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Ohne absolute Wahrheit keine Toleranz – Replik auf Micha Brumlik

Der geschätzte Micha Brumlik setzt sich heute in der taz in einem Essay mit der Haltung der Kirche (der evangelischen im engeren Sinne) zu den Muslimen auseinander.

Die kirchliche Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ – die bei den Muslimen zu großem Ärger geführt hat – ist auch Brumlik übel aufgestoßen. Er nennt sie zwar „insgesamt moderat“, aber es bleibt doch ein „Unbehagen“.

Es rührt daher, dass sogar eine so aufgeklärte religiöse Organisation wie die EKD in einem wenn auch letzten Rückzugswinkel nicht umhinkann, eine große andere Religion in einigen Hinsichten abzuwerten. Zu behaupten, es ginge dabei nur um das ehrliche Herausarbeiten von Differenzen, wird dem theologischen Duktus der Handreichung nicht gerecht. Bei aller Toleranz im zivilen Umgang klammert sie sich krampfhaft an einen absoluten Wahrheitsanspruch.

Dies wiederum berührt mich sehr eigenartig: Denn wieso ist das festhalten an einem „absoluten Wahrheitsanspruch“ mit der „Abwertung einer großen anderen Religion“ gleichzusetzen? Ich kann diesen Zusammenhang nicht erkennen. Ich würde es sogar umdrehen: Nur wer an seinem Wahrheitsanspruch (ist der nicht per se „absolut“) festhält, kann überhaupt verstehen, warum andere dies ebenfalls tun. Die Einsicht in den „Absolutismus“ der Wahrheitsansprüche ist somit die Basis für gegenseitige Toleranz: Denn nur, was sich nicht irgendwo im relativen Konsens treffen kann – und dies ist bei den monotheistischen Religionen der Fall, braucht Toleranz: eine Form der humanen Resignation angesichts der Tatsache, dass man den anderen Wahrheitsanspruch (im Auge des anderen) nicht falsifizieren kann.

Das ist etwas, das im religiös lauen Europa leicht vergessen wird. In den USA ist es gelebte Wirklichkeit. Wir müssen das als unsere Zukunft erkennen.

Die EKD-Schrift, die übrigens nicht von der „theologischen Kammer“ der EKD (sowas gibt es nicht), sondern von einer bunt zusammengesetzten Arbeitsgruppe geschrieben wurde (darunter moderate Evangelikale, ein katholischer Theologe und der religionspolitische Kopf der Friedrich-Ebert-Stiftung), bekennt sich aus diesem Geist auch zur Mission. Das ist ein Unwort für manch einen, aber man sollte dies nicht dramatisieren in einer Zeit der Kirchenflucht: Die Kirche tut alles, was sie tut – auch die Kindergartenbetreuung, die Altenpflege, den Sozialdienst – immer schon im Geist des christlichen Bekenntnisses und letztlich als Bekenntnis.

Ohne Bekenntnis – und das heisst auch ohne das Wissen, wofür man als Kirche steht – kann es keinen sinnvollen Dialog geben. Eine Krankheit des so genannten Dialogs der letzten Jahre war die Selbstverluegnung und Eskamotierung von Gegensätzen unter faulen Konsensformeln wie der vom „Glauben an den selben Gott“. Nun wird der Glaube an „einen Gott“ als Gemeinsamkeit bewahrt, während man zugleich auf der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Bilder und Vorstellungen von Gott beharrt. Wie anders wäre das jeweilige Bekenntnis überhaupt zu erfassen?

Brumlik aber deutet die EKD-Schrift sehr ungnädig und sozialpsychologisierend als Angst-Zeugnis:

Versucht man, diese Befunde zu deuten, so bleibt kaum ein anderer Schluss übrig, als dass die christlichen Kirchen in Deutschland der Weiterentwicklung des Landes zu einer multireligiösen Gesellschaft keineswegs mit fröhlicher Zuversicht entgegensehen, sondern mit einem gerüttelt Maß an ganz unchristlicher Angst.

