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Islamische Calvinisten oder unbelehrbare Islamisten?

Ayaan Hirsi Ali sieht die Aufgabe der Europäer darin, den Türken gegen die Gefahr der Islamisierung beizustehen, die ihnen durch die AKP-Regierung drohe. In einem für meinen Geschmack hoch merkwürdigen Stück rät sie am Ende gar dazu, das türkische Militär und die (ihm hörige) Justiz gegen die gewählte Regierung zu stützen. Und das ganze wird auch noch als „liberale“ Position verkauft.

Das am meisten irritierende Zitat:

Naive but well-meaning European leaders were manipulated by the ruling Islamists from the onset into saying that Turkey’s army should be placed under civil control like all armies in the EU member states.

Wenn es gegen die „Islamisten“ geht, dann ist eine Militärdiktatur ganz recht? Kein Wort über die Folter in den Gefängnissen, die himmelschreiende Einschränkung der Meinungsfreiheit, die Unterdrückung der Kurden.

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Ayaan Hirsi Ali – Foto: American Enterprise Institute
Ayaan Hirsi Ali nennt zwar die Vermischung von Islam und Nationalismus als Gefahr für die Türkei, aber sie unterschlägt, dass es eben die Generäle waren, die damit im Rahmen der „türkisch-islamischen Synthese“ (Türk-Islam-Sentezi) zu spielen begonnen haben, um der Türkei inneren Zusammenhalt zu geben. Diese Porblematik kommt direkt aus dem Atatürkismus, in dem Ayaan Hirsi Ali die Lösung der Probleme sieht. Sie ruft die türkischen „Liberalen“ auf, sich zu organisieren. Wer sind diese Liberalen? Wie viele sind sie? Und werden sie ohne die Religiösen auskommen, ohne die es die gesamten Fortschritte der letzten Jahre in Fragen der Menschen- und Bürgerrechte nicht gegeben hätte?

Eine echte türkische Zivilgesellschaft ohne Platz für die Religion kann es nicht geben. Hirsi Ali sollte das eigentlich in Amerika gelernt haben. Ayaan Hirsi Ali ist in Gefahr, sich mit solchen kurzsichtigen Stellungnahmen, die ihren Lebenskonflikt auf alle Weltlagen projizieren, selbst zu diskreditieren.

Zur Debatte möchte ich hier im Gegenzug folgenden Ansatz von Forschern der ESI (European Stability Initiative) stellen, die den AKP-Islamismus als „Islamischen Calvinismus“ beschreiben, als eine Versöhnung von anatolischem Konservatismus, Kapitalismus und Moderne. Zitat aus der lesenswerten Studie:

Die AKP-Regierung beschreibt ihre politische Philosophie als ‚demokratischen Konservatismus’.
Premierminister Erdogan erklärt das Konzept folgendermaßen:
„Einen bedeutenden Teil der türkischen Gesellschaft verlangt es nach einem Konzept der Moderne, das die Tradition nicht verwirft, nach einem umfassenden Glauben, der das Lokale akzeptiert, nach einem Verständnis des Rationalismus’, das den spirituellen Sinn des Lebens nicht außer Acht lässt und nach einer Entscheidung für den Wandel, die nicht fundamentalistisch ist. Das Konzept der konservativen Demokratie ist in der Tat eine Antwort auf das Verlangen des türkischen Volkes.“
Viele Ziele des demokratischen Konservatismus’ erinnern an Parteien des politischen Zentrums in Europa. Er verteidigt volkswirtschaftliche Stabilität und fiskalische Verantwortlichkeit. Er ist wirtschaftlich aufgeschlossen und favorisiert persönliche Wohlfahrt und privates Vereinsleben. Er unterstützt die Stärkung der Kräfte und Ressourcen lokaler Selbstverwaltung, aus der viele seiner Schlüsselpersonen stammen und glaubt an das Potential einer Entwicklung von unten. Er ist sozial konservativ, jedoch pragmatisch in vielen der Streitfragen, die die türkische Gesellschaft weiterhin entzweien. Er ist außerdem proeuropäisch und hat sich in seinem Bestreben, Hindernisse auf dem Weg zum EUBeitrittsprozess zu beseitigen, einer Reihe politischer Tabus angenommen.

