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Säkularismus macht reich

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Eine graphische Darstellung des Verhältnisses von Religösität und Wohlstand. West- und Nordeuropa findet sich in der unteren rechten Ecke – viel Wohlstand, wenig religiöser Eifer. Amerika führtt beim Wohlstand noch weiter – und liegt bei der Religiösität im höheren Bereich – irgendwo zwischen dem atheistischen Westeuropa und der glaubensmässig hoch entflammbaren Dritten Welt. Senegal, Nigeria, Äthiopien und Pakistan haben eine Kombination von hoher Religiösität und Armut.

Ein Essay zum Thema findet sich hier – mit weiteren Daten. Klick aufs Bild, und es wird größer.

 

Gericht: Berliner Schulen müssen Gebetsräume für Muslime einrichten

Ein Schüler des Diesterweg-Gymnasiums in Berlin-Wedding hat vor dem Verwaltungsgericht Berlin erwirkt, daß ihm ein Gebetsraum bereitsgestellt werden muss, weil er seiner Pflicht zum fünfmaligen Gebet nachkommen müsse.
Das Verwaltungsgericht entschied gestern zugunsten des Schülers. Die Begründung findet sich hier. Ich finde das stark, besonders angesichts der Politik des Berliner Senates, den Religionsunterricht aus den Berliner Schulen zu verdrängen und durch „Ethik“ zu ersetzen. Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Einführung von Ethikunterricht an Stelle des Religionsunterricht wurde abgewiesen. Während es also von höchsten Gerichten unterstützt wird, den christlichen Religionsunterricht aus den Berliner Schulen zu verdrängen, wird eine Schule im Wedding gegen den erklärten Willen der Leitung verpflichtet, einen islamischen Betraum einzurichten.
Spinne ich, oder gibt es da eine gewisse Asymmetrie?
Besonders (irr)witzig finde ich, daß das Berliner Gericht in seiner Begründung (S.3), warum das 5malige tägliche Beten für den jungen Mann unabdingbar sei, sich auf die Schrift von Christine Schirrmacher beruft – einer Islamexppertin, die dem evangelikalen Spektrum zugerechnet wird. (Schirrmacher ist etwa Mitautorin der letzten EKD-Schrift zum Dialog mit dem Islam, die von den islamischen Verbänden als Ausdruck einer islamkritischen Wendung der EKD gewertet wurde und fast zum Abbruch der Dialogbemühungen führte.) Nun also ist ausgerechnet Frau Schirrmacher zur Wegbereiterin der Islamisierung des Berliner Schulsystems geworden!
Der Irrsinn ist perfekt!

Das Verwaltungsgericht folgt der strengen Auslegung der „fünf Säulen“ und sagt, die Schule müsse sich darauf einstellen, daß die Schüler danach leben können. Im übrigen gebe dies den anderen Schülern ja eine wunderbare Gelegenheit, sich in interkultureller Kompetenz und Toleranz zu üben.
Der Gedanke, daß es hier vielleicht auch darum geht, in den weltanschaulich neutralen Raum einer öffentlichen Schule eine kleine Bastion mit Sonderrechten einzubauen, ist den Richtern offenbar nicht gekommen. Sie sollten Ed Husains „The Islamist“ lesen. Da wird genau beschrieben, daß dies die Strategie der Islamisten in England war, den säkulären, neutralen öffentlichen Raum zu durchwirken und zu besetzen.

Hier die kurze Begründung in der Pressemitteilung:

„Der Antragsteller hatte geltend gemacht, sich nach seinem Glaubensbekenntnis verpflichtet zu sehen, fünfmal täglich zu festgelegten Zeiten das islamische Gebet zu verrichten; er praktiziert dies nach seinem Vortrag auch so. Die Schulleitung hatte ihm das Beten in der Schule untersagt und sich hierfür auf das Neutralitätsgebot des Staates in dessen Einrichtungen berufen.

