Lesezeichen
 

Innenminister will kein Burka-Verbot in Deutschland

Und Recht hat er: Bundesinnenminister Thomas de Maizière will auf der in zwei Wochen wieder stattfindenden Islam-Konferenz nicht über ein Burkaverbot in Deutschland reden. Er hält dies, wie er der Leipziger Volkszeitung sagte, schlicht für „nicht erforderlich“.

Womit sich für mich wieder einmal bestätigt, dass Deutschland der Hort der integrationspolitischen Vernunft in Europa bleibt, während unsere Nachbarn der Reihe nach durchdrehen.

Für die Koalition hat das eine bittere Pointe: Während  so genannte Liberale sich im Anti-Burka-Populismus ergehen, retten die Konservativen das liberale Staatsverständnis.

 

Warum ein Burkaverbot in Deutschland falsch wäre

Nach dem Burka-Verbot in Belgien (das allerdings noch durch den Senat des zerstrittenen Landes muss) wird jetzt auch von deutschen Politikern gefordert, ein ähnliches Gesetz in Deutschland einzuführen. Es zeichnet sich der Wunsch nach einer europaweit einheitlichen Regelung ab.

Am Wochenende hat die FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin sich für ein deutsches Gesetz zum Verbot der Vollverschleierung stark gemacht. Und weil Frau Koch-Mehrin die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments ist, hat ihre Stellungnahme ein Gewicht über Parteipolitik hinaus:

„Ich begrüße diesen Beschluss ganz ausdrücklich. Ich wünsche mir, dass auch in Deutschland – und in ganz Europa – das Tragen aller Formen der Burka verboten wird.

Wer Frauen verhüllt, nimmt ihnen das Gesicht und damit ihre Persönlichkeit. Die Burka ist ein massiver Angriff auf die Rechte der Frau, sie ist ein mobiles Gefängnis.

Die vollständige Verhüllung von Frauen ist ein aufdringliches Bekenntnis zu Werten, die wir in Europa nicht teilen.

Und ich gebe offen zu: Wenn mir auf der Straße voll verschleierte Menschen begegnen, bin ich irritiert. Ich kann nicht einschätzen, wer da mit welcher Absicht auf mich zukommt. Ich habe keine Angst, aber ich bin verunsichert.

Niemand soll in seiner persönlichen Freiheit und in seiner Religionsausübung eingeschränkt werden. Die Freiheit darf aber nicht so weit gehen, dass man Menschen öffentlich das Gesicht nimmt. Jedenfalls nicht in Europa.“

Der migrationspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, der Abgeordnete Serkan Tören, schließt sich Koch-Mehrin an und ergänzt ihre Argumente noch um ein eigenwilliges sicherheitspolitisches:

„Auch in Deutschland sollten wir nun über ein konkretes Verbot der Burka auf allen öffentlichen Plätzen nachdenken, insbesondere in Schulen, Universitäten und Gerichten.

Als Gläubiger Muslim sage ich: Die Burka ist ein bewegliches Frauengefängnis und ein politisches Symbol der Unterdrückung der Frau.

Das Tragen der Burka kann auch nicht mit dem grundrechtlich garantierten Schutz der inneren und äußeren Glaubensfreiheit gerechtfertigt werden.

Wir schicken Soldaten nach Afghanistan, damit dort junge Mädchen zur Schule gehen können und ihnen eine Perspektive eröffnet wird, ihr Leben frei verantwortlich zu gestalten. Und in der Bundesrepublik Deutschland lassen wir unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit eine Abgrenzung zur Gesellschaft und zur Demokratie zu.“

Ich bin von beiden Stellungnahmen nicht überzeugt. Ein „aufdringliches Bekenntnis zu Werten, die wir in Europa nicht teilen“ mag einen verunsichern. Und es mag auch dazu führen, dass man diesen Werten politisch oder kulturell den Kampf ansagt. Aber es kann kein Grund für das Verbot einer bestimmten Kleidung sein.

Ich könnte ein allgemeines Vermummungsverbot in der Öffentlichkeit akzeptieren, obwohl ich Schwierigkeiten habe, mir seine Durchsetzung vorzustellen. Es dürfte aber nicht auf Kleidung ausgerichtet sein, die bestimmte missliebige religiöse „Werte“ zum Ausdruck bringt. Wo kommen wir denn da hin, wenn der Staat Listen mit Kleidungsstücken macht, die nicht genehm sind, weil sie die falschen Werte unterstützen? Unglaublich, dass ausgerechnet Liberale hier dem staatlichen Interventionismus das Wort reden! Wollen wir dann auch Lonsdale-Tshirts und Fred Perry-Polos verbieten, weil Nazis sich an denen erkennen? Oder Springerstiefel? Oder die schwarzen Kapuzenkappen der Autonomen?

