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Amerikanisches Krisentagebuch VI

Plötzlich und unerwartet ist der SUV verschieden, das Sports Utility Vehicle. Nach kurzer, heftiger Krankheit (Stoffwechselprobleme, sagt man) wurden im letzten Sommer die lebenserhaltenden Massnahmen ausgesetzt. Das Management von General Motors hat sich im letzten Mai still und leise entschieden, die rollenden Monster namens Tahoe, Yukon, Escalade, Explorer, Blazer und Suburban nicht mehr zu bauen. Die New York Times berichtete kürzlich in einer spannenden Wirtschaftsreportage über diesen einmaligen Vorgang in der Firmengeschichte. Die SUV’s waren die Haupteinnahmequelle von GM, und so hat der größte Autohersteller der Welt dummerweise ganz auf diese Produktlinie gesetzt – selbst als schon die Hybridfahrzeuge von Toyota eine neue Ära ankündigten. Jetzt steht GM vor dem Ende und muss beim Staat um Hilfe anklingeln. In anderen Worten: Die Steuerzahler müssen das umweltvernichtende Missmanagement bezahlen. Aber der Abschied vom SUV ist nicht nur ein wirtschaftliches Faktum: Ein Bruch im amerikanischen Lebensstil zeigt sich an.

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New Yorks Bürgermeister Bloomberg will eine Gebühr von 6 Cent auf jede verkaufte Plastiktüte einführen. So will er erreichen, dass die Zahl der Hunderte von Millionen Tüten reduziert wird, die in New York jährlich kostenlos über die Theke gehen und meist nach einem Gebrauch auf den Deponien landen. Plastiktüten, so wird das Publikum jetzt belehrt, brauchen über 1000 Jahre zum Verrotten und können Ökosysteme gravierend belasten. In meinem Supermarkt bekommt man, wenn man nicht dagegen einschreitet, einen kleinen Einkauf für eine Person in acht Tüten verpackt. Schwere Güter wie eine Gallone Milch werden vorsichtshalber in doppelte Tüten gegeben (obwohl auch eine einfache halten würde). Dieser Irrsinn gilt als Service, und es ist schwer dagegen anzukommen. Bürgermeister Bloombergs Massnahme wird von vielen Seiten bekämpft, vor allem von der Geschäftswelt. Aber vielleicht kommt er gerade durch die Krise durch.

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Die Werbung für ein Fitnesstudio in Cambridge setzt schon auf den neuen Zeitgeist: „Join up now. Stay fit in hard times.“ In Schnellrestaurants werden herzhafte und billige Mahlzeiten für wenig Geld angeboten: Recession Special. Das ist alles noch spielerisch und ironisch gemeint, aber viele finden die lage längst nicht mehr sehr lustig. Vorgestern sagte eine Kollegin: Habe gerade meine betriebliche Altersversorgung gecheckt. Wieder 20.000 Dollar futsch, und das in nur zwei Wochen.

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Der baldige Präsident hat ein sehr intimes Buch geschrieben (Dreams from my Father), das er so offen wohl heute auch nicht mehr veröffentlichen würde. Darin gibt es eine Stelle aus seiner ersten Zeit in Chicago, wo damals der schon zu Lebzeiten legendäre erste schwarze Bürgermeister der Stadt, Harold Washington, amtierte. Wie Barack Obama beschreibt (S.148f.), was die Schwarzen angesichts von dessen Wahlerfolg empfunden haben, ist im Lichte dieser letzten Woche fast prophetisch zu nennen: „They had turned out in record numbers on election night, ministers and gang-bangers, young and old. And their faith had been rewarded. Smitty said, „The night Harold won, let me tell you, people just ran the streets. It was like the day Joe Louis knocked out Schmeling. Same feeling. People weren’t just proud of Harold. They were proud of themselves. I stayed inside, but my wife and I, we couldn’t get to bed until three, we were so excited. When I woke up the next morning, it seemed like the most beautiful day of my life…“ Barack Obama hört den alten Männern in einem Friseursalon zu, die von der Wahl des ersten Schwarzen zum Bürgermeister wie erlöst wurden. Und dann beschreibt er seine Zweifel, ob er wirklich verstehen könne, was jene fühlen. Ob sie überhaupt so vertauensvoll mit ihm reden würden, wenn gleich sein weisser Großvater zur Tür hereinkäme? (Er ist ja gar nicht „richtig“ schwarz, das ist der Leitfaden seiner Bildungsromans.) Und nun ist dieser junge Mann, der in einem Chicagoer Friseursalon vielleicht zum ersten Mal begriffen hat, was ein Schwarzer an der Spitze für dieses Land bedeuten kann, zu einem viel größeren Symbol geworden als Bürgermeister Harold. Ein irre Geschichte.

