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Der andere Iran

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Studenten der Teheraner Universität protestieren gegen einen klerikalen Rektor, November 2005

Wenn die neue westliche Strategie im Nahen Osten nun immer weiter auf die Dämonisierung und Isolierung des Iran einschwenkt, und uns zugleich (wieder!) eingeredet wird, dass die „moderaten“ arabischen Regime (i.e. Saudi-Arabien!) unsere strategischen Partner in der Region seien – dann sollte irgendjemand vielleicht daran erinnern, welch eine quirlige, diversifizierte, moderne Gesellschaft der Iran aufzuweisen hat.
Nirgendwo in der Region – von Libanon und Israel abgesehen – gibt es trotz aller Repression so viel (teuer erkämpfte) Gedankenfreiheit und Kreativität wie im Iran.
Nirgendwo haben wir so viele (potentielle) Freunde wie dort. Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn der Westen den Mullahs helfen würde, diese Zivilgesellschaft zu erwürgen.
Man lese diese Schilderung des TIMES-Korrespondenten Rageh Omar, der junge Leute im Iran über einen langen Zeitraum begleitet hat. Sein Fazit:

The way censorship works in Iran is that the rules are deliberately kept vague. Something that sneaks through one week is then used later as a catalyst for a crack-down. What is acceptable and what not changes constantly: the blurry red lines foster a climate of self-censorship more powerful than any rules.

And yet it is the millions of largely young Iranians who are forcing through a slow but surely unstoppable transformation in the country. Sometimes at a terrible cost to imprisoned journalists and human rights activists, the restrictions are being rolled back. But the quickest way to reverse this progress is for the West to attack.

 

Wer blinzelt zuerst – Amerika oder Iran?

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Michael Young vom Beiruter Daily Star kritisiert Joschka Fischer, der kürzlich die US-Regierung für ihre Drohungen gegen Iran scharf angegangen hatte.
Young meint zwar auch, dass ein Krieg gegen Iran eine schlechte Idee sei, glaubt aber zugleich auch, dass die Wahrung einer glaubwürdigen Drohkulisse gegen Iran der Schlüssel zum Erfolg – und damit letztlich zur Vermeidung eines Krieges sei.

But there are two problems in Fischer’s analysis and that of other administration critics. First, Iran is plainly intending to build a nuclear device, and in the face of this the international community has repeatedly vacillated. Fischer’s anxieties, which he wears on his sleeve, create a sense that he would prefer to let Iran have an atomic weapon than allow the US to prevent this from happening. That’s because his case is all carrots and no sticks. Fischer accepts that brinkmanship can produce good results, by paving the way toward serious negotiations; but he so undermines the argument in favor of using force, that that psychological merits of employing brinkmanship come to nothing.

Das Problem ist aber folgendes: Gegenüber Bush sind wir in dem Paradox gefangen, dass wir ein politisches Interesse an der Glaubwürdigkeit seiner Drohungen gegen Iran haben – weil sie sonst nicht wirken. Zugleich müssen wir seit dem Irakkrieg fürchten, dass er sie wahr macht, und damit den Nahen Osten tatsächlich in den „Abgrund“ stösst, vor dem Joschka Fischer warnt.

 

Iranischer Klerus wendet sich von Achmadinedschad ab

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Hashemi Rafsandschani, wichtigster Strippenzieher des Iran (Mitte)

Nach einem Bericht von Roozonline wendet sich das kleirikale Establishment des Iran immer mehr vom Präsidenten ab – und seinem Konkurrenten Hashemi Rafsandschani zu.
Die Konfrontation dieser beiden Männer, meint Sina Hosseini, stehe für den inneren Konflikt des Systems zwischen der etablierten klerikalen Hierarchie und den iranischen „Neokonservativen“, für die Achmdinedschad stehe.
Radsandschani ist offenbar in der heimlichen Hauptstadt Ghom bei den einflussreichen Kleriker unterwegs, um sie gegen den Präsidenten zu sammeln. Sein Sieg bei der Wahl des Expertenrates vor einigen Wochen – über Achmadinedschads Mentor Ajatollah Mesbah Yazdi – hatte als erstes Anzeichen eines Comebacks des Ex-Präsidenten (1989-1997) gegolten.

 

Ahmadinedschad wird von Studenten gemobbt

In diesem Video kann man sehen, was im Dezember an der Teheraner Amir Kabir Universität geschah, als Ahmadinedschad von Studenten ausgebuht wurde. Einmaliger Einblick in die aufgepeitschte Stimmung im Lande. Dies ist der erste Teil von 8. Alle anderen auf Youtube.com:

 

Valentinstag in Teheran

Kleiner Beitrag zur Debatte über die Tiefe und Reinheit des iranischen Volksglaubens: Die iranische Hauptstadt bereitet sich in diesen Tagen auf die Feier des Märtyriums des hl. Valentin vor, eines Heiligen, der heute im Lande weithin verehrt wird – zum wachsenden Ärger der Orthodoxie.

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Wer gegen Krieg ist, muss für Demokratie und Menschenrechte im Iran eintreten

Es gibt noch Linke in der iranischen Opposition, deren Reflexe stimmen und die darum ein Engagement gegen Kriegsdrohung der Bush-Regierung mit einem Engagement gegen das Mullah-Regime verbinden. Hossein Bager Zadeh schreibt:

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The tragedy of the Iranian people is not only that they have become the next target of the American neocon policies, but also that they are being ruled by the most brutal and ideologically backward-looking and fatalist government in their recent history. The Iranian government has managed to concentrate the world opinion on its nuclear policies and as a result to push aside its horrible human rights record off the agenda.