 

Britischer Konservativen-Chef übernachtet bei muslimischer Familie

Der Chef der britischen Konservativen, David Cameron, hat zwei Tage mit einer muslimischen Familie in Birmingham verbracht.

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David Cameron

Dabei konnte er erstaunliche Dinge feststellen:

Spent the night staying with Abdullah and his family in Birmingham. His children are a lot better behaved than mine (and older) so my sleep was blissfully uninterrupted.

Breakfast with the family, before taking the children to school. Here’s the interesting part – his three Muslim children go to a local faith school – a Jewish faith school. King David Primary school, which is massively oversubscribed, has a mixed roll with some 60 per cent of pupils from Muslim families, around a third from Birmingham’s Jewish community and the rest a mixture of Christians and Sikhs. The day starts with some prayers in Hebrew, led by the head of Jewish religious studies.

My obvious question to Abdullah – why do you, a practising Muslim, send your kids to a Jewish school? – does not get just the obvious answer: good discipline and good results. On top of that, the very fact that the school has a faith and a strong ethos is seen, at least by Abdullah and his family, as a positive advantage.

(Aus Camerons Webtagebuch, da gibt es sogar Videos)

Im Guardian legt Cameron sogar noch einen drauf:

And the third step in promoting integration is to ensure there’s something worth integrating into. ‚To make men love their country,‘ said Edmund Burke, ‚their country ought to be lovable.‘ Integration has to be about more than immigrant communities, ‚their‘ responsibilities and ‚their‘ duties. It has to be about ‚us‘ too – the quality of life that we offer, our society and our values.

Here the picture is bleak: family breakdown, drugs, crime and incivility are part of the normal experience of modern Britain. Many British Asians see a society that hardly inspires them to integrate. Indeed, they see aspects of modern Britain which are a threat to the values they hold dear – values which we should all hold dear. Asian families and communities are incredibly strong and cohesive, and have a sense of civic responsibility which puts the rest of us to shame. Not for the first time, I found myself thinking that it is mainstream Britain which needs to integrate more with the British Asian way of life, not the other way around.

Saying goodbye to Abdullah I was given gifts of T-shirts, shoes and a traditional robe which he said would be perfect for any visit to Pakistan. It’s another reminder that integration is a two-way street. If we want to remind ourselves of British values – hospitality, tolerance and generosity to name just three – there are plenty of British Muslims ready to show us what those things really mean.

Nun ja, der Wahlkampf ist eröffnet.  Man merkt die Absicht. Cameron hofft, die von Labour enttäuschten Muslime einsammeln zu können. Aber verkehrt ist es darum ja trotzdem nicht.
Eigentlich ist das eine natürliche Sache: Ein wertkonservativer Politiker buhlt um die Stimmen wertkonservativer Einwanderer (s. Bush und die Latinos). Nur aus deutscher Perspektive kommt einem das noch merkwürdig vor. (Aus dem Tagebuch von Roland Koch: „Habe die Nacht mit Achmed und seiner Familie verbracht…“)

 

Viel Wut gegen das „Islamische Wort“

Auf die ersten beiden Beiträge zum „Islamischen Wort“ habe es überwiegend negative und feindselige Reaktionen gegeben. Etwa 60 Prozent der Rückmeldungen seien ablehnend bis hasserfüllt, sagt Johannes Weiß, der Redaktionsleiter für den Bereich Religion, Kirche und Gesellschaft.

Auf meine Nachfrage erläuterte Weiß, die Reaktionen bezögen sich mehr auf die „Tatsache an sich“, dass der SWR dem Islam im Internet Platz einräume, und nicht so sehr auf die ersten beiden Texte von Ayman Mazyek und Bekir Alboga. Die Reaktionen seien „teils sehr heftig, das muss ich schon sagen“. Teils werde wüst herumgepöbelt („alle Muslime in die Psychiatrie“). Er mache sich angesichts dieser Feindseilgkeit Sorgen, was erst passieren würde, wenn es in Deutschland zu einem erfolgreichen Anschlag käme.

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Bekir Alboga (Mitte), einer der Autoren des Islamischen Wortes, bei der Islamkonferenz © Sean Gallup/Getty Images

Ohne jede Differenzierung zwischen Islam und Islamismus werde dem Sender vorgehalten, „Islamisten eine Plattform“ zu geben. Die sorgfältig ausgewählten Autoren, so Weiß, böten aber die Sicherheit, dass eben nicht Islamismus gepredigt, sondern dem moderaten Islam ein Forum zur Selbstdarstellung gegeben werde.