 

Amerikanisches Krisentagebuch V

Krise? Welche Krise? Die Euphorie hält an. „Ich freue mich schon auf meinen nächsten Besuch in Europa“, sagt Paul, ein Kollege am Center for European Studies, der oft in Frankreich zu tun hat. „Endlich kann man wieder stolz sein, Amerikaner zu sein. Und man braucht sich nicht dauernd für seine Regierung zu entschuldigen.“ Mir geht es genauso: Endlich kann man wieder zu Amerika stehen, ohne sich erst langwierig für den Irrsinn der Bushies entschuldigen zu müssen. (So jedenfalls die Hoffnung.) Merkwürdig, sagt Paul: Zuvor sei es unmöglich gewesen, über Rassismus in Amerika zu reden. Und auf einmal reden alle darüber, als wäre es die einfachste Sache der Welt.

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Jon Stewart berichtet in seiner Daily Show, dass in New York die Menschen einander zuzwinkern und sich bestätigend zunicken. Er findet das offenbar sehr irritierend: „Demnächst wird man noch von wildfremden Leuten zum Pie-Essen eingeladen!“ In Boston war es gestern genauso. Autos halten neben einem an, und die Leute lächeln einen einfach nur irgendwie erlöst an. Oder irgendjemand ruft: „Obama! We did it!“

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Auf Fox News beginnen die Zersetzungserscheinungen in der besiegten Partei. Jemand aus der McCain-Kampagne hat einem Fox-Reporter erzählt, Sarah Palin sei noch viel ahnungsloser, als man gedacht habe. Sie habe immer von Afrika als einem Land gesprochen, und es sei ihr offenbar nicht klar gewesen, dass es sich um einen Kontinent mit vielen Nationalstaaten handele. Ausserdem sei sie unberatbar gewesen und hätte sich trotz dringender Bitten nicht auf das Interview mit CBS-Reporterin Katie Couric vorbereitet, das dann ja auch zum Desaster wurde.

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Es war heute nicht möglich, eine Tageszeitung zu bekommen. Um 10 Uhr waren alle Ausgaben ausverkauft. Die Menschen bunkern diese Ausgaben als historische Dokumente.

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Auf allen Fernsehkanälen gibt es plötzlich schwarze Gesichter in großen Mengen zu sehen: schwarze Politiker, Künstler, Bürgerrechtler werden rauf und runter interviewt und sollen ihre Rührung in Worte fassen. Und irgendwoher hat man auch still und leise eine ganze Armee schwarzer Reporter und Experten rekrutiert. Eine eigene schwarze Comedy-Show gibt es auch schon, die den ganzen Wirbel auf die Schippe nimmt: Chocolate News bei Comedy Central. Der sehr witzige David Alan Grier endete heute auf dem schönen Reim: from cotton picking in the sun to flying on Airforce One.