Schrumpfende gesellschaftliche Macht und Verunsicherung der eigenen Mitgliedschaft gehen Hand in Hand. Angst und Abwehr sind indes allemal schlechte Ratgeber. Sosehr es die Aufgabe der Kirchen in Zukunft sein wird, verängstigten Christenmenschen in ihren meist, nicht immer unbegründeten Befürchtungen ernst zu nehmen, so sehr sollten sie darauf achten, in ihren Theologien nicht genau das zu reproduzieren, was sie dann im seelsorgerlichen und sozialen Bereich mühsam wieder ruhigstellen müssen.

Angst ist in der Tat ein schlechter Ratgeber. Aber sie läßt sich nicht dadurch überwinden, daß man Befürchtungen einfach abtut (die ja auch Brumlik als „nicht immer unbegründet“ anerkennt). Und sie läßt sich nicht durch das fröhliche Überspringen von Differenzen in die „multireligiöse Gesellschaft“ beseitigen. Wahrhaft multireligiöse Gesellschaften relativieren die Wahrheitsansprüche nicht, sondern lehren die Menschen, konkurrierende Wahrheitsansprüche auszuhalten. Das muss allerdings auf echter, nicht bloss vorgespielter Gegenseitigkeit beruhen – und dabei hat „der Islam“ noch eine ganz schöne Wegstrecke vor sich. Die Angst, vor der Brumlik spricht, läßt sich nicht ohne Rückbesinnung aufs Eigene bekämpfen – weil es ohne Selbstachtung auch keine Empathie und keinen Respekt für den anderen geben kann.

Die EKD-Schrift ist kein Angst-Symptom, sondern ein Zeugnis, dass die evangelische Kirche selbstbewusst genug ist, die eigene Wahrheit herauszustellen, für die sie streitet. Sie bekennt übrigens auch, daß sie dieser Wahrheit oft genug im Wege steht und gestanden hat (und sie also nicht einfach „besitzt“). So kann ein Dialog beginnen, der seinen Namen verdient. Bisher hat die andere Seite leider nur mit Kränkung und Vorwürfen reagiert.

 

Argumente (von rechts!) für den EU-Beitritt der Türkei

…liefert ausgerechnet der CDU-Politiker Wulf Schönbohm heute in der WELT, der erst kürzlich mit seiner Kritik am weichgespülten Konservatismus der Union („Scheinliberale Mitte-Soße“) Furore machte. Er beschreibt die Modernisierungsrolle der AKP gegenüber den alten kemalistischen Eliten so:

Die Kemalisten, das Militär eingeschlossen, haben sich in der Vergangenheit große Verdienste um die Republik erworben, aber sie sehen Individualismus und Pluralismus, Religiosität und Minderheitenrechte als Gefahren für den Staat an, den sie absolut setzen und als dessen Hüter und Bewahrer sie sich verstehen. Sie sind Reformgegner und zu dogmatischen Verteidigern ihrer überholten Machtprivilegien geworden, für die sie auch mit fragwürdigen Methoden kämpfen. Insbesondere das Militär, das immer noch großes Ansehen genießt und in der türkischen Geschichte seinen politischen Einfluss ohne jede demokratische Legitimation wahrgenommen hat, musste in den vergangenen fünf Jahren durch die von der EU geforderten und von der AKP realisierten Reformen Schritt für Schritt politische Macht abgeben. Dieser Prozess muss so lange weitergehen, bis das Primat der Politik gegenüber dem Militär Gültigkeit hat.
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Wulf Schönbohm

Mit den Kemalisten würde die bisherige antireligiöse, urbane Elite, die seit Gründung der türkischen Republik die politischen Rahmenbedingungen des Landes festgelegt hat, abtreten zugunsten der religiösen, gut ausgebildeten, modernen Elite aus der Provinz. Sie wird von der AKP vertreten, die sich zur einzigen Volkspartei der Türkei entwickelte, indem sie konservativ-islamische, liberale, soziale und reformerische Strömungen integriert hat.
Es wäre schön, wenn die Gegner der türkischen EU-Mitgliedschaft anerkennen würden, welche Reformdynamik die Türkei im Gegensatz zu Mitgliedsländern wie zum Beispiel Bulgarien oder Rumänien seit Jahren zeigt.

