In Berlin geht man jetzt nicht mehr einfach in die Oper. Man checkt ins Opernhaus ein wie am Flughafen.
Metalldetektoren, Taschenkontrollen, grimmig dreinschauende Herren mit Kabel hinterm Ohr. Und da kommt auch schon der Innenminister mit seinem Tross, für den sich magische VIP-Schleusen öffnen.
So war es jedenfalls am Montag, als an der Deutschen Oper der »Idomeneo« zur Wiederaufführung kam, der im September in vorauseilender Selbstzensur abgesetzt worden war.
Man hatte Anschläge von Islamisten befürchtet, weil in der Schlusszene die abgetrennten Häupter von Poseidon, Buddha, Jesus und Mohammed zu sehen waren. Den weltweiten Aufruhr nach der Absetzung der Oper hatte Wolfgang Schäuble elegant gekontert, indem er die gesamte Islam-Konferenz zum gemeinsamen Besuch der Wiederaufnahme einlud – eine schöne Gelegenheit, etwas für die Rede- und Kunstfreiheit zu tun.
Schäuble hat damit auch etwas für die Deutsche Oper getan, wie sich zeigte: So voll war das krisengeschüttelte Haus seit Jahren nicht mehr. Man sollte in Betracht ziehen, das Kulturressort wieder ins Inneniministerium zurückzuverlegen.
Denn dieser Minister kann kulturpolitische Weihnachtswunder bewirken. Zum Beispiel vermag er halbtote Opern zum Leben erwecken. Die Berliner Gesellschaft war vollständig erschienen, um sich zur Kunstfreiheit zu bekennen. Und um die anderen dabei zu beobachten, wie sie es tun.
Und ein wenig auch um selbst dabei gesehen zu werden. Ist das nicht der Kulturstaatsminister Neumann, der da auf Englisch mit Al-Dschasira parliert? Und das ist wohl die Integrationsministerin Böhmer, die dem japanischen Fernsehen Rede und Antwort steht? Und dies dort muss der Autor Peter Schneider sein, der, ebenfalls auf Englisch, einen Vortrag über Idomeneo und Abraham hält.Sie waren alle gekommen – die Stölzls und Döpfners, die Künasts und Pflügers, die Lammerts und Körtings und Wowereits.
Schäuble hatte viel riskiert mit seiner Einladung an die Muslimvertreter, sich einen Ruck zu geben und demonstrativ die Oper zu besuchen. Das wurde gerade in den letzten Tagen deutlich, als die Repräsentanten des Zentralrats der Muslime und des Islamrats ihren Boykott verkündeten.
Mit einem mal schien nicht nur die symbolische Opern-Aktion, sondern das ganze große Islam-Projekt des Innenministers auf Messers Schneide zu stehen. Doch es war nur Theaterdonner, und am Ende hatte Schäuble alles richtig gemacht.
Ali Kizilkaya vom Islamrat hatte Schäubles Einladung »ein wenig populistisch« genannt: »Jetzt läuft es nach dem Motto: Nur wer zur Oper geht, ist integriert. Die anderen sind noch nicht so weit.«
Und Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime fühlte sich gar »politisch instrumentalisiert«: »Ich gehe in die Oper, um mich zu entspannen und nicht, um Religion, Kunst und Poltitik in einen Topf zu werfen.«
Mazyek blieb trotzig weg. Kizilkaya aber kam zur Oper, und blieb doch der Aufführung fern. Er war freilich gerne bereit, seine Haltung vor Journalisten zu begründen. So kam es, dass der Muslimvertreter, der die Oper nicht gesehen hatte, am meisten auf Sendung war.
Schäuble gab sich nachher im Gespräch zufrieden selbst mit dieser Haltung: Wenn jemand durch seine Anwesenheit dafür eintrete, dass die Oper aufgeführt werden könne, reiche ihm das.
Und die Opernverweigerer vom Zentralrat der Muslime? Haben Sie nicht auch das gute Recht, fernzubleiben? Niemand sollte zum Besuch einer Oper genötigt werden, um seine freiheitliche Gesinnung zu beweisen.