Eine liberale Gesellschaft muss ihre Teilnehmer darin trainieren, Verunsicherung auszuhalten und ihre Konflikte auszutragen, statt dem Staat die Rolle der allmächtigen Gouvernante zuzuweisen. Dass eine führende Liberale dafür jedes Gespür verloren hat, sagt etwas über die inhaltliche Aushöhlung des deutschen Liberalismus, der dem Volk bloss noch nach dem (vermuteten) Maul redet, statt auch unpopuläre Dinge über die Grenzen des Staates zu sagen. (Das fällt denen nur noch ein, wenn es um Steuern geht.)

Die Nikab-Trägerin hat kein Recht darauf, nicht mit der möglichen Ablehnung dieser Art Kleidung konfrontiert zu werden. (Allerdings hat auch sie ein Recht auf den Schutz vor Belästigung und Beleidigung.) Ebenso hat auch der den Nikab ablehnende Bürger kein Recht darauf, dass der Staat ihn vor „Verunsicherung“ schützt. (Allerdings hat er ein Recht darauf, dass die Nikab-Trägerin genau wie alle anderen gescannt und abgetastet wird um auszuschließen, dass Terroristen sich diese Vermummung zunutze machen.)

Und nun zu den  Frauenrechten: Frau Koch-Mehrin nennt die Burka ein „Gefängnis“. Das kann man so sehen. Was aber macht man mit den Frauen, die sich freiwillig in dieses Gefängnis begeben? Muss der deutsche Staat sie befreien? Auch hier sage ich: Nein. Das ist mit unserer Verfassung nicht vereinbar. Wo man aber nachweisen kann, dass eine Vollverschleierung gegen den Willen der Trägerin erzwungen wird, kann der Staat handeln. Ein generelles Verbot halte ich nicht für wünschenswert. (Und auch nicht für notwendig wegen der geringen Zahl der Fälle, aber das ist ein anderes Thema.)

Vollends haarsträubend wird es, wenn wir das Verbot des Vollschleiers hierzulande mit dem Einsatz in Afghanistan zu begründen versuchen. Damit rücken wir den dortigen Kampf gegen den Terrorismus ins Licht einer westlichen  Kampagne gegen eine bestimmte Lebensform. Leichter können wir denjenigen, die uns dort als „Kreuzzügler“ darstellen wollen, die Arbeit nicht machen. Wir sind nicht in Afghanistan, um dort die Frauen zu befreien – so wünschenswert das sein möge. (Und wir können natürlich auf Kollateralerfolge hoffen.) Wenn man nun wie Serkan Toeren argumentiert, es gebe einen Widerspruch zwischen unserem militärischen Vorgehen gegen die Taliban und dem Dulden des Vollschleiers hier, geht man selbst einer Talibanlogik in die Falle.

In diese Falle hat sich auch der Kollege Haubrich in der WELT begeben, wenn er schreibt:

„Auch in Deutschland muss die Diskussion darüber geführt werden. Es mag nur um wenige Fälle gehen. Aber an dieser Frage entscheidet sich exemplarisch, ob liberale Demokratien bereit und fähig sind, ihre eigenen Werte durchzusetzen.“

Das ist geradezu bizarr: Von ein paar Burkaträgerinnen wollen wir uns vorgeben lassen, ob wir „fähig sind, unsere eigenen Werte durchzusetzen“? Die liberale Demokratie soll sich daran beweisen, ob sie diesen paar Frauen das Tuch wegnehmen kann? Das könnte gewissen Scheichs so passen.

Es muss immer wieder gesagt werden – und es war einmal Teil des liberalen Selbstverständnisses – dass eine offene Gesellschaft Gedanken, Worte und Symbole dulden muss, auch wenn sie den Werten der Mehrheit nicht entsprechen.

Die Grenzen dafür müssen möglichst weit gezogen werden – so weit es die öffentliche Sicherheit zulässt.