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Tom Friedman in der New York Times hat den Buffett-Effekt entdeckt, der den befürchteten „Bradley-Effekt“ konterkariert hat: Weisse Wähler im Süden, die den Kollegen beim Country-Club-Grill erzählen, sie würden McCain wählen, und dann aber doch für Obama stimmten, obwohl sie wussten, dass das höhere Steuern bedeuten würde. „Why? Some did it because they sensed how inspired and hopeful their kids were about an Obama presidency, and they not only didn’t want to dash those hopes, they secretly wanted to share them. Others intuitively embraced Warren Buffett’s view that if you are rich and successful today, it is first and foremost because you were lucky enough to be born in America at this time — and never forget that. So, we need to get back to fixing our country — we need a president who can unify us for nation-building at home.“

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George Bush wirkte bei seinen Gratulationsworten mekwürdig eingefallen und dehydriert. Kein Wunder nach den schrecklichen letzten Wochen, die den Rest seines Ansehens zerstört haben. Aber auch in seinen wenigen Worten war dann wieder etwas von der Großzügigkeit und einnehmenden Art Amerikas zu spüren, als er sinngemäß sagte, Obamas Sieg sei ein eindrücklicher Beweis für die Vitalittät der amerikanischen Demokratie. Der Abgewählte grüßt den Sieger, den ersten schwarzen Präsidenten, als Beweis dafür, dass Amerika auf dem Weg zu einer „more perfect union“ sei. Was für ein Land!

 

Obamas Sieg – Beweis für Rassendiskriminierung

Noch mal „The Onion„:

Black Man given Nation’s worst Job

WASHINGTON—African-American man Barack Obama, 47, was given the least-desirable job in the entire country Tuesday when he was elected president of the United States of America. In his new high-stress, low-reward position, Obama will be charged with such tasks as completely overhauling the nation’s broken-down economy, repairing the crumbling infrastructure, and generally having to please more than 300 million Americans and cater to their every whim on a daily basis. As part of his duties, the black man will have to spend four to eight years cleaning up the messes other people left behind. The job comes with such intense scrutiny and so certain a guarantee of failure that only one other person even bothered applying for it. Said scholar and activist Mark L. Denton, „It just goes to show you that, in this country, a black man still can’t catch a break.“

 

Sechs Dinge, die Obama jetzt tun muss

Fred Kaplan hat in Slate aufgeschrieben, was Obama in der Aussenpolitik tun soll, und ich stimme zu:

1 Ankündigen, dass Amerika in der Weltgemeinschaft zurück ist und offen für Diplomatie

Auch mit Syrien und Iran, beginnend auf niedriger Ebene. Ein Nahostbeauftragter (von Bush abgeschafft) muss benannte werden. Eine Rede vor den UN wäre ein guter Einstieg.

2 Den Abzug aus Irak einleiten

Irak hat selbst gefordert, neu über den Status der Koalitionstruppen zu verhandeln. Der graduelle Abzug der amerikanischen Truppen soll an die Fortschritte der Iraker gekoppelt werden, politische Einheit zu erzielen, die Ölgewinnen gerecht zu verteilen und Sicherheit zu gewährleisten.

Fred Kaplan

3 Afghanistan neu denken

Die Truppen verstärken, aber nicht alles auf die militärische Karte setzen. Mehr zivile Hilfe. Weniger Luftangriffe durch größere Bodenpräsenz. Gespräche mit den Taliban. Zusammenarbeit mit Pakistan bei der Pazifizierung der Stammesgebiete, keine unilateralen Militärschläge.

4 Die Beziehungen mit Rußland normalisieren

Den Moment der Schwäche Rußlands nutzen (Ölpreis!), um wieder über Abrüstung bei strategischen Waffen ins Gespräch zu kommen. Keine Nato-Erweiterung. Stillschweigender Stopp der Raketenschirm-Pläne. Zugleich diplomatischer und gegebenfalls ökonomischer Druck, um Rußland in Georgien und Ukraine zum Respekt der Souveränität zu nötigen.

5 Das Militärbudget durchforsten und zurückfahren

6 Die Geheimdienste entbürokratisieren und verbessern

(7 Ich würde ergänzen, dass der Präsident auch eine neue China-Politik braucht, nachdem die Abhängigkeit der USA von chinesischem Geld offenbar geworden ist.)

Mehr hier.

 

Ohne Krise wäre das nicht passiert

Die beste Analyse zur Wahl bei der Satirezeitschrift Onion:

Nation finally shitty enough to make progress

Although polls going into the final weeks of October showed Sen. Obama in the lead, it remained unclear whether the failing economy, dilapidated housing market, crumbling national infrastructure, health care crisis, energy crisis, and five-year-long disastrous war in Iraq had made the nation crappy enough to rise above 300 years of racial prejudice and make lasting change.