Herr Weiß hat Recht: Die feindselige Ablehnung dieser Sendung – ungeachtet der bisher vorliegenden Beiträge – ist eine Schande. Sie spricht für einen dumpfen, provinziellen, fremdenfeindlichen Muckergeist, der sich frecher Weise auch noch als Kritik und Aufklärung mißversteht.

Der notwendigen scharfen Auseinandersetzung mit Islam und Islamismus erweisen die Reaktionen einen Bärendienst. Sie spielen denen in die Hände, die mit der Abwehrformel „Islamophobie“ jede differenzierte Auseinandersetzung abwürgen wollen. Es ist sehr wichtig, zwischen einem legitimen Ausdruck islamischer Spiritualität und islamistischer Propaganda zu unterscheiden.

Das Islamische Wort steht bisher eindeutig für das Erstere: Der zweite Beitrag von Bekir Alboga, einem Muslim aus Mannheim, der auch als Dialogbeauftragter der DITIB wirkt, begründet die Notwendigkeit des Dialogs aus der Erfahrung des Gebets, das er als Zwiesprache mit Gott beschreibt. Zitat:

Unser Prophet Muhammed, Friede sei mit ihm, sagt: „Der beste unter den Menschen ist der, der den Menschen am nützlichsten ist.“ Das heißt: Die würdevolle Menschlichkeit wird daran erkennbar, wie sehr wir uns füreinander einsetzen, wie sehr wir uns gegenseitig um uns kümmern. Der Gesandte Gottes hat gesagt: „Ein (wahrer) Muslim ist der, der mit seinen Mitmenschen leicht umgeht und mit dem die Menschen einfach und unkompliziert umgehen können.“

Was bitte gibt es daran abzulehnen? Dass Herr Alboga Jesus als einen Propheten unter anderen und den Koran als letzte Offenbarung bezeichnet, können Christen natürlich nicht für sich annehmen (und Atheisten banaler Weise auch nicht). Aber diesen seinen Glauben zu bekennen – und dies auch auf einer öffentlich-rechtlichen Website – ist selbstverständlich in Ordnung.

Das nächste Islamische Wort wird Anfang Juni online sein – gesprichen von einer Muslimin, die Weiß noch nicht nennen will. Auch das vierte Teammitglied des Islamischen Wortes wird weiblich sein.

Johannes Weiß bleibt trotz der negativen Reaktionen gelassen und zuversichtlich, dass sich das Islamische Wort auf dauer als Erfolg erweisen wird. Es habe viele sehr positive Reaktionen von jungen Muslimen gegeben, die das Islamische Wort als ein Zeichen sehen, dass ihre Religion hierzulande bei aller Kontroverse dazugehöre.

 

Her mit den Kopftuchträgerinnen!

Wird denn nun bald eine Kopftuchträgerin zur Deutschen Islamkonferenz gehören? Und warum ist nicht längst eine dabei?
Diese prickelndste Frage wussten die Teilnehmer des zweiten Plenums unter Vorsitz von Innenminister Wolfgang Schäuble nicht zu beantworten. Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu, der heute selbst durch Abwesenheit glänzte, hatte sie aufgeworfen, indem er seinen Sitz einer „Neomuslima“ zur Verfügung stellte, die „das Schamtuch“ trägt, wie der Autor vornehm formulierte.
Sein Sitz blieb leer, und die Frage, wo denn die Kopftuchträgerinnen sind, wanderte hinüber zu Ayyub Axel Köhler, dem Sprecher des neuen „Koordinationsrates der Muslime“. Warum bietet seine Organisation, die immerhin beansprucht, die Mehrheit der Muslime zu vertreten, keine Frau, gerne mit Kopftuch, als Repräsentantin auf? Oh, man habe tatsächlich viele Frauen im Zentralrat, dem er vorstehe, so Köhler. Aber ein schweres Amt wie das eines Sprechers bringe ja viele Reisen mit sich, und da müsste eine Frau ja ihre Familie vernachlässigen…
Danke, Herr Köhler, keine weiteren Fragen.

