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„Ich will jetzt Blut sehen“

Aus dem SWR:

„Zwei Schüler aus dem rheinland-pfälzischen Ludwigshafen waren während eines Killerspiels im Internet auf die entsprechende Drohung gestoßen. Einer ihrer ‚Counter Strike‘-Mitspieler habe bei dem Mannschaftsspiel auf eigene Leute geschossen und ‚wild in der Luft rumgeballert‘, sagte Hetger. Nach Aussage der Realschüler habe der Unbekannte im Internet geschrieben: ‚Ich habe dieses hier satt, ich will jetzt Blut sehen.‘ Auf Nachfragen seiner Mitspieler kündigte er einen Amoklauf in seiner Schule am Nikolaustag an.“

Die beiden Realschüler, die die Sache gemeldet haben, sind zu loben. Sie haben, wie die meisten Spieler, noch nicht die Fähigkeit eingebüsst, zwischen Realität und Spiel zu unterscheiden.

Durch die Debatte der letzten Wochen sind sie aber darauf aufmerksam geworden, dass es nicht allen so geht, und dass es also ernst zu nehmen ist, wenn einer sagt, „ich will jetzt Blut sehen“.

Die beiden Schüler haben richtig gehandelt.

Sie wissen, dass ihr Spiel Teil einer Gewalt-Popkultur ist, in der mancher die Orientierung verliert, und sie wissen offenbar auch, dass Täter ihre Taten nach der Ikonografie dieser Spiele modellieren – was immer noch hartnäckig von der Gamer-Gemeinde und den Apologeten der Game-Industrie in den Feuilletons bestritten wird.

 

John Bolton

Vor zwei Jahren war ich bei einem Iran-Briefing des Aspen-Instituts in Avignon eingeladen.

Ehrengast war John Bolton, der spätere amerikanische UN-Botschafter, der nun seinen Hut genommen hat.

Wir debattierten über den Irak-Krieg, nation-building und die Möglichkeiten und Gefahren eines Eingreifens im Iran.

Fast alle Teilnehmer hielten es für unmöglich, im Iran zu intervenieren, wegen der fürchterlichen Folgen für die Zivilbevölkerung und weil niemand dieses Land beherrschen könne (wenn es schon im Irak nicht funktioniert).

Bolton sagte, er habe es schon im Irak für falsch gehalten, sich durch den Aufbau einer Demokratie binden zu lassen. Was denn sein Vorschag gewesen wäre, wurde er gefragt:

„You bomb them. You go in and topple the regime. You destroy the weapons. You get out. Ant then it’s: ‚Good luck with your country‚.“

(So viel zu der Legende, er sei ein „Neocon“ (Spiegel Online) – die wollen bekanntlich regime change und Demokratieaufbau. Bolton ist einfach ein Zyniker – im amerikanischen Interesse, wie er glaubt. Gut, dass er weg ist.)

 

„Erklärung der europäischen Muslime“

Hier – als Hintergrund zu meinem Porträt des Grossmufti Mustafa Ceric aus der aktuellen ZEIT – der Text seiner „Erklärung“. Eine arabische Version findet sich unter www.rijaset.ba, der Website der bosnischen Muslime:

DECLARATION OF EUROPEAN MUSLIMS

Expressing the sense of the European Muslims regarding the attack in New York in September 2001, the massacre in Madrid in March 2004, and the bomb explosion in London in July 2005.

Whereas on 11th September 2001 thousands of men and women who had worked at the World Trade Center in New York were killed by a terrorist attack, and on 11th March 2004 hundreds of people who had traveled by a train in Madrid were massacred, and on 7th July 2005 in London many innocent passengers were victims of bomb explosions in London, and whereas all these acts of violence against humanity have been ascribed to “Islamic terrorism”….

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Papaturka

Der Papst wird es wohl nicht mehr schaffen, sich bis zum Ende seines Aufenthalts in der Türkei eine Schnauzbart wachsen zu lassen.

