„Wertegebundene Außenpolitik ist abwegig“ (Helmut Schmidt)

Zunächst mal: Ich vermisse das hier.

Das Bloggen war jahrelang ein gutes Mittel, den Phantomschmerz des Tageszeitungsredakteurs zu betäuben, den es in ein Wochenmedium verschlagen hatte. Zunächst musste ich es fast ein bisschen undercover betreiben, weil es in unserem Hause als Ablenkung von der eigentlichen Arbeit galt (was ja auch sein kann). Inzwischen hat sich die Haltung des Hauses zum Digitalen deutlich verändert. Chefredakteure twittern und erfreuen sich ihrer Follower. ZEIT Online ist ein respektierter eigener Zweig der Publikation, Print-Redakteure machen sogar Hospitanzen bei den Onlinern und kommen beeindruckt von deren Professionalität und Arbeitsrythmus zurück, dessen Schlagzahl für Angehörige des Dead-Tree-Zweigs unseres Hauses furchterregend ist.

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Breiviks Prozess als Zerrspiegel der „Islamkritik“

Dröhnendes Schweigen aus der Islamhasserszene begleitet den Breivik-Prozess. Verständlich. Denn was der Massenmörder da zur Begründung seiner Taten ausbreitet, enthält so viele Grundüberzeugungen der Szene, dass es einem den Atem verschlägt.

Das „Manifest“ Breiviks konnte man noch abtun. Aber jetzt steht da dieser Mensch und legt seine Überzeugungen dar, die den Mord an 77 Menschen und noch mehreren, wenn es denn die Gelegenheit gegeben hätte, rechtfertigen sollen. Man möchte nun gerne glauben, das sei doch alles beliebig. Es hätten auch ganz andere Überzeugungen sein können und dann eben andere Opfer. Es findet sich immer ein Grund zum Morden! Und dass dieser Mensch seine Morde mit diesen Überzeugungen begründet, das sagt dann am Ende doch gar nichts über deren Richtigkeit oder Falschheit aus!
Merkwürdig nur: Wenn das gleiche über die Taten islamistischer Attentäter gesagt wird – dass der Islam nur eine Scheinlegitimation für Mordlust aus anderen Motiven hergebe -, dann setzt das große Hohngelächter ein: Nein, diese Leute vollstrecken bloss den Islam, sagen die Islamhasser. Die haben ganz genau verstanden, welche Botschaft sich im Koran verbirgt. Und wer das bestreitet oder relativiert, der macht sich der Verharmlosung schuldig. (Ich bin der  Meinung, dass es falsch und verharmlosend ist, „den Islam“ als Motivationsfaktor auszunehmen, wie ich des öfteren geschrieben habe, ohnde dass eine Referenz auf „den Islam“ per se erklären kann, was Al Kaida ist und will.)

Was Breivik getan hat, soll nun aber überhaupt nichts mit der Hasspropaganda gegen den Islam zu tun haben, die sich in einschlägigen Internetforen ausgebreitet hat? Auch in Kommentaren zu diesem Blog war schon zu lesen, da blähe sich halt ein kranker Narziss auf, der sich eine Wahnwelt aus beliebigen Teilen gebaut habe. Ist sozusagen Pech für die „Islamkritik“: Sie ist Breiviks ärgstes Opfer. Und schon wird gewarnt, jetzt werde die Redefreiheit über „den Islam“ noch mehr eingeschränkt, weil jeder Islamkritiker nun in die Nähe Breiviks gerückt werde. Das stimmt zwar nicht. Aber es zeigt, wie sehr dieser Prozess diesen Teil der „Islamkritik“, der in Wahrheit kaum kaschierter antimuslimischer Rassismus ist, in die Defensive bringt. Breiviks Aussage entstellt den Geist dieser Szene zur Kenntlichkeit.

– Wie oft hat man mir hier schon die Phantasie eines kommenden Bürgerkriegs vor Augen gestellt, der durch die islamische Einwanderung unabweisbar werde?
– Wie selbstverständlich wird immer wieder suggeriert, die Kriminalität jugendlicher Täter mit islamisch geprägtem Migrationshintergrund sei in Wahrheit bereits ein Teil dieser Auseinandersetzung „des Islams“ mit „dem Westen“?
– Geradezu zum guten Ton gehört in all diesen Auseinandersetzungen das Geschimpfe gegen die linksgrünen Gutmenschen („Gutis“), die als nützliche Idioten der Machtergreifung des Islams in Europa vorarbeiten. Auch mir ist schon wie anderen Kollegen am Internet-Pranger „Nürnberg 2.0.“ vorgeworfen worden, ich betriebe „Lobbyarbeit für eine fremde Macht“.
– Das Feindbild Multikulturalismus als gezielt betriebene Selbstaufgabe des Westens ist ein ideologischer Kernbestandteil der Islamhasserszene.
– Die Stilisierung „des Islams“ zur völkermörderisch totalitären Ideologie, gegen die Widerstand geleistet werden müsse – das ist die zentrale Botschaft der Wilders, Spencer, Geller und Stürzenberger.
– All das kommt einem nun aus dem Osloer Gericht entgegen in verdichteter Form und zugespitzt mit der Pointe – um eine deutsche Theoretikerin der Entgrenzung zu zitieren – „natürlich kann geschossen werden„.  Kann? Muss. Das sollen wir Breivik am Ende abnehmen.

