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Der Bundestag muss Waffengeschäfte kontrollieren können

Mein Kommentar aus der ZEIT von dieser Woche:

Es ist ein bisschen peinlich für ein Parlament, wenn die Regierung den Abgeordneten großmütig neue Kontrollmöglichkeiten anbietet. Da liegt der Gedanke nahe, dass die Volksvertreter selbst nicht genügend Druck machen. Sie sollten doch eigentlich die Regierung treiben – statt auf Entgegenkommen zu warten.

Außenminister Guido Westerwelle stellt nun in Aussicht, dass der Bundestag künftig früher über deutsche Rüstungsexporte informiert werden könne. Man könne sich auch ein parlamentarisches Gremium vorstellen, in dem – geheim – über Waffenlieferungen geredet wird.

Verkehrte Welt: Normalerweise trotzen Parlamente ihren Regierungen Mitsprache ab – besonders in der heiklen Frage, welche Waffen wohin geliefert werden dürfen. Der Bundestag begnügt sich mit einer eher kommentierenden als kontrollierenden Rolle. Solange nur an Freunde und Partner geliefert wurde, reichte das. Doch seit Jahren nehmen Deutschlands Rüstungsexporte zu, auch in Spannungsgebiete. Die Bundesrepublik ist nach Berechnungen des schwedischen Instituts SIPRI drittgrößter Waffenhändler weltweit. Die Regierung behauptet zwar, noch »restriktiv« zu handeln, in Wahrheit hat sie einen klammheimlichen Strategiewechsel vollzogen: Stabilität schaffen mit immer mehr Waffen.

Der Bundestag muss die Debatte darüber endlich an sich ziehen. Wie wichtig seine Kontrollfunktion bei Rüstungsgeschäften sein kann, zeigt gerade das Debakel um die Drohne Euro Hawk. Ohne den Bundestag wäre es längst noch nicht ans Licht gekommen. Der SPD-Verteidigungspolitiker Hans-Peter Bartels hat den Minister Thomas de Maizière mit Nachfragen so sehr unter Druck gesetzt, dass der das Scheitern eingestehen und das Projekt beenden musste.

Wenn Deutschland Waffen kauft, kann der Bundestag sehr wohl mitreden – über das Budgetrecht. Wenn Deutschland jedoch Waffen verkauft, wird das Parlament erst nachträglich informiert. Die Entscheidungen fällt der geheime Bundessicherheitsrat, ein Kabinettsausschuss.

Wie für den Import, gilt auch für den Waffenexport: Geheimniskrämerei schützt Geschäftsinteressen, nicht die nationale Sicherheit, auch wenn die Regierung das behauptet. Sie kann die nationale Sicherheit sogar gefährden. Die Öffentlichkeit erfährt immer erst nachher von Panzergeschäften mit zweifelhaften Partnern wie Saudi-Arabien, Katar oder jüngst Indonesien – allesamt Regierungen, die deutsche Waffen dereinst gegen ihre Opposition einsetzen könnten.

Der Bundestag sollte das Angebot der Regierung nutzen, auch wenn es nicht ohne Hintergedanken ist: Westerwelles Initiative dient im Kern dem Zweck, die Geheimhaltung zu retten. Die Abgeordneten sollen nur früher darüber eingeweiht werden, was weiterhin anderswo entschieden wird. Und dies fände auch wieder in einem Geheimgremium statt, ähnlich wie bei den Nachrichtendiensten.

Das wäre immerhin ein Anfang. Aber das Parlament muss sich eigentlich für drei grundlegende Änderungen einsetzen. Erstens: Für die Genehmigung von Waffenexporten sollte künftig das Außenministerium zuständig sein, statt wie bisher das Wirtschaftsministerium. Schließlich geht es hier um strategische Fragen deutscher Außenpolitik, nicht um Wirtschaftsförderung. Statistiken über die Ausfuhren müssen – zweitens – monatlich oder vierteljährlich veröffentlicht werden, statt wie bisher jährlich. Das Argument, dies sei nicht machbar, zieht nicht: Viele Nato-Partner halten es schon so. Und schließlich drittens: Das künftige Rüstungskontrollgremium braucht ein Vetorecht bei Voranfragen aus heiklen Ländern – wenn es sich bei den Interessenten nicht um Nato-Partner oder sonstige Alliierte handelt.

Die Regierung hält dagegen, zu viel Transparenz schade der nationalen Sicherheit. Zu wenig aber auch: Die Debatte über Panzerlieferungen findet ja bereits statt – wenn wieder mal ein Deal enthüllt wurde. Das umgibt alle Waffenexporte mit einer Aura von Immoralität.

Und das ist auch wieder falsch: Rüstungsexporte sind eine Form der außenpolitischen Intervention. Dabei kann man ebenso viel richtig und falsch machen wie bei jeder anderen Einmischung. Ist es richtig, dass Deutschland keine Waffen an die moderate syrische Opposition gibt – wohl aber Panzer an die Saudis, die Syriens radikale Islamisten beliefern?

Die Debatte darüber gehört ins Parlament. Sie wird umso besser, je genauer die Volksvertreter über die Kriterien der Regierung im Bilde sind. Und wer weiß, am Ende werden dadurch auch deren Entscheidungen besser.

 

Warum es keine Intervention in Syrien gibt (und wohl auch so schnell nicht geben wird)

Letzte Woche habe ich in Zürich an einem „NZZ Podium“ bei der Neuen Zürcher Zeitung teilgenommen. Die Debatte wurde eingeleitet vom Reporter und ehemaligen NZZ-Korrespondenten Kurt Pelda, der oft in Syrien und anderen Teilen der arabischen Welt unterwegs war.

Auf sein leidenschaftliches Plädoyer für eine Einmischung in Syrien antworteten die ägyptische Theaterautorin und Dramaturgin Laila Soliman – und ich. Moderiert wurde das Gespräch von dem Leiter des Feuilletons der NZZ, Martin Meyer.

Ich konnte meine vorgefassten Überlegungen nicht alle unterbringen, daher stelle ich sie hier zur Debatte. Den Text von Kurt Pelda kann man hier als Podcast hören.

Es folgen meine Notizen:

Das Plädoyer von Kurt Pelda bringt mich in eine schwierige Position. Ich stimme nämlich weitgehend mit ihm überein.

Da spiele ich lieber den Advocatus Diaboli und versuche zu erklären, warum der Westen nicht interveniert. Ich will erklären, was – jedenfalls aus deutscher Sicht, zu der Haltung führt, die Kurt Pelda beklagt.

Das Wichtigste an seinem Vortrag scheint mir die Pointe: Nichtstun ist nicht kostenfrei.

Nichtintervention ist auch eine Art der Intervention. Sie hat Folgen, die unter Umständen die Folgen einer Intervention in den Schatten stellen können.

Die deutsche Haltung im Libyen-Krieg haben wir in der ZEIT harsch kritisiert. Wir haben auch im Fall Syrien für eine Einmischung plädiert.

Die Regierung und die deutsche Öffentlichkeit hat das allerdings nicht beeindruckt.
Sie lehnen eine Intervention in Syrien mit breiter Mehrheit ab. Und sie sind auch skeptisch gegenüber allem, was unterhalb dieser Schwelle getan werden kann – Bewaffnung von Oppositionellen etwa. Warum?

Ich glaube, dass man die deutsche Positionierung in einem größeren Zusammenhang sehen muss – und das ist die Desillusionierung über den Interventionismus.
Diese Entwicklung überschneidet sich mit dem amerikanischen Rückzug nach der Überdehnung unter George W. Bush.
Und mit der Enttäuschung im gesamten Westen über den Arabischen Frühling. Man hat die Sache eigentlich abgeschrieben: man sieht, wie gesagt, nur neue Formen der autoritären Herrschaft heraufziehen, diesmal islamisch begründet, statt eines erhofften Völkerfrühlings.