„Today the American people have made their voices heard, and they have said, ‚Things are finally as terrible as we’re willing to tolerate,“ said Obama, addressing a crowd of unemployed, uninsured, and debt-ridden supporters. „To elect a black man, in this country, and at this time—these last eight years must have really broken you.“

Carrying a majority of the popular vote, Obama did especially well among women and young voters, who polls showed were particularly sensitive to the current climate of everything being fucked. Another contributing factor to Obama’s victory, political experts said, may have been the growing number of Americans who, faced with the complete collapse of their country, were at last able to abandon their preconceptions and cast their vote for a progressive African-American.

„If Obama learned one thing from his predecessors, it’s that timing means everything,“ said Dr. James Pung, a professor of political science at Princeton University. „Less than a decade ago, Al Gore made the crucial mistake of suggesting we should care about preserving the environment before it became unavoidably clear that global warming would kill us all, and in 2004, John Kerry cost himself the presidency by criticizing Bush’s disastrous Iraq policy before everyone realized our invasion had become a complete and total quagmire.“

„Obama had the foresight to run for president at a time when being an African-American was not as important to Americans as, say, the ability to clothe and feed their children,“ Pung continued. „An election like this only comes once, maybe twice, in a lifetime.“

As we enter a new era of equality for all people, the election of Barack Obama will decidedly be a milestone in U.S. history, undeniable proof that Americans, when pushed to the very brink, are willing to look past outward appearances and judge a person by the quality of his character and strength of his record. So as long as that person is not a woman.

 

Liveblog: Wahl in den USA

01:00h Ach ja: Und Amerika ist doch ein großartiges Land.

00:55h Karl Rove, der Spinmeister von George W. Bush, sagt auf Fox News, die Republikaner müßten sich modernisieren. Na klar: Der finstere Meister, der die Partei in die Sackgasse geführt hat mit seinem aggressiven Rechtsruck und dem Ausverkauf an die verrücktesten evangelikalen Christianisten, plädiert jetzt für das Rücken in die Mitte. Er hat wirklich übehaupt keine Scham. Und die Journalisten lassen ihm das durchgehen. Auch egal: Der Mann ist Geschichte! Und so geht man mit Freuden und erleichtert ins Bett.

00:45h In Cambridge und Boston sind die Straßen voll mit jungen Leuten. Fremde lächeln sich an. Autos fahren Korso, die Fenster heruntergekurbelt: Obama! Obama! Viele junge Schwarze sind unterwegs und feiern. Amerika ist nach einigen harten Wochen mit sich versöhnt. Und weil jeder weiß, was auf das Land noch zukommt – Obama hat es in seiner Rede angedeutet – ist die Freude in dieser Nacht noch größer. Unter den feiernden Studenten in Cambridge sind alle Nationen vertreten. Sie feiern, als hätten sie selbst gewonnen. Es ist etwas Großes passiert, das noch nicht begriffen werden kann.

23:34h Auf MSNBC erzählt der Abgeordnete John Lewis von den Zeiten, da er noch in segregierten Bussen fahren musste und bestimmte Bänke nicht benutzen durfte. Und nun sieht er auf seine alten Tage einen Schwarzen im Weissen Haus.

23:28h Das war der McCain, den man während des Wahlkampfes fast schon vergessen hatte: fair, ein Gentleman, kämpferisch, aber grosszügig. Im Publikum viele mittelalte weiße Männer, die traurig ins Leere schauen, während der Gescheiterte sie auffordert, dem neuen Präsidenten ihre Loyalität zu erweisen.

23:26h McCain baut Palin als Hoffnung der republikanischen Partei auf. Wir können alle gespannt sein, was sie noch alles im Dienst der Partei und des Landes vollbringen werde.