Ich habe es schon früher geschrieben und bleibe dabei: Breivik hat sich die Legitimationsgrundlage seiner Taten nicht herbeihalluziniert, er konnte sie im Netz zusammenbasteln. Er praktiziert in seinem Manifest einen Copy-und-Paste-Faschismus auf über 1.000 Seiten.

Wenn Breivik aufgrund seines apokalyptischen Weltbildes – in dem es gilt, einem alles verschlingenden Multikulturalismus auch mit Waffengewalt zu wehren – psychotisch ist und an paranoider Schizophrenie leidet, dann bewegen sich viele, die ihr Gift in den entsprechenden Foren verspritzen, ebenfalls am Rande der Geisteskrankheit.

Der Blick in den Gerichtssaal von Oslo ist der Blick in einen Zerrspiegel.

 

Ist Islamkritik ohne Islamophobie möglich?

Im folgenden ein (sehr langer) Beitrag über das Debattenjahr 2010, geschrieben für das Jahrbuch „Muslime in den Medien“. Regelmäßigen Lesern dieses Blogs werden einige Passagen bekannt vorkommen.

Die deutsche Debatte des Jahres 2010 ist bei aller Vielstimmigkeit von ei­nem einzelnen Buch geprägt, und das gilt nicht nur für die so genannte „Is­lamkritik“: Thilo Sarrazins Sachbuchbestseller „Deutschland schafft sich ab“.
Die merkwürdige Ironie dieses Erfolgs ist, dass Sarrazins Buch als Beitrag zur „Islamkritik“ in die Geschichte eingegangen ist. Dafür gibt es Gründe, etwa die Gegenwart von Necla Kelek, die auch als sogenannte „Islamkriti­kerin“ firmiert, bei der Vorstellung des Buchs in Berlin. Auch bereits die Diskussion vor Erscheinen des Buchs aufgrund von Sarrazins Interview mit „Lettre International“ im Herbst 2009 wird hier die Weichen der Re­zeption gestellt haben. Schon dieses Interview wurde weithin als Angriff auf Muslime und den Islam wahrgenommen.
Was das Buch selber angeht, ist die „islamkritische Rezeption“ aller­dings erklärungsbedürftig: Im März 2011 erklärt der Autor bei Gelegenheit eines Auftritts in der Evangelischen Akedemie Tutzing, eigentlich habe er „ja gar kein Buch über Muslime schreiben“ wollen, sondern – über den Sozi­alstaat. Und mit der Zuwanderung beschäftige er sich entsprechend auch erst ab Seite 256.
Das ist sachlich richtig, macht die Aufregung um Sarrazin aber noch rätselhafter: Alles ein großes Missverständnis? Sind die Muslime selber schuld, wenn sie sich angesprochen fühlen? Polemisch gesagt: Typisch isla­mische Ehrbesessenheit und Neigung zum Beleidigtsein? Und was die vielen Hunderttau­sende Käufer angeht, haben die dann auch alles missverstanden?
Das Ansehen des Islams und der Muslime ist auf einem Tiefpunkt, wie immer neue Umfragen belegen. Sarrazin aber hat, wenn man seine Äu­ßerungen in Tutzing ernst nimmt, daran weder Anteil, noch profitiert er davon, denn eigentlich geht es ihm ja nur um „den Sozialstaat“? Warum bloss hört das Publikum „Islam“, wenn der Sozialstaat gemeint ist?
„Islamkritik“ ist eine Art Beruf geworden. Seyran Ateş, Autorin meh­rerer Bücher, die sich mit Geschlechterfragen und den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft befassen, verbittet sich mittlerweile, so bezeichnet zu werden: Sie ist selber gläubige Muslimin und möchte nicht als jemand rubriziert werden, der etwas „gegen den Islam“ hat. Ihre Auseinandersetzung mit dem Missständen, die religiös rechtfertigt werden, will sie nicht als religionsfeindlich missverstanden wissen. Ateş hat guten Grund zu dieser Distanzierung: Was hierzulande weithin als „Islamkritik“ läuft, hat sich von der notwendigen intellektuellen, historischen, theologischen, politischen Auseinandersetzung mit einer Weltreligion immer weiter entfernt – und ist zur Stimmungsmache gegen einen Bevölkerungsteil verkommen. Es muss nicht so bleiben. Vielleicht kann es auch gelingen, zur Sachlichkeit zurückzukehren. Vielleicht kann man die Übertreibungen unserer Debatte auch wieder einfangen. Derzeit sieht es leider nicht so aus.
Das ist für mich das vorläufige Ergebnis eines aufgeregten Debattenjahres.
Zu Beginn des Jahres erregte Wolfgang Benz großes Aufsehen mit seiner These von den Parallelen zwischen Islamkritik und Antisemitismus. In sei­nem Stück in der Süddeutschen Zeitung vom 4. Januar heißt es:
„Die unterschwellig bis grobschlächtig praktizierte Diffamierung der Musli­me als Gruppe durch so genannte ‚Islamkritiker‘ hat historische Paralle­len. (…)
Der Berliner Antisemitismusstreit war vor allem eine Identitätsdebatte, eine Auseinandersetzung darüber, was es nach der Emanzipation der Ju­den bedeuten sollte, Deutscher zu sein und deutscher Jude zu sein. Derzeit findet wieder eine solche Debatte statt. Es geht aber nicht mehr um die Emanzipation von Juden, sondern um die Integration von Muslimen.“
Damit hat Benz in meinen Augen ganz einfach recht. Seine Kritiker hielten ihm entgegen, er setze Antisemitismus und Islamkritik gleich. Benz sugge­riert aber nirgends, dass ein Holocaust an Muslimen drohe oder dass Musli­me in Deutschland ähnlichen Formen der Diskrimierung unterliegen wie vormals die Juden. Das wäre auch bizarr.