Der Regisseur Hans Neuenfels hat selbst bekannt, es gehe in seiner Inszenierung »um die Infragestellung von Autorität, von politischer wie geistlicher, denn hier kämpft ein Menschenkönig gegen einen Gott.«
Es wäre widersinnig, ausgerechnet ein Kunstwerk, das kritisch-subversiv sein will wie diese Neuenfels-Inszenierung, zum Geßlerhut der politischen Korrektheit zu machen, vor dem sich jeder zu verneigen hat, der dazugehören will.
Wer Mozart als Muslim-Test benutzt, tut der Kunst einen Tort an. »Als Vertreter einer Religionsgemeinschaft bin ich weder Kunstkritiker noch zuständig für Geschmacksfragen«, hatte Aiman Mazyek, der Generalsekretär des Zentralrats seine Absage begründet.
Im Karikaturenstreit hatten die beiden Muslimvertreter, die sich jetzt so zurückhaltend gaben, allerdings wenig Hemmungen gezeigt, als Kunst- und Geschmacksrichter im Namen einer ganzen Weltreligion aufzutreten. Man wird sie daran erinnern müssen.
Der Abend in der Oper hat gezeigt, dass es unter Muslimen viele nuancierte Haltungen zur Freiheit der Kunst gibt.
Bekir Alboga, Vertreter des größten Moscheeverbandes, der türkeinahen Ditib, stand die ganze Vorstellung mannhaft und mit guter Laune durch, wenn auch am Ende ein wenig mit zusammengebissenen Zähnen, als die blutigen Köpfe auf die Bühne kamen. Geklatscht hat er bei dieser Szene nicht. Aber es scheint, als hätte auch ihn das Stück nicht kalt gelassen.
Es geht darin – sehr ernst und unmozartisch – um einen Vater, der in die tragische Lage geraten ist, seinen Sohn opfern zu sollen – und die grausamen Götter um Gnade bittet. Das ist ein Thema, das wahrlich auch Muslime angeht. Bei Mozart sind die Götter am Ende gnädig, unter der Bedingung, dass König Idomeneo auf die Macht verzichtet.
Manche Muslimvertreter scheint der Prozess, den Wolfgang Schäuble durch die Einberufung der Islam-Konferenz gestartet hat, einstweilen zu überfordern. Sie kommen noch nicht mit der neuen Situation klar, dass sie nun Partner sind und sich nicht mehr als mißverstandene Opfer sehen können.
Zentral- und Islamrat haben Probleme mit der Zusammensetzung der Islam-Konferenz. Es paßt ihnen nicht in den Kram, daß die Konferenz die ganze breite des muslimischen Lebens in Deutschland zu repräsentieren versucht – Konservative, Liberale, Säkulare und Islamkritikerinnen wie Necla Kelek und Seyran Ates. Sie werden damit leben müssen.
Wolfgang Schäuble spielt einen hohen Einsatz, indem er die Islam-Konferenz zu seinem großen persönlichen Projekt gemacht hat.
Er hat die Teilnehmer nicht in die Oper eingeladen, um sie moralisch zu erpressen, sondern um zu beweisen, dass auch Muslime Rede- und Kunstfreiheit zu schätzen wissen – selbst da, wo es weh tut.
Dass der Kulturkampf bei einem gemeinsamen Opernbesuch beigelegt wird – bestrickt von Mozarts Musik, die die Verschonung eines Opfers durch gnädige Götter feiert – ist sicher eine sehr deutsche Idee. Doch der sympathische kulturprotestantische Idealismus des Innenministers ist diesmal aufgegangen.
p.s. Man kann das ja jetzt so sagen, da wir diesen Pseudo-Kulturkampf überstanden haben: Die Neuenfels’sche Schluss-Idee mit den abgeschlagenen Köpfen ist einfach nur Blödsinn: Die Versöhnung hat ja in der Oper schon stattgefunden. Idomeneo wird von der Blutttat verschont, wenn er die Macht aufgibt.
Die Götter wollen bei Mozart kein Blut sehen. Dass der König den Religionsstiftern dann trotzdem die Köpfe abschlägt, ist eine aufgesetzte Religionskritik für Dumme. Und im Falle von Jesus, wenn ich das so sagen darf, leuchtet es am allerwenigsten ein. Er hat sich schließlich schon kreuzigen lassen.