Aber in der passenden Stimmung scheint er schon.

Erst das abgehängte Kruzifix bei der Ankunft (bayrische Klassenzimmer sind überall).

Dann die Sache mit den guten Wünschen für die Türkei auf dem Weg in die EU (während die letzten CSU-ler gerade noch mal auf Antitürkenkurs gehen wollten – schade!).

Dann der Respekt für Atatürk (war der nicht Laizist?).

Das geduldige Ertragen des Geschimpfes von Herrn Bardakoglu (der seinerzeit zugeben musste, die Regensburger Rede nicht gelesen zu haben, bevor er sich vor der Weltpresse über sie empörte).
Und schliesslich immer, immer wieder das Zitat seines Vorgängers, der „die Türken liebt“. (Und der Papst betonte auch noch geflissentlich, diesmal meine er das Zitat wirklich.)
Schließlich gestern der absolute Höhepunkt nach der Predigt in Ephesus beim Haus der Mutter Maria:

Der Papst hält eine riesengrosse türkische Fahne in der Hand.

Dieselben türkischen Zeitungen, die vor Tagen noch absurde Verschwörungstheorien über die Resurrektion Ostroms durch ein Gebet des Papstes in der Hagia Sophia verbreiteten, überschlagen sich jetzt vor Begeisterung. Was ja auch wieder etwas Sympathisches hat.
Nur die rechtsradikale Vakit steht am Rande und fantasiert sich hilflos Papstfeindliches zusammen: „Grausamkeiten“ und „Folterungen“ des türkischen Volkes durch Strassensperren (!) will man nun entdeckt haben.
Das konservative Boulevardblatt Star titelt in aller Schlichtheit ergriffen: Papaturka.

Die liberale Radikal schreibt: „Alle sind zufrieden.“

Hürriyet hingegen ärgert sich nun mit Erdogan, dass das Gespräch am Flughafen, in dem der Papst angeblich die Türken in der EU sehen wollte, „nicht live ausgestrahlt“ wurde.

Tja.

 

Höchste islamische Autorität Ägyptens nennt Genitalbeschneidung eine „strafbare Aggression“ gegen das Menschengeschlecht

Vorige Woche fand in Kairo ein Treffen theologischer und medizinischer Experten zur Frage der Genitalverstümmelung von Frauen statt. Die Al-Azhar Universität, die höchste theologische Autorität des sunnitischen Islam, gibt daraufhin folgendes Rechtsgutachten heraus, das uns der Mit-Initiator der Konferenz, Rüdiger Nehberg, vorab in deutscher Übersetzung zur Verfügung stellte:

1. Gott hat den Menschen mit Würde ausgestattet. Im Koran sagt Gott: „Wir haben die Söhne Adams gewürdigt.“ Daher wird jeglicher Schaden verboten, der Menschen zugefügt wird, unabhängig von gesellschaftlichem Status und Geschlecht.

2. Genital-Beschneidung ist eine ererbte Unsitte, die in einigen Gesellschaften praktiziert wird und von einigen Moslems in mehreren Ländern in Nachahmung übernommen wurde. Dies ohne textliche Grundlage im Koran respektive einer authentischen Überlieferung des Propheten.

3. Die heute praktizierte weibliche Genitalbeschneidung fügt der Frau psychologische und physische Schäden zu. Daher müssen diese Praktiken unterbunden werden, in Anlehnung an einen der höchsten Werte des Islams, nämlich dem Menschen keinen Schaden zuzufügen – gemäss des Ausspruchs des Propheten Mohammed „Keinen Schaden nehmen und keinen Schaden zufügen“. Vielmehr wird dies als strafbare Aggression gegenüber dem Menschengeschlecht erachtet.

es folgen

4. der Appell an die Muslime, die Unsitte zu unterbinden

5. der Appell an die internationalen und regionalen institiutionen, die Aufklärung der Bevölkerung voranzutreiben

6. der Appell an die Medien, das Gleiche zu tun

7. die Forderung nach einem Gesetz, das die Genitalverstümmelung zum Verbrechen erklärt

8. die Forderung nach internationaler Unterstützung beim Kampf gegen die Genitalverstümmelung

Das ist ein großer Fortschritt. Wenn nun noch der einflussreiche TV-Scheich Jussuf Al-Karadawi mitzieht, bedeute dies Hoffnung für die 8.000 Opfer dieser Praxis pro Tag.