Die 3. Kammer des Gerichts folgte dieser Argumentation nicht. Der Antragsteller könne sich auf seine Religionsfreiheit nach Art. 4 des Grundgesetzes berufen. Dieses Grundrecht erstrecke sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden. Hierzu gehöre – zumal die Gebetspflicht zu den fünf Säulen des Islam zähle – insbesondere auch das Beten. Demgegenüber habe die Schule konkrete und nicht hinnehmbare Beeinträchtigungen des Bildungs- und Erziehungsauftrags und des Schulbetriebes nicht dargelegt. Insbesondere würden Mitschüler oder Angehörige des Lehrpersonals der Verrichtung des Gebets durch den Antragsteller nicht unentziehbar ausgesetzt. Schließlich könne die Schule dem Schüler durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen ein ungestörtes Beten in einem für andere nicht ohne weiteres zugänglichen Bereich des Schulgeländes ermöglichen und so der von ihr gesehenen Gefahr einer demonstrativen bzw. werbenden Präsentation des Gebets begegnen. Im Übrigen erfordere das friedliche Zusammenleben in einer bekenntnisfreien Schule, dass die Schüler lernten, die religiöse Überzeugung anderer zu tolerieren und zu respektieren.“

Diese Berliner Strategie ist meiner Meinung nach der sichere Weg in die Selbstaufgabe: Keinen ordentlichen (christlichen und islamischen) Religionsunterricht unter Aufsicht der Schulbehörde, dafür aber Preisgabe des öffentlichen Raums an die reaktionärsten Kräfte des Islams.
Umgekehrt wäre es richtig: Religionsunterricht nach Curriculum für alle Interessierten, bei entschiedener Verteidigung des neutralen öffentlichen Raumes der Schulen!

p.s. Die klügste Reaktion zu diesem skandalösen Urteil kommt von dem Grünen Özcan Mutlu:
„Es muss darum gehen, die Prinzipien des Grundgesetzes wie Gleichberechtigung der Geschlechter, Religionsfreiheit und weltanschauliche Neutralität des Staates mit der interkulturellen Realität in Übereinstimmung zu bringen. Daher war z.B. die
gesetzliche Reglementierung religiös-weltanschaulicher Symbole in Bildungseinrichtungen richtig und wichtig. Hier überwiegt eben die negative Religionsfreiheit aller am Schulleben Beteiligten, wie LehrerInnen, SchülerInnen etc. und diese ist uneingeschränkt einzuhalten.
Deshalb haben Kreuze, Kopftücher, Kutten und andere sichtbaren religiös-weltanschaulichen Symbole in den Schulen nichts zu suchen. Aus diesem Grund haben auch Beträume, Beichtstühle, Kruzifixe und ähnliche religiöse Anordnungen in der Schule nichts verloren.
Das Urteil des Verwaltungsgericht, dass Schulen muslimischen Kindern und Jugendlichen Gebetsräume zur Verfügung stellen sollen, ist Gift für die Integration und wird die Kluft zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen in dieser Stadt vertiefen, statt Gräben zuzuschütten! Der weltfremde Ratschlag der Richter im Urteilsspruch, die Schule könne dem Schüler durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen ein ungestörtes Beten in einem für andere nicht ohne weiteres zugänglichen Bereich des Schulgeländes ermöglichen, zeugt von gravierenden Fehlinformationen bezüglich der räumlichen Situation vieler Berliner Schulen. Hinzu kommt, dass Gebetzeiten im islamischen Glauben stets variieren und es den Schulen unmöglich sein dürfte, auf derart
religiös-weltanschaulicher Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen, falls die Schule ihren Bildungsauftrag erfüllen und eine Stundenplan aufstellen will.

Die Schulverwaltung muss im Interesse der negativen Religionsfreiheit aller im Schulleben Beteiligten sowie im Interesse des Schulfriedens das Urteil anfechten.“

 

Gegen das Kopftuchverbot – und gegen die Kopftuchpolitiker

In einem klugen Essay für das Time-Magazine artikuliert Pelin Turgut den Zwiespalt vieler Türken angesichts von Erdogans Politik: Man lehnt das Kopftuchverbot ab, weil es nicht eine freiheitliche Staatsauffassung passt. Man macht sich aber auch keine Illusionen über die Agenda Erdogans, der weder ein Freiheitsheld noch ein Feminist ist:

„To most Americans and Europeans, the head-scarf issue is a no-brainer. In a functioning democracy, an 18-year-old has the right to attend university dressed however she chooses. That much is indisputable. By lifting the ban, Turkey will have righted a wrong that has been a thorn in its side for far too long.