„Der symbolische Diskurs über Minarette“, schreibt Benz, “ist in Wirklichkeit eine Kampagne gegen Menschen, die als Mitglieder einer Gruppe diskriminiert werden, eine Kampfansage gegen Toleranz und Demokratie.“
Benz spricht über den „Diskurs“, der besonders im Internet erschreckende Formen angenommen hat. Und sein eigentlicher Punkt ist den Kritikern entgangen: Es handelt sich bei der „Islamkritik“ um eine Identitätsdebatte der Mehrheitsgesellschaft. Es wird darin verhandelt, was es heute heißt, Deutscher und Muslim zu sein. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die in den Unterstellungen unterging, ausgerechnet Benz, der sein Leben lang über Antisemitismus geforscht und gegen ihn gekämpft hat, wolle irgendetwas von der Schrecklichkeit des Antisemitismus „relativieren“.
Ich halte das für einen entscheidenden Punkt zum Verständnis der deut­schen und europäischen Debatten über den Islam: Sie handeln in Wahrheit nicht wirklich vom Islam als Religion. Man kann die Leidenschaften, die dabei am Werk sind, wohl kaum aus einem Interesse am Verstehen einer Weltreligion ver­stehen, die (als Teil Europas, nicht als sein Gegenüber) immer noch neu ist. In erheblichem Maße dient die Debatte über den Islam der Selbstvergewis­serung einer verunsicherten Mehrheitsgesellschaft. Es geht bei der „Islamkritik“min­destens so sehr um die deutsche, die europäische, die christliche, die säku­lare Identität wie um den Islam.
Das ist für sich genommen weder irrational noch illegitim. Es gibt Gründe für diese Verunsicherung, es gibt Gründe, die die „Islamkritik“ an- und ihr die Leser zutrei­ben. Ich sehe Deutschland in der Situation eines Nach-Einwanderungslan­des. Das Wort ist nicht schön, aber es beschreibt die Wirklichkeit: wir leben in einer post-migrantischen Situation. Wir debattieren also nicht mehr unter einem Einwanderungsdruck: Der Wanderungssaldo Deutschlands mit der Türkei ist seit Jahren negativ. Seit 1961 kamen türkische Gastarbeiter nach Deutschland, mehr als 900.000 bis 1973, als das Programm durch den Anwerbestopp beendet wurde. Durch Familienzusammenführung und natürliches Wachstum nahm die türkische Bevölkerung in Deutschland bis 2005 auf 1,7 Millionen zu. Beginnend im Jahr 2006 kehrte sich der Trend um: Mehr Menschen zogen von Deutschland in die Türkei als umgekehrt. 2009 gingen 10.000 mehr Menschen von Deutschland in die Türkei als vice versa.
Das ist nur ein Beleg dafür, dass Deutschland (jedenfalls für Türken) kein Einwanderungsland mehr ist. Doch just in dem Moment nehmen die Debat­ten über die Eingewanderten und ihre Nachkommen immer schärferen Charakter an. Vielleicht kann man im Amerika der Zwischenkriegszeit des letzten Jahrhunderts einen Präzedenzfall sehen. Damals wurden die Gren­zen für Immigration weitgehend geschlossen – nach einer großen Welle zwi­schen 1870-1924, die Iren, Deutsche, Polen und andere Osteuropäer und Italiener in Millionenzahlen nach Amerika gebracht hatte. Der Immigrati­on Act von 1924 setzte harte Quoten nach ethnischen Kriterien. Und dies führ­te dazu, dass die USA zeitweise aufhörten, Einwanderungsland zu sein. Man ging daran, mit viel Druck die Integration/Assimilation der Eingewan­derten zu betreiben. Es gab sogar – vor allem im Zuge des Weltkrieges – starke xe­nophobe Exzesse (gegen Japaner).
Ich will die Analogie nicht zu weit treiben. Nur soviel: Europa insgesamt scheint, nach der gigantischen Einwanderungswelle der Nachkriegszeit, die gespeist wurde durch Postkolonialismus und Wirtschaftsboom, ebenfalls in einer Phase der Schließung zu sein. Schließung im Wortsinne durch gesetz­liche Erschwerung von Zuwanderung. Und im übertragen Sinne als Ver­such, die jeweilige Identität zu bewahren (was auch immer das jeweils sei). Der Erfolg der rechtspopulistischen Anti-Einwanderer-Parteien überall in Europa spricht dafür.
Überall? Eben nicht. Deutschland hat keine solche Partei. Deutschland hat statt dessen eine Debatte in Gestalt der „Islamkritik“. Mir ist das einstweilen lieber so, wie hässlich die Debatte auch sein möge. Bei aller Kritik an der „Islamkritik“ sollte das nicht vergessen werden.
Der Soziologe Niklas Luhmann hat in seinem Buch über die „Realität der Massenmedien“ gesagt:
“Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wis­sen, wissen wir durch die Massenmedien.”
Im Luhmannschen Sinn möchte ich im folgenden darüber reden, welches Bild des Islams wir in Deutschland haben, wenn man unsere Massenmedi­en dabei zugrundelegt. Für hier lebende Muslime bedeutet das: Welches Bild bekommen sie davon, wie sich die Mehrheitsgesellschaft durch ihre Medien den Islam zurecht legt. Einfacher gesagt: Ein Muslim sieht unsere Schlagzeilen und liest unsere Geschichten über den Islam und fragt sich: Aha, so also sehen die mich, meine Kultur und Religion, meine Herkunft und Prägung.
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Einwanderung bedeutet mehr Ungleichheit