Die AKP hätte die wohlwollende Unterstützung der EU auf ihrem Weg nach Europa verdient, denn alle Unterstellungen, diese Partei habe eine geheime islamistische Agenda, erwiesen sich als Hirngespinste.

Erdogan hat früh erkannt, dass in einer laizistischen Demokratie islamische Gebote wie zum Beispiel das Alkoholverbot den Bürgern nicht vom Staat aufgezwungen werden dürfen, und hat sich deshalb von der islamistischen Erbakan-Partei abgespalten und die AKP gegründet.
Er ist ein überzeugter Demokrat und engagierter Reformer, während aus den hundertprozentigen Kemalisten hundertfünfzigprozentige Kemalisten geworden sind, die ihr eigenes Land nicht mehr verstehen. Die türkische Gesellschaft ist bereits viel zu modern und westlich geworden, als dass die Bevölkerung die Scharia wollte und das Militär noch als Schutzmacht gegen Islamisten benötigte. Diese Zeiten sind endgültig vorbei.

Für die Politiker von CDU und CSU wird es immer schwieriger werden, ihre Ablehnung der türkischen EU-Mitgliedschaft plausibel zu begründen. Sie halten jedoch daran fest, weil dies eine ihrer letzten scheinbar konservativen Positionen ist und weil sie Angst vor ihren eigenen Wählern haben, deren Vorurteile sie pflegen, anstatt sie abzubauen. Das ist nicht konservativ, sondern reaktionär.

Bravo!

 

Ralph Giordanos intellektuelle Bankrotterklärung

Ralph Giordano legt im Streit um die Kölner Moschee nach. Im Deutschlandradio bekommt er die Gelegenheit, den gestrigen „Tag der offenen Moschee“ zu kommentieren. Er hat also das ganz große Megaphon in der Hand, trotzdem ist er schon präventiv beleidigt, man wolle ihn eine „Ecke stellen“.
Man wird doch wohl noch kritisieren dürfen, wenn „Mega- und Giga-Moscheen“ gebaut werden, sagt er im penetranten Ton der Dauergekränktheit. Ihn selber darf man allerdings lange schon nicht mehr kritisieren, ohne sofort in die Ecke des „Multikulti-Illusionismus“ gestellt zu werden.
Im Gespräch wird immer unklarer, was er eigentlich sagen will. Einerseits stellt er den Islam der Ditib als grundsätzlich gefährlich, frauenfeindlich und unvereinbar mit dem „judäo-christlichen Erbe“ dar. Andererseits sagt er, zwischen Hinterhofmoschee und „Giga-Moschee“ gebe es doch viele Zwischenstufen, die nicht provozieren.
Beides gleichzeitig geht aber nicht: entweder ist der Islam prinzipiell unvereinbar mit unserer Ordnung, wie Giordano sagt, oder die Größe der Moschee und ihre Gestaltung, sowie die Transparenz der dahinter stehenden Organisation machen den Unterschied.
Ist eh alles egal, denkt man nach einer Weile, denn es geht Giordano sowieso nur noch darum, den Ehrenfelder Bau und alle weiteren Moscheebauten zu verhindern.
Das wird spätestens am Ende klar, wenn Giordano mit Blick auf Ditib und Diyanet sagt, der Kölner Moscheebau sei „ein Machtanspruch, eine Kriegserklärung, eine Landnahme auf fremdem Territorium“.

Kriegserklärung? Landnahme? Jawohl, er hat es gesagt. Das ist eine neue Eskalationsstufe des Streits. Wenn diese extreme Rhetorik benutzt wird, um gegen ein Moscheebauprojekt zu protestieren, dann ist zwischen einem Al-Kaida-Bekennerschreiben und einem Bauantrag der Ditib nicht mehr zu unterscheiden.

Wer hier eine Moschee baut, erklärt uns damit den Krieg? Dann ist ja wohl Notwehr geboten, dann müssen und dürfen wir zurückschlagen aus Selbstverteidigung.