Das sind alles gewissermaßen interne Gründe: Revisionen eigener Positionen. Mit einer geostrategischen Abwägung hat das alles noch nichts zu tun. Aber die Wendung nach Innen, die Positionierung aufgrund von Desillusionierung und Erschöpfung im Zeichen der ökonomischen Krise und der außenpolitischen Überdehnung: das ist das Symptom einer Selbstbewußtseinskrise des Westens. Obama ist ihr Repräsentant. (Nicht ihre Ursache, wie manche glauben.)

Sehen Sie sich die amerikanische Haltung im Syrienkrieg an. Obama hattte offenbar gehofft, seine Formulierung von den chemischen Waffen als „game changer“ würde schon per se so viel Druck entfalten, dass eine Eskalation verhindert würde. Aber das war offensichtlich eine Fehlanalyse. Das syrische Regime ist zu der Einschätzung gekommen, dass die Amerikaner nicht handeln werden – es verschiebt die Grenzen darum immer weiter in Richtung Massenvernichtungsmittel. Es setzt sogar Giftgas ein. Es bombardiert ganze Flächen. Die Botschaft an die Aufständischen: Ihr seid ohne Schutz.
Hat Assad vielleicht die richtige Folgerung aus dem Libyen-Einsatz gezogen? Dass dies die letzte Grenze war für den westlichen Interventionismus – von Amerika schon nur noch zögerlich – leading from behind – angeführt?
Dass er also mit keiner Intervention würde rechnen müssen? Obamas Reaktion auf das Überschreiten der „Roten Linie“ legt das nahe: wie ein Anwalt begann er zu relativieren, was er mit dem Wort „game changer“ gemeint habe: nicht Giftgas per se, hieß es jetzt, sondern erst seinen systematischen und massenhaften Einsatz.
Und dass auf die Giftgasnachrichten sofort eine diplomatische Initiative mit Russland folgte, kann man auch in diesem Zusammenhang verstehen: Amerika und der Westen brauchen jetzt die Hoffnung auf eine Verhandlungslösung, um den Druck zur Intervention herauszunehmen.
Das ist der wahre Grund für diese Initiative, glaube ich. Wer kann im Ernst an einen russischen Willen zum Frieden glauben – nachdem Putin ganz offen bekennt, Assad mit Waffen zu beliefern?
Ich verstehe die israelische Bombardierung mitten in Damaskus auch als Versuch, diese syrische Einschätzung zu durchkreuzen: Fühlt Euch nicht allzu sicher. Amerika und Europa mögen kriegsmüde sein, doch unser Kalkül beeinflusst das nicht, wir werden auch alleine für unsere Sicherheit sorgen. Das Signal geht natürlich auch an Teheran und die Hisbollah, beides Parteien im syrischen Krieg.

Das sind die innerwestlichen Gründe für die Nichtintervention. Andere, in der regionalen und globalen geostrategischen Lage verankerten Gründe, kommen hinzu:
Libyen war geradezu ideal für eine Bombenkampagne – wenig besiedelt, alle Siedlungsräume konzentriert an der Küste, Rebellen- und Regime-Gebiete gut geschieden. Syrien aber ist dichtbesiedelt und grenzt an Libanon, die Türkei, Israel, Irak und Jordanien.
Und anders als im libyschen Fall stehen hier Russland, China und Iran auf der einen Seite, Katar und Saudi-Arabien und die Arabische Liga auf der anderen. Eine Intervention unter UN-Mandat (wie auch in Mali) mit der Begründung der Schutzverantwortung (R2P) wird es also nicht geben. Und das, obwohl es hier noch dringender wäre. Man bräuchte also einen politischen Willen wie seinerzeit im Kosovo, und den gibt es derzeit nicht.
Die ganze Geschichte der Interventionen seit dem Kosovo-Krieg ist mittlerweile als Schlag ins Wasser abgespeichert. Was Kosovo betrifft, ist das ungerecht. Aber es fällt der Schatten der späteren Interventionen darauf – Afghanistan und Irak –, die heute beide als Beispiele westlicher Hybris gelten. Regime stürzen ist schnell gemacht, aber dann beginnen erst die Probleme. Aus dem Kalten Krieg und dessen Ende in Osteuropa hatte man die Vorstellung mitgebracht, wenn die „schlechte Herrschaft“ erst weg ist, komme die „gute Gesellschaft“ darunter zum Vorschein. Doch in Irak und Afghanistan zeigte sich, dass Stammesverbände und religiös-ethnische Konfliktlinien stärker sind als die importierten neuen demokratischen Strukturen.
Hat man das in diesen beiden Fällen erst schmerzhaft lernen müssen, so scheint es im syrischen Fall von vornherein auf der Hand zu liegen. Niemand traut sich zu, für eine Nachkriegsordnung in diesem komplizierten Land Verantwortung zu übernehmen. Die Konsequenz davon ist, dass man dieses Land in einem ganz wörtlichen Sinn ausbluten lässt. Ob die jüngsten Gräuel das ändern werden, da habe ich meine Zweifel.

Was die Kämpfer der Nusra-Front betrifft, kann ich nur hoffen, dass Sie, lieber Herr Pelda, mit Ihren Beobachtungen Recht behalten.
Ich bin allerdings skeptisch ob man daraus, dass Ihnen zum Glück nichts angetan wurde, auf die wahre Natur dieser Gruppe schließen kann. Vielleicht sind diese Leute ja auch einfach klug genug zu wissen, wann sie eine gute Presse im Westen brauchen – oder jedenfalls keine schlechte brauchen können, damit Geld und Waffen weiter fließen?

Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass diese Kräfte nach einem Sturz des Regimes die Oberhand behalten werden. Das passt nicht zur Mehrheit in Syrien, auch nicht unter den Sunniten. Aber ich kann mir ebenfalls nicht vorstellen, dass diese Leute nach getaner Arbeit nicht die Dividende einstreichen wollen in Form einer Herrschaft nach ihrem islamischen Vorstellungen.
Und sie werden eine hohe Legitimität haben, durch ihre Opfer im Kampf gegen Assad. Ihre Idee einer Wiedererrichtung des Kalifats wird sie zu Feinden jeder moderaten, inklusiven neuen Regierung machen. Das heißt, der wahre Bürgerkrieg könnte noch kommen. Er wird einer sein zwischen Vertretern eines moderaten, inklusiven Islams und den Kalifatskämpfern.

Und das ist vielleicht eine der interessantesten Folgerungen des „Arabischen Frühlings“: Er hat einen Kampf um die Vormacht innerhalb des politischen Islams entfacht. Nicht zwischen Säkularen und Religiösen, sondern zwischen Muslimbrüdern und Salafisten, zwischen Salafisten und Dschihadisten, zwischen Schiiten und Sunniten, zwischen national-islamischen Befreiungsbewegungen wie Hamas und globalen Terrorgruppen wie Al-Kaida, zwischen staatsbasiertem Islamismus mit Öl und Gas wie in Saudi Arabien und Katar und mittelständischen Bewegungen wie Nahda, Muslimbrüdern und der türkischen AKP.
Es hängt auch für uns einiges davon ab, wer gewinnt. Darum plädiere ich nicht fürs Raushalten. Aber Einmischung ist auch eine verdammt komplizierte Sache geworden.

 

Wer bezahlt eigentlich Lau?

Heino Wiese von „Wiese Consult“ ist sauer wegen meiner Berichterstattung zum Thema deutsche Außenpolitik und Russland. So sauer, dass er in einem Editorial seiner Hauspublikation „Hauptstadt-Insider“ gegen mich ausholt und dabei ein paar große Löcher in die Luft schlägt. (Siehe unten.)