 

Warum ein Burkaverbot richtig ist

Beantwortet furchtlos wie immer die großartige Mona Eltahawy, die auch sonst viel Erhellendes über die Schwierigkeit zu sagen weiß, wie man als Feministin und Muslima mit den Widersprüchen des eigenen Glaubens lebt. Eltahawy hat selbst 9 Jahre lang Kopftuch getragen, als sie in Saudi Arabien lebte. Heute sagt sie: „Lasst gefälligst mein Haar in Ruhe!“ Hier spricht sie mit Rachael Kohn von ABC Radio:

Rachael Kohn: Do you think that feminism has much of a chance in the Muslim world? I know you’ve written about women in Khartoum who have been arrested for wearing baggy pants or others who have been flogged for alleged indecencies. Do you think that in the Muslim world feminism will take hold, either secular or religiously-based feminism?

Mona Eltahawy:I became a feminist when I was 19 and living in Saudi Arabia, simply because I despaired of what I could see as men copyrighting religion because this is not the Islam that I was taught. So I became a feminist basically to keep my mind, keep my wits together, but also because I became familiar with many Muslim women who were writing about religion, and Muslim women scholars. So this was when I was19 back in the late ’80s.

Since then, I have come across many more Muslim women who are reinterpreting their religion, who are rolling up their sleeves and saying ‚This is our fight, and we’re no longer going to give in to the male interpretations of the religion.‘ And as a Muslim woman, I fully believe that all those awful violations that are committed against women, supposedly in the name of religion and in the name of Islam, are committed and justified because of the male domination in the fields of interpretation and religious scholarship generally.

The future I think for Islam, belongs to women because quite simply, we have nothing to lose. For too long men have controlled the interpretation of the religion and men have told us what God wants from us, and for me as a Muslim the whole point of Islam and what makes it special for me and why I remain a Muslim is that it’s my direct relationship with God. Nobody, especially a man, should be there between me and God.

So whether you’re talking about Sudan or whether you’re talking about here in the US where we as Muslims live as a minority, it’s women who are leading the way, and here in the US especially, I think of Amina Wadud who is a scholar of Islam with tremendous academic credentials and scholarship behind her, who led us in the first public Friday prayer led by a woman of a mixed-gender congregation. This was here in New York in 2005. There were 50 men and 50 women praying side by side, and to this day, everywhere I travel people either ask me about it or remember something I wrote about it, and are still stunned and for many, still inspired by this woman who basically said, ‚I am going to be an imam. I want to be an imam and I’m no longer going to wait for anyone’s permission.‘

It has since inspired so many other women to lead prayers, has inspired other congregations to ask women to lead prayers, and you know, if you look at my bookshelves here, I have books by women like Asma Balas, Leila Ahmed, Fatima Mernissi, you know, show me the others who are doing exactly the kind of work that secular feminists and Muslim feminists need so that we can argue back and say, ‚Islam does not belong to men. Islam belongs to human beings.‘

Rachael Kohn: And is that mixed congregation still going?

Mona Eltahawy:In many places it is. It depends. You know, after Amina led the prayer, it was co-sponsored by a movement I belonged to at the time which is no longer in place, but has inspired others. So there’s one group for example called Muslims for Progressive Values that was a spin-off of that, women in the movement still lead mixed-gender prayers. I know many congregations in Canada have asked women to lead their prayers. Amina herself has led mixed-gender prayers in the UK and at a feminist conference in Barcelona. I don’t know of other places where this has happened but I know that it has taken off since the 2005 prayer.

Rachael Kohn: Well that seems to be a very courageous step, and I wonder how risky it is. For example, when you wrote in one of your articles that you agreed with the French President, Nicolas Sarkozy when he says the burqa is not a religious sign but a sign of the subjugation of women. How risky is it for you to make those kind of statements, particularly when for many Muslims, Islam means submission and therefore women should submit?

Mona Eltahawy:I think for the majority of Muslims, Islam should be in submission to God, not submission to a man. And my argument on the burqa I recognise has been very controversial, but I think that it is one of these things that has fallen into many traps.

One is cultural relativism, another is political correctness, another is what has happened to Muslims who have emigrated to various parts of the West, and the discrimination and bigotry they face from the growing right-wing in those countries. As far as I’m concerned, the burqa and the niqab, face veils of any kind, do not belong to Islam, they’re much more a tribal expression that is very specific to the Arabian Peninsula, specifically Saudi Arabia and its very ultra Orthodox interpretation of Islam, commonly known as Wahabi or Salafi Islam. This is where the face veil comes from.

