Die dümmste Debatte des letzten Jahres geht in die dritte Runde: Gehört der Islam zu Deutschland? Ja oder nein? „Historisch“?
Eine neue Lesart schält sich heraus: Muslime ja, Islam nein. Klasse. Das ist endlich die Lösung! Muslime ohne Islam? Das muss doch irgendwie gehen.
Never mind, dass viele „Muslime“ hierzulande ohnehin areligiös leben. Je mehr aber der neue Innenminister und andere obsessiv über „die Zugehörigkeit des Islams“ zu Deutschland reden, um so mehr wird die Identität auch nichtreligiöser Muslime „islamisiert“. Ja, so paradox ist das: Ich höre in letzter Zeit immer wieder: Ihr schafft das noch, dass ich mich als Muslim identifiziere. Oder: Erst hier bin ich zum Muslim geworden, durch das Dauerfeuer der Debatte. Wollen wir das?
Angesichts des Frankfurter Mordanschlags reden wir jetzt wieder über Radikalisierung: Dummerweise beruht das Hauptverkaufsargument der Salafisten für ihren Steinzeitislam auf der Unterstellung, im Westen würden nur „Muslime ohne Islam“ geduldet. Darum müssten „wahre Muslime“ zu den Wurzeln der „wahren Religion“ zurückkehren, um sich gegen diese tiefsitzende Islamfeindlichkeit zu wehren. Der neue Innenminister hat soeben Pierre Vogel, Deso Dogg/Abu Malik, Scheich Abdellatif et alii eine erstklassige Vorlage geliefert. Der Islam gehört hier nicht dazu – das übersetzt sich in der Propaganda der Salafisten in den Satz: Dass dein Islam der richtige und wahre ist, merkst du daran, dass die anderen ihn ablehnen. Einen Islam, den die akzeptieren könnten, musst Du, im Umkehrschluss, verwerfen. Der kann nicht richtig sein.
Vielleicht sollte sich der Neue im BMI mal mit den Verfassungsschützern treffen, die an vorderster Front gegen die Radikalisierung in Teilen der islamisch geprägten Jugend arbeiten. Er würde auf eine erstaunliche Sorge treffen, was das gesellschaftliche Klima in diesem Land post Sarrazin angeht. Der VS ist darauf angewiesen, dass Muslime mit den Behörden kooperieren. Dass der Islam nicht zu Deutschland gehört, ist nicht die Arbeitshypothese unserer Verfassungschützer.
Sie müssen glaubhaft widerlegen können, dass „der Islam“ per se hier ausgegrenzt wird aus irgendeinem Vorurteil oder christlich-abendländischen Dünkel heraus. Und das ist ja auch in Deutschland nicht der Fall. Warum also diese Wahrnehmung anheizen durch „historische“ Exkurse über Fragen, in denen nie ein ernsthafter Mensch das Gegenteil behauptet hat? Wie soll man so etwas anders wahrnehmen denn als leicht verklemmte Form der Schikane?
Die Sicherheitsdienste brauchen das Vertrauen, dass unterschieden wird zwischen denen, die die Religionsfreiheit missbrauchen und denen, die sie legitimer Weise in Anspruch nehmen. Eine Aussage wie die Friedrich’sche, der Islam gehöre („auch historisch“) nicht zu Deutschland, zersetzt dieses Vertrauen. Er unterminiert die Bemühungen der Sicherheitsorgane, die Propaganda der Radikalen zu widerlegen, die einen ewigen und unüberbrückbaren Gegensatz konstruiert zwischen Islam und Demokratie, Islam und Menschenrechten, Islam und westlichen Werten.
Es gibt sehr gute Broschüren, etwa neuerdings vom VS des Landes Berlin, in denen jene islamistische Ideologie auseinandergenommen wird, die den absoluten Gegensatz zwischen Islam und unserer Rechtsordnung betont. Die „Zerrbilder von Islam und Demokratie“ werden dort auf deutsch, türkisch und arabisch widerlegt. Niemand macht sich Illusionen darüber – vor allem nicht die Verfassungsschützer – dass es noch ein langer Weg ist, bis nicht nur eine stille Akzeptanz unserer Rechts- und Werteordnung durch „den Islam“ erreicht ist, sondern bis die islamische Theologie in ihren eigenen Lehren gute Gründe für die Säkularisierung (also Entmächtigung ihrer selbst) finden wird. Der katholischen Lehre ist das (vor wenigen Jahrzehnten erst) auch gelungen, und heute tut die Kirche gerne so, als wäre ihr die Idee geradezu selbst gekommen, dass man kirchliche und weltliche Macht zu trennen habe. Der Islam wird es noch viel schwerer damit haben, das ist absehbar trotz aller Reformansätze. Vielleicht wird es auch nie zu einer klaren Sphärentrennung kommen, sondern bloß – bloß! – zu einem modus vivendi. (Mir würd’s reichen, weiß Gott.)