But the current clash over the ban isn’t just about democracy. It is also a reflection of class struggle between the old élite (the „White Turks“) and a new ruling class. At an upscale shopping mall in Istanbul last week, I overheard a group of teenage girls with big hair and designer jeans proclaim loudly as two head-scarved young women approached: „Why do they have to come here? Can’t they go somewhere else?“ That’s the ugly face of secularist snobbery. Some university professors have even declared they won’t teach head-scarved students, while Deniz Baykal, leader of the opposition Republican People’s Party, speaks of the head scarf in militaristic terms as a „uniform imposed by outside forces.“

But in rejecting that intolerance, let’s not kid ourselves that Prime Minister Recep Tayyip Erdogan is a champion of women’s rights. I have attended meetings where his Justice and Development Party (AKP) deputies chose not to shake my hand simply because I’m a woman. I know that hardly any of the AKP deputies have wives who work; when one of them sought to file charges against her husband for allegedly beating her, she was quickly dissuaded. I have watched Erdogan’s daughter (who studied in the U.S. because of the ban) come home, get married and disappear. There was not a single female MP on the commission that drafted the current constitutional amendment … about women!

Erdogan seized on the chance to lift this ban with an enthusiasm that he hasn’t shown for any of the many other democratic reforms Turkey needs. The government has shelved plans to lift Article 301, which makes it a crime to denigrate „Turkishness,“ under which writers and intellectuals like Nobel prizewinner Orhan Pamuk have been tried. Erdogan has made little progress in addressing the grievances of Turkey’s Kurdish minority. If he is really out to prove his democratic mettle, these are the kinds of issues he needs to address.“

Alles lesen.

 

Muslime gegen Genitalverstümmelung

Der deutsche Abenteurer und Menschenrechtsaktivist Rüdiger Nehberg hat mit seiner Organisation „Target“ einen bedeutenden Schritt zur Ächtung der Genitalverstümmelung getan.
Alle maßgeblichen ägyptischen islamischen Autoritäten unterstützen die Ächtung der FGM (female genital mutilation). Durch Nehbergs Initiative wurde jetzt ein Buch gegen FGM produziert, das in 90.000 Moscheen Ägyptens verteilt wird.
Siehe da: Der Islam trennt sich von einem Brauch, der vielerorts und lange Zeit als islamisch geboten dargestellt wurde. Die Kriterien der Menschlichkeit haben sich verändert – letztlich geht es hier um das Recht der Frau auf körperliche Unversehrtheit und eine eigene Sexualität – , und so verändert sich auch die Herleitung scheinbar unverrückbarer Sitten.
Ich sehe darin einen möglichen Anfang für ein anderes Frauenbild.
Der gesamte Text ist hier auf Deutsch zu lesen.

 

Der iranische Jesus kommt

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Ahmad Soleimani, ein iranischer Schauspieler, stellt Jesus in einem Film des iranischen Regisseurs Nader Talebzadeh dar.
AFP berichtet:
„The bulk of „Jesus, the Spirit of God“, which won an award at the 2007 Religion Today Film Festival in Italy, faithfully follows the traditional tale of Jesus as recounted in the New Testament Gospels, a narrative reproduced in the Koran and accepted by Muslims.

But in Talebzadeh’s movie, God saves Jesus, depicted as a fair-complexioned man with long hair and a beard, from crucifixion and takes him straight to heaven.

„It is frankly said in the Koran that the person who was crucified was not Jesus“ but Judas, one of the 12 Apostles and the one the Bible holds betrayed Jesus to the Romans, he said. In his film, it is Judas who is crucified.“

p.s.: So sieht die populäre iranische Vorstellung den verehrten Imam Ali. Wem die Ikongrafie irgendwie bekannt vorkommt, der ist sicher Orientalist.

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Die 20 schlimmsten Gotteslästerungen

Die Londoner Times hat eine sehr hilfreiche Liste erstellt: Die 20 wichtigsten Blasphemie-Skandale der jüngsten Zeit. Bewertet wurden die Ereignisse nach Vulgarität, kriminellem Charakter (entsprechend der jeweils geltenden Gesetze), nach politischer und religiöser Wirkung und nach der Zahl der Toten im Gefolge der Blasphemie.