Wir haben führenden Sozialdemokraten überhaupt nichts „unterstellt“, sondern schlicht öffentlich zugängliche, unbestrittene Fakten über deren berufliches Engagement für russische Firmen zusammengetragen. Wenn die Aufzählung von Fakten in den Augen von Herrn Wiese  bereits eine „diffamierende“ Wirkung entfaltet, dann wirft das ein Licht auf die Fakten – und auf Herrn Wiese.

Wer hätte je behauptet, dass Russland einen kurzen und leichten Weg zur Demokratie hätte? Niemand glorifiziert die Jelzin-Jahre. Staatlichkeit und soziale Sicherung sind wichtig, hat ebenfalls niemand je bestritten. Aber wenn all das zur Rechtfertigung von heutiger  Regression und Repression herangezogen wird – und das nicht nur vom Regime, sondern auch von vermeintlichen deutschen Russlandfreunden – dann ist was mächtig faul. (Und da bin ich dann doch sehr froh, dass wir begonnen haben, ein wenig drin zu stochern.)

Dass der NSU-Skandal und selbst noch Stuttgart 21 (?) zur Entlastung der russischen Regierung herangezogen werden, wirkt da schon ein bisschen verzweifelt.

Dass deutsche Unternehmen in Russland einen Mittelstand mit hervorbringen, habe ich nie bestritten. Das ist ja auch höchst begrüßenswert. Ich habe immer für mehr Verflechtung geworben. Allerdings bedeutet diese auch automatisch mehr Einmischung und, daraus folgend, eine klare Sprache bei Rückschritten in Sachen Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte. Solche Rückschritte sind übrigens auch nicht im Interesse der deutschen Industrie, scheint mir. Mehr Rechtssicherheit, weniger Korruption, mehr Verantwortlichkeit wären auch gut für die deutsche Wirtschaft, ganz abgesehen davon, dass diese Dinge um ihrer selbst willen erstrebenswert sind.

Den Schluss finde ich putzig. Eine Firma, die damit wirbt, beste Kontakte zum russischen Establishment zu haben, fragt, „wer eigentlich“ Lau für seine „permanente  Negativberichterstattung über Russland“ bezahlt. Das nenne ich Chuzpe.

Hier das Editorial aus dem aktuellen Hauptstadt-Insider:

 

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Heino Wiese (rechts) von Wiese Consult bei der Arbeit. Foto: Wiese Consult

 

Was die Geschichte der Ostpolitik über den Umgang mit Diktaturen lehrt

Dieser Text, den ich zusammen mit Matthias Geis verfasst habe, erscheint in der ZEIT von heute – ein Versuch, die Debatte über Interessen und Werte in der deutschen Außenpolitik in einen historischen Kontext zu stellen:

Die drei Worte fallen ganz am Ende. Der Redner hat sie fett markiert. Er weiß schon, dass sie die Sprache der deutschen Außenpolitik verändern werden. Die Bundesrepublik müsse gegenüber Moskau einem neuen Leitgedanken folgen: statt Abgrenzung, Druck und Konfrontation – »Wandel durch Annäherung«.
Bald ist das fünfzig Jahre her. Am 15. Juli 1963 hielt Egon Bahr in Tutzing an der Evangelischen Akademie die Rede, die zur Grundlage der »Neuen Ostpolitik« Willy Brandts wurde. In seinen drei Worten schnurrte die Entspannungsphilosophie zusammen, der die sozialliberale Regierung Brandt/Scheel von 1969 an im Umgang mit der Sowjetunion und dem kommunistischen Ostblock folgte. Keine andere außenpolitische Idee der jüngeren deutschen Geschichte war so folgenreich.
Sie ist es bis heute: Die aktuelle Debatte über den richtigen Umgang mit Diktatoren und Gewalt-herrschern, über Werte und Interessen, Menschenrechte und Geschäfte ist ohne die Vorgeschichte der Entspannungspolitik nicht zu verstehen. Deutsche Außenpolitiker haben in Zeiten der Blockkonfrontation gelernt, wie man mit »schwierigen Partnern« umgeht. Bis heute stehen sie unter dem Bann dieser Zeit. Ihre diplomatischen Begriffe leiten sich daher ab – Varianten und Schwund-formen der Bahrschen Erfindung: Wandel durch Handel, Wandel durch Verflechtung, Modernisierungspartnerschaft.
Was mussten Brandt und Bahr sich von konservativen Politikern nicht für böswillige Angriffe gefallen lassen – Verfassungsbruch, Ausverkauf deutscher Interessen, ja selbst Landesverrat. Erst in den Neunzigern hat sich überall die Einsicht durch-gesetzt, dass es auch die Neue Ostpolitik war – von den Kanzlern Schmidt und Kohl fortgesetzt–, die den Kalten Krieg überwand, die Mauer durchlöcherte und die Wiedervereinigung ermöglichte.
Heute wollen alle die Idee beerben. Allerdings findet dabei eine klammheimliche Umdeutung statt. Die beiden Elemente werden entkoppelt: An der Annäherung wird festgehalten, selbst wenn kein Wandel in Sicht ist, ja selbst noch dann, wenn einer zum Schlechteren stattfindet. Bahrs Formel fällt verdächtigerweise immer dann, wenn be-gründet werden soll, warum eine offensichtliche Demütigung, ein Vertragsbruch, eine Menschenrechtsverletzung durch einen Partner ohne Konsequenzen bleibt. Eine ursprünglich trickreich-subversive Idee ist in Gefahr, zum Alibi zu werden.
So etwa, wenn Außenminister Guido Westerwelle erklärt, warum man mit Russland trotz Razzien in deutschen Stiftungen unverändert weiter auf Dialog-Programme setzt: »Wandel ist nur über weitere Annäherung und Hinwendung möglich.« Als die Chinesen vor einigen Jahren ein Delega-tionsmitglied Westerwelles, den Schriftsteller Tilman Spengler, zur Persona non grata erklärten, flog er trotzdem hin und erklärte auch dies mit Bahrs Formel. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung in Moskau beschwört die Notwendigkeit einer Partnerschaft mit Putins und Medwedews Regime allen Rückschritten zum Trotz unter der Überschrift »Wandel durch Annäherung«. Ganz gleich, ob es um Gasgeschäfte mit Aserbaidschan, Panzer für Saudi-Arabien oder um Dialog mit der ägyptischen Muslimbruderschaft geht – für alles muss Bahrs Slogan herhalten. Weiter„Was die Geschichte der Ostpolitik über den Umgang mit Diktaturen lehrt“

 

Wandel braucht Stabilität. Ein Zwischenruf zur Russland-Debatte

Ilja Kalinin ist Doktorand der Politischen Wissenschaft an der Heidelberger Universität. Er schickt mir diesen Beitrag zu unserer Debatte über Werte und Interessen in der der deutschen Außenpolitik.

Sehr geehrter Herr Lau,

Sie haben bereits darauf hingewiesen, dass Interessen nicht von Werten zu trennen sind, da sich unsere Interessen dann am effektivsten durchsetzen lassen, wenn man sich mit seinen internationalen Partnern auf ein gemeinsames Wertefundament stützen kann. Ich möchte dieses Argument um eine Perspektive ergänzen, nach der Interessen immer auch „Ideen von Interessen“ sind. Was eine Gesellschaft als ihre Interessen definiert, hängt stark von der Kultur dieser Gesellschaft ab. Interessen sind somit oft keine objektiven Gegebenheiten, sondern können sich je nach Gesellschaft unterscheiden. Die exportorientierte deutsche Volkswirtschaft, mit der wir Jahrzehnte des Wohlstands, aber auch Friedens in Freiheit assoziieren, basiert unter vielem anderen auf Rechtsstaatlichkeit, Effizienz und Innovationsfähigkeit, die wiederum nicht von sich aus existieren, sondern in unterschiedlichsten Bereichen des Lebens unserer Gesellschaft hervorgebracht und gestützt werden müssen: Bildung, Religion, Politik, Wirtschaft und weitere. Diese Werte stabilisieren und konstituieren unseren liberalen Rechtsstaat. Sie geben aber auch die Optionen für die Außenpolitik vor, aus denen wir überhaupt erst wählen können. Die Wertegebundenheit unserer wirtschaftlichen Interessen beschränkt sich nicht auf den Nationalstaat, sondern sensibilisiert die an der Förderung des Außenhandels interessierte deutsche Außenpolitik auch für die Notwendigkeit der Verbreitung dieser Werte im Ausland. Das Phänomen der gesellschaftlichen „Entbettung der Wirtschaft“ gaukelt die scheinbare kulturelle Voraussetzungslosigkeit des wirtschaftlichen Erfolgs nur vor.