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Ayyub Axel Köhler und Wolfgang Schäuble
McDougall/AFP/Getty Images

Die Deutsche Islamkonferenz zeigte sich auch nach der zweiten Plenarsitzung als Glücksfall: Nicht etwa, weil nun schon sehr viele konstruktive Ideen vorgestellt werden konnten, wie die Einbürgerung des Islams in Deutschland (und ins deutsche Staatskirchenrecht) gelingen könnte. Es wäre auch sehr viel erwartet, nach diesen 6 Monaten, die 40 Jahre der Verleugnung aufzuarbeiten haben.
Das Gute liegt nicht in einem Konsens, den man kaum erwarten kann, sondern vielmehr im Streit.
Es geht nämlich vielmehr um die Dekonstruktion all der eingefleischten Ideen und Vorurteile, die nicht nur Nichtmuslime über den Islam hegen. Erst dann kann etwas Neues entstehen. Herrn Köhlers Frauenbild wird denn wohl auch nicht unwidersprochen bleiben bei den nächsten Sitzungen.
Unter den Muslimen, die sich an dem Prozess beteiligen, ist eine lebhafte Debatte entbrannt, wer sich mit Recht Muslim nennen darf, wer für welche anderen Muslime sprechen darf – und wer für die sprechen darf, die manchem nicht mehr als Muslime gelten und trotzdem Muslime bleiben wollen.
Säkulare Menschen, die aus muslimischen Ländern kommen, wollen mitreden über den Islam. Das ist sehr gut so: Denn die Säkularen, die sich der islamischen Kultur und Geisteswelt verbunden fühlen, machen Gebrauch von einer Freiheit, die sie nur im Westen haben – den Islam im Lichte ihrer Erfahrungen zu verändern.
Oft wird das mit dem Argument abgewehrt, die Kirchen würden auch nicht mit Ungläubigen über den Glauben verhandeln. Das ist eine schiefe Analogie, weil der Islam sehr viel mehr auch Politik, Kultur und Sitte ist als unser heutiges Christentum, das durch Jahrhunderte der Säkularisierung tendenziell zur „reinen Religion“ geworden ist (obwohl wir die Reinheit unseres Säkularismus auch oft genug unterschätzen).
Es ist also sehr berechtigt, den Begriff des Islam für eine solche Konferenz weit zu fassen und nicht nur mit den organisierten Veränden zu reden.
In der Religionsfreiheit des Westens kann auf diese Art – durch die Debatten wie in der Islamkonferenz – ein Islam entstehen, der Freiheit, Individualität und Innerlichkeit nicht nur anerkennt, sondern sich auch zueigen macht.
Der deutsche Staat kann sich diesen Islam nicht backen. Er kann ihm nur ein Forum bieten, und das ist die Islamkonferenz.
Dies wurde am Ende der Pressekonferenz mit dem Innenminister sehr deutlich, als die im KRM zusammengeschlossenen Verbände Anspruch darauf erhoben, auch die Aleviten bei sich zu repräsentieren. Der Vorsitzende der Alevitischen Gemeinde in Deutschland, Toprak, liess sich das nicht bieten, und beharrte auf der Eigenständigkeit seines Glaubens gegenüber Sunniten und Schiiten.
Der Binnenpluralismus des Islam – Orthodoxe, Säkulare, Frauen, Männer, Türken, Konvertiten, Araber, anatolische Aleviten – wird unabweisbar deutlich. Manchmal geradezu zum Erstaunen für die islamischen Vertreter, die sich selbst noch daran gewöhnen müssen. Kein geringes Verdienst der Islamkonferenz, wenn auch ein paradoxes, denn seit langer Zeit hat man gefordert, es solle eine Vertretung her, die auch mit einer Stimme spricht.
Schäuble verteidigte abermals seine Entscheidung, mit vom Verfassungsschutz beobachteten Organisationen wie Milli Görüs zu reden: „Wir wollen diese Organisationen – oder die Menschen darin – für unsere Ordnung gewinnen.“
Und Ayyub Axel Köhler forderte eine Road Map für die kommenden Sitzungen. Man müsse „konkrete Ziele“ ins Auge fassen. Den Verbandsvertretern ist der streitbeladene Prozess unangenehm: Sie müssen wie noch nie mit ihren Kritikern zusammen sitzen und mit Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, selber zu definieren, was der Islam für sie bedeutet.
Sie würden die Sache verständlicher Weise gerne abkürzen, sich am liebsten gleich den Status als Religionsgemeinschaft abholen und weiterhin in Ruhe gelassen werden. So wird es zum Glück nicht laufen, und am Ende werden die Verbandsvertreter feststellen, dass das auch für sie gut ist.