 

Papst nimmt Islamisten und Nationalisten in der Türkei den Wind aus den Segeln – er ist jetzt für den EU-Beitritt

Update 29.11.:

Nun ist die türkischen Öffentlichkeit perplex:

Der Papst ist für den EU-Beitritt!

Behauptet jedenfalls Erdogan nach seinem informellen Treffen auf dem Flughafen, das eigentlich eine Brüskierung darstellte.

Mehmet Yilmaz, Kolumnist der Hürriyet, spricht davon, dass Erdogan eine Chance für die Türkei verpasst habe. Man werde in der internationalen Berichterstattung trotz des Zusammentreffens weiterhin davon sprechen, dass Erdogan den Papst „gezwungenermaßen getroffen“ habe.

Der Kreuzzugspapst wünscht also den Türken alles Gute auf dem Weg in die EU! Wer hätte das gedacht.

Sehr peinlich für den lautstarken rechten Rand der türkischen Öffentlichkeit.

Der Papst hat sogar, wie die Zeitung Sabah vermerkt, auf das offene Tragen des Kreuzes verzichtet, als er in Ankara ankam.

Die islamische Zaman bescheinigt dem Papst nun eine „konstruktive Haltung“ und ferut sich über seine „warmen Worte“ über den Islam.

Millyet geht von der Hysterie vor dem Papst-Besuch gleich zum Selbstlob über:
Der bekannte Kolumnist Güneri Civaoglu fragt, welches andere muslimische Land der Papst derzeit besuchen könne, in welchem Land er vom Ministerpräsidenten einer muslimischen Partei empfangen werden könne. Und in welchem anderen muslimischen Land er sich mit den religiösen Würdenträgern zusammensetzen und auch Moscheen besuchen könne. Damit zeige die Türkei der westlichen Welt, welchen „enormen Unterschied“ das Land ausmache und wie es sich um einen „Ausgleich der Zivilisationen“ bemühe.

Da sollte man denn wohl auch den beitrag des Papstes erwähnen:

Er hat sich vor Atatürk verneigt (einem Säkularisten!), er hat den Islam eine „Religion des Friedens“ genannt, und er hat sich geduldig angehört, wie Ali Bardakoglu, der Chef des Dyanet (der türkischen Religionsbehörde), ihn noch einmal unverhohlen für die Regensburger Rede kritisierte.

Er hat seinen Willen zu einem „aufrichtigen Dialog“ bekundet und die Türkei für eine Religionsfreiheit gelobt, die es de facto in dem Land nur sehr eingeschränkt gibt. Sogra von einer „Liebe“ zur Türkei war die Rede.
Das sollte vielleicht vorerst reichen, um die „Kränkung der Muslime“ (Bardakoglu) auszubügeln.
Update vom 28.11.:

Heute versuchen alle massgeblichen türkischen Blätter, die Aufregung der letzten Tage wieder einzufangen (siehe unten). Nur die rechtsradikal-islamistische Vakit hetzt weiter. Und auch die Milli Gazete , die der Saadet Partei nahesteht, bläst weiter ins Horn. „Erzwungener Besuch“ titelt Vakit. „Wir wollen eine Entschudligung“, heisst es in der Milli Gazete.

Hürriyet, das grösste Massenblatt, geht hingegen bemerkenswert forsch auf Gegenkurs: Der Kolumnist Mehmet Yilmaz wundert sich über die neusten Verschwörungstheorien, die unterdessen im Umlauf sind: Der Papst werde während seines Besuchs der Blauen Moschee anfangen zu beten und damit die Moschee zu einer Kirche machen.

Dabei erinnert Yilmaz an den Besuch Papst Paul VI., der auch während seines Besuchs in der Moschee gebetet habe. Sehr bitter sei es zu sehen, was im Namen des Islam seit 1967 passiert sei, so dass den Menschen mit einem Gebet Angst gemacht werden könne.

Vor dem Hintergrund der „unsäglichen und fanatischen“ Demonstrationen freut sich Hürriyet-Chefredakteur Ertugrul Özkök in seiner Kolumne, dass Erdogan sich von solchen Leuten in den vergangenen Jahren losgesagt habe und sich sogar jetzt als einer der Vorreiter des Dialogs zwischen den Religionen profiliert.

Sabah macht heute mit einem freundlichen „Benvenuto“ auf und würdigt, dass der Papst die Blaue Moschee besuchen werde.

Allerdings meint der Chefredakteur der Zeitung, Fatih Altayli, dass Benedikt XVI. daran interessiert sei, dass es zu einer Frontstellung zwischen dem Islam und dem Christentum komme. Deshalb komme es dem Vatikan entgegen, dass es in der Türkei zu unschönen Demonstrationen gekommen sei. (So wird man dann schnell wieder zum Opfer!) Er sei „willkommen“, solle aber danach wieder gehen, so Altayli.

In der liberalen Zeitung Radikal wird immerhin vorgeschlagen, die Hagia Sophia für Gottesdienste sowohl von Christen als auch Muslimen zu öffnen.

In Türkiye wird der Justiminister Cicek zitiert, der den Papst-Besuch als Chance beschreibt und betont, dass es auch auf die Botschaften und Erklärungen ankommt, die „von hier abgegeben werden“.

Die regierungsnahe YENI SAFAK weiß zu berichten, dass Ali Bardakoglu, Präsident des Amtes für religiöse Angelegenheiten, dem Papst bei ihrem Zusammentreffen erläutern werde, dass der Islam eine „Religion des Friedens“ sei.
Die Proteste gegen den Papst-Besuch in Istanbul haben vor allem dies erreicht: Sie haben das Maulheldentum der türkischen religiösen Rechten mal wieder entlarvt.

Eine Million Demonstranten hatte die Saadet Partei (SP) angekündigt. Am Ende kamen nur etwa 15.000.

Die Zeitung Hürriyet, das größte Massenblatt der Türkei, machte sich denn auch gestern über den mickrigen Auflauf lustig.

Trotzdem bleibt die Erregbarkeit dieses Teils der türkischen Öffentlichkeit besorgniserregend: Viele der Parolen, unter denen die Demonstranten sich sehen liessen, waren unwürdig. Schon das Motto setzte den Ton: „Der Papst ist nicht willkommen!“

Der Ministerpräsident Erdogan scheint den Ernst der Lage – wenn auch spät – verstanden zu haben. Er kann den lautstarken Ultras im islamisch-nationalistischen Lager nicht überlassen, den Ton während des Papst-Besuchs zu bestimmen.

Und so entschloss er sich, Benedikt doch nicht die kalte Schulter zu zeigen (er hatte eigentlich seine Anwesenheit beim NATO-Gipfel in Riga vorgeschützt, um den Papst nicht empfangen zu müssen). Erdogan heisst den Papst heute am Flughafen willkommen.
Recai Kutan, Vorsitzender der Glückseligkeitspartei (SP) bezeichnete bei seiner Ansprache den Papst als „Vertreter des Imperialismus, der den Propheten Mohammed als Terroristen beschimpft“.

Daran ist aber auch gar nichts richtig. Wird einer der sonst so regen türkischen Staatsanwälte – jedenfalls wenn es um die „Beleidigung des Türkentums“ geht – Anklage wegen Volksverhetzung erheben?
Der frühere islamistische Ministerpräsident Erbakan behauptete, der Papst „missachte das türkische Volk“ und wolle mit seinem Besuch in der Hagia Sofia die „Eroberung Istanbuls leugnen“.