23:19h McCain gesteht Obama den Sieg zu, und er tut es in bewegenden Worten. Er lobt Obama für den Geist der demokratischen Erneuerung, den er in den Jungen inspiriert habe. Und er spricht auch von dem großen Moment, den dies für die Schwarzen in Amerika bedeute. McCain reklamiert die Tatsache, dass ein Schwarzer nun Präsident werde, als Grund für patriotischen Stolz. Tolle Wendung!

23:18h Die Veteranen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung haben Tränen in den Augen.

23:13h Keith Olberman nennt die Wahl Obamas einen „Man-on-the-moon-moment“. Wenn man die ausgelassen feiernden schwarzen Wähler sieht, kann man da nur zustimmen.

23:11h Virginia geht an Obama, ein wichtiger Teil des alten Südens. Es war knapp, aber trotzdem ist das ein historischer Moment: Ein schwarzer Kandidat wird im Herzen der alten Konföderation gewählt.

23:10h Obama hat die Katholiken gewonnen, und die Männer mit 50 zu 48 Prozent. Das ist seit Kennedy keinem Demokraten mehr gelungen.

23:00h Obama wird bei NBC zum Gewinner erklärt. Hier in Cambridge wird gejubelt.

22:43h In Florida hat Obama noch Chancen. Aber es wird knapper als erwartet. Er stützt sich dort allerdings hauptsächlich auf Minderheiten-Wähler. Die vielen weißen Alten haben überwiegend McCain gewählt. Obama hat nur bei den moderaten Independents etwas gut machen können, die von Bush abgestoßen sind.

22:37h Obama liegt in Virginia jetzt mit 2 Prozent Vorsprung vorn.

22:24h Obama führt in Virginia mit fast 40.000 Stimmen bei 88 Prozent ausgezählten Bezirken.

22:03h: Obama führt in Florida mit fast 200.000 Stimmen oder 51 zu 49 Prozent, bei etwa zwei Dritteln ausgezählter Stimmen.

21:58h Obama zieht in Virginia mit 10.000 Stimmen Vorsprung davon, es bleibt aber noch beim 50:50.

Texas geht erwartungsgemäß an McCain.

21:35h 50:50 in Virginia, McCain führt mit 7000 Stimmen bei 72 Prozent ausgezählten.

21:32h Obama scheint auch Pennsylvania zu gewinnen. Das wäre mit 21 Wahlmännern ein wichtiger Brocken.

21:23h Obama gewinnt Ohio. Kein Republikaner hat je die Wahl gewonnen, ohne Ohio dabei mitzunehmen.

21:14h Virginia ist noch knapper! Jetzt sind es nur noch 50 Prozent für McCain, 49 für Obama bei 64 Prozent der Stimmen.

21:09h In Virginia wird der Abstand geringer: McCain führt 51 Prozent zu 48, bei fast 60 Prozent ausgezählter Stimmen. Ohio und Indiana sind noch nicht klar. Es wird eine lange Nacht.

20:46h Obama hat noch keinen einzigen Staat „umgedreht“ – weder Florida, noch Virginia, noch Indiana. Ein Durchmarsch sieht anders aus….

20:34h McCain liegt weiter vorne, jetzt mit 55 Prozent bei 36 Prozent ausgezählter Stimmen.

20:17h Virginia liegt mit 56 Prozent weiter im republikanischen Lager, jetzt bei 26 Prozent ausgezählter Stimmen.

20:13h Virginia liegt nach einem Viertel der ausgezählten Stimmen bei 53 Prozent für McCain. In den Umfragen hatte Obama vorne gelegen.

19:17h Obama gewinnt 91 Prozent der schwarzen Wähler in Virginia, McCain liegt bei den weissen Wählern mit 53 zu 43  Prozent vor ihm, wie aus ersten Exit Polls hervorgeht. Virginia ist vielleicht der entscheidende „battleground state“.