Der heutzutage in Deutschland vorhandene weitgehende Konsens über zentrale Werte darf jedoch nicht die parteipolitischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit um die „richtige“ Auslegung der Verfassungsnormen und der identitätsstiftenden Werte vergessen machen (Frauenrechte, Hundertfünfundsiebziger usw.). Diese legen ein Zeugnis davon ab, dass die auf dem Papier geschriebenen Normen und Werte immer erst mit Inhalten gefüllt werden müssen und einer permanenten gesellschaftlichen Aushandlung unterworfen sind. So sprach Gustav Heinemann in seiner Rede zum 25-jährigen Jubiläum des Grundgesetzes: „Diese Ordnung ist kein Heilsplan, sondern wie alles irdische Tun nur unvollkommenes Menschenwerk. Ihre Würdigung kann auch nicht verschweigen, dass außerdem zwischen Verfassungsaussage und Verfassungswirklichkeit ein Graben klafft. […] Die Einheit von Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat bedarf ständiger Bemühung.“ Wenn aber selbst die im Grundgesetz niedergeschriebenen Normen und Werte eine permanente Interpretation erfordern, wie kann man dann auf internationaler Ebene von der Universalität von Werten ausgehen?

Ein Bewusstmachen der Historizität und Prozeduralität von Werten bedeutet kein kulturrelativistisches Plädoyer für eine rein pragmatische, allein an der Mehrung des wirtschaftlichen Nutzens orientierte Außenpolitik. Beide Ebenen, Interessen und Werte, sind zwei Seiten einer Medaille. Sie bedingen einander und sind stetem Wandel unterworfen. Es wäre vor diesem Hintergrund problematisch, wenn man den äußerlichen Ist-Zustand von autoritär regierten Staaten pauschal als einen von den dortigen Eliten gewünschten Endzustand stilisiert. Man läuft dadurch Gefahr, alle, auch die sinnvollen Schritte zur Stabilisierung des politischen Systems als negativ zu verurteilen. Dabei braucht jede Entwicklung zunächst einmal Stabilität. Nur auf einem stabilen Fundament kann ein stabiles Haus errichtet werden.

Neben der notwendigen Verhältnisbestimmung von Werten und Interessen gibt es zwei weitere Begriffe, deren außenpolitisch relevantes Verhältnis zueinander näher bestimmt werden sollte: Kultur und Politik. Es gibt dazu ein weises Zitat von Daniel Patrick Moynihan: „Die zentrale konservative Wahrheit lautet, dass Kultur, nicht die Politik, den Erfolg einer Gesellschaft bestimmt. Die zentrale liberale Wahrheit lautet, dass Politik eine Kultur verändern und vor sich selbst retten kann.“ Diese beiden Wahrheiten treffen wir einerseits im Böckenförde-Diktum, wonach der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann, und andererseits in Kants „Volk von Teufeln“, dessen Bürger mit Hilfe der Politik in Frieden koexistieren können. Wenn man der Politik dieses domestizierende Potential zutraut, dann mag man auch zu der von Ihnen getroffenen Aussage gelangen, wonach Eliten in manchen Staaten ihre Gesellschaften schlichtweg nicht öffnen wollen. Diese Sichtweise legt also die Verantwortung allein auf die politischen Eliten und blendet aus, worauf diese Eliten ihre Macht stützen (es ist nicht überall Gewalt, Manipulation von Wahlen geht auch nicht immer und allein von den Eliten aus). Eine Außenpolitik des Drucks auf die autoritären politischen Eliten bis hin zu einer Außenpolitik des Regimewechsels ist die Folge dieser liberalen Wahrheit. Oft ist die Nachhaltigkeit einer solchen Politik zweifelhaft, da der Einfluss der Kultur auf die Politik unterschätzt wird. Wäre die politische Kultur des postkommunistischen Russlands demokratiestützend gewesen (was vor dem Hintergrund der Jahrzehnte währenden kommunistischen Diktatur ein Wunschdenken war), hätte Russland die wirtschaftliche Krise der 1990er Jahre möglicherweise ohne Hinwendung zum gewohnt autoritären Paradigma überstanden. Nach einer kurzen Phase demokratischer Euphorie Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre ging die russische Gesellschaft, einer totalen Ideologie überdrüssig, zum ebenso totalen Pragmatismus über. Eine wertebewusste westliche Außenpolitik muss diesen Wandel akzeptieren. Diese gewisse Akzeptanz der russischen Verhältnisse bedeutet aber weder Resignation noch ein Sich-abfinden. Akzeptanz hat lediglich die Funktion, die russische Wirklichkeit präzise und unvoreingenommen wahrnehmen zu können, um die dadurch gewonnenen Erkenntnisse zu Ausgangspunkten für Veränderungsprozesse werden zu lassen.

Den Demokratisierungsprozess einer Gesellschaft kann man mit der Vorbereitung von Leichtathleten zum Hochspringen vergleichen. Es bringt den Sportlern nichts, wenn der Trainer den Stab zu niedrig ansetzt. Sie werden nicht besser und lernen auch nicht, miteinander zu wetteifern. Logischerweise kann der Trainer auch nicht per Vertrag mit anderen Mannschaften garantieren, dass seine Leichtathleten eine bestimmte Leistung erbringen werden. Mit der Demokratie verhält es sich nicht anders als mit einem sportlichen Wettkampf. Dabei kann und soll der in dieser Sportart erfahrene Westen Russland ermutigen, mehr Demokratie zu wagen. Insofern war Frau Merkels Hinweis an Wladimir Putin, kritikfähiger zu sein, in der Perspektive richtig. In der Tat bildet sich in Russland nur langsam eine gesellschaftliche Nachfrage nach Beachtung von Werten der Verfassung durch die Politik heraus. Diese Nachfrage ist noch relativ gering und lokal begrenzt. Der mittlerweile in Deutschland etablierte Verfassungspatriotismus in seiner Funktion als individueller Verfassungsschutz ist dem Gros der russischen Gesellschaft noch fremd. Auch scheint die Nachhaltigkeit des gesellschaftlichen Wertewandels eher unsicher zu sein, da Russlands „Wirtschaftswunder“ einzig und allein auf Rohstoffexporten basiert. Die konkrete Unterstützung Russlands beim Aufbau eines breiten Mittelstandes wäre eine nachhaltige Investition in die russische Demokratie, die aber freilich von Russland gewollt und gefördert werden muss. Ich bin sicher, dass westliches, insbesondere deutsches, Engagement in diesem Bereich mehr als willkommen wäre und die russische Führung zu Zugeständnissen etwa im Bereich der gemeinsamen Korruptionsbekämpfung bereit wäre.