Es ist nicht nötig, Ralph Giordano in eine „Ecke“ zu stellen. Er besorgt das ganz alleine. Es ist traurig und peinlich, ihm dabei zuzusehen.

Dieses Interview ist eine geistige Bankrotterklärung – und ein weiterer Bärendienst dieses einstmals respektablen Intellektuellen für jede ernsthafte Islamkritik.

 

Bekenntnisse eines Ex-Islamisten von Hizb-ut-Tahrir

Ein faszinierender Beitrag der BBC über einen jungen Mann, der nach dem 11. September 2001 zum Extremisten wurde und nach den Londoner Attentaten vom 7.7. 2005 aus dem Islamismus ausstieg.
Shiraz Maher liefert tiefe Einblicke in die Ideologie der „Kalifatspartei“ Hizb-ut-Tahrir, deren Leitungsebene er angehörte. Und er zeigt Aufnahmen vom Kongress der Hizb in diesem Sommer in Indonesien, die einem das Blut in den Adrern gefrieren lassen: Vor 50.000 Anhängern in einem Fussballstadion wird ungestraft zur Vernichtung Israels aufgerufen. Trotz Tony Blairs Bekundung vom August 2005, HuT solle verboten werden, ist die Organisation bis heute in Grossbritannien legal.



 

Liberale Muslimbrüder und die Freiheit der Frau ohne Kopftuch

Die kluge ägyptische Journalistin Mona Elthahawy hat eine spannende Kontroverse mit führenden ägyptischen Muslimbrüdern angezettelt. In einem Artikel, der in der jüdischen Tageszeitung „Forward“ erschien, schrieb sie: „Ich stelle mich vor die Muslimbruderschaft“. Darin berichtet sie von einem Besuch in der Kairoer Zentrale vor zwei Jahren, bei dem sie mit dem Führer der Bruderschaft, Mahdi Akef, sprechen konnte.

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Mona Eltahawy

The first time I went to interview the Muslim Brotherhood, in 1995, an officer manager at their headquarters on the Nile opened the door with one hand and gave me a headscarf to wear with the other. The second time I went to interview the Muslim Brotherhood, in 2005, no headscarf awaited me.

Es hatte sich also einiges getan in der Bruderschaft, so Eltahawys Eindruck. Dennoch war sie schockiert, als Akef im Gespräch auf ihre Frage hin, ob die ägytische Bruderschaft an der Macht schlecht für die Frauenrechte sein werde, folgendes antwortete:

“No,” Akef replied, “and my proof is that although you’re naked, you were allowed to enter my office.”

I was wearing a short-sleeved t-shirt and pants.

Es ergab sich folgender Schlagabtausch:

“I am not naked,” I reminded him. “The verses in the Koran concerning women’s dress have been interpreted differently.”

“According to God’s law, you are naked,” he replied. “Your arms are naked, your head is naked. There is only one interpretation.”

One interpretation? So much for pluralism. Clearly, the Muslim Brotherhood had quite some way to go.

Trotzdem, so Eltahawy, müsse sie als säkulare und liberale Ägypterin die Präsenz der Muslimbruderschaft auf der politischen Bühne Ägyptens verteidigen:

If I don’t, then I am just as guilty as the regime that has for decades sucked the oxygen out of the body politic — and with Gamal Mubarak being groomed to take over the presidency from his aging father, the regime seems set to rule for another generation.

Besides the state, the Brotherhood is the last man standing in Egypt. We’re down to the state and the mosque. The Muslim Brotherhood must remain on Egypt’s political stage, not least so that its ideas are out in the open and can be challenged.

Eltahawy wendet sich gegen die brutale Unterdrückung der Muslimbrüder in der letzten Zeit. Sie sieht darin einen direkten Einfluss der amerikanischen Wende weg von der Demokratisierungsagenda im Zeichen des Irak-Desasters. Man lässt dem Mubarak-Regime freie Hand bei der Unterdrückung der einzig relevanten Opposition:

So, “naked” as I am, I’ll continue to defend the Muslim Brotherhood’s right to be on that stage.