I want to ban the niqab and the burqa everywhere, including in Saudi Arabia. But when it comes to Europe especially and when it comes to Sarkozy’s comment, I think what happened there is that because Muslims in France, you know the largest Muslim community in Western Europe, have faced a lot of discrimination, and the right-wing in Europe have become very vocal, many people who are horrified by the burqa and the niqab refused to say anything because they worry they’re going to arm and fuel the political right-wing. But my point is that in order to defend women, I will not sacrifice women and women’s rights for political correctness, because my enemy is not just the political right-wing in Europe, but what I call the Muslim Right Wing, and that is Salafi-Wahabi Islam.

So I position myself very much in the middle between people like Le Pen in France, the British National Party in the UK, all the other right-wing expressions of politics in Europe, but also all those men who for me represent the Muslim right-wing, who are very happy to tell women how they should look and how they should dress, and are specially obsessed with women’s appearance. So I’m not going to defend Salafi-Wahabi Islam which you know in France anyway you know, a tiny minority of women cover their face, that I recognise, but it represents something, it represents the erasure of women and it represents a hateful ideology because when you unpack Salafi-Wahabi Islam it is hateful towards women, and there is no way I’m going to defend that just so that I can speak out against the right wing. We must speak out against both right-wings. Weiter„Warum ein Burkaverbot richtig ist“

 

Wie schafft man den Übergang in die Moderne?

Mitbloggerin Miriam antwortete gestern auf meine Frage in diesem Thread:

>>Wie schafft man es denn, dass sich möglichst viele an diese Ordnung gewöhnen?>>

Und ihre Antwort ist einen eigenen Post wert:

Im Moment beschäftigt mich eine andere Frage. In letzter Zeit habe ich eine Reihe junger Muslimas kennengelernt, die selbst keine Probleme mit dieser Ordnung haben, aber ihre Eltern; oder ein Elternteil; oder ihre Brüder. Diese jungen Frauen sind hungrig nach Bildung; sie möchten ein selbstbestimmtes Leben führen; sie möchten den Beruf ihrer Wahl erlernen; sie möchten gleich behandelt werden wie ihre Brüder; sie möchten mit ins Landschulheim fahren dürfen; sie möchten nicht ihren Cousin heiraten; die Kopftuchträgerinnen unter ihnen hätten kein Problem damit, ihr Kopftuch abzulegen, z.B. um Polizistin zu werden. Denn sie tragen das Tuch zwar freiwillig, aber den Eltern bzw. der Mutter zuliebe.

Daher lautet die eigentliche Frage: Wie bringen wir die Eltern dieser jungen Frauen dazu, ihre Töchter (und Söhne) freizusetzen; zu respektieren, dass sie nicht das Recht haben ihren Kindern die traditionelle Ordnung aufzuzwingen? Einzusehen, dass ihre Kinder ihnen nicht in dem Sinne gehören, dass sie bestimmen dürfen, wie sie als Erwachsene zu leben haben?

Wahrscheinlich wird man mir vorwerfen, pathetisch zu sein, aber ich denke an “das Mädchen mit den Tränen in den Augen”, über das ich letzte Woche in einem anderen Thread berichtet habe. Für sie ist Schule ein Ort, wo sie frei sein kann, wo sie ihr Kopftuch ablegen kann und wenigstens so tun kann, als ob sie wirklich frei ist. Ein Ort, wo sie Jungs widersprechen darf; wo sie ein Recht auf eine eigene Meinung hat. Weiter„Wie schafft man den Übergang in die Moderne?“

 

Französische Autorin knapp islamistischem Attentat entgangen

Ich kann wegen meiner Abwesenheit erst jetzt vermelden, dass eine französische Schauspielerin algerischer Herkunft letzte Woche in Paris offenbar knapp einem Brandattentat entgangen ist.

Rayhana (so ihr sinnfälliger, provokanter Künstlername) wurde am Abend des letzten Dienstag in Paris von zwei Männern bedrängt, die sie mit Benzin übergossen. Sie ergriff die Flucht, als einer der beiden mit einer brennenden Zigarettenkippe versuchten, sie in Brand zu stecken. rayhana

Rayhana Foto: Gala.fr

Die Autorin und Schauspielerin tritt derzeit in ihrem eigenen Stück auf, das im „Maison des Metallos“ aufgeführt wird. Es heißt ironischer Weise „In meinem Alter verstecke ich mich noch, wenn ich rauche“ und handelt von der Unterdrückung der Frau in der algerisch-muslimischen Gesellschaft.