Es sollte nicht darum gehen, auf der Ebene der Eliten um Werte und Worte zu streiten. Eine ritualisierte Form der Kritik wird mit der Zeit als Instrument der Einflussnahme wirkungslos, so dass die wirklich berechtigte Kritik an tatsächlichen russischen Fehlentwicklungen im Rauschen des Kritikrituals untergeht. Die russische Autokratie hat sich seit Jahrhunderten u.a. durch den Mythos des Mongolenjochs (und der Rolle westlicher Staaten dabei) gegen externe Einmischungen immunisiert. Die orthodoxe Kirche spielt dabei keine unwesentliche Rolle, ist sie es doch gewesen, die Russland seit je her geeint hat. Westliche Kritik an einer zu konservativen Linie kann mit Leichtigkeit als Versuch einer Schwächung des gesellschaftlichen und staatlichen Zusammenhalts zurückgewiesen werden. Die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit ist bei einer so existentiell gestellten Frage mehr als sicher. Besser wäre es, ein gemeinsames Werteverständnis durch Kooperation auf gesellschaftlicher Ebene zu schaffen. Ein Politikwandel wäre die zwangsläufige Folge des Wertewandels. Durch Kooperation wird man die ungünstige Dialektik des gleichzeitigen Ungleichzeitigen zwischen westlichen Staaten und Russland überwinden können. Kritik an Russland sollte nicht dem Zweck der Selbstvergewisserung über eigene Werte dienen. Dazu ist Russland viel zu europäisch, da es selbst seit Jahrhunderten auf die europäischen Werte ausgerichtet ist. Eine Dogmatisierung und Verabsolutierung unserer Werteverständnisse birgt wiederum die Gefahr von Glaubenskriegen. Was uns Russland vor Augen führt, ist die Voraussetzungsfülle einer werdenden Demokratie.

 

 

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Die DGAP hat freundlicher Weise die Debatte vom vergangenen Donnerstag vollständig auf ihrer Website dokumentiert. Das volle Haus sprach dafür, dass es ein Interesse an dem Thema gibt.

Beide Vorträge kann man hier nachhören.

 

Warum der Westen seine Werte vertreten muss

Am vergangenen Donnerstag habe ich in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik diesen Vortrag gehalten – als Antwort auf den Direktor des Thinktanks der DGAP, Professor Eberhard Sandschneider. Angeregt durch unsere ZEIT-Debatte zur Außenpolitik wird die DGAP eine Reihe über das Verhältnis zwischen Werten und Interessen in der deutschen Außenpolitik veranstalten. (Wir werden berichten.) Am Donnerstag war die Auftaktveranstaltung.

Ich muss diesen Vortrag mit einer diplomatischen und menschlichen Unmöglichkeit beginnen. Was ich jetzt gleich tun werde, ist wirklich das Letzte. Ich werde mich selbt zitieren.

Verzeihen Sie, aber hier und heute kann ich es mir nicht verkneifen.

Vor nicht ganz zwei Monaten habe ich in der ZEIT geschrieben:

Wie wenig Stabilität taugt, die auf Kosten von Freiheit und Menschenrecht geht, zeigen heute die Eruptionen in den arabischen Ländern. Die fortschreitende Implosion der Staatenwelt des Nahen Ostens stellt auch einen vermeintlichen Realismus bloß, der sich nicht traute, über die Gewaltherrscher hinauszudenken. Das einflussreiche Milieu der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik wäre eigentlich der Ort für solche Reflexionen.

 

Als Journalist hat man nicht oft einen unmittelbaren Effekt mit kritischen Äußerungen. Um so mehr freue ich mich, dass die DGAP mit Herrn Professor Sandschneider den Ball aufgenommen hat und die Debatte weiterführen möchte, sogar mit einer ganzen Reihe von Vorträgen. Statt mir die DGAP-Mitgliedschaft zu kündigen, hat man mich hier eingeladen. Das ist großzügig und zeugt von Sportsgeist.

Und damit in den Ring:

 

Lieber Herr Sandschneider – einerseits sagen Sie: Es gibt neue Wertekonflikte, die sich aus dem Aufstieg neuer Mächte ergeben – und aus deren Anspruch, ihre eigenen Werte durchzusetzen. Der Westen bestimmt nicht mehr die Regeln.

Zweitens sagen Sie aber, es gibt eigentlich keinen Konflikt zwischen unseren Werten und unseren Interessen, das wird nur künstlich von Moralisten hochgespielt, die von Außenpolitik keine Ahnung haben.

Also was denn nun?

Ich finde, die beiden anfangs zitierten Aussagen passen nicht recht zusammen. Und möchte dagegen stellen: Es gibt tatsächlich einen globalen Wettbewerb, in dem unsere Werte – die der freiheitlichen und offenen Gesellschaften, durchaus nicht mehr nur des klassischen alten „Westens“ – herausgefordert und in Frage gestellt werden. Sie können das auf die einfach Frage reduzieren: Wer kommt besser durch die Krise – die freien Gesellschaften, oder die Gelenkten, die zigfach ausdifferenzierten Formen von Tyrannei, die wir heute sehen können?

Ich sehe eigentlich nicht die von Ihnen so häufig beschworene Gefahr des Predigens und Missionierens durch den Westen – sondern eher die einer Verzagtheit – aufgrund von bererchtigten und unberechtigten Selbstzweifeln. Denn: Ob es eigentlich noch legitim ist und erfolgsversprechend, für unsere Idee der Moderne einzutreten – in der wirtschaftliche und gesellschaftlich-politische Öffnung Hand in Hand gehen –, das ist zweifelhaft geworden.

Und selbstverständlich geraten deshalb in der Außenpolitik immer wieder Werte und Interessen aneinander.

Es kann unangenehm, unbequem, teuer sein, sich der Demokratie, den Menschenrechten, dem Rechtsstaat und den Bürgerfreiheiten verpflichtet zu wissen. Es stört manchmal vielleicht die Geschäfte. Nicht so oft, wie suggeriert wird, übrigens, ich komme gleich drauf. Es stört aber womöglich das außenpolitische Geschäft mit den herrschenden Eliten in manchen Ländern, die ihre Gesellschaften nicht öffnen wollen.

Es wird maßlos und strategisch – mit Absicht – übertrieben, welche negativen Konsequenzen eine Politik klarer Worte hat.

Vor allem von denen, die immer sagen: Bitte nicht so laut, bitte nicht auf dem Marktplatz, nicht in den Medien! Dazu ist zu sagen: natürlich sind Marktplatz und Megaphon nicht die erste Wahl! Allerdings ist das ja erstens auch gar nicht der Alltag deutscher Menschenrechtsdiplomatie. Die findet natürlich im Stillen statt. Manchmal aber – zweitens – muss es laut und deutlich sein.

Nehmen wir das letzte Jahr: Laut Ostausschuss der dt. Wirtschaft das bisher erfolgreichste beim Handel mit Russland. Tolle Wachstumsraten, tolle Zufriedenheit! Zugleich hat Deutschland noch nie zuvor so deutliche Worte gefunden für die undemokratische Tendenzen des Regimes Putin. Das Auswärtige Amt hat zwar versucht, eine Resolution des Bundestages im letzten Herbst abzumildern. Zum Glück aber ist das wegen öffentlichen Drucks nicht geschehen, und der Bundestag hat mit breiter Mehrheit Putins Rückabwicklung von Rechtsstaat und Demokratie scharf gegeißelt.

Dessen ungeachtet sind 80 Prozent der deutschen Unternehmen optimistisch, was das kommende Jahr angeht. Eigentlich sollte das nicht zusammenpassen. Diese Entwicklung widerspricht den Appellen zur Leisetreterei, die immer mit dem Argument daherkommen, wir würden uns Zugänge verspielen, wenn wir uns für Bürgerrechte einsetzen.

Wir sollten uns nicht kleiner machen als wir sind.

 

Was heißt das übrigens, dass der Westen nicht länger „die Regeln“ bestimmt, wie Sie ja auch gerade wieder in Ihrem Vortrag ausgeführt haben, Herr Sandschneider? Das ist eine merkwürdige postkoloniale Polemik, mit der oft blanke Interessen der anderen Seite aufgehübscht werden: Wenn man das Copyright nicht akzeptiert, sich übers Patentrecht hinwegsetzt, wenn die Korruption gedeiht, wenn Minderheiten und Andersdenkende unterdrückt werden, wenn Wahlen manipuliert und Medien behindert werden, dann kommt diese Polemik auffällig oft zum Einsatz. Wir sollten diese Propagandamasche unterdrückerischer Regime nicht mitmachen. Es geht in Wahrheit um universalisierte Normen, zu denen sich – jedenfalls auf dem Papier – nahezu alle Staaten bekennen.