20. Jesus Christ Superstar
19. Popetown (TV-Serie)
18. Chocolate Christ
17. Ecce Homo (Jesus auf Fotos mit Transsexuellen)
16. Hl. Maria mit Ratte (Cover der slowenischen Band Strelnikoff)strelnikoff_display.jpg
15. Jerry-Springer-Oper (in London, mit einem inkontinenten Jesus)
14. Das Leben des Brian
13. Rude Buddha
12. Gilbert & George – Ausstellung „Sonofagod“ („God loves fxxxing“)
11. Der Jack Hobbs-Fall (Muslime in Indien waren empört über Cartoons – im Jahr 1925)
10. „The Profit“ (Film über Scientology, verboten in USA)
9. Bezhti (ein Stück über Sikhs und Gewalt)
8. Der Koran auf Klopapier
7. Die Jungfrau Maria von Chris Ofili (mit pornographischen Bildern von Vaginen)
6. Penis am Kreuz von Danuta Nieznalska
5. Videospiel The Fall of Man (Ballern in der Manchester-Kathedrale)
4. Submission von Theo van Gogh
3. Piss Christ
2. Die satanischen Verse
1. Mohammed-Cartoons in Jyllands-Posten

Diese Liste ist natürlich nur eine Möglichkeit. Aus deutscher Perspektive würde natürlich Achternbuschs „Gespenst“ unbedingt hineingehören. Und noch viel dringender natürlich George Grosz mit seiner Zeichnung von 1928.
Deutlich ist jedoch, dass es sehr viel leichter ist, grob beleidigende, extrem vulgäre und pornographische Akte gegen das Christentum und seine Symbole zu finden, als im Fall aller anderen Weltreligionen.
Und übrigens: Was die Todesopfer durch die Beleidigten betrifft, führt der Islam mit 140:0, wenn man die obige Liste zugrunde legt.

 

Die jüdische Burka kommt

Dank an Chajm:
Die ersten jüdischen Burkas sind in Israel gesichtet worden.
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Chajm schreibt darüber auf seinem Blog:
„Das ist nicht Kabul – das ist Bejt Schemesch!” steht über einem Artikel von Ha’aretz. Das Bild in dem Artikel zeigt eine Frau (vermutlich) unter einer Burka – oder sagen wir besser – eine Burka unter der jemand steckt. Ha’aretz berichtet von einer neuen Auffassung von Tzinut, nämlich vollständig bedeckt. Besser sollte man wohl sagen, vollständig versteckt. Aber so wie es ausschaut, hat sich das nicht ein Mann ausgedacht. Es scheint eine Initiative der Frauen zu sein.

Mehr hier.

 

Der Papst über die Vernunft der Religion

Die italienischen Studenten haben den Papst nicht an der Universität La Sapienza sprechen lassen. Das war dumm. Was sie verpaßt haben, stand heute im Wortlaut in der WELT. Der Papst wollte eine Rede über Theologie und Philosophie halten, über den Wahrheitsanspruch der Religion und den der Wissenschaft, die „unvermischt und ungetrennt“ miteinander leben müssen.
Eine tolle Sache, so einen Papst zu haben, sage ich neidlos aus der Warte einer Kirche, die er nicht einmal als solche anerkennen mag (Evangelische sind nur „Religionsgemeinschaft“ für ihn).
Ein Ausschnitt:

