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EZB: Löhne und Kerninflation werden kräftiger steigen

 

Wer’s glaubt! Immer wieder hat die EZB mit ihren Inflationsprognosen danebengelegen. Irgendwann wird es zwar wieder deutlich höhere Inflationsraten geben – aber nicht in der näheren Zukunft, behaupte ich mal.

Die wichtigsten Botschaften Draghis auf der gestrigen Pressekonferenz: Die Wirtschaft Eurolands expandiert seit einiger Zeit rascher als ihr Potenzial, daher werden die Löhne weiter anziehen, mit ihnen die Kerninflation (nämlich auf 1,8 Prozent im Jahr 2019), dann schließlich auch die unbereinigten Inflationsraten, was wiederum die tendenziell immer weniger expansive Geldpolitik rechtfertigt. Obwohl die Wachstumsprognosen für dieses Jahr von 2,1 auf 2,0 Prozent und für 2019 von 1,9 auf 1,8 Prozent gesenkt wurden, soll sich an den geplanten Wertpapierkäufen – die zum Ende dieses Jahres eingestellt werden sollen – und der angekündigten Entwicklung der Leitzinsen erst mal nichts ändern. Erst nach dem Sommer 2019 ist die erste Zinserhöhung vorgesehen. Der Euro dankte es mit einer Aufwertung auf 1,17 Dollar.

Wie alle anderen Marktbeobachter weiß auch die EZB nicht, was die Zukunft bringen wird. Aber irgendwann muss doch die Inflation wieder anspringen, oder? Nur wann? Seit fünf Jahren bewegt sich die um Energie und Nahrungsmittel bereinigte Inflation in der engen Spanne von 0,8 bis 1,2 Prozent. Diese sogenannte Kerninflationsrate ist deswegen wichtig, weil sie normalerweise die Richtung vorgibt, in die sich die Gesamtinflationsrate bewegt. Im August lag die Kerninflationsrate im Vorjahresvergleich nur bei 1,0 Prozent. Sie wirkt wie festgemauert. Das erinnert mich an Japan, wo die Inflation seit bald drei Jahrzehnten zwischen Null und ein Prozent pendelt. Es ist nicht zwingend, dass eine gute Konjunktur zu einem nachhaltigen Anstieg der Inflationsraten führt.

Grafik: Lohnentwicklung und Geldpolitik im Euroraum

Entscheidend für die künftige Inflation sind die Löhne, der volkswirtschaftlich wichtigste Kostenfaktor und zugleich über die Einkommen der privaten Haushalte wesentlicher Bestimmungsfaktor des Konsums, der wichtigsten Nachfragekomponente. Darauf hat Draghi gestern zurecht hingewiesen. Wie der linken Grafik zu entnehmen ist, hat es bei der Entwicklung der nominalen Löhne in der Tat in den letzten Quartalen eine Beschleunigung gegeben. Es fragt sich, ob sich das fortsetzen wird. Wie die Grafik ebenfalls zeigt, stagnieren die europäischen Reallöhne de facto immer noch. Die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer ist äußerst schwach.

Auf den ersten Blick ist das überraschend, weil doch die Beschäftigung seit Anfang 2015 mit Raten von etwa 1,5 Prozent zunimmt. Warum diese erfreuliche Entwicklung auch demnächst vermutlich kaum auf die Lohninflation durchschlagen wird, hat im Wesentlichen zwei Gründe: Gemessen an der Arbeitslosenquote von 8,2 Prozent und der Unterbeschäftigungsquote von 16,4 Prozent herrscht am Arbeitsmarkt Eurolands weiterhin ein Überangebot; zudem haben wir es als Folge der internationalen Arbeitsteilung immer mehr mit einem globalisierten Arbeitsmarkt zu tun, auf dem die Schwellenländer den Ton angeben. Beide Faktoren verhindern ein Anspringen der Löhne.

Die rechte Grafik kann so interpretiert werden, dass die Geldpolitik, gemessen an den realen Geldmarktsätzen, mindestens seit 2010 extrem expansiv ausgerichtet ist, ohne dass dies einen sichtbaren Effekt auf die Kerninflation hatte. Bisher ist es – vor allem wegen der langjährig restriktiven Fiskalpolitik in den Ländern des Euroraums – nicht gelungen, die Outputlücke zu schließen, die in der Rezession 2008/2009 entstanden war. Das bedeutet unterausgelastete Kapazitäten. In einer solchen Situation ist es schwer, Preise und Löhne zu erhöhen. Tendenziell würde es helfen, wenn die Fiskalpolitik von restriktiv auf neutral, besser noch auf expansiv umschalten würde. An finanziellen Spielräumen fehlt es ja nicht: An den Märkten wird erwartet, dass das durchschnittliche Haushaltsdefizit Eurolands in diesem Jahr nur noch 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt und damit weit unterhalb der 3-Prozent-Marke von Maastricht liegt.

Insgesamt sind zuletzt die konjunkturellen Risiken gestiegen. Auch darauf hat Draghi hingewiesen. Stichworte sind die Zunahme des Protektionismus, Krisen in mehreren wichtigen Schwellenländern, die ungelösten Strukturprobleme Italiens und Griechenlands und die erstaunlich prekäre Lage in China, dazu der starke Anstieg des Ölpreises. In den Konjunkturumfragen und den Auftragseingängen haben sich diese Entwicklungen bereits niedergeschlagen. Noch wartet die EZB ab, aber es ist klar, dass sie reagieren wird, wenn es negative Effekte am Arbeitsmarkt und beim Wachstum geben sollte – und die Inflationsrate zu stark zurückgeht. Ein frühzeitiger Anstieg der Leitzinsen ist jedenfalls unwahrscheinlicher geworden.

Für die Rentenmärkte bedeutet das, dass sie mindestens für die kommenden drei Quartale durch niedrige kurzfristige Zinsen unterstützt bleiben werden, auch wenn der geplante Wegfall der EZB-Wertpapierkäufe etwas Gegenwind erzeugen dürfte. Die sogenannte finanzielle Repression wird sich derweil fortsetzen, also eine Geldpolitik zulasten der Sparer und zugunsten der Schuldner (Staat, Unternehmen, Drittländer). Die Aktienmärkte dürften weiterhin davon profitieren, was mindestens teilweise die negativen Effekte der sich abschwächenden Konjunktur auf die Gewinne kompensiert.

Und der Euro? Aus Sicht der EZB käme eine zu starke Aufwertung ungelegen, weil das Konjunktur und Inflation erneut dämpfen würde. Das spricht auch dafür, dass sie es mit Zinserhöhungen ruhig angehen lassen wird. Fundamental hat der Euro allerdings Aufwertungspotenzial, vor allem aus drei Gründen: wegen des großen Überschusses in der Leistungsbilanz, des sehr geringen staatlichen Haushaltsdefizits und der vergleichsweise billigen Aktienmärkte Eurolands.