 

Beruhen die UN-Menschenrechtskonventionen auf „westlichen Werten“? Warum werden sie dann so breit ratifiziert? Gerhart Baum hat bei uns in der ZEIT vor einigen Wochen noch einmal klar gestellt: „Niemand diktiert der Welt ihre Werte – weder der Westen noch die deutsche Außenpolitik. Die Werte wurden in einem beispiellosen historischen Akt 1949 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen niedergelegt. Das war eine Reaktion auf die Schrecken der ersten Hälfte des dunklen 20. Jahrhunderts. In der Präambel heißt es: ‚Die Verkennung und Missachtung der Menschenrechte hat zu Akten der Barbarei geführt, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben.’“

Betonung: „Gewissen der Menschheit“. Nicht „der westlichen Welt“.

 

Und was soll es heißen, dass die Politik „externer Demokratisierung“ gescheitert sei? Dass deutsche Außenpolitik, wie Sie sagen, zwar besser ist als ihr Ruf, aber immer dann desaströse Ergebnisse zeitigt, wenn sie ihre Wertegebundenheit nach außen kehrt? Mit Sicherheit ist es richtig, die Zielsetzung des Afghanistan-Krieges und des gesamten neuen Interventionismus der letzten 15 jahre einer kritischen Revision zu unterziehen.

Die Politik scheut davor zurück und reagiert mit einer klammheimlichen, nichterklärten Doktrin des Sichraushaltens in Kombination mit einer Lockerung der Waffenexportpolitik – explizit auch an undemokratische Mächte in Spannungsregionen wie Saudi-Arabien.

Ist das die richtige Konsequenz aus einer Ernüchterung beim Interventionismus? Stabilität schaffen mit immer mehr Waffen? Wer kann nach den Ereignissen der letzten Jahre in Arabien noch seine Hand für das Staatsmodell Saudi-Arabien ins Feuer legen?

 

Das neue Selbstbewußtsein der aufstrebenden Länder, das Sie immer wieder betonen, Herr Sandschneider, ist eine gute Sache – da, wo es auf Leistung und Reformbereitschaft mindestens im ökonomischen Bereich beruht, wie vor allem in China, aber auch in Lateinamerika und Afrika. Darüber sollten wir froh sein. Davon haben wir nichts zu berfürchten außer belebender Konkurrenz.

Zu unterscheiden ist davon die postkoloniale Propaganda autoritärer Regime, mit der gesellschaftliche Reformen abgewehrt werden sollen, weil sie schlicht die etablierte Herrschaft gefährden.

Meine Erfahrung ist: Wann immer das kulturrelativistische Argument kommt, dieser oder jener Wert tauge nicht für diese oder jene Kultur, ist meist etwas faul. Es klingt ja nicht grundsätzlich falsch, wenn vom Pluralismus der Lebensformen die Rede ist. Aber es wird natürlich oft strategisch eingestezt, gerade um Pluralismus zu verhindern! Ein Beispiel:

Kürzlich habe ich einen russischen Außenpolitiker getroffen, der im System Putin eine wichtige Größe darstellt. Wir hatten über Syrien, die Eurokrise, das iranische Atomprogramm und die Spannungen mit den USA diskutiert.

Doch richtig lebhaft wurde das Gespräch, als die Rede auf das Gesetz gegen die „homosexuelle Propaganda“ kam, das russischen Schwulen und Lesben ab dem Januar verbietet, über ihre sexuelle Orientierung zu reden.

Sehen Sie, sagte mein Gegenüber, warum regen Sie sich darüber auf? Wir drücken Ihnen in Deutschland doch auch nicht unsere Werte auf? Das ist eine russische Angelegenheit.

Wir haben das Recht, unsere Gesellschaft, unsere Familien, unsere Kinder vor diesen Erscheinungen zu schützen. Das ist nicht gesund für eine Gesellschaft. Wir wollen nicht, dass dieser Lebensstil sich verbreitet, aber wir kommen nicht zu ihnen und greifen Sie an, weil sie ihn dulden.

In Rußland aber haben wir Maßnahmen dagegen ergriffen. Das ist unser Recht. Sehen Sie, der Westen durchläuft gerade eine liberale Revolution – alles wird erlaubt, alle Lebensformen, alle Glaubenssysteme sind gleichwertig. Man kann aber solche Werte nicht importieren. Sie können nicht nach Moskau kommen und uns befehlen, diese liberalen Werte anzunehmen.

Sie im Westen durchlaufen eine liberale Revolution. Russland durchläuft eine konservative Revolution.

 

Das heißt in Wahrheit, ich übersetze das mal, „wir haben das Recht unsere Minderheiten zu unterdrücken, wie es uns passt“.

 

Soll die deutsche Regierung dazu schweigen? Ich glaube, das geht nicht mehr, gerade weil wir immer mehr mit Russland verflochten sind, und weil wir das gerne noch weiter treiben wollen. Russland hat die Europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben. Russland will zu Europa gehören, seine Eliten schicken ihre Kinder hier zur Schule, sie kaufen Häuser und legen Geld in Europa an. Wer die Integration und Verflechtung unserer Gesellschaften befürwortet, kann Menschenrechtsverletzungen nicht ignorieren. Und da ist dieser Fall natürlich nur ein Symptom, aber ein wichtiges. Er ist ein Test dafür, ob wir uns und unsere Werte noch ernst nehmen.

 

Aber treten wir noch mal einen Schritt zurück.

 

Ich möchte hier kurz einige Elemente der Polemik gegen „überzogene Werte- und Moralbezüge“ aufgreifen, wie sie – prominent von Ihnen, Herr Sandschneider – immer wieder vorgebracht werden:

 

Erster Vorwurf: Der Westen hält sich nicht an seine eigenen Werte, darum soll er andere nicht belehren.

Ersteres ist leider sehr oft richtig. Das Zweite geschieht kaum noch. Im Gegenteil greift eine merkwürdige Verzaghtheit um sich, die aus westlichem Selbstzweifel gespeist wird: Es steht in Frage, ob unsere Gesellschaften am Ende die leistungsfähigeren sind. Das ermutigt die andere Seite, die Despotie als effiziente Alternative zu verkaufen. Dem muß man entgegentreten.

 

Zweiter Vorwurf: Der Westen missioniert die Welt mit seinen Werten und gibt sie doch für universale aus. Das ist eine Variante eines alten deutschen Vorurteils gegen den Westen, historisch besonders gegen die Briten: Werte sind nur Cover für Interessen. „Sie sagen Christus und meinen Kattun.“ (Fontane) Diese antiwestliche Tradition hat Deutschland in den Abgrund geführt. Ich verspreche mir nichts davon, daran anzuknüpfen.

 

Im Gegensatz dazu wird behauptet, dritter Vorwurf: Wer öffentlich von seinen Werten redet, will sich eigentlich nur selbst bespiegeln. Das kann natürlich vorkommen. Aber manchmal ist es wichtig zu zeigen, wer man ist und wo man steht – auch um der anderen Seite Ernst genommen zu werden. Ich stelle mir vor, dass der russsiche Präsident Putin eine ziemlich nüchtern-robuste Sicht der deutschen Außenpolitik hat: Ihr kritisiert uns zwar für Pussy Riot und für Chodorkowski und die NGO-Razzien, macht aber weiter „Rechtsstaatsdialog“, als wäre nichts passiert – wie verlogen ist das denn? Und ich soll Euch ernst nehmen? Ihr nehmt euch ja selber nicht ernst.

