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Deflationsrisiko nimmt weiter zu

 

Die gestrigen Zahlen für Dezember haben bestätigt, dass das Preisniveau im Euroland nahezu stagniert und dass Deflation ein Risiko ist, das ernst genommen werden muss. In Deutschland sieht es besser aus – weil die Konjunktur einigermaßen läuft. In den Preis- und Kostenpipelines der Währungsunion als Ganzes, also auf den vorgelagerten Stufen, gibt es eine Menge an Deflationspotenzial. Für die EZB stehen die Ampeln weiterhin auf Rot und es geht ihr daher nur darum, auf welche Weise sie die inländische Kaufkraft des Euro rascher vermindern kann als in den letzte Monaten, wie sich also die Endnachfrage mit ihren Mitteln stimulieren lässt.

Seien wir realistisch. Sie ist mit ihrem Latein ziemlich am Ende: Die Leitzinsen haben de facto bereits Null erreicht, quantitative easing analog zu dem was wir in den USA, in Japan und Großbritannien beobachten, wird es nicht geben, weil ein Euroland-Schatzamt fehlt, also ein zentraler Emittent von Eurobonds (der ESM und die EIB sind bestenfalls Lückenfüller), die Widerstände gegen einen negativen Hauptrefinanzierungssatz werden sich nicht überwinden lassen und die forward guidance, das Versprechen, die Leitzinsen nicht zu erhöhen, auch wenn die Konjunktur wieder in Schwung gekommen ist und die Inflation ihre Zielmarke übersteigt, ist so ungefähr das Unglaubwürdigste, was sich die Zentralbanken in ihrer langen Geschichte jemals ausgedacht haben.

Nein, so lässt sich Inflation nicht herbeizaubern. Da die meisten der 18 Staaten unter der Knute des Maastricht-Vertrags – oder, wenn man will, Berlins – weiterhin versuchen, ihre Neuverschuldung trotz Rezession zu reduzieren, lässt sich ihre Nachfrage nach Arbeitskräften und Gütern nicht durch noch so günstige Kreditkonditionen in Schwung bringen. Ähnliches gilt für viele Haushalte in den Ländern der Peripherie, aber auch Frankreichs und Hollands, deren Hypothekenschulden höher sind als der Marktwert ihrer Immobilien: Sie wollen sich entschulden, nicht aber neue Schulden machen. Der Bankensektor als Ganzes ist ebenfalls noch nicht wieder gesund, obwohl die EZB alles tut, damit sie anständig Gewinne machen – selten war die Marge zwischen Refinanzierungskosten und der Rendite ihrer Aktiva so groß wie heute. Die Marktteilnehmer vermuten weiterhin, dass diese Aktiva zu positiv bewertet sind. Die Banken sind zudem gezwungen, ihr Eigenkapital relativ zur Bilanzsumme zu erhöhen, was sich unter anderem dadurch erreichen lässt, dass sie weniger Kredite vergeben. All das reduziert der Tendenz nach die Inflation.

Ich behaupte, die Deflationsgefahr wird erst dann verschwinden, wenn der Entschuldungsprozess, das sogenannte Deleveraging, abgeschlossen ist, wenn die Akteure wieder den Mut haben, sich stärker zu verschulden. Schwer zu sagen, wie lange das dauern wird. Die festen Aktienmärkte könnten die Sache beschleunigen, ebenso wie die neuerdings wieder expansivere Finanzpolitik in Deutschland.

Noch ein Blick auf die Zahlen? Ich kann ja viel behaupten!

Zunächst die Inflationsrate bei den Verbraucherpreisen Eurolands: Im Dezember lag sie im Vorjahresvergleich bei 0,8 Prozent, die sogenannte Kernrate bei 0,7. Stelle ich auf die vergangenen sechs Monate ab und rechne die Geldentwertung auf ein volles Jahr hoch, kommen ich auf nur 0,4 Prozent. Der Weg bis zur Null ist nicht mehr weit.

Grafik: Euroland Inflation 1996-201312

Die Einfuhrpreise waren im Oktober laut Eurostat um 2,8 Prozent niedriger als vor einem Jahr – sie sind stärker gefallen als die Ausfuhrpreise. Immerhin haben sich dadurch die sogenannten Terms of Trade um rund zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr verbessert, und mit ihnen die Kaufkraft der Bevölkerung (wenn natürlich nicht im Verhältnis eins zu eins). Das Wachstum der Weltwirtschaft ist nach wie vor moderat und die Dollarpreise der Rohstoffe sind auf dem Rückzug.

Grafik: Einfuhrpreise für Euroland 2006-201312

Der Druck auf die Einfuhrpreise kommt auch daher, dass der inflationsbereinigte und handelsgewogene, also real effektive Wechselkurs des Euro stark steigt – man denke an die kräftige Aufwertung gegenüber dem Yen und den Währungen der Schwellenländer, die seit den ersten Spekulationen über eine langsamere Expansion der amerikanischen Notenbankbilanz im vergangenen Frühjahr unter Druck geraten waren. Zuletzt lag der Euro, so gemessen, um 6,1 Prozent über seinem Vorjahreswert. An dieser Front ist kaum mit Entlastung zu rechnen, dafür ist der Leistungsbilanzüberschuss der Währungsunion zu groß (rund 200 Mrd Euro, oder zwei Prozent des BIP). Das aggregierte Staatsdefizit dürfte inzwischen zudem auf unter drei Prozent des BIP gesunken sein. Auch die Rallye an den Bondmärkten in der Peripherie spricht dafür, dass Euroland-Assets für international agierende Anleger attraktiv sind, und attraktiv bleiben werden.

Grafik: Realer Wechselkurs des Euro

Der vielleicht wichtigste Treiber der Inflation sind die Löhne. In der privaten Wirtschaft waren die Arbeitskosten zuletzt (2013Q3) nur noch 1,1 Prozent höher als vor Jahresfrist. Im dritten Quartal 2012 betrug die Zuwachsrate noch 2,3 Prozent. Auch hier geht es in Richtung Null. Real bleibt bei solchen Werten nichts übrig. Das stimuliert nicht gerade die Kauflaune der Verbraucher.

Grafik: Entwicklung der Arbeitskosten in Euroland

Unternehmen gleichen steigende Löhne in der Regel dadurch teilweise aus, dass sie die Produktionsprozesse effizienter machen, vor allem, aber keineswegs allein durch Investitionen in Sachanlagen und Software. Die sogenannten Lohnstückkosten sind daher eigentlich das, was zählt. Im Euroland waren sie dritten Quartal um 0,7 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Auch hier ist eine stark rückläufige Tendenz zu beobachten.

Grafik: Entwicklung der Lohnstückkosten in Euroland

Der springende Punkt bei den Löhnen und Lohnstückkosten ist die katastrophale Lage am Arbeitsmarkt Eurolands. Es gibt zurzeit fast 20 Millionen Arbeitslose und eine Arbeitslosenquote von 12,1 Prozent. Die Beschäftigung ist zudem rückläufig.

Grafik: Beschäftigung und Arbeitslosenquote in Euroland

Insgesamt gibt es keine Indizien dafür, dass wir schon bald eine Wende bei den Verbraucherpreisen sehen werden. Besitzer europäischer Anleihen können sich beruhigen.