Das sollte die Sorge eines Innen- und damit Verfassungsministers – sein. Unsere Sicherheit hängt daran. Ein Minister, der seinen Diensten die Arbeit schwerer macht, macht Deutschland weniger sicher.
p.s. Ich habe kürzlich einen Vortrag bei einer VS-Tagung gehalten, bei der es um Radikalisierung und Strategien dagegen ging. Meine sorgenvolle Analyse der Debatte in diesem Land hat dort erstaunlich viel Beifall bekommen. Man fürchtet dort, dass das aggressive Klima Bemühungen um Deradikalisierung konterkariert. Hier mein Text dessen Schlussfolgerungen ständigen Besuchern dieses Blogs nicht fremd sein werden:
„Können Medien der Radikalisierung junger Muslime entgegenwirken?“
Auf den ersten Blick ist das eine merkwürdige Frage: Wenn etwa in einem Leitartikel der ZEIT der militante Islamismus verdammt wird, so wird das wohl keinen gefährdeten jungen Mann davon abhalten, sich in ein Terrorcamp zu begeben. (Und das liegt nicht nur an der Schichtzugehörigkeit unserer Leser. Auch die BILD kann da nicht viel ausrichten.)
Wir erreichen solche Menschen doch gar nicht, könnte man meinen. Vielleicht wäre sogar das Gegenteil denkbar: Dass sich jemand für den bewaffneten Kampf gegen diese Gesellschaft im Namen des Islams entscheidet, gerade WEIL der Mainstream unserer Medien dies verdammt.
Islamismus ist auch, das haben wir anhand radikalisierter Konvertiten und junger Muslime der zweiten und dritten Generation gelernt, RADICAL CHIC. Es wird die totale Gegenposition zum Bestehenden gesucht, man schlägt sich gerade absichtsvoll auf die Seite der Bewegung, die am meisten gefürchtet und abgelehnt wird. In den 70ern war das im Westen der Kommunismus, heute ist es für manche der Islamismus. Dass man sich außerhalb des Mainstreams stellt, wenn man Islamist wird, ist oft Teil der Attraktion.
Menschen, für die es so weit gekommen ist, dass sie sich in absolute Ablehnung des Bestehenden begeben, erreichen wir aber weder mit einem wohl argumentierten Leitartikel wider den politischen Islam noch mit einem aufklärenden Stück über den „wahren Islam“, der Selbstmordattentate ablehnt.
Also: Wir werden zwar weiter solche Artikel publizieren, aber deren „antiradikalisierende Wirkung“ kann man sich wohl kaum so vorstellen, dass der nächste Mohammed Atta oder Fritz Gelowicz die FAZ, den Spiegel oder die ZEIT beiseite legt, nachdenklich wird und seine Reise nach Pakistan absagt.
Trotzdem halte ich es für richtig, dass Sie im Rahmen des Anti-Radikalisierungsprogramms über die Medien nachdenken. Um in den Blick zu bekommen, was die Medien in diesem Zusammenhang für eine Funktion haben, muss man freilich den Blick weiten.
Der Soziologe Niklas Luhmann hat in seinem Buch über die „Realität der Massenmedien“ gesagt:
„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“
Das ist ein radikaler Satz. Aber so weit muss man die Perspektive öffnen, um die möglichen Zusammenhänge von Medien, Islam, Islamismus, Salafismus und Dschihadismus zu erkennen. In dem Konzept, das Sie mir freundlicher Weise zugeschickt haben, werden fünf „Radikalisierung begünstigende Faktoren“ aufgezählt: Einfluss von Predigern und ehemaligen Kämpfern, Internet und Videopropaganda, unmittelbare Bezugsgruppe Gleichgesinnter, soziale Entfremdung, Gefühl des Nicht- Dazugehörens, Aufenthalt in Terrorcamps.
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