Wie bitte? Der Papst wird sich mit einem Besuch der benachbarten Blauen Moschee vor dem Islam Istanbuls verneigen.

Und natürlich durfte das Lieblingsmotto der Christenhasser-Propaganda nicht fehlen: Der Papst führe „die Allianz der Kreuzfahrer“ an.

Auf Plakaten war Benedikt in Ritterrüstung zu sehen – was ziemlich albern wirkt bei diesem typisch deutschen Professor, dessen einzige Lanzen und Pfeile historische Zitate und spitze Fussnoten sind.

Es ist in der Türkei offenbar vergessen, dass der Vorgänger dieses Papstes von der Hand eines Türken – Mehmet Ali Agca – beinahe ermordet worden wäre. Und dass Johannes Paul II. die fast übermenschliche Grösse hatte, seinem Attentäter bei einem persönlichen Gespräch zu vergeben.

Wenn nun der Nachfolger dieses Papstes zu einem Pastoralbesuch kommt, um die bedrängte orthodoxe Minderheit zu würdigen, sollte eigentlich statt hysterischer natiolnal-islamistischer Propaganda eine gewisse Demut zu erwarten sein – Regensburg hin oder her.

Stattdessen schreiben sich die Kommentatoren in Rage. Sie fühlen sich wohl, wenn sie Türken und Muslime als verfolgt, missverstanden und bedrängt hinstellen können.

So meint der Kolumnist der Zeitung SABAH, Erdal Safak, dass „wir es mit einem kriegerischen Papst zu tun haben“. Seit der Eroberung Konstantinopels durch Fatih Sultan Mehmet habe es keine derart wichtige Begegnung gegeben, wobei der Papst in seinen Vorurteilen dem Islam gegenüber den Kreuzzüglern nicht nachstehe.

Auch der ehemalige Ministerpräsident Demirel, der in der Kolumne Yavuz Donats in der SABAH zitiert wird, bemüht den historischen Vergleich. So habe Fatih bei der Eroberung Konstantinopels nur sechs von 26 Kirchen zu Moscheen umfunktioniert, „die anderen hat er nicht angerührt. Das ist Toleranz!“

Und wie sieht es heute aus: In Istanbul stehen zwei zum Christentum Konvertierte vor Gericht, weil sie durch Ihren Akt die „Würde des Türkentums“ beleidigt haben sollen.

Auch wenn die Demonstranten nur wenige waren: Die immer engere Verbindung von Nationalismus und Islamismus in der derzeitigen Aufgeregtheit der türkischen Debatte ist Anlass zur Sorge.

Das nationalistische Boulevardblatt AKSAM zitiert Ali Bardakoglu, Präsident des Amtes für religiöse Angelegenheiten, der den Besuch des Papstes als „wichtig“ empfindet, aber nicht dran glaubt, dass dadurch die „Kränkung der islamischen Welt“ aufhören wird.

Ach ja, die Kränkung der Muslime! Man kann es einfach nicht mehr hören! Wie kann man nur einerseits immer auf Stolz, Ehre und Würde setzen – und andererseits immer wieder den Gekränkten und Beleidigten geben – eine reichlich unwürdige Haltung?

Übrigens ist dieser Herr Bardakoglu, der da mit der „Kränkung der islamischen Welt“ herumzündelt, als türkischer Religionsminister – vermittelt durch die Ditib – auch für die Mehrzahl der Moscheen in Deutschland zuständig.


 

Kairo: Islamische Gelehrte verdammen weibliche Genitalverstümmelung

Durchbruch für Frauenrechte im Islam – oder doch nicht?
Hoch angesehene muslimische Theologen aus dreizehn Ländern haben in Kairo die weibliche Genitalverstümmelung – oft als „Beschneidung“ verharmlost – als einen unislamischen Brauch verurteilt.

