Nach dem Burka-Verbot in Belgien (das allerdings noch durch den Senat des zerstrittenen Landes muss) wird jetzt auch von deutschen Politikern gefordert, ein ähnliches Gesetz in Deutschland einzuführen. Es zeichnet sich der Wunsch nach einer europaweit einheitlichen Regelung ab.
Am Wochenende hat die FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin sich für ein deutsches Gesetz zum Verbot der Vollverschleierung stark gemacht. Und weil Frau Koch-Mehrin die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments ist, hat ihre Stellungnahme ein Gewicht über Parteipolitik hinaus:
„Ich begrüße diesen Beschluss ganz ausdrücklich. Ich wünsche mir, dass auch in Deutschland – und in ganz Europa – das Tragen aller Formen der Burka verboten wird.
Wer Frauen verhüllt, nimmt ihnen das Gesicht und damit ihre Persönlichkeit. Die Burka ist ein massiver Angriff auf die Rechte der Frau, sie ist ein mobiles Gefängnis.
Die vollständige Verhüllung von Frauen ist ein aufdringliches Bekenntnis zu Werten, die wir in Europa nicht teilen.
Und ich gebe offen zu: Wenn mir auf der Straße voll verschleierte Menschen begegnen, bin ich irritiert. Ich kann nicht einschätzen, wer da mit welcher Absicht auf mich zukommt. Ich habe keine Angst, aber ich bin verunsichert.
Niemand soll in seiner persönlichen Freiheit und in seiner Religionsausübung eingeschränkt werden. Die Freiheit darf aber nicht so weit gehen, dass man Menschen öffentlich das Gesicht nimmt. Jedenfalls nicht in Europa.“
Der migrationspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, der Abgeordnete Serkan Tören, schließt sich Koch-Mehrin an und ergänzt ihre Argumente noch um ein eigenwilliges sicherheitspolitisches:
„Auch in Deutschland sollten wir nun über ein konkretes Verbot der Burka auf allen öffentlichen Plätzen nachdenken, insbesondere in Schulen, Universitäten und Gerichten.
Als Gläubiger Muslim sage ich: Die Burka ist ein bewegliches Frauengefängnis und ein politisches Symbol der Unterdrückung der Frau.
Das Tragen der Burka kann auch nicht mit dem grundrechtlich garantierten Schutz der inneren und äußeren Glaubensfreiheit gerechtfertigt werden.
Wir schicken Soldaten nach Afghanistan, damit dort junge Mädchen zur Schule gehen können und ihnen eine Perspektive eröffnet wird, ihr Leben frei verantwortlich zu gestalten. Und in der Bundesrepublik Deutschland lassen wir unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit eine Abgrenzung zur Gesellschaft und zur Demokratie zu.“
Ich bin von beiden Stellungnahmen nicht überzeugt. Ein „aufdringliches Bekenntnis zu Werten, die wir in Europa nicht teilen“ mag einen verunsichern. Und es mag auch dazu führen, dass man diesen Werten politisch oder kulturell den Kampf ansagt. Aber es kann kein Grund für das Verbot einer bestimmten Kleidung sein.
Ich könnte ein allgemeines Vermummungsverbot in der Öffentlichkeit akzeptieren, obwohl ich Schwierigkeiten habe, mir seine Durchsetzung vorzustellen. Es dürfte aber nicht auf Kleidung ausgerichtet sein, die bestimmte missliebige religiöse „Werte“ zum Ausdruck bringt. Wo kommen wir denn da hin, wenn der Staat Listen mit Kleidungsstücken macht, die nicht genehm sind, weil sie die falschen Werte unterstützen? Unglaublich, dass ausgerechnet Liberale hier dem staatlichen Interventionismus das Wort reden! Wollen wir dann auch Lonsdale-Tshirts und Fred Perry-Polos verbieten, weil Nazis sich an denen erkennen? Oder Springerstiefel? Oder die schwarzen Kapuzenkappen der Autonomen?
Eine liberale Gesellschaft muss ihre Teilnehmer darin trainieren, Verunsicherung auszuhalten und ihre Konflikte auszutragen, statt dem Staat die Rolle der allmächtigen Gouvernante zuzuweisen. Dass eine führende Liberale dafür jedes Gespür verloren hat, sagt etwas über die inhaltliche Aushöhlung des deutschen Liberalismus, der dem Volk bloss noch nach dem (vermuteten) Maul redet, statt auch unpopuläre Dinge über die Grenzen des Staates zu sagen. (Das fällt denen nur noch ein, wenn es um Steuern geht.)
Die Nikab-Trägerin hat kein Recht darauf, nicht mit der möglichen Ablehnung dieser Art Kleidung konfrontiert zu werden. (Allerdings hat auch sie ein Recht auf den Schutz vor Belästigung und Beleidigung.) Ebenso hat auch der den Nikab ablehnende Bürger kein Recht darauf, dass der Staat ihn vor „Verunsicherung“ schützt. (Allerdings hat er ein Recht darauf, dass die Nikab-Trägerin genau wie alle anderen gescannt und abgetastet wird um auszuschließen, dass Terroristen sich diese Vermummung zunutze machen.)
Und nun zu den Frauenrechten: Frau Koch-Mehrin nennt die Burka ein „Gefängnis“. Das kann man so sehen. Was aber macht man mit den Frauen, die sich freiwillig in dieses Gefängnis begeben? Muss der deutsche Staat sie befreien? Auch hier sage ich: Nein. Das ist mit unserer Verfassung nicht vereinbar. Wo man aber nachweisen kann, dass eine Vollverschleierung gegen den Willen der Trägerin erzwungen wird, kann der Staat handeln. Ein generelles Verbot halte ich nicht für wünschenswert. (Und auch nicht für notwendig wegen der geringen Zahl der Fälle, aber das ist ein anderes Thema.)
Vollends haarsträubend wird es, wenn wir das Verbot des Vollschleiers hierzulande mit dem Einsatz in Afghanistan zu begründen versuchen. Damit rücken wir den dortigen Kampf gegen den Terrorismus ins Licht einer westlichen Kampagne gegen eine bestimmte Lebensform. Leichter können wir denjenigen, die uns dort als „Kreuzzügler“ darstellen wollen, die Arbeit nicht machen. Wir sind nicht in Afghanistan, um dort die Frauen zu befreien – so wünschenswert das sein möge. (Und wir können natürlich auf Kollateralerfolge hoffen.) Wenn man nun wie Serkan Toeren argumentiert, es gebe einen Widerspruch zwischen unserem militärischen Vorgehen gegen die Taliban und dem Dulden des Vollschleiers hier, geht man selbst einer Talibanlogik in die Falle.
In diese Falle hat sich auch der Kollege Haubrich in der WELT begeben, wenn er schreibt:
„Auch in Deutschland muss die Diskussion darüber geführt werden. Es mag nur um wenige Fälle gehen. Aber an dieser Frage entscheidet sich exemplarisch, ob liberale Demokratien bereit und fähig sind, ihre eigenen Werte durchzusetzen.“
Das ist geradezu bizarr: Von ein paar Burkaträgerinnen wollen wir uns vorgeben lassen, ob wir „fähig sind, unsere eigenen Werte durchzusetzen“? Die liberale Demokratie soll sich daran beweisen, ob sie diesen paar Frauen das Tuch wegnehmen kann? Das könnte gewissen Scheichs so passen.
Es muss immer wieder gesagt werden – und es war einmal Teil des liberalen Selbstverständnisses – dass eine offene Gesellschaft Gedanken, Worte und Symbole dulden muss, auch wenn sie den Werten der Mehrheit nicht entsprechen.
Die Grenzen dafür müssen möglichst weit gezogen werden – so weit es die öffentliche Sicherheit zulässt.