 

Grosses islamisches Zentrum in Bern geplant

Bei Bern soll eines der größten islamischen Zentren Europas entstehen, wie die NZZ berichtet.
Es soll 23.000 Quadratmeter umfassen, ein 4 Sterne-Hotel mit Hamam, ein Tagungszentrum, ein Museum und eine Moschee umfassen und etwa 60 bis 80 Millionen Franken kosten.
Der Betreiber des Projekts, der Berner Moscheeverband Umma, zielt dabei einerseits auf den Schweizer, der sich über den Islam informieren will, aber auch auf den saudischen Kunden, der islamisch korrekt wohnen möchte, wenn er sich um seine Finanzen kümmert.
Im Sommer wird entschieden, ob das Projekt von den Berner Behörden einen Zuschlag bekommt.
Die Schweiz hat etwa fünf Prozent muslimische Bürger. Nur zwei Moscheen im Lande sind im traditionellen Stil mit Minaretten verziert. Das neuen Zentrum soll nach Bekunden der Betreiber eine Fusion von schweizerischer Moderne mit muslimischen Elementen bieten.

 

Bilder von neuen Tugendterror im Iran

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(Anmerkung: Ich bin leider aus rechtlichen Gründen gezwungen, die Bilder auf diesem Blog auszutauschen. Man kann die von mir hier ursrünglich kommentierten Bilder auf www.iranian.com finden. Siehe den ersten Link im Text.)

Die neue Welle des Sitten-Terrors im Iran trifft nicht nur Frauen. Sie richtet sich auch gegen junge Männer, die sich der islamischen Korrektheit widersetzen. Dieses Foto (mehr unter dem Link) mit den beiden mittelalten Herren, die den Jungen angrabschen, bringt sehr schön auf den Punkt, welche Ressentiments sich dabei austoben dürfen. Das Dorf gegen die Stadt, alt gegen jung, bärtig gegen rasiert, puritanisch gegen libertär, und nicht zu vergessen: Unterschicht gegen Bürgertum (wie es in allen totalitären, kulturrevolutionären Regimen gerne gemacht wird). Sexualneid dürfte auch eine kleine Rolle spielen.

Mit ihrer (im Verständnis des Regimes) nachlässigen Art, den Hidschab zu tragen, zeigen die jungen iranischen Frauen, dass sie sich nur an die islamische Korrektheit halten, weil das Regime sie sonst mit Gewalt und Freiheitsentzug bedroht.

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Nun zeigt ihnen das Regime, dass es auch noch mit dieser Frechheit vorbei ist. Nicht pro forma Anpassung ist gefragt, sondern totale Unterwerfung.

Was sagen unsere islamischen Freunde aus den Kommentarspalten dazu. Was mag wohl Ajatollah Christina davon halten? (Das Regime hilft den Jugendlichen doch bloss, sich der Vereinnahmung durch die westliche Warenwelt und ihre Fetischisierung des Körpers zu entziehen…?)

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Und ich wiederhole meine keineswegs nur sarkastisch gemeinte Aussage, dass dies alles zwar auch sehr frauenfeindlich und patriarchal ist. Aber Frauen sind, siehe diese Bilder, auch sehr eifrig auf der Täterseite mit dabei. Sie haben einen besonderen Spass daran, anderen Frauen, die sie um Freiheiten und Privillegien beneiden, das Leben zu ruinieren. Oder sie sind einfach ehrlich überzeugte Fanatiker der guten Sache.

 

Italien: Werte für die Einwanderungsgesellschaft

Italien hat seit dieser Woche eine „Charta der Werte, der Bügerschaft und der Integration“. Der italienische Inneminister Giuliano Amato stellte das Dokument am Montag in Rom vor.

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Giuliano Amato

Die Charta soll gemeinsame Werte für eine Einwanderungsgesellschaft definieren. Migrantenorganisationen waren an der Formulierung beteiligt.

Sie versteht sich als Angebot an Neu-Italiener, denen sie einen Weg zur Erlangung der Staatsbürgerschaft in Aussicht stellt. Es werden aber auch Forderungen formuliert, wie etwa Grundkenntnisse der italienischen Sprache sowie der italienischen Geschichte, Politik und Kultur.