Alexander Stille hat einen interessanten Artikel in der NYT geschrieben über den Zusammenhang von Inklusion und Gleichheit. Stille will eigentlich auf die Vorteile der europäischen Gesellschaften hinaus, was die Stratifizierung des Sozialen angeht. Es gibt bei uns weniger harte Abgrenzungen, weniger scharfe soziale Unterschiede, eine weniger hermetische Elite.

Aber: für die Diskussionen dieses Blogs, die um die Fragen der Einwanderungsgesellschaft rotieren, hat Stilles Ausführung eine gegenläufige Pointe. Eine Gesellschaft, die mehr ökonomische Ungleichheit zu akzeptieren bereit ist, kann sich viel inklusiver gegenüber Einwanderern verhalten. Und umgekehrt: Inklusivität gegenüber Einwanderern und Minderheiten (in Form von Chancengerechtigkeit) führt letztlich dazu, dass die unterschiedlichen Ergebnisse, die der einzelne erzielt, wesentlich mehr Akzeptanz erfahren.

Das Argument für Umverteilung wird schwächer, je besser eine Gesellschaft darin ist, alle zum Wettbewerb zuzulassen. Die Abwesenheit von Diskrimierung legitimiert paradoxer Weise größere soziale Ungleichheit als Ergebnis.

Other nations seem to face the same challenge: either inclusive, or economically just. Europe has maintained much more economic equality but is struggling greatly with inclusiveness and discrimination, and is far less open to minorities than is the United States.

European countries have done a better job of protecting workers’ salaries and rights but have been reluctant to extend the benefits of their generous welfare state to new immigrants who look and act differently from them. Could America’s lost enthusiasm for income redistribution and progressive taxation be in part a reaction to sharing resources with traditionally excluded groups?

“I do think there is a trade-off between inclusion and equality,” said Gary Becker, a professor of economics at the University of Chicago and a Nobel laureate. “I think if you are a German worker you are better off than your American equivalent, but if you are an immigrant, you are better off in the U.S.”

PROFESSOR Becker, a celebrated free-market conservative, wