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Finanziert die EZB Leistungsbilanzdefizite?

 

Der Wirtschaftswurm nimmt ein Argument auf, dass in der Target-2-Debatte häufiger zu lesen ist. Demnach ist die Politik der EZB problematisch, weil die EZB die Leistungsbilanzdefizite der Staaten der europäischen Peripherie finanziert.

Schieritz tut ferner so, als ob die Ursachen für die Target-2-Defizite der Südländer (einschließlich Frankreichs) unklar sind. Sowohl ein Leistungsbilanzdefizit als auch Kapitalflucht würden als Ursache in Frage kommen. Schieritz vergisst aber: Ohne die Möglichkeit zu Target-2-Defiziten gäbe es aktuell überhaupt keine Möglichkeit für die Südländer, ihr Leistungsbilanzdefizit aufrecht zu erhalten. Denn private Kapitalgeber für seine Finanzierung finden sich nicht mehr. Insofern muss tatsächlich ihr gesamtes Leistungsbilanzdefizit über Target 2 finanziert werden.

Richtig daran ist: Wenn die Anleger ihr Geld abziehen und die Peripheriebanken damit von der Liquiditätszufuhr abgeschnitten wären, könnten sie je nach Struktur ihrer Bilanz möglicherweise (noch) weniger Kredite vergeben. Die inländische Nachfrage würde einbrechen, ihre Leistungsbilanz würde sich schlagartig verbessern. Daraus folgt: Die EZB stützt Leistungsbilanzen, auch wenn sie Kapitalflucht kompensiert.

Die politisch relevante Frage ist: Wird damit eine künstlich überhöhte Nachfrage in den betroffenen Länder staatlich aufrechterhalten?

Der Form nach ja – zumindest wenn man davon ausgeht, dass die Kapitalmärkte perfekt funktionieren. Wenn also der Kapitalabzug eine Folge der überhöhten Nachfrage ist und genau die richtigen Länder in genau dem richtigen Volumen trifft. Mit anderen Worten: Wenn der Abfluss des Kapital der Mechanismus ist, mit dem die Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht gebracht wird – und dieser Mechanismus nun durch die Intervention der Notenbank gestört wird.

Ich habe bereits zu zeigen versucht, dass es auch dann noch angebracht sein kann, die nötige realwirtschaftliche Anpassung durch die Intervention der Notenbank zu strecken, weil das für alle Beteiligten angenehmer ist. Die EZB würde also den Ausgleichsmechanismus sozusagen bewusst manipulieren.

Doch hier geht es um die Frage, ob die Politik der EZB auch gerechtfertigt werden kann, wenn man nicht unumstrittene Begründung für eine Intervention ablehnt (wenn man also argumentieren würde, dass die Marktkräfte die Anpassung viel besser regeln).

Das würde gelten, wenn sie tatsächlich wie oben beschrieben wirken würden.  Aber das ist leider in der Realität nicht so.  Nehmen wir zum Beispiel Frankreich. Ein Land mit einem Leistungsbilanzdefizit von zuletzt 2,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, nicht sehr dramatisch also. Trotzdem bieten die französischen Banken wie verrückt bei den Refinanzierungsgeschäften der EZB. Das Land hatte zu Spitzenzeiten einen negativen Target-Saldo von fast 100 Milliarden Euro. Ohne Eingriff der EZB würden also die französischen Banken auf die Kapitalflucht hin – die sich dann noch einmal verschärfen würde – die Kreditvergabe kappen. Die Notenbankintervention verhindert das.

Aber was wäre die Alternative? Wäre es sinnvoll, eine vergleichsweise stabile Volkswirtschaft kollabieren zu lassen, nur weil die Investoren durchdrehen?  Souveräne Staaten haben eine Notenbank, die als lender of last resort agiert. In Europa muss diese Aufgabe die EZB übernehmen – zumal davon auszugehen ist, dass sich die Kapitalströme wieder umdrehen, sobald die Panikattacke vorbei ist.

Es stimmt also schon: Auch eine Kapitalflucht kann Auswirkungen auf die Leistungsbilanz haben, weil ein ausgetrocknetes Bankensystem keine Kredite mehr vergeben kann. Insofern ist eine Notenbankpolitik, die die Folgen der Kapitalflucht abmildert möglicherweise auch eine Politik, die die inländische Nachfrage in dem betreffenden Land stützt.

Nur wäre es kompletter Irrsinn, irgendetwas anderes zu tun.