Das Treffen fand an der Al-Azhar Universität statt, der höchsten sunnitischen Autorität in Glaubensfragen. Der Scheich der Azhar, Mohammed Sayed Tantawi, war anwesend, ebenso der bekannte Prediger Jussuf Al-Karadawi und der ägyptische Grossmufti Ali Gomaa.

Die Initiative zu dem Treffen ging von dem deutschen Abenteurer und Menschenrechtler Rüdiger Nehberg aus.

Die Genitalverstümmelung verursacht grosses köperliches und seelisches Leid bei den betroffenen Frauen, stellen die Theologen fest – „und muss deshalb gestoppt werden, denn der Islam ist ganz und gar gegen die Verletzung unschuldiger Menschen.“

Eltern begründeten ihre Befürwortung der Klitoralektomie oft damit, heisst es im Pressekommuniqué, „dass damit promiskuitivem Verhalten ihrer Töchter vorgebeugt werden könne“.

Es gebe keinen Beleg für diese Praxis im Koran und in den Hadithen. Der Prophet habe seine vier Töchter nicht beschneiden lassen.

Ägyptische Frauenrechtsorganisationen feierten die Aussagen der Gelehrten als grossen Schritt für die Menschenrechte und verlangten eine Kriminalisierung der Genitalverstümmelung.
An der männlichen Beschneidung als religiöser Pflicht wird weiter festgehalten.

p.s. Merkwürdiger Weise hat Jussuf Al-Karadawi, der auch in Europa einflussreiche Prediger, am 23. November, also während des Kairoer Treffens, eine Fatwa veröffentlichen lassen, in der er wieder ein paar Schritte rückwärts macht.

Da heisst es, „die gemäßigte und wahrscheinlich korrekte Meinung spricht für den gemässigten islamischen Weg bei der Beschneidung, wie er in manchen Hadithen des Propheten angedeutet ist – obwohl diese Hadithe nicht als authentisch bestätigt sind: ‚Reduziere die Grösse der Klitoris, aber überschreite nicht die Grenze, denn das ist besser für ihre Gesundheit und wird von Ehemännern bevorzugt.‘ Der Hadith bedeutet, dass Beschneidung besser für die Gesundheit der Frau ist und ihre ehelichen Beziehungen mit ihren Mann verbessert… Wie auch immer, es ist keine Pflicht, doch wer auch immer glaubt, es diene den Interessen seiner Töchter, soll es tun, und ich persönlich unterstütze dies unter den gegenwärtigen Umständen in der modernen Welt. Wer sich entscheidet es nicht zu tun, hat keine Sünde getan, denn es dient hauptsächlich dem Zweck, die Würde der Frauen zu fördern, wie die Gelehrten sagen.“

Die Würde und Gesundheit der Frauen, die Interessen der Töchter? Weiss der Mann noch, wovon er redet?

 

Computerspieler als tapfere Rebellen gegen die bürgerliche Gesellschaft?

Aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 26.11.2006:

Aber man kann doch nicht leugnen, daß Gewalt ein wichtiger Bestandteil von Spielen ist.

Zugegeben: Als ästhetisches Motiv ist Gewalt in Computerspielen im Gegensatz zu Horrorfilmen, Schauerromanen oder Death-Metal-Bands nicht unbedingt ein Nischenphänomen. Was ganz einfach damit zusammenhängt, daß man in virtuellen Welten außer den Dingen, die man nicht auf die Reihe kriegt (das Alltagsleben oder die Profikarriere), auch ausleben kann, was man nicht darf (das Töten). Es ist eben die Funktion der Kunst, jenen Verhaltensweisen ein Reservoir zu bieten, die im gesellschaftlichen Umgang miteinander nicht als salonfähig gelten, sei es als Folge kultureller Ächtung oder sozialer Übereinkunft. Nicht nur für Menschen, die sich als Verlierer dieser Ausgrenzung fühlen, sind anders gestrickte Parallelwelten interessant, sondern auch für solche, die sich vom herrschenden Geschmacksterror nicht ihren stilistischen Horizont vorgeben lassen wollen. Für den Hannoveraner Medienwissenschaftler Christoph Klimmt hat der Einsatz von Gewaltmotiven noch einen weiteren Grund: „Das Element der Gewalt macht die Dimension des Konflikts, den es zu lösen gilt, deutlicher – er gewinnt dadurch an Relevanz.“ Besonders für männliche Jugendliche geht es zudem um die Suche nach Rollenmustern für Männlichkeit.