Auf diese Intervention hin bekam Mona Eltahawy eine interessante Antwort von einem der jüngeren Muslimbrüder, die wiederum im jüdischen Forward veröffentlicht wurde: Ibrahim El Houdaiby, der Redakteur der englischsprachigen Website Ikhwanweb, begrüßt Eltahawys Menschenrechts-Engagement und sagt, die Muslimbrüder ihrerseits hätten sich auch für andere Oppositionelle, die von Mubarak verfolgt wurden – wie etwa Ayman Nur oder die religionskritischen Blogger Karim Amer und Sandmonkey – eingesetzt.

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Ibrahim El Houdaiby

Hoch interessant, was El Houdaiby zum Kopftuch zu sagen hat:

Not wearing the hijab, or headscarf, makes a woman unveiled, not naked. I realize how offensive it is to call someone “naked” for not wearing a headscarf, and I find Akef’s comment unjustifiable.

To be clear, I support Akef’s stance on wearing the hijab, and like him view it as a religious obligation. There has been consensus on that among Islamic scholars for centuries.

Yet this has got nothing to do with the Muslim Brotherhood as a political group. While we believe that wearing the hijab is an obligation, we believe it is an individual woman’s choice to uphold it — a choice that the state should not interfere in.

There is a difference between what Islamists, and Muslims in general, regard as correct, and what they regard as enforceable by the state. This difference has unfortunately been blurred by the misguided practices of some contemporary Islamist systems, and in order to clear up any misconceptions the literature of moderate Islamist scholars needs to be scrutinized further.

Dies wäre in der Tat eine bedeutender Schritt vorwärts in Richtung auf echte Religionsfreiheit: Der Glaube, das Kopftuch sei eine religiöse Pflicht wird deutlich getrennt von der Aufgabe des Staates. Die „zeitgenössischen islamistischen Systeme“ werden für ihrer „mißgeleiteten Praktiken“ kritisiert – und es folgt sogar der Aufruf, dies theologisch aufzuarbeiten. es sei durchaus möglich, eine bestimmte theologische Auslegung für die einzig richtige zu halten, sagt El Houdaiby, und doch politisch für Pluralismus zu sein:

Not accepting another interpretation as authentic, however, does not mean attempting to silence it.

We understand the rules of democracy, and realize that people have the right to choose to do whatever they want, even if we view their choice as incorrect. At the end of the day, what matters should be neither the Muslim Brotherhood leaders’ opinion nor that of President Hosni Mubarak, but rather the Egyptian people’s opinion, as manifested in ballot boxes in free and fair elections — given, of course, that their decision does not undermine the basic rights or civil liberties of any group or individual.

Das sind erstaunliche Worte.

 

Türkische Zeitung über Joerg Lau Blog: „Welch eine Gedankenlosigkeit!“

Und hier endlich die Übersetzung des Aufmachers der Sabah von letzten Freitag, der auf dieses Blog reagiert:

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Fotozeile (im Foto): Nachdem SABAH über die Kursteilnehmer in Ankara berichtet hatte, hat der Kolumnist Jörg Lau in den deutschen Zeitungen kommentiert: „Die Türken würden das Gesetz sehr lieben“.

Laut dem deutschen Kolumnisten stürmen sie die Deutschkurse

Welch eine Gedankenlosigkeit!
Der deutsche Kolumnist Jörg Lau hat die Nachrichten, die in der Türkischen Presse über die Bräute und Bräutigame erschienen sind, die wegen der Familienzusammenführung Deutsch-Kurse in der Türkei besuchen, verzerrt. Lau, der die Sprach-Kurs-Bedingung des Zuwanderungsgesetzes als großen Erfolg bezeichnet hat, behauptet: „Wir sehen, dass die Türken sehr zufrieden mit diesem Gesetz sind“.

