation außer Kontrolle zu geraten drohte, reagierten die Notenbanken mit einem starken Anstieg der Leitzinsen, der einher ging mit einem nicht weniger starken Anstieg der nominalen und realen Bondrenditen. Das erwies sich als der Startschuss für eine mehr als dreißigjährige globale Rallye am Rentenmarkt. Bonds brachten im Durchschnitt nicht weniger als 5,75 Prozent pro Jahr. Die Manager von Hedge Funds und Vermögensverwalter, die in diesem Zeitraum Bonds zulasten von Aktien übergewichtet hatten, wurden reich und berühmt, müssen sich aber jetzt, da die langen Zinsen auf Jahre hinaus vermutlich steigen werden, etwas Neues einfallen lassen.
6. Richtig lohnend waren von 1870 bis heute Anlagen in Aktien und Immobilien. Beide Kategorien weisen im Vergleich zum Geldmarkt real jährliche Zusatzrenditen von etwa fünf Prozentpunkten auf. Das entspricht ihren historischen „Risikoprämien“, den Renditeaufschlägen gegenüber dem „risikolosen“ Geldmarkt. Im Augenblick haben wir es mit folgenden Risikoprämien zu tun (ich verwende publizierte Gewinne je Aktie, aktuelle Werte der Aktienindices sowie Kerninflationsraten): S&P 500: 3,3, EuroStoxx 50: 5,5, DAX 5,9 und Nikkei 225: 5,0. Nach diesem Kriterium sind amerikanische Aktien im historischen Vergleich also sehr teuer, deutsche dagegen (wie fast immer) ziemlich billig.
7. Risikoprämien schwanken sehr stark. Wenn sie sehr niedrig sind, nimmt die Wahrscheinlichkeit von Finanzkrisen zu. Das war der Fall Anfang der dreißiger Jahre und dann wieder Ende der achtziger Jahre und 2007 (vgl. S. 42).
8. Auf die ganz lange Frist spielt es nur eine geringe Rolle, in welchen Aktienindex man investiert. Am schlechtesten schnitten im Zeitraum 1870-2015 Frankreich (4,87 Prozent), Spanien (6,49 Prozent) und Italien (6,67 Prozent) ab, aber selbst das waren im Vergleich zu den jeweiligen Geldmarktrenditen stolze Werte. Die Gewinner in diesem Schönheitswettbewerb waren Schweden (9,48 Prozent), die USA (9,20 Prozent), Australien (8,50 Prozent) und die Schweiz (8,25 Prozent) also zwei junge Länder und zwei supersolide. Deutschland landet im Mittelfeld (7,01 Prozent). Dass die Ergebnisse so wenig streuen ist ein Indiz dafür, dass überall ähnliche Wirtschaftsmodelle am Werk waren – und dass sie statistisch belastbar sind.
9. Warum Anlagen in Immobilien so attraktiv sind, dass sie es mit Aktien aufnehmen können, erklären die Autoren nicht – sie zeigen lediglich, dass die Standardabweichungen der Performance sehr niedrig sind, während die sogenannte Sharpe Ratio, die den Ertrag ins Verhältnis zum Risiko setzt, viel höher ist als bei Aktien. Was eigentlich Allgemeinwissen ist, wird von den Autoren bestätigt: Ein guter Teil des Vermögens sollte in Form von Immobilien gehalten werden. Das lohnt sich finanziell und ist gut für die Risikostreuung. Und woher könnte es kommen, dass der reale jährliche Ertrag seit Menschengedenken bei nicht weniger als 7,5 Prozent liegt? Ich spekuliere mal: Wohnraum ist zum Einen ein Luxusgut. Das heißt, die Nachfrage nimmt langfristig stärker zu als Einkommen und Sozialprodukt. Andererseits nimmt das Angebot aus verschiedenen Gründen nur langsam zu: Der Boden ist knapp, Produktivitätsgewinne sind gering und der Staat greift immer wieder in den Markt ein, meistens mit dem Ziel, den Mietanstieg zu begrenzen.
10. Schließlich die Piketty-These, dass die Vermögensverteilung unablässig ungleicher wird, allein wegen der Tatsache, dass r > g, dass die Realrendite des Vermögens r gewöhnlich höher ist als die Wachstumsrate des realen BIP g. Auf S. 46 zeigen die Autoren, dass dies mit Ausnahme der Weltkriegsjahre und der Depressionsjahre immer der Fall war. Die beiden rechten Spalten der obigen Tabelle belegen diese Aussage für den langjährigen Durchschnitt und für die einzelnen Länder: Es gibt keine Ausnahme von r > g. Wir haben es offenbar mit einem strukturellen Problem und daher mit einer nie abschließend zu bewältigenden staatlichen Aufgabe zu tun: Ein immer weiteres Auseinanderklaffen von Reich und Arm wirkt destabilisierend. Es überrascht nicht, dass dies in demokratisch verfassten Staaten nicht hingenommen wird und mehr oder weniger intensiv durch Steuer- und Bildungspolitik versucht wird, das zu korrigieren.