Man möchte die Bedeutung der Gewalt in der Computerspielewelt nicht rundheraus leugnen, was ja derzeit auch nicht gut geht.

Aber so richtig heran an das Thema traut man sich denn auch wieder nicht: „nicht unbedingt ein Nischenphänomen“ – das ist gut!

Nachdem die Autoren eingangs ihres Artikels einfach so behauptet haben, dass es bei den Spielen überhaupt nicht um die Gewalt gehe („denn erstens wird ja keine Gewalt ausgeübt beim Spielen…“) – kommen sie nun mit einer Kompensationstheorie, die dazu nicht so recht passt. Denn dazu müssen sie annehmen, die Lust an der verbotenen realen Gewalt werde kompensiert durch die virtuell ausgeübte Gewalt. Die Spiele-Gewalt sei also ein Form des Handelns, nicht bloss des Rezipierens eines Abbilds der Gewalt (wie etwa im Film).

Das Töten beschreiben sie dann als eine „Verhaltensweise“, die nicht als „salonfähig“ gilt – infolge „kultureller Ächtung“. Und diese Ächtung wird nun in die Nähe des „herrschenden Geschmacksterrors“ gerückt, der den Menschen leider einen „stilistischen Horizont“ vorgibt. Wer virtuell tötet, überschreitet also mutig und rebellisch die Grenzen, die ihm die moralisierende Spiesserwelt zieht. Der Killerspieler ist ein Rebell wieder die bürgerliche Gesellschaft mit ihrem Geschmacksterror.

Dann wiederum scheint es aber doch nicht um die Gewalt per se zu gehen – sie macht bloss, wie der zitierte Medienwissenschaftler erklärt, von ihr unabhängige Konflikte „relevant“. (Den alten Konflikt zwischen Menschen und Moorhühnern, Menschen und Aliens?)

Am Ende wird dann noch beiläufig hingeworfen, dass männliche Jugendliche in Spielen Rollenmuster suchen. Guter Punkt!

Schade nur, dass manche dabei Rollenmuster finden, die häßliche Konsequenzen für sie und andere haben. Aber dazu – zum Hauptpunkt des Problems – zur Krise der Männlichkeit und ihrem Ausdruck in den Ballerspielen – kein Wort von den geschätzten Kollegen.

 

Der Niedergang der arabischen Liberalen

Während die westliche Öffentlichkeit die Abstrafung Bushs und das Ende der Neocons feiert, breiten sich finstere Gefühle unter den Liberalen des Nahen Ostens aus.

Denn Demokratisierung heisst offenbar auf absehbare Zeit Islamisierung.

Und während wir uns nun im Lichte der irakischen Selbstmordattentate, des Hamas-Wahlerfolgs, der iranischen und ägyptischen Islamisierung auf einen aussenpolitischen Neorealismus einstellen, sollten wir diejenigen nicht vergessen, die in der Region (und im Exil) trotz alledem an einen freiheitlichen und demokratischen Nahen Osten glauben – und oft genug mit Leib und Leben dafür kämpfen.

Zwei Erinnerungen: Ein hervorragender Aufsatz in Opendemocracy über den grossen Autor Nagib Machfus als Verkörperung des arabischen Liberalen. Und einen traurigen Zwischenruf von Michael Young im immer lesenswerten Forum Middle East Transparent über das Ende der Hoffnungen auf einen „liberalen Nahen Osten“.