Nach normalen marktwirtschaftlichen Prinzipien sollte eine Tonne an CO2-Emissionen überall in der Volkswirtschaft mit denselben Abgaben belastet werden, so wie das Einkommen denselben Steuersätzen unterliegen sollte, egal aus welcher Quelle es stammt. Das ist fair und verhindert Verzerrungen der relativen Preise. Deutschland ist jedoch weit entfernt von einem solchen Ansatz – vielmehr trägt der Straßenverkehr fast allein die Last, während das übrige Transportwesen, die Industrie, die Gebäude und die Kraftwerke, die Strom erzeugen, kaum Umweltabgaben auf ihre Emissionen zu entrichten haben. Insgesamt sind die Abgaben so niedrig, dass sie kaum dazu beitragen, die Klimaziele, die auf der Pariser Konferenz COP21 im vergangenen Jahr vereinbart wurden, zu erreichen.
Darauf weist die OECD in einer neuen Studie hin, die in der Öffentlichkeit bislang kaum Beachtung gefunden hat (Effective Carbon Rates – Pricing CO2 through Taxes and Emissions Trading Systems, 2016). Es ist ein sehr informativer und daher sehr nützlicher, nur leider auch ein zäher wissenschaftlicher Text, der sich nicht so leicht erschließt. Es fehlen die plakativen Aussagen.
Die Frage, die die OECD zu beantworten versucht, lautet “wieviel CO2 wurde im Jahr 2012 in einem Land durch die Umwandlung von Kohlenwasserstoff in Energie freigesetzt, welche der erwähnten fünf Wirtschaftssektoren waren dafür verantwortlich, und wie hoch waren die Abgaben, die effektiv in Form von Steuern und Emissionszertifikaten darauf zu entrichten waren?“ Am folgenden Schaubild lässt sich erklären, was gemeint ist:
Zunächst erkennt man, dass damals etwa 830 Millionen Tonnen des Umweltgifts CO2 in die Luft geblasen wurden, eine gewaltige Zahl. Und das nur in Deutschland. Die größten Klimasünder waren China, die USA, Indien, Russland und Japan. Deutschland kommt bereits auf Rang 6, auf einer Stufe mit Brasilien (vgl. S. 47 der Studie), und war damit für 2,2 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Das hat nicht nur damit zu tun, dass wir in einem der bevölkerungsreichsten Länder leben, sondern auch damit, dass die Emissionen pro Kopf mit zu den höchsten der Welt gehören (ebenfalls S. 47). Wir leben so energieintensiv, weil wir viel heizen müssen und immer mobiler geworden sind und weil Industrie und Kohlekraftwerke nach wie vor eine große Rolle spielen. Es wurde hierzulande schon viel für die Umwelt getan, aber wir haben es auch besonders nötig.
Auf der y-Achse der Grafik befindet sich die „effective carbon rate“ (ECR), die Belastung der Emittenten in Euro pro Tonne CO2 durch Abgaben für Energiesteuern aller Art sowie für Emissionszertifikate. Es fragt sich, was die angemessene „Strafe“ für die Verursachung des Klimawandels und die Gesundheitsschäden ist. Die OECD hält einen Wert von 30 Euro je Tonne für das absolute Minimum – die volkswirtschaftlichen Schäden durch CO2-Emissionen bewegen sich in dieser Größenordnung. Vorzuziehen sei allerdings ein Betrag von 50 Euro. In den umweltbewussten Ländern Schweden, Norwegen und der Schweiz liegen die aktuellen „Strafen“ sogar deutlich darüber (siehe OECD (2013): Climate and Carbon – Aligning Prices and Policies, OECD Environmental Policy Paper No. 1).
In Deutschland wird allein der Verkehrssektor signifikant belastet, und zwar mit durchschnittlich 220 Euro je Tonne. Er ist für rund 20 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Sonst aber sieht es nicht so gut aus: In der restlichen Volkswirtschaft sind nicht nur 10 Prozent aller Emissionen vollkommen von Abgaben befreit, die übrigen 70 Prozent werden zudem mit Sätzen belegt, die weit unter den Schäden liegen, die sie anrichten. Klimapolitik sieht anders aus. Es ist nur ein geringer Trost, dass die meisten der anderen 41 untersuchten Länder noch viel weniger Ehrgeiz an den Tag legen. Deutschland möchte ja gerne Weltmarktführer in grüner Technologie bleiben oder werden, und unsere Politiker sind stolz darauf, dass die deutsche Energiewende global ein Vorbild ist.
Es ist ja keineswegs erforderlich, die ECR-Sätze innerhalb kurzer Zeit auf durchgehend über 50 Euro anzuheben. Ein solch rapider Strukturwandel würde zu viele Arbeitsplätze kosten und ist daher politisch nicht durchzusetzen. Aber einen verbindlichen Zeitplan zu fordern, der die gesamte Industrie, den gesamten Gebäudebestand und den gesamten Kraftwerkspark umfasst, ist nicht zu viel verlangt. „Grüne“ Investitionen, die ja von allen Seiten gefordert werden, erfordern langfristige Planungssicherheit seitens der Politik. Man könnte die höheren Umweltabgaben mit Steuersenkungen an anderer Stelle kombinieren, da es ja nicht Ziel sein kann, die staatliche Abgabenlast insgesamt zu erhöhen.