 

Vierter Vorwurf: Wertebezogene Politik wird nur fürs „Schaufenster“ beziehungsweise „die Medien“ gemacht. Das ist nicht auszuschließen, und es kann natürlich im Einzelfall falsch sein. Es kann dann größerer Schaden entstehen als bei einer leisen Vorgangsweise. Aber: Dass Diplomatie bei uns unter Druck steht, sich vor dem heimischen Publikum zu rechtfertigen, ist einerseits lästig für die Politik, kann aber auch eine Stärke sein.

Es gibt der Regierung ein Argument an die Hand: Wir wollen ein gutes Verhältnis, aber wir können euer Verhalten bei unseren Leuten nicht mehr rechtfertigen. Wenn ihr so weiter macht, kommen wir in ernsthafte Schwierigkeiten zuhause. Wir wollen uns für euch einsetzen, aber wir können das immer schwerer verkaufen….

Anders als in Zeiten des Kalten Krieges braucht in der globalisterten Welt von heute jeder schwierige Partner die Gewogenheit der Öffentlichkeit, auch der Öffentlichkeit hier bei uns, und das ist gut so. Darum wollen alle die Olympischen Spiele und die Fussball WM ausrichten. Und darum geht es einigen Lobbyfirmen hier in Berlin, die den Job der Aufhübschung von Autokraten machen, ziemlich prima.

 

 

Fünfter Vorwurf: Wertegeleitete Politik ist irrelevante „Symbolpolitik“ – im Gegensatz zur harten Realpolitik.

Das hat noch nie gestimmt, und es ist heute erst recht nicht wahr. Symbolik ist wichtig. Wenn Symbolpolitik so irrelevant ist, warum waren die Chinesen so verschnupft wegen der Sache mit dem Dalai Lama? Warum ist die israelische Regierung nachhaltig irritiert über eine deutsche Enthaltung vom letzten Herbst, als es um das Upgrade der Palästinenser in die Uno ging? Symbolpolitik ist eine schwierige, harte Sache.

 

Sechster Vorwurf: Werte lassen sich nicht exportieren/ eins zu eins übertragen/ verpflanzen.

Das ist eine Binsenweisheit. Und damit natürlich richtig – und falsch zugleich. Reeducation in Deutschland war offenbar ein Erfolg, Nationbuilding im Irak scheint eher ein Misserfolg zu werden.

Aus dem letzteren in eine Doktrin der Nichteinmischung zurückzufallen, wäre falsch und unzeitgemäß. Die Überdehnung westlicher Politik unter George W. Bush ist eine fatale Tatsache – aber warum soll dafür Amnesty büßen, oder „Memorial“ in Russland?

 

Siebter Vorwurf: Wir brauchen die Autokraten, Nichtdemokraten und Scheindemokraten zur Lösung internationaler Probleme und wegen der Rohstoffe, darum sollten wir lieber schweigen. Wenn wir zu laut sind, fühlen sie sich zurückgewiesen, vertrauen uns nicht mehr und kooperieren nicht mehr.

Ersteres stimmt zweifellos, das zweite nicht. Wir brauchen sie, aber sie uns auch. Auch die andere Seite hat Interessen, die sie an uns bindet. Es ist legitim, dass wir das nutzen.

 

Achter und letzter Vorwurf: Der Westen und auch Deutschland wenden seine Werte nur selektiv an – da, wo es gerade passt und keine negativen Rückwirkungen zu befürchten sind. Er kritisiert schwächere Länder, die sich nicht wehren können, lässt Saudi-Arabien aber zum Beispiel ungeschoren – wegen des Öls und der Bedeutung als „moderate“ Macht in der Region. Weil westliche Werte immer wieder mit doppelten Standards zur Anwendung kommen, sind sie diskreditiert.

Doppelmoral ist in der Tat ein Problem. Zwar wäre es naiv zu glauben, sie ließe sich ganz vermeiden oder durch reine Moralpolitik ersetzen. Das fordert auch niemand! Außenpolitik hat viele Interesssen abzuwägen – Friedenssicherung, Energiesicherheit, Umweltschutz, Wirtschaftsinteressen. Dabei müssen moralische Bedenken oft zurückstehen.

Aber nichts davon, kein einziges Ziel der deutschen Außenpolitik ist langfristig ohne das Drängen auf gesellschaftliche und politische Öffnung zu sichern. Das ist der harte Kern einer realistischen Moralpolitik, um die wir zum Glück endlich streiten.

 

 

 

„Auch gegenüber Russland treten wir für unsere Werte ein“

Vor dem Hintergrund der aktuellen Razzien bei deutschen Stiftungen in Russland ist dieser aktuelle Text aus der ZEIT von heute vielleicht von Interesse. Ich habe beim Auswärtigen Amt nachgehakt, wie man dort über die Äußerungen von Alexander Rahr über die deutsche Russlandpolitik denkt.

Offenbar hat in der Regierung das Nachdenken über den deutschen Kurs gegenüber Russland begonnen. Das Auswärtige Amt geht in Reak­tion auf einen kritischen Bericht der ZEIT (Nr. 12/13) auf Distanz zum einflussreichen Kreml-Experten Alexander Rahr. Rahr hatte, wie berichtet, in einem Interview mit einer russischen Zeitung die deutsche Russlandpolitik kritisiert: Gegenüber Putin auf Rechtsstaat und Demokratie zu setzen komme einem aggressiven Wer­te­export gleich, »wie vor 100 Jahren von der Sow­jet­union propagiert«. Deutschland sei Amerika und Israel verfallen und wolle unter dem Vorwand des Eintretens für Menschenrechte Russland mit liberalen Werten unterwandern.
Im Außenministerium heißt es nun, man teile Rahrs »bekannt gewordene Äußerungen zur westlichen Wertepolitik nicht. Es ist jetzt an Herrn Rahr, für Klarheit zu sorgen hinsichtlich der Umstände und Inhalte des in der Komsomolskaja Prawda veröffentlichten Textes. Natürlich ist Herr Rahr auf sein Interview angesprochen worden.«
Ein Sprecher des Ministeriums bekräftigt: »Auch gegenüber Russland verfolgen wir unsere Interessen und treten für unsere Werte ein. Dies ist Ausdruck unserer interessengeleiteten und werteorientierten Außenpolitik.« Die Bun­des­regie­rung setze »sich für die weitere Vertiefung der strategischen Partnerschaft mit Russland ein, in deren Rahmen in umfassender Weise die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen gefördert und auch Fragen im Zusammenhang mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten nicht ausgespart werden«.
Rahr aber legt nach: Von Spiegel Online auf den ZEIT-Bericht über sein Interview angesprochen, verteidigt er abermals Putins autoritäre Herrschaft. Sie sei nun mal »authentischer« als das demokratische Chaos unter Boris Jelzin: »Die Mehrheit der Russen denkt anders. Stabilität und die Orientierung an einer starken Hand sind ihnen wichtiger als Demokratie.« Das habe für die deutsche Politik einen entlastenden Effekt, wirbt Rahr sarkastisch: Sie brauche dann nicht weiter »erfolglos zu versuchen, Russland zur Demokratie zu zwingen«. Das Beharren auf Menschenrechten ist für Alexander Rahr also gleichbedeutend mit »Zwang« zur Demokratie.
Das wirft die Frage auf, wie dieser Experte seine Aufgaben in den beiden wichtigsten quasioffiziellen Foren der Russlanddiplomatie versteht. Rahr ist seit November Forschungsdirektor des Deutsch-Russischen Forums (DRF), das hauptsächlich von der an Russland interessierten deutschen Industrie finanziert wird. Und auch beim Petersburger Dialog, dem von Wladimir Putin und Gerhard Schröder initiierten und von Angela Merkel fortgeführten jährlichen Treffen zwischen deutschen und russischen Eliten aus Politik und Wirtschaft, sitzt Rahr im Lenkungsausschuss.
Das Außenministerium betont, beide Institutionen seien »vom Auswärtigen Amt unabhängig«. Das ist richtig, doch erst die enge Kooperation der Regierung mit den beiden Vereinen macht die Gremien für die russische Seite interessant und damit im Gegenzug auch zu potenziell besonders wertvollen Instrumenten der deutschen Russlandpolitik.
Dass Alexander Rahr als intellektueller Kopf des Deutsch-Russischen Forums firmiert – ein Mann, der jegliche Kritik an Putins Autoritarismus als »Hysterie« abtut und Menschenrechtler als »Kreuzritter« diffamiert –, gibt der Sache eine merkwürdige Schlagseite. Auf der Web­site des DRF wird seine Aufgabe so beschrieben: »Zu den weiteren Aufgaben des Forschungsdirektors werden die Or­ga­ni­sa­tion und Mo­de­ra­tion der inzwischen eta­blier­ten Kamingespräche beim russischen Botschafter und diverser Energiefrühstücke zählen.« Rahr ist in den vergangenen Jahren gegenüber der russischen Seite immer wieder in quasioffizieller Funktion als Vermittler für Dialogprojekte aufgetreten. Im Ministerium gilt er als »ausgewiesener Russlandkenner mit vorzüglichen Kontakten«. Rahr fungiert als Ratgeber des Auswärtigen Amtes unter anderem beim Thema Rechtszusammenarbeit mit Russland.
Anscheinend wird nun infrage gestellt, ob dies wirklich eine glückliche Kombination ist. Aus dem Außenministerium heißt es, die Kooperation »mit dem privaten Verein DRF macht sich nicht an einer bestimmten Person fest«.