18:04h Die langen Schlangen vor den Wahllokalen sind ein Symbol der erneuerten Demokratie in Amerika. Jetzt schon steht fest, dass der scheinbar unabwendbare Abwärtstrend bei der Wahlbeteiligung umgekehrt wurde. Die Amerikaner sind repolitisiert worden durch eine Kampagne, in der es um deutlich unterscheidbare Alternativen ging. Beide Kandidaten haben sich um die Republik verdient gemacht. Obama hat besonders die Jungen mobilisiert – und viele schwarze Erstwähler, die endlich das Gefühl haben, dass es auf sie ankommt. Nun ja, und George W. Bush hat natürlich auch geholfen, indem er das Land vor die Wand gefahren hat.

17:31h In weniger als einer halben Stunde schließen die ersten Wahllokale in Indiana und Kentucky. Dann wird man einen ersten Trend sehen. Vielleicht werden manche Sender auch schon einen Sieger ausrufen. Man sollte allerdings bis mindestens 7 Uhr Ortszeit warten, weil erst dann die letzten Lokale an der Grenze zu Illinois zumachen. Obama erhofft sich Gewinne in diesem Teil Indianas, der zuvor republikanisch gewählt hat. Schafft er es dort, dann sieht es bitter aus für McCain.

 

Sechs Fragen einer historischen Wahl

Cambridge, Massachusetts – In Amerika stehen die Menschen heute Schlange, um ihre Stimme abzugeben. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird diese Wahl eine Rekordbeteiligung ausweisen.

Was treibt die Menschen an? Worum geht es eigentlich bei dieser Wahl?

Die heutige Wahl findet in einem „historischen Moment“ statt. Dass erstmals ein schwarzer Kandidat die besten Chancen auf einen Sieg hat, ist aber nur ein wichtiges Moment davon.

Das Rassenthema drängt die anderen Aspekte dieser Abstimmung allzu oft in den Hintergrund.

Ich sehe sechs Fragen, auf die die Amerikaner heute antworten müssen:

Ist die „Reagan-Revolution“ vorbei?

Die Finanzkrise hat den Wunsch nach Sicherheit wieder auf die Tagesordnung gesetzt. McCain stellt Obama seit Wochen in die Ecke einer entfesselten Verteilungspolitik. Er wolle „den Reichtum umverteilen“ (to spread the wealth around). Dass McCain dieses Zitat Obamas benutzt, um diesen zu diskreditieren, weist den Senator aus Arizona als ein Kind der Reagan-Revolution der Jahre 80ff. aus. Bei ihm geht es immer noch um Ausgabenbegrenzung und Steuerkürzungen. Obama schlägt hingegen höhere Steuern für Besserverdienende vor und will die Chancen auf eine Krankenversicherung für die Millionen Unversicherten verbessern. Obama steht nicht für die Rückkehr zu dem alten sozialdemokratischen Ansatz der Demokraten vor Clinton – aber er wendet sich deutlich ab von Bill Clintons Weg, der letztliche eine Fortsetzung von Reaganomics bedeutete (gegen „big government“). Ein starkes Votum für Obama könnte eine Wiederkehr des Staates in der amerikanischen (Innen-)Politik bedeuten.

Beginnt eine Ära jenseits der Rassendiskriminierung?

Ein Präsident Obama könnte paradoxerweise das Symbol dafür sein, dass die Hautfarbe keine grosse Rolle mehr spielt. (Wenn er nicht gewählt wird, würde das zunächst sicher anders gedeutet werden. Aber ob in langer Sicht eine Niederlage Obamas auch als Rückschlag gewertet würde, ist nicht so klar. Es war ein unwahrscheinlicher Erfolg, dass er überhaupt so weit kam.) Ein Präsident Obama würde vielleicht helfen, die Perspektive geradezurücken: Was als Rassenbarriere erscheint, die das Land durchzieht, ist sehr oft eine Klassenbarriere. Über Rassendiskrimierung kann man hierzulande reden, die offenbaren Klassenunterschiede sind politisch tabu. Amerika ist eine Klassengesellschaft, die es nicht wahrhaben will, und darum lieber über die Diskrimierung von Gruppen spricht.

Findet ein Generationswechsel statt?