And the Left in the west has been playing into its hands by ignoring the plight of the Iranian people and concentrating solely on the American designs. This is not the way to effectively fight the impending war. An anti-war stand should be combined with a worldwide campaign for democracy and human rights in Iran — not only to help relieve Iranians of their sufferings, but also as the best means to diminish the tension in the area and remove any excuse for an American/Israeli attack on Iran.

Ahmadinejad should be condemned for the statements he has made about Israel and Holocaust. Calls should be made for free and fair elections in Iran. Iran’s horrible human rights records should be condemned and those implicated of human rights crimes (many of them in the government) should be brought to justice. And of course, war should be opposed in any circumstances. The Left should be in the vanguard of these campaigns — if it wants to have any credibility in its campaign against the war…

 

Zwei Mal aus Teheran ins Exil

Bewegende Erinnerungen eines Mannes, der zwei Mal aus dem Iran ins Exil gehen musste – einmal des Schahs und einmal der Mullahs wegen:

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«Der Schah ist weg, der Schah ist weg!» rief einer, der ein Transistorradio in der Hand hatte. Wie ein Blitz schlug die Nachricht ein. Jubel brach aus, die Autos auf den Strassen begannen im Takt zu hupen, manche Fahrer hielten an, stiegen auf das Dach ihres Wagens und begannen zu tanzen. Blumenhändler schenkten den Passanten Blumen, vor den Häusern wurden Süssigkeiten verteilt, es wurde laut Musik gemacht, innerhalb kurzer Zeit entstand das grösste Fest, das Teheran je erlebt hatte.

Es war kurios, wie eine derart gefürchtete Macht einstürzte wie ein Kartenhaus. Rundfunk und Fernsehen wurden von den Aufständischen besetzt, Waffendepots geplündert, Gefängnisse gestürmt. Ich begab mich zum berüchtigten Evin-Gefängnis, dem Sinnbild des Grauens. Früher war ich gelegentlich daran vorbeigekommen. Wenn Schüsse fielen, stieg eine Schar von Raben krächzend auf, als wollten die Vögel der Stadt mitteilen, was hinter den Mauern geschah. Und nun hatte ich das grosse Glück, die Befreiung der Gefangenen mitzuerleben. Es war ein einmaliges Ereignis.

Plötzlich hatte die Freiheit das unüberwindbar scheinende Tor durchbrochen und die schlimmsten und brutalsten Züge der Diktatur enthüllt. Wir gingen durch die dunklen Gänge, betrachteten die Zellen. Welch unsagbare Verbrechen, welche Qualen hatten diese Räume miterlebt! In den Kammern lagen still und kalt die Folterinstrumente, die man vom Hörensagen kannte. Wer hätte sich in diesen Tagen vorstellen können, dass das Gefängnistor sich bald wieder schliessen würde und Zehntausende – auch Gefangene, die an diesem Tag befreit wurden – abermals hinter diesen Mauern gefoltert und hingerichtet würden?


Weiter hier in NZZ Folio.

 

Sanktionen gegen Iran schüren Antiamerikanismus

Ein iranischer Geschäftsmann beschreibt eindrucksvoll auf Iranian.com seine bitteren Erfahrungen mit den Sanktionen gegen den Iran. Er fürchtet, dass sie die Amerikafreundlichkeit der iranischen Bevölkerung bald unterminieren könnten – und die Gesellschaft an die verhassten Mullahs ketten.
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1979: Botschaftsbesetzer in Teheran verbrennen die US-Flagge. Heute ist die Mehrheit im Iran pro-amerikanisch, nicht zuletzt, weil die Mullahs gegen Amerika hetzen

Schlüsselzitat aus dem Kommentar:

I am an Iranian businessman who started from scratch and worked hard for the past four decades. I have the responsibility of taking care of more than 500 families who work in my manufacturing plants. In the past few months after the U.S. involvement in putting pressure against Iran, my business went down like many many others.

Two months ago after the U.S. treasury department implemented sanctions against Sepah Bank, many of my transactions with the west came to a halt. We badly needed materials and some spare parts but somehow had great difficulty importing them from our various sources in Europe. Now we hear the news of even more possible financial sanctions in the near future. In that case I have to close down most of my businesses and wait for the dark future that the blue-eyed Americans have in store for us.

More than 500 of my employees will soon be out of jobs and their families who greatly depend on their incomes will be hungry. I am not the only one who has to do this and I personally know scores of small and big businesses which cannot survive without continuous transactions with the outside world. Soon after blocking the transaction of Iranian banks with the outside world, hundreds of thousands of people will be out of jobs and millions will be affected.

Do you think the jobless people will take to the street and topple the regime? If so, you do not have an inkling about this country and nation. I have saved enough money to help my family survive and have a comfortable life in case of any possible happening, so I am not worried about myself. The thing is I could not look into the eyes of my employees when I have to tell them they have to stop coming to work because a number of stupid, illogical and virtually illiterate people in the U.S. Treasury Department have decided to implement more sanctions on Iranian banks.

Any American who has ever traveled to this country would testify a total lack of hostility toward his compatriots in Iran. Iranians are the one and only friends left for the USA in the region and maybe in the world. I have not seen very many pro Amercians among my European friends either. I have lived among Arabs for such a long time and I know the degree of their hatred and resentment toward Americans. But this will not be forever.

American sanctions will eventually show their true nature to the Iranian youths who would love to watch American films and visit the USA just for the heck of it.