Schon früher war Rayhana von arabischsprachigen Männern bedroht worden.

Unterdessen haben sich prominente Politiker vor die Autorin gestellt: der Bürgermeister von Paris, Bernard Delanoe, die Feministin Fadela Amara.

Ob die französischen Muslimverbände (CFCM, UOIF) sich auch noch aufraffen werden, etwas zu dem barbarischen Attentat zu sagen?

 

Warum das Kopftuch eben doch ein Problem ist

Erklärt meine Ex-Kollegin Nicola Liebert heute in der taz aus der Perspektive einer Kreuzbergerin, die es langsam satt hat, dass die Kleidung der Frau (immer nur der Frau!) fremdbestimmt wird:

Wie sich Frauen kleiden, ist im Deutschland des 21. Jahrhunderts lediglich eine Frage des guten oder schlechten Geschmacks – und nicht der Moral oder Immoralität. Dachte ich jedenfalls bis vor kurzem.

Unlängst musste ich mich eines Besseren belehren lassen. Unversehens sprach mich in Berlin-Kreuzberg ein Mann von hinten an: „Zieh dir einen BH an, es stört mich, wie du rumläufst.“ Der Mann war um die 30 Jahre alt und nach Aussehen und Aussprache zu urteilen mit türkischen Migrationshintergrund ausgestattet. Ich wiederum, anderthalb Jahrzehnte älter als er und in einem Alter, in dem man auch im alternativen Kreuzberg gesiezt wird, fühlte mich mit langer Hose und kurzärmeligem T-Shirt – mehr konnte er von hinten ohnehin nicht sehen – mitnichten wie eine wandelnde Erregung öffentlichen Ärgernisses.

Leider fallen einem in solchen Situationen die schlagfertigen Antworten immer erst hinterher ein. In dem Moment war ich nur wortlos, geplättet und fühlte mich erniedrigt. Welches Recht nehmen sich solche Typen eigentlich heraus, nicht nur über die Kleidung fremder Frauen zu urteilen, sondern ihnen dieses Urteil auch noch in einem Befehlston mitzuteilen? Und damit komme ich wieder auf das Problem, dass ich mit dem Tragen von Kopftüchern habe, von den in Berlin glücklicherweise relativ seltenen Ganzkörperschleiern ganz zu schweigen. Es ist nicht das oft unterstellte paternalistische Mitleid, das ich verspüre – schließlich erklärt man mir, dass viele, gerade auch junge Frauen das Kopftuch nicht aus familiärem oder religiösem Zwang, sondern als stolzen Ausdruck ihrer Identität tragen. Es ist Zorn. Warum? Es hat eine Weile und die eben beschriebene Begegnung gebraucht, bis ich meinen eigenen so gar nicht politically correcten Emotionen auf die Spur kam.

Ich bin zornig, weil das Verhüllen von Körper und Kopf eine Aussage darstellt, die ich persönlich nehme. Die Aussage lautet nicht nur: „Seht her, das ist meine Religion, und darauf bin ich stolz!“ Sie lautet auch: „Seht her, ich bin züchtig und keusch, ich bin keine Schlampe, keine Nutte!“ Und solch eine Aussage beinhaltet stets auch ihr Gegenteil: Wer sich nicht so kleidet, ist im Umkehrschluss wohl nicht züchtig und nicht keusch. Also alles voller Schlampen und Nutten in diesem Sündenbabel Berlin, mich eingeschlossen. Dadurch fühlte sich der Mann in Kreuzberg so gestört.

Es ist ein gesellschaftliches Klima, das mich so wütend macht, in dem Leute wie er es zu ihrer Angelegenheit machen, ob Frauen züchtig genug sind.

Mehr lesen.

 

Atatürk über den Schleier

 

Ich habe die letzten Tage ein schönes Buch von Dietrich Gronau über Atatürk gelesen („Wir werden eine Republik“). Darin fiel mir unter anderem dieses Zitat aus einer Rede Mustafa Kemals von 1925 auf, das ich hiermit zu Protokoll gebe. Man beachte das weise, männlich-selbstkritische Wort „selbstsüchtige Aufsicht“! Für einen großen Mann wie diesen muss man die Türkei schon lieben:

„Während meiner Reise habe ich die Frauen, unsere Kameraden, nicht nur in den Dörfern, sondern auch in kleineren und größeren Städten mit sorgfältig verhüllten Augen und Gesichtern gesehen. Ich denke, daß diese Schleier und Tücher, besonders während dieser heißen Jahreszeit, zweifellos eine Quelle des Unbehagens und des Unwohlseins für sie sind. Meine männlichen Kameraden! Handelt es sich dabei nicht ein wenig um das Ergebnis unserer Selbstsucht?