Die Kandidaten sind altersmäßig ungewöhnlich weit auseinander. Obama gehört nicht wie wie Clinton und Bush der Baby-Boomer-Generation an, die durch die sechziger und siebziger Jahre geprägt wurde. (Auch McCain wäre ein Präsident mit anderem Generationshintergrund.) Obama ist nicht durch die Kulturkämpfe jener Zeit geprägt, die zu einer scharfen Polarisierung der Gesellschaft geführt hatten. McCain hat um so mehr versucht, ihn durch die Assoziation mit dem Ex-Radikalen Ayers in diesen Zusammenhang zu rücken. Die Nachkriegsgeneration (der auch Blair und Schröder angehörten) hat eine ideologisch zerrissene Gesellschaft hinterlassen. Sie hat das private Leben angenehmer und liberaler gemacht (für Menschen aller politischer Couleur), doch die öffentlichen Institutionen sind geschwächt (Familie) oder regelrecht disfunktional geworden (Bildungsmisere). Obama stünde vor der Aufgabe, letztere zu reparieren, ohne die Errungenschaften der Baby-Boomer aufzugeben.

Werden die Amerikaner sich um die Meinung des Rests der Welt scheren?

Sie haben sich bei ihrer Wahlentscheidung bisher eigentlich nie von der Weltmeinung beeinflussen lassen. Reagan war und ist hoch beliebt, trotzdem man ihn im Ausland für gefährlich und schädlich hielt. Carter wurde im Ausland geliebt und floppte daheim. Doch es könnte sein, dass die Dimension der Krise hier etwas ändert. Seit dem Vietnamkrieg hat Amerika nicht mehr so schlecht in den Augen der Welt dagestanden. Und nun kommt noch die Wirtschaftskrise dazu, so dass die Menschen Amerikas Niedergang in den eigenen Portemonnaies fühlen können. Die Abhängigkeit von arabischem Öl und von chinesischem Geld ist nichts Abstraktes mehr. Dass Amerika sich mit der Welt neu in Beziehung setzen muss, ist mit Händen zu greifen. Selbst ein Präsident McCain würde einen deutlichen Wandel gegenüber Bush bedeuten. Ein Präsident namens Barack Hussein Obama freilich würde das Bild Amerikas in der Welt revolutionieren.

Was bedeutet es heute, ein Konservativer zu sein?

Die unterschätzte Geschichte dieser Wahl ist die Krise der Konservativen. Dass überhaupt John McCain (der „Maverick“) zum Zuge kam, spricht schon dafür. Die erratische Weise, in der er dann agiert hat, hat es besiegelt: nach dem absehbaren Ende der Reagan-Revolution, nach dem Desaster der Neocons unter Bush, nach dem Scheitern der Deregulierungspolitik im Wall-Street-Fiasko ist es offen wie nie, was es heute bedeutet, konservativ zu sein. Mit der Wahl Palins zur Vize-Kandidatin hat John McCain gezeigt, dass er nicht ernsthaft darüber nachzudenken bereit ist. Andere stehen längst bereit und wollen für den Fall seiner Niederlage die Führung übernehmen. Auch sie werden einer neuen Generation angehören.

Können die Kinder der Wohlstandgesellschaft eine Gessellschaft durch die Knappheit führen?

Das ist die wichtigste Frage von allen. Sie transzendiert die Parteigrenzen, und sie weist selbst über Amerika hinaus. Obama ist von den fetten Jahren geprägt, in denen es immer irgendwie aufwärts ging. Er hat in der längsten Phase ununterbrochenen Wachstums des amerikanischen Systems Karriere gemacht. Nun aber droht von mehreren Fronten eine neue Knappheit: Finanzkrise, Energiekrise und die Krise der amerikanischen Aussenpolitik, die sich an allzuvielen Fronten verzettelt hat, fliessen ineinander. Obama verspricht den Menschen vieles, was offenbar nicht zu finanzieren ist. Wird er Einschränkungen so gut verkaufen können wie „hope“ und „change“? Wird er den Menschen die Wahrheit über Amerikas reduzierte Macht sagen? Wird er den Menschen sagen, dass sie ihren frivolen Energieverbrauch einschränken müssen?  Und wenn er es tut, wird man ihn dafür fertig machen wie einst Carter?