Der deutsche Kolumnist Jörg Lau hat in seinem Artikel die Nachricht über die obligatorische Teilnahme an den Sprach-Kursen in der Türkei für diejenigen, die über den Weg der Familienzusammenführung nach Deutschland kommen wollen, thematisiert. Lau, der die in SABAH erschienenen Interviews als Beispiel aufgreift, behauptet, dass die Türken das neue Zuwanderungsgesetz – entgegen der Auffassung der Migrantenvereine und -organisationen in Deutschland – lieben. Der Kolumnist hat in seinem Artikel folgende Sichtweise dargestellt: „Als vor kurzer Zeit das neue Zuwanderungsgesetz beschlossen wurde, gemäß dem Sprachkurse bereits in der Türkei obligatorisch sind, war das Geschrei bei den türkischen Vereinen groß, sie sprachen von Diskriminierung und versuchten, den Integrationsgipfel platzen zu lassen. Dagegen sehen wir, dass die Türken sehr zufrieden mit diesem Gesetz sind.“

Ihr habt ein Geschrei veranstaltet

Der Kolumnist schreibt über ein Gesetz, das wegen seiner diskriminierenden Artikel kritisiert wird und das man versucht, in ganz Europa zu verbreiten, dass die Türken in Deutschland „gedroht hätten, es vor das Verfassungsgericht zu bringen“, kommentiert aber die Deutsch-Kurse in der Türkei als Erfolg. In seinem Artikel schreibt Lau, „was war das nur für ein Geschrei“, als ob er sich über die türkischen Vereine und Organisationen sowie über die Politiker mit Migrationshintergrund, die gegen den Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin Merkel protestiert haben, lustig machen will. Lau, der bei Zeitungen wie TAZ, Merkur, Die Zeit als Kolumnist und Journalist tätig ist, hat aus den Augen verloren, dass das Gesetz aus einem Thema, das Deutschland betrifft, ein türkisches Problem macht, und dass die Kosten der Kurse und der Integration den Menschen in der Türkei und den Migranten aufgehalst werden. Auffällig ist, dass Lau die Pflicht Deutsch zu lernen, der die Bräute und Bräutigame unterliegen und die ihre Möglichkeiten arg strapaziert, als „Deutsch- und Zuwanderungsgesetz-Liebe“ bezeichnet.
Mesut HASTÜRK / BERLIN

KOMMENTAR

Ein Journalist, der in Zeitungen wie TAZ, Merkur, Die Zeit schreibt, verteidigt nicht nur ein Gesetz, das die universalen Menschenrechte in eine mittelalterliche Diskriminierung transformiert, er verachtet gleichzeitig die Bemühungen seiner türkischen Kollegen, der türkischstämmigen Schriftsteller und Politiker in Deutschland. Der Kolumnist, der – wie man merkt – den in Sabah zitierten Satz der kursteilnehmenden Türken, „Es ist ungerecht, aber das werden wir auch überwinden„, nicht wirklich begriffen hat, versucht, die gutwilligen Bemühungen derjenigen, die die Ungerechtigkeit überwinden wollen, gegen die hiesige türkische Gemeinschaft auszuspielen. Dieses Verhalten nennt man auf Türkisch „aymazlik“, ein Begriff, der so im Deutschen nicht existiert.

Anmerkungen des Übersetzers: aymazlik findet man im Standard-Wörterbuch Türkisch-Deutsch von Steuerwald nicht mit einer 1:1Übersetzung, sondern nur mit Verweisen.Der Sabah – Kommentator wollte wahrscheinlich die deutsche Entsprechung für „aymazlik“ an das Ende seines Kommentars setzen, da er aber in seinem Wörterbuch nicht fündig wurde, schreibt er nun: „ein Begriff, der so im Deutschen nicht existiert“.
Allerdings lässt sich „Aymazlik“ sehr wohl ins Deutsche übersetzen – siehe Überschrift:
Gedankenlosigkeit, oder auch: Sorglosigkeit, Unachtsamkeit – es kann aber auch als Dummheit, Dusseligkeit, Leichtsinnigkeit oder Dämlichkeit übersetzt werden.

 

Islamkritik ohne Hass

Die libertäre Zeitschrift ef (eigentümlich frei) beschäftigt sich mit den Schwierigkeiten der Islamkritik, sich gegen Dumpfbackentum abzudichten und findet dabei lobende Worte für unsereinen. Das soll natürlich nich unentdeckt bleiben:

Der „Zeit“-Journalist Jörg Lau führt seit langem ein äußerst islamkritisches, aber durchweg seriöses Blog, in dem Abscheulichkeiten ausbleiben. Das ist kein Zufall.