Die Charta betont die sozialen Rechte der Migranten und die Funktion der Bildung dabei, die Bürger einer Einwanderungsgesellschaft mit den nötigen Kenntnissen übereinander zu versorgen.

Alle religiösen Meinungen sollen im Bildungswesen unparteiisch mit Respekt behandelt werden, heißt es.

In Familiendingen wird betont, dass Gewalt und Zwang unvereinbar mit dem italienischen Werten sind, und die Charta spricht sich auch gegen jede Separation der Geschlechter aus, weil sie mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar sei.
Gesichtsverhüllung und Polygamie werden als unvereinbar mit den italienischen Werten definiert.

Es finden sich noch weitgehende Bekräftigungen der Religionsfreiheit und Bekenntnisse zur Gewaltlosigkeit in internationalen Konflikten.

Insgesamt erscheint mir das ein interessanter Ansatz, ganz ähnlich wie die deutschen Versuche, per Integrationsgipfel und Islam-Konferenz zu einer neuen gemeinsamen Verbindlichkeit zu kommen.

Interessanter Weise schnurrt die 7 Seiten lange Charta in der Berichterstattung von Islamonline auf zwei Punkte zusammen: die Ablehnung der Verhüllung und der Polygamie.

 

Ein freier Kopf

Neidvoll blicken wir heute auf die Kollegen der WELT, die einen sehr bewegenden und erhellenden Text von Emel Abidin-Algan, der Tochter des Gründers von Milli-Görüs Deutschland, dokumentieren. Frau Abidin Algan schildert ihre Erfahrungen mit dem Ablegen des Kopftuchs und mit der Entwicklung eines neuen, innerlich freien Gottesbezugs.

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Emel Abidin-Algan

Das Ablegen des zur Selbstverständlichkeit gewordenen Kopftuchs war nicht einfach, weil ich damit ein Selbstbild entwickelt hatte, das mit moralischen Werten verknüpft war. Es hat mich zwei Jahre des Forschens und Experimentierens gekostet, bevor ich mich davon trennen konnte, weil ich jemand bin, der keine halben Sachen macht. Mein Leben ohne das Kopftuch ist jetzt nicht etwa besser geworden, weil es schon immer gut war, es ist vielmehr ganz anders geworden, aufregender und vielseitiger. Die Freiheiten, die ich jetzt habe, denen bin ich auch jetzt erst gewachsen. Vor allem hat sich meine Wahrnehmung meinen Mitmenschen gegenüber verändert. Kein Kopftuch mehr zu tragen bedeutet in der Praxis für mich zunächst: nicht mehr aufzufallen und keinem Verhaltensdruck mehr ausgesetzt zu sein, mehr Bewegungsfreiheit im Kennenlernen der Welt von Männern zu haben und keinen möglichen Einschränkungen mehr auf dem Arbeitsmarkt ausgeliefert zu sein.

Sie beharrt aber darauf, dass dies ein freiwilliger Prozess ohne Druck sein muss. Ihre Tochter, sagt sie, fühle sich derzeit mit der Verhüllung wohl.

Zugleich bestreitet sie, dass die religiöse Begründung des Kopftuchs heute noch Bestand habe:

Eine wichtige Erfahrung war festzustellen, dass der Koran im historischen Kontext verstanden werden kann. Heute zum Beispiel, im Gegensatz zur damaligen Zeit des Propheten, braucht kein Mann mehr ein Unterscheidungsmerkmal wie eine Verhüllung, um Frauen nicht zu belästigen. Interessanterweise war gerade das einer der Gründe für die Bedeckungsverse im Koran. Das Problem mit der Verhüllung heute wäre auch einfach gelöst, wenn Männer über ihre Wahrnehmungen reden würden. Denn um die Männer geht es ja, wenn sich eine Frau verhüllt.

 

Ministerpräsident Erdogan: „In meinem Land leben nicht nur Muslime“

In einer „Malatya-Botschaft“, wie es die HÜRRIYET nennt, hat Ministerpräsident Erdogan die Morde in der südostanatolischen Stadt Malatya erneut scharf kritisiert und die Bürger dazu aufgerufen, Verantwortung für die Sicherheit der religiösen Minderheiten zu übernehmen:

„Wir dulden keinen radikalen Nationalismus. In unserem Land leben 36 verschiedene Ethnien. Als Regierung begegnen wir all diesen mit der gleichen Distanz und es ist unsere Pflicht, für die Sicherheit aller zu sorgen“, so Erdogan.

