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Investoren glauben Trichet nicht

 

Für die Europäische Zentralbank ist die Sachlage eindeutig: Die europäische Wirtschaft läuft gut und die Inflation kann nur in eine Richtung gehen, nämlich nach oben. Präsident Jean-Claude Trichet hat daher gestern mit Worten, die keinen Zweifel erlauben, den nächsten Zinsschritt um 25 Basispunkte für die Sitzung im Oktober angekündigt. Genauso klar war die Botschaft, dass es voraussichtlich im Dezember zu einem weiteren Schritt, auf dann 3,5 Prozent, kommen wird. Die Geldpolitik ist akkommodierend, vor allem wenn man auf die Wachstumsrate der Kredite schaut, und die hohen Ölpreise werden vermutlich noch böse Folgen haben. Für 2007 erwartet die EZB nunmehr eine Inflationsrate von durchschnittlich 2,4% im Vorjahresvergleich, genauso viel wie dieses Jahr, und natürlich deutlich oberhalb der Zielmarke von etwas unter 2%.

An den Rentenmärkten hat diese Inflationsangst keinen Eindruck gemacht – deren Reaktion auf die Pressekonferenz bestand in einem kräftigen Rückgang der Renditen. Im Zehnjahresbereich fielen sie auf 3,76 Prozent. Soviel sich die EZB auch müht, die professionellen Anleger nehmen ihr nicht ab, dass Inflation eine echte Gefahr darstellt. Zurecht! Am wichtigsten ist, dass es keine Lohninflation gibt. Zwei Drittel der volkswirtschaftlichen Kosten entfallen auf den Faktor Arbeit. Durch den starken Euro und die immer intensivere Globalisierung lassen sich die Löhne in den entscheidenden Teilen der Wirtschaft, dort wo diese dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt ist, einfach kaum erhöhen. Nach Abzug der Inflationsrate, also real, stagnieren sie entweder oder sinken sogar. Die Arbeitnehmer haben nach wie vor keine Verhandlungsmacht.

Ein anderer Grund für den schwachen Inflationsdruck ist im Inland zu suchen. Die Auslastung der Kapazitäten ist viel niedriger als das gemeinhin dargestellt wird. Das bedeutet, dass die Produktion kräftig und lange zunehmen kann, ehe sie an die Decke stößt, wo es dann leichter fällt, die Preise zu erhöhen. Wir sind in einer Situation, in der die Unternehmen einfach dadurch ihre Gewinne steigern können, dass sie ohne neues Personal einzustellen und ohne viel zu investieren mehr produzieren. Sie verdienen durch das zyklische Produktionswunder, das gerade vor unseren Augen stattfindet. Oder anders, es geht ihnen immer besser, auch wenn sie ihre Preise nicht erhöhen können – was ihnen wegen des scharfen Wettbewerbs sowieso nicht leicht fällt. Das ist heute so wie immer in Frühphasen einer wirtschaftlichen Erholung, die auf lange Stagnationsphasen folgen.

Deshalb steuert die europäische Geldpolitik auf einen Overkill zu. Ende des Jahres könnten die kurzen Zinsen genauso hoch sein wie die langen, wenn die jetzigen Trends anhalten, wogegen bislang nichts spricht. Das bedeutet, dass die Zinsstrukturkurve flach sein wird, was wiederum eine stark dämpfende Wirkung auf das Wirtschaftwachstum hat. Hinzu kommt, dass der Euro im Gefolge der Zinspolitik tendenziell aufwerten dürfte. Aus beiden Gründen gehen natürlich auch die Inflationsrisiken zurück. Aus welcher Ecke soll denn eigentlich die Inflation kommen? – mal abgesehen von der Mehrwertsteuererhöhung, die aber im übrigen eine restriktive Wirkung auf die Nachfrage und damit auf das Wirtschaftswachstum haben wird. Hören wir das nicht immer wieder? Wäre schön, wenn die EZB der Konjunkturerholung mehr Zügel ließe – leisten könnte sie es sich. Und das Maastricht-Kriterium „Defizitquote“ ließe sich, nebenbei gesagt, in den meisten Ländern viel leichter erreichen als bei mickrigem Wachstum.

Dieter Wermuth ist mit dem heutigen Beitrag neuer Hirte des Blogs HERDENTRIEB.