Meine lieben Freunde! Unsere Frauen sind empfindsam und von Geist beseelt wie wir auch. Nachdem wir ihnen eine geheiligte Moral eingegeben, ihnen unsere nationale Ethik erklärt und ihren Verstand mit Erkenntnissen und Klarheit ausgestattet haben, benötigen sie dann noch unsere selbstsüchtige Aufsicht? Lassen wir sie ihre Gesichter der Welt zeigen, und lassen wir sie die Welt sorgfältig betrachten. Es gibt nichts, was wir dabei zu fürchten hätten.“ 

Auszug aus einer Rede zu den Einwohnern in Kastamonu von 1925

 

Sertaps Kopftuch

Mitblogger „Peer“ schreibt mir:

Stellen Sie sich doch mal, jeder für sich, die Frage:
Wo wollen wir hin?
Wie soll unsere deutsche Gesellschaft aussehen, von welchen Vorstellungen soll sie geprägt sein?

Meine ganz konkrete Antwort lautet:
Ich möchte, dass in meinem Heimatland _kein_ junges Mädchen, egal welcher Nationalität, vor mir steht und mir sagt:
“Ich glaube zwar immer schon an Allah und bete und faste wie vorgeschrieben – aber ich trage mein Kopftuch ja erst seitdem ich 15 bin, weil ich es vorher so häßlich fand. Und jetzt habe ich Angst, dass Allah mir nicht vergeben wird und ich deswegen in die Hölle komme.”

Wo ich diesen Satz her habe?

Das sagte mir Sertap, unsere 16jährige Babysitterin, vor ein paar Monaten während einer Unterhaltung.
Sie kommt aus einer arbeitsamen türkischen Mittelstandsfamilie, geht aufs Gymnasium und nimmt nun seit einem Jahr an einem privaten Islamunterricht teil. Inzwischen hat sich auch ihr Berufswunsch von “Studium und Rechtsanwältin” auf “Ehefrau und Mutter, weil das gottgefällig ist” geändert.
Und vor kurzem informierte sie uns, wir müssten uns eine neue Babysitterin suchen, da es unsittlich für sie als Muslima ist, allein in einer fremden Wohnung zu sein, wo vielleicht auch ein Mann (mein Partner) anwesend sein könnte.
Unsere Kinder lieben Sertap, sie passt inzwischen seit 3 Jahren immer wieder auf die Kleinen auf und nun sowas.

Ich muss mitansehen, wie ein fröhliches, leistungsstarkes, liebenswertes Mädchen zu einer ängstlichen, zurückgezogenen, traurigen jungen Frau wird.
Übrigens ist sie nicht die einzige, die diese schreckliche Verwandlung durchgemacht hat – alle ihre Freundinnen, die mit ihr den privaten Islamunterricht besuchen, tragen inzwischen Kopftuch und lange Kleidung. Keine von ihnen ist mehr wie früher im Sportverein, beim Ballett oder beim Reiten zu finden.
Alles im Namen von Religion, Sitte und Anstand? Alles “nicht so schlimm”? Alles Ausdruck von guten Traditionen?
Ich bin fassungslos

 

Berlin erprobt den Burkini

Ich wollte schon seit Tagen darüber schreiben. Doch zunehmend spüre ich Unlust, den neuesten Irrsinn von der (Des-)Integrationsfront zu kommentieren.
Nun gut, tun wir unsere Pflicht: Berlin erlaubt probeweise das Tragen der vermeintlich islamisch korrekten Bademode in Schwimmbädern. Der Burkini wird erlaubt. Wenn der bis zum Sommer terminierte Probelauf sich als erfolgreich erweisen sollte (aber was heißt hier „Erfolg“), dann wird man die Ganzkörperverhüllung im Wasser auch in den Freibädern erlauben.
Ich neige bekanntlich in Fragen des Dresscodes zu radikal liberalen Positionen (->Kopftuch).