Wer seiner eigenen Religion vertraue, brauche keine Angst vor der Glaubensfreiheit zu haben. „In Europa haben wir an die 6000 Moscheen, die gleiche Sicherheit müssen wir in unserem Land allen Synagogen und Kirchen gewähren“, so Erdogan: „In meinem Land leben nicht nur Muslime“.

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Erdogan

Das ist ein bedeutender Schritt. Allerdings ist der „radikale Nationalismus“ nur die eine Seite des Grauens von Malatya. Die Täter beanspruchen, es für die Heimat und den Islam getan zu haben. Erdogan muss auch die Fusion aus Islamismus und Nationalismus angreifen, die sich in den Morden und in der ihnen zugrunde liegenden Missionars-Paranoia ausdrückt.

 

Die Mohammed-Kurve

Über das „Wort zum Freitag“ des ZDF wurde heftig debattiert, ohne dass bisher Ergebnisse bekannt geworden wären. Der Südwestrundfunk unter Leitung von Peter Voß aber geht einfach voran. Der SWR hat nun dem ZDF den Rang abgelaufen, was die Integration des Islams in das öffentlich-rechtliche Sendungsbewusstsein angeht. Der Intendant steht selbst hinter der längst fälligen Erweiterung des religiösen Angebots.
Ab heute steht das „Islamische Wort“ auf der Homepage zum Download bereit, eine etwa 4 Minuten lange Audio-Datei.
Monatlich wird ein neues verfügbar sein.
Das ist ein bisschen wenig, finde ich. Wöchentlich dürfte es schon sein, sonst wird die Sache zu erratisch und verliert den Bezug zum Alltagsleben.
Und es gibt ja doch weiß Gott einen grossen Informationsbedarf der Nichtmuslime und einen mindestens ebenso grossen Mitteilungsbedarf der Muslime.
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Aiman Mazyek

Die ersten beiden Autoren sind bekannte Namen aus dem interreligiösen Dialog: Aiman Mazyek (Zentralrat) und Bekir Alboga (Ditib).
Mazyek macht den Anfang mit einer Predigt zum Thema „Barmherzigkeit und Gnade – Gottes oberstes Prinzip“.
Der Text ist korrekt, vielleicht ein bisschen überkorrekt – man merkt die verständliche Nervösität des Autors, der mit einer positiven Note beginnen will. Er klingt schon ein bisschen zu sehr nach Wort zum Sonntag, wo ja meist allgemeine menschliche Dinge besprochen werden, bevor der Predigende ganz am Ende unverhofft in die Jesus-Kurve einbiegt und anmerkt, was der HErr wohl dazu (Gesundheitsreform, Tarifkonflikt, Neid, Mißgunst, Ungerechtigkeit, mangelndes Vertrauen in unserer Gesellschaft…) gesagt hätte.
Nun also gibt es auch die Mohammed-Kurve. Aiman Mazyek bezieht das Thema Barmherzigkeit durchaus intelligent auf die „Begnadigung ehemaliger RAF-Terroristen“.
Aber lassen wir das Genöle: Dennoch ist das ein guter Anfang, der hoffen lässt, dass sich hier ein interessantes Forum entwickeln könnte.
Die knifflige Frage, an der es hängt, ob dieses Format funktionieren kann, ist folgende: Wird es eine Form für das friedliche und aufrichtige Interesse an Differenzen sein? Oder wird man immer nur auf Konsens setzen und sich an das Trennende nicht herantrauen. Dann ist das Islamische Wort zur Langeweile verdammt, die so viele Bemühungen des Dialogbetriebs überschattet.

Auch in dem sanft daherkommenden Text von Aiman Mazyek stecken schon die kontroversen Themen, die Christen und Muslime trennen und doch untrennbar aufeinander bezogen sein lassen:
das Gottesbild,
die Stellung des Menschen zu Gott und seine Angewiesenheit auf Gnade und „Rechtleitung“,
die Natur Jesu (als Prophet unter anderen oder als Gottessohn)
und damit das Menschenbild.
Die Chance dieses Forums könnte darin bestehen, sich über diese Dinge auszutauschen ohne Angst, ohne falsche Harmoniesucht und ohne Polemik.