 

Wie weiter mit Putins Russland?

Unterdessen zieht die außenpolitische Debatte über Deutschlands Verhältnis zu Russland, die ich vor einigen Wochen angestoßen haben, weitere Kreise. Stefan Meister, Russlandexperte am Zentrum für Mittel- und Osteuropa der Bosch-Stiftung und Mitarbeiter der DGAP, schreibt im Guardian, dass die aktuelle Zypern-Krise ein Licht auf die angespannte Lage zwischen Russland und Deutschland wirft:

The Cyprus crisis sheds a revealing light on the current state of relations between the EU and Russia, and between Russia and Germany in particular. (…)

From Moscow, it looks like the German government is once again playing an inglorious role in international affairs. Germany is Russia’s key political and economic partner in the EU, but over the last two years – and especially since the return of Putin as Russian president – there has been an increasing alienation between Berlin and Moscow. In terms of political belief, there is little common ground between Angela Merkel and Putin – the good old times of „male bonding“ between Schröder-Putin and Kohl-Yeltsin are long over. Merkel has been a much more critical partner to Moscow than her predecessors and Russia’s poor human rights record is a common theme in German discourse on the country.

 

Last November, a resolution by the governing coalition of Christian Democrats (CDU/CSU) and Liberal Democrats in the German lower house emphasised the importance of civil society and rule of law in the relationship with Russia – a crucial milestone in German-Russian relations.

 

Merkel’s stance stands in stark contrast to her predecessors. Three weeks ago, the leading German weekly Die Zeit started a debate on the lack of a balance between political values and political interests in German foreign policy. Many German politicians have been criticised for receiving Russian money to open doors to Russian business in Germany. As well as former chancellor Gerhard Schröder – who was nominated by Gazprom to head the shareholders‘ committee of Nord Stream, which aims to supply Russian gas directly to Germany – there is the former mayor of Hamburg Henning Voscherau, who lobbies for the Gazprom-led South Stream project.

 

As Die Zeit points out, even the respectable former minister of foreign affairs Hans-Dietrich Genscher has been rolling out the metaphorical red carpet for authoritarian regimes such as Kazakhstan and Azerbaijan. As a result, the interplay between economic interests and democratic values will be a key issue in the election campaign for the German parliamentary elections in autumn this year. The leadership in Russia must knows it will see more of Merkel’s cold shoulder in the coming months.

 

This may explain why Russia has been unusually critical of Germany’s behaviour over Cyprus. Merkel’s demands have been interpreted in Moscow as an attempt to stop Russia gaining more influence and secure its own political and economic interests.

 

Der von mir in einem weiteren Artikel kritisierte Russlandexperte Alexander Rahr antwortet in Spiegel online auf die Vorwürfe (bzw. tut es nicht und sattelt noch weiter drauf):

 

SPIEGEL ONLINE: Die „Zeit“ kritisiert, dass Sie sich die Kreml-Rhetorik zueigenmachen. Ihr Nachfolger bei der DGAP wirft Ihnen einseitige Kontakte zu Russlands Führung vor.

Rahr: Ich bin Mitglied im Waldai-Club, in dem westliche Russland-Experten Putin treffen. Da sind viele Amerikaner, Briten, nur die meisten Deutschen machen einen Bogen darum. Mir wird ja oft vorgeworfen, ich säße bei Putin auf dem Schoß. Die gleichen Leute waren aber immer beglückt, wenn ich mit meinen Kontakten wichtige russische Politiker zur DGAP brachte. Ich habe aber oft das Problem, dass man mich missversteht.

SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?

Rahr: Ich habe zwei Identitäten. Ich bin mit einem Bein in der russischen Migration aufgewachsen, aber in Deutschland politisch groß geworden. Ich war 1990 das erste Mal in der Sowjetunion, seitdem empfinde ich viel Sympathie für Russland. Vielleicht ist mir in Russland mehr verständlich, was bei anderen Unverständnis hervorruft. Ich finde das Russland, das wir heute sehen, authentischer, als die neunziger Jahre unter Jelzin.

SPIEGEL ONLINE: Jelzins Herrschaft war zwar chaotisch, dank konkurrierender Parteien und TV-Kanälen, aber leidlich demokratisch.

Rahr: Die Mehrheit der Russen denkt anders. Stabilität und die Orientierung an einer starken Hand sind ihnen wichtiger als Demokratie. Das gilt nicht für den westlich orientierten Mittelstand. Putin muss die Balance wahren zwischen dieser liberalen Minderheit und einer großen konservativen Mehrheit, die von einer Wiederauferstehung Russlands als Imperium träumt.

 

Die Debatte über Werte in der Außenpolitik geht weiter

This just in:

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitglieder,

die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
lädt Sie ein zur Auftaktveranstaltung der Reihe

Vom Umgang mit schwierigen Partnern –
Werte und Interessen in der deutschen Außenpolitik

Donnerstag, den 11. April 2013, 18.30 bis 20.00 Uhr

Immer wieder verfängt sich die Debatte um deutsche Außenpolitik im Spannungsfeld von Werten und wirtschaftlichen oder sicherheitspolitischen Interessen. Im Februar hat die Zeitung DIE ZEIT der Diskussion neuen Schwung verliehen.

Die DGAP, die immer Teil dieser Debatte war, möchte mit einer Reihe von Veranstaltungen diese neu entflammte Diskussion offen und konstruktiv fortsetzen, um zu einer Klärung dieser Grundsatzfrage deutscher Außenpolitik beizutragen.

Vortrag:

Prof. Dr. Eberhard Sandschneider
Otto Wolff-Direktor, Forschungsinstitut der DGAP

Kommentar:

Jörg Lau
DIE ZEIT

Moderation:

Constanze Stelzenmüller
Senior Transatlantic Fellow, GMF

Die Veranstaltung findet im Hause der DGAP, Rauchstr. 17, statt.

Im Anschluss laden wir Sie zu einem Stehempfang ein.

Bitte bestätigen Sie Ihre Teilnahme bei Yulia Loeva per Fax oder E-Mail (030 25 42 31 -91, loeva@dgap.org) mit beigefügtem Anmeldebogen.

Wir wünschen Ihnen frohe Ostern und verbleiben

mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Eberhard Sandschneider