Und so sehe ich es auch hier: Der Staat hat sich aus der Reglementierung von Bademoden herauszuhalten. Eine Gesellschaft, in der das Tragen von Thongs und Arschgeweihen erlaubt ist, wird auch damit leben können, dass es vollverhüllte Irre gibt, die im Freibad jeden Zentimeter Haut bedeckt halten wollen. (Warum man dann überhaupt ins Freibad will? I don’t get it!)
Aber bitte sehr, soll doch jeder nach seiner Fasson unglücklich werden.

Allerdings geht es hier ja nicht nur um die persönlichen Schamgrenzen Einzelner. Es geht ja vielmehr um die politisch-religiöse Durchsetzung eines Begriffs von „islamischer Korrektheit“. Und darin sehe ich das Problem: Indem der Staat nun nicht einfach jedes Outfit freigibt, sondern einen Großversuch anordnet, indem man es zum Ziel erklärt „Toleranz gegenüber Andersgläubigen“ (so der Bäderbetriebschef Lipinsky) auszudrücken, macht man eine Aussage über das, was dieser andere Glaube angeblich vorschreibt. Und da hat der Staat neutral zu sein. 

Denn was dieser Glaube angeblich vorschreibt, ist keineswegs unumstritten. Die Fundis und Ultras wollen bestimmte Begriffe des Erlaubten und Verbotenen durchsetzen und legitimieren dies mit Rückgriff auf ihre Auslegung der Scharia und mit bestimmten Koranstellen. Andere halten dagegen, zunehmend in der Defensive. Der Berliner Senat akzeptiert die Fundi-Deutung, indem er eine Toleranz gegenüber dem Schwimmen im Jogginganzug als „Toleranz gegenüber dem Islam“ versteht. 

Was ist mit der Mehrzahl der Muslime, die diesen Zusammenhang (noch) nicht so akzeptieren? Sie werden, wenn das Experiment „erfolgreich“ verläuft, noch mehr in die Defensive gedrängt. Es gibt dann ja eine vom Senat sanktionierte halal-Bademode. Absurd!

Also: Der Staat soll meinetwegen den Burkini akzeptieren, dann aber dazu das Maul halten und diesen prüden Irrsinn nicht auch noch adeln, indem man ihn für schariakonform erklärt. 

Oder er soll an der bisherigen Regelung festhalten und segregierte Bäder für Neomuslime in Kauf nehmen. Sollen sie doch ihre eigenen Bäder aufmachen.

Was nicht geht, ist das jetzige Vorgehen, mit dem der Senat die Islamisierung des Alltags klammheimlich – und bizarrer Weise unter der Flagge „Toleranz“ – mit betreibt.

Liberale Muslime, Kulturmuslime, Ex-Muslime kämpfen für die Entpolitisierung der Religion und die Enttheologisierung des Alltags. Und der deutsche Staat geht den anderen Weg, indem er die Islamisierung mit einem staatlichen Unbedenklichkeitssiegel versieht? Verkehrte Welt.

p.s. Und noch eine schöne Ironie dieses genialen Modellversuchs: Es muss nun aus hygienischen Gründen gecheckt werden, ob die Muslima Unterwäsche unter dem Burkini trägt. In anderen Worten: Die vermeintlich schariakonforme Kleidung führt zu hoch peinlichen Inspektionen.

Deutscher Bürokratenirrsinn in Perfektion.

 

Gewalt gegen türkische Frauen nimmt zu

Via Europress:
In den letzten Wochen wird in den türkischen Medien verstärkt über zunehmende Fälle von Körperverletzung innerhalb türkischstämmiger Familien berichtet, wie die türkische Tageszeitung SABAH berichtet. Der renommierte Psychologe Erdinc Üstündag habe sich dazu folgendermaßen geäußert: „Die Probleme unter den türkischstämmigen Familien in Deutschland nehmen eine unglaublich große Dimension an, die Frauenhäuser sind voll mit türkischen Frauen, die ihre Männer verlassen haben. Die Terminhefte der Psychologen sind ausgebucht. Die türkischen Männer schätzen ihre Frauen nicht genug„, so Üstündag. Auch der Druck der Bekannten und Verwandten sei mit für die schrecklichen Taten verantwortlich.
 

Ist das Ende der Verleugnung nahe? Vor Jahr und Tag wurden diese Dinge noch als künstlich aufgebauschte Anti-Türken-Propaganda abgetan. Immerhin…