„Thomas wirkte in einem privilegierten Zeitpunkt: Die philosophischen Schriften des Aristoteles waren erstmals in ihrer Ganzheit zugänglich geworden; die jüdischen und arabischen Philosophien als je eigene Anverwandlungen und Weiterführungen der griechischen Philosophie standen im Raum.
Das Christentum musste so in einem neuen Dialog mit der ihm begegnenden Vernunft der anderen um seine eigene Vernünftigkeit ringen. Die philosophische Fakultät, die als sogenannte Artisten-Fakultät bisher nur eine Vorschule für die Theologie gewesen war, wurde zur eigentlichen Fakultät, zum eigenständigen Partner der Theologie und des von ihr reflektierten Glaubens. Über das spannende Ringen, das sich dabei ergab, kann hier nicht gehandelt werden.
Ich würde sagen, dass die Vorstellung des heiligen Thomas über das Verhältnis von Philosophie und Theologie sich in der Formel ausdrücken lasse, die das Konzil von Chalzedon für die Christologie gefunden hatte: Philosophie und Theologie müssen zueinander im Verhältnis des „Unvermischt und Ungetrennt“ stehen. Unvermischt, das will sagen, dass jede der beiden ihre eigene Identität bewahren muss.
Die Philosophie muss wirklich Suche der Vernunft in ihrer Freiheit und ihrer eigenen Verantwortung bleiben; sie muss ihre Grenze und gerade so auch ihre eigene Größe und Weite sehen. Die Theologie muss dabei bleiben, dass sie aus einem Schatz von Erkenntnis schöpft, den sie nicht selbst erfunden hat und der ihr vorausbleibt, nie ganz von ihrem Bedenken eingeholt wird und gerade so das Denken immer neu auf den Weg bringt.
Mit diesem „Unvermischt“ gilt auch zugleich das „Ungetrennt“: Die Philosophie beginnt nicht immer neu vom Nullpunkt des einsam denkenden Subjekts her, sondern sie steht im großen Dialog der geschichtlichen Weisheit, die sie kritisch und zugleich hörbereit immer neu aufnimmt und weiterführt; sie darf sich aber auch nicht demgegenüber verschließen, was die Religionen und was besonders der christliche Glaube empfangen und der Menschheit als Wegweisung geschenkt haben.
Manches, was von Theologen im Laufe der Geschichte gesagt oder auch von kirchlicher Autorität praktiziert wurde, ist von der Geschichte falsifiziert worden und beschämt uns heute. Aber zugleich gilt, dass die Geschichte der Heiligen, die Geschichte der vom christlichen Glauben her gewachsenen Menschlichkeit diesen Glauben in seinem wesentlichen Kern verifiziert und damit auch zu einer Instanz für die öffentliche Vernunft macht.
Gewiss, vieles von dem, was Theologie und Glaube sagen, kann nur im Inneren des Glaubens angeeignet werden und darf daher nicht als Anspruch an diejenigen auftreten, denen dieser Glaube unzugänglich bleibt. Aber zugleich gilt, dass die Botschaft des christlichen Glaubens nie nur eine „compre- hensive religious doctrine“ im Sinn von Rawls ist, sondern eine reinigende Kraft für die Vernunft selbst, die ihr hilft, mehr sie selbst zu sein. Die christliche Botschaft sollte von ihrem Ursprung her immer Ermutigung zur Wahrheit und so eine Kraft gegen den Druck von Macht und Interessen sein.
Nun, ich habe bisher nur von der mittelalterlichen Universität gesprochen, dabei freilich versucht, das bleibende Wesen der Universität und ihres Auftrags durchscheinen zu lassen. In der Neuzeit haben sich neue Dimensionen des Wissens eröffnet, die in der Universität vor allem in zwei großen Bereichen zur Geltung kommen: in der Naturwissenschaft, die aus der Verbindung von Experiment und vorausgesetzter Rationalität der Materie sich gebildet hat; in den Geschichts- und Humanwissenschaften, in denen der Mensch sich im Spiegel seiner Geschichte und im Ausleuchten der Dimensionen seines Wesens besser zu verstehen sucht.
Bei dieser Entwicklung hat sich der Menschheit nicht nur ein ungeheures Maß von Wissen und Können erschlossen; auch Erkenntnis und Anerkenntnis von Menschenrechten und Menschenwürde sind gewachsen, und dafür können wir nur dankbar sein. Aber der Weg des Menschen ist nie einfach zu Ende, und die Gefahr des Absturzes in die Unmenschlichkeit nie einfach gebannt: Wie sehr erleben wir das im Panorama der gegenwärtigen Geschichte: Die Gefahr der westlichen Welt – um nur davon zu sprechen – ist es heute, dass der Mensch gerade angesichts der Größe seines Wissens und Könnens vor der Wahrheitsfrage kapituliert. Und das bedeutet zugleich, dass die Vernunft sich dann letztlich dem Druck der Interessen und der Frage der Nützlichkeit beugt, sie als letztes Kriterium anerkennen muss.“