Am Donnerstag hat die EZB das Ende des Bond-Ankaufprogramms verkündet, außerdem ihre Absicht, die Leitzinsen bis Ende des Sommers 2019 unverändert zu lassen, also bei ihrer Nullzinspolitik und der sehr expansiven Geldpolitik zu bleiben. Von Oktober 2014 bis Ende Dezember 2018 wird sie dann netto Anleihen in Höhe von 2,6 Billionen Euro erworben und ihre Bilanz von zwei Billionen auf etwa 4,7 Bill. Euro verlängert haben. Sie musste das tun, denn wenn die Zinsen einmal an der Nullgrenze angekommen sind, gibt es praktisch keinen Spielraum mehr für weitere Senkungen. An dem Punkt müssen andere Instrumente ins Spiel gebracht werden, wenn die expansive Ausrichtung der Geldpolitik beibehalten werden soll, wenn also das Ziel einer Inflationsrate von dauerhaft knapp unter zwei Prozent weiter verfolgt wird. Die neuen Instrumente der EZB waren zum Einen das Ankaufprogramm von Aktiva (das Asset Purchasing Programme APP auch Quantitative Easing QE genannt) sowie klare Aussagen über die künftigen Leitzinsen (forward guidance).
Die amerikanische Fed hat in den vergangenen Jahren eine ähnliche Strategie verfolgt: Während sie die dritte QE-Runde bereits im Oktober 2014 beendet hatte, versorgt sie die Marktteilnehmer nach wie vor mit Prognosen darüber, wohin sich die Fed Funds Rate bewegen wird – zur Zeit erwarten die Mitglieder des amerikanischen Zentralbankrats FOMC im Durchschnitt (Median) Ende 2019 einen Leitzins von 3,1 Prozent und Ende 2020 einen von rund 3,4 Prozent; nach der gestrigen Zinserhöhung liegt er aktuell bei 1,9 Prozent. Die Zinsschere zwischen den USA und Euroland wird sich also stark ausweiten, und das wird ein sehr vorhersehbarer Prozess sein. Tendenziell wird der Euro daher abwerten, und der europäische Überschuss in der bilateralen Handelsbilanz wird steigen und somit das Risiko erhöhen, dass der Handelskrieg eskaliert.
War das APP nun eine erfolgreiche Strategie oder nicht? Ich versuche mal, eine vorläufige Bilanz zu ziehen. Am wichtigsten ist wohl, dass die Inflation den Zielwert von 1,9 Prozent erreicht hat. Das muss nicht dauerhaft sein. Die sogenannte Kerninflation, ein Frühindikator für die normale Inflation, liegt bei nur 1,1 Prozent. Insofern ist es verfrüht, schon jetzt die Sektkorken knallen zu lassen
Wie sollen die Verbraucherpreise durch das APP steigen, was ist der zugrundeliegende Mechanismus? Durch die starke Nachfrage der EZB nach längerfristigen Anleihen steigen deren Preise, wodurch die Renditen sinken. Da die Erträge, die mit schuldenfinanzierten Investitionen zu erzielen sind, zunächst einmal nicht zurückgehen, lohnt es sich, Schulden aufzunehmen und Kapitalgüter wie Maschinen und Immobilien zu erwerben. Die Konjunktur springt an, der Arbeitsmarkt beginnt zu brummen, die Löhne steigen, die Kapazitätsreserven gehen zurück und – bingo! – die Inflationsrate bewegt sich in Richtung zwei Prozent.
Doch so einfach ist die Sache im realen Leben leider nicht. Zum Einen sind Zinsveränderungen nur eine wichtige, nicht die wichtigste Determinante von Sachinvestitionen: Entscheidend für Investitionen sind in der Regel die Absatzerwartungen. Gibt es überhaupt einen Markt für die zusätzlichen Güter und Dienstleistungen, die ich mit den neuen Kapitalgütern produzieren kann? Wir alle kennen den Spruch, dass man die Gäule zwar zur Tränke führen kann, sie aber nicht dazu zwingen kann, auch zu saufen.
Zum Zweiten kommt es durch den Rückgang der langen Zinsen zu einer flacheren Zinskurve; die Differenz zwischen langen und kurzen Zinsen schrumpft. Wie die nächste Grafik zeigt, ist dies seit 2009 im Trend der Fall. Vor allem gilt das für die USA, die früher mit ihren QE-Programmen begonnen hatten.
Da sich Banken vor allem kurzfristiges Geld leihen (abgesehen von den länger laufenden Bankbonds) und längerfristig verleihen, verringert eine rückläufige Zinsmarge den Anreiz, Kredite zu vergeben. Das war und ist ein großes Problem im Euroraum. Banken werden wählerischer, vor allem, wenn ihre Bilanzen ohnehin immer noch zu viele notleidende Kredite aus der letzten Finanzkrise enthalten. Insofern hat das APP auch kontraproduktive Effekte. Wir sehen das daran, dass trotz der massiven Zunahme des verfügbaren Zentralbankgelds die Kreditvergabe an den privaten Sektor (etwa drei Prozent im Vorjahresvergleich) nach wie vor mickrig ist.
Mario Draghi hat in der heutigen Pressekonferenz darauf hingewiesen, dass der Effekt des APP auf das Wachstum des realen BIP Eurolands nach Berechnungen der EZB und der UBS, einer großen Schweizer Bank, seit seinem Beginn im Oktober 2014 kumuliert fast zwei Prozentpunkte beträgt. Das ist eine Hausnummer, die für viele zusätzliche Jobs steht. Ohne APP wäre auch die Inflation weiterhin deutlich niedriger als sie es jetzt ist.
Für mich hatte der ständige Druck auf die langen Zinsen zudem den erfreulichen Nebeneffekt, dass selbst in den früheren Krisenländern wie Griechenland und vor allem Italien der Schuldendienst dramatisch gesunken ist und es in dieser Hinsicht kaum mehr Probleme gibt. Die folgende Grafik ist eindeutig. Mit anderen Worten, APP hat entscheidend dazu beigetragen, dass sich der Euro weiter stabilisiert hat und eine neue Schuldenkrise unwahrscheinlicher geworden ist. Der Schuldendienst der italienischen Regierung ist heute relativ zum nationalen BIP nicht viel größer als der amerikanische! Dass die EZB vorhat, bis weit in das Jahr 2019 Gas zu geben, könnte unausgesprochen auch damit zu tun haben, dass es nicht schaden kann, wenn sich die fiskalische Situation der einstigen Krisenländer weiter verbessert.
Bei all dem darf nicht vergessen werden, dass die europäische Geldpolitik inzwischen einen großen Teil der Staatsschulden übernommen und dabei die Grenze zur Finanzpolitik überschritten hat. Skeptiker werden sagen, dass die EZB seitens der Politik neuerdings unter Druck gesetzt werden kann und daher ihre Unabhängigkeit verloren hat. Die EZB sei nicht mehr ein Klon der Bundesbank, sondern eher einer der Fed, der Bank von Japan oder der Bank of England. So richtig die Haare zu raufen braucht man sich deswegen allerdings nicht, finde ich.