Ganzer Text hier.

(Dank an Mitblogger lebowski.)

 

Religionsfreiheit im Islam?

Jetzt muss es hier leider mal ein bisschen kompliziert und ausführlich zugehen. Aber sonst kommen wir ja auch nicht weiter…

Auf dem Orientalistentag hielt Patricia Crone aus Princeton den Hauptvortrag über „Islam and Religious Freedom“. Es war ein Erlebnis, die große Unruhestifterin der Islamwissenschaft dort zu erleben.
Crone geht darin den Deutungen nach, die der berühmte Koranvers „Kein Zwang in der Religion“ (2:256) erfahren hat. Sie fragt, ob dieser Vers, wie es oft verstanden wird, einen Ansatz zur Versöhnung des Islam mit dem modernen Säkularismus bietet, ob er gar ein Fundament für ein islamisches Verständnis von Religionsfreiheit sein könnte.

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Patricia Crone

Es gibt derzeit keine spannendere Frage für Orientalisten, und nicht nur für sie. Es ist die Frage, die allen Beunruhigungen über den Islam zugrunde liegt, wie sie sich in Moscheebaustreitigkeiten und Kopftuchdebatten manifestieren.

Crone verfolgt diese Frage durch das islamische Mittelalter bis zu der Debatte um die Regensburger Vorlesung des Papstes und der Antwort der 38 islamischen Theologen.

Die Vorlesung ist jetzt online abrufbar auf der Website des Orientalistentages.

So why is there so much fuss about this verse? Well, one reason is that it expresses a tolerant view that Westerners like to hear, so it is a good passage to dispel their prejudices about Islam with. But it is also a verse that you encounter in connection with the question whether Islam can coexist with a secular sphere: is Islam a belief system that you can combine with a any political order that you like — as long as they are religiously neutral? Or is it a religion that dictates its own political order? That’s a key issue today, and the „no compulsion“ verse figures in the discussion.

Für die frühesten Exegeten, sagt Crone, war der Vers ein Problem: Sie lebten in einer politischen Gemeinschaft, die auf dem Islam aufgebaut war. Und für diese Gemeinschaft war der „kein-Zwang-Vers“ ein Sprengsatz, weil er in der Konsequenz ihre Grundlagen gefährdete – wenn man ihn als Freibrief für das Individuum verstand, seine Religion frei zu wählen:

For if it is up to the individual to choose his own religion, then you can’t have a polity based on religion; if religion is a private matter, then the public space is secular, in the sense of based on some non-religious principle, such as territory or nationality, or whatever else a large number of people can feel they have in common. The exegetes lived in a polity based on Islam. Islam had created the public space they shared. For as you know, Islam had not grown up within a state, the way Christianity had; rather; it had created its own state. You obviously can’t have religious freedom in a community based on religion. You can’t have religious freedom in a church.

Was taten sie also, diese Exegeten? Sie entwickelten verschiedene Deutungen, nach denen dieser Vers „abrogiert“ (abgeschafft, ersetzt) worden sei: er habe nur für die Frühzeit des Islam in Mekka gegolten, oder er habe sich nur auf Dhimmies (schutzbefohlene Juden, Christen, Zoroastrier) in Medina bezogen.

Dann kommen die Mutaziliten ins Spiel. Sie deuten den Vers neu im Sinn einer schlichten Feststellung: Gott zwingt niemanden zum Glauben. Glauben ist eine Sache zwischen dem einzelnen Menschen und seinem Gott.

What they meant by this was that when God says that there is no compulsion in the religion, He means that He does not practise compulsion. He does not force you to be a believer or an infidel – i.e. He does not predestine or determine it for you: you have free will. I suspect that this will sound sound farfetched to you, but the word for predestination was jabr, compulsion, and the word for free will, or one of them, was qadar, power. God was seen as refraining from using His power so that you could have your own; he was abstaining from compulsion –from determination — so that you could choose whether to be a believer or an unbeliver. That’s what what God was saying here, according to the Mu’tazilites: the verse was a declaration of unlimited freedom from divine coercion. God allows you to choose your own salvation.

Klingt gut? Heisst es aber auch, dass Menschen keinen Zwang in Sachen des Glaubens ausüben dürfen, wenn Gott selbst seine Macht so zurücknimmt?

Eben nicht, sagt Crone:

In short, in your inner self, your private interior, you are free vis-à-vis humans and God alike. But your external self was a different matter. You were free as a disembodied soul, not as an embodied social being. As a member of a human society you were subject to coercion in all kinds of ways. There was – still is– no way round that, in any society. And since the Muslim polity was based on religion, coercion had to be used in religious matters too. But that didn’t contradict the verse because the coercion was only applied to the external person: the inner person was free; there was no coercion in religion in the sense of inner conviction. So again, the verse was not contradicted by the duty to wage holy war or execute apostates. It was even compatible with forced conversion, which was allowed in the case of unbelievers who hadn’t become dhimmis yet or couldn’t become dhimmis, either because they were pagans rather than Christians, Jews or Zoroastrians or else because they were slaves. In fact, the Mu’tazilites said, forcing people to convert was actually a good thing, because sooner or later they or their children would acquire genuine faith: so you would have saved them from eternal hellfire.

Das ist eine erstaunliche Pointe der Mutaziliten-Deutung des Zwangs-Verses: Weil Gott keinen Zwang ausübt und es also eine religiöse Freiheit des inneren Menschen gibt, ist äußerer Zwang nicht nur nicht verwerflich, sondern geradezu geboten. Und das ist die Denkschule, auf der alle Hoffnungen der religiösen Modernisierer wie etwa Nasr Hamid Abu Zayd beruhen! Ernüchternd.

The big issue is Muslim society itself. The laws regulating modern Muslim states are mostly secular: should the civic sphere be wholly secularised? Can Muslims be fully integrated in secular societies in the West? In other words, should religion be something you have along with your citizenship rather than as part of it? And if yes, should this additional membership be wholly voluntary, so that Muslims would be free to convert to other religions, or to have no religion? … For to say that people are free to leave Islam is oficially to declare the public order to be secular, so that one could in principle be an atheist or a Buddhist or a Hindu along with being a full citizen of Egypt.

Davon sind wir ganz offenbar weit entfernt, wie etwa die Verurteilungen des ägyptischen Bloggers gezeigt hat, der halb wegen seiner Frechheiten gegenüber Präsident Mubarak und halb wegen seiner angeblichen „Apostasie“ verurteilt wurde.

Aber Ägypten ist eh nicht unser Hauptproblem: Die Frage ist, ob sich die islamische Theologie auf die Situation des religiösen Pluralismus in den Ländern des Westens einstellen kann. Kann (und will) die islamische Theologie den Gläubigen eine Deutung des „kein-Zwang-Verses“ an die Hand geben, die es ihnen ermöglicht, dauerhaft in einer säkularen Ordnung als eine religiöse Gruppe unter anderen zu leben – ohne den Anspruch, diese Ordnung zu transformieren oder sie in den Dienst der eigenen religiösen Agenda zu stellen. Dazu wäre es nötig, die Deutungen des Verses radikal zu historisieren, wie es Crone ansatzweise in ihrem brillanten Vortrag tut. Werden muslimische Denker ihr folgen? Skeptizismus ist angebracht:

We historians do not equate change with falsehood, but there is no way around the fact that we are secularisers: we are secularising history, because we separate the past we are studying from our own and other people’s modern convictions; we do not allow the past to be rewritten as mere support of these modern convictions. That’s a problem to all traditional believers, and perhaps Muslims more than most. Muslims tend not to have a problem with modern science: the Quran does not have a mythological account of the creation, it is not incompatible with any modern scientific views. But history is a different matter because the truths of Islam are tied to history. So whether they want to or not, historians also find themselves as actors in the debate whether, or to what extent, Islam should coexist with a secular sphere. Where will it all end? Well, there at least even the most modern of historians can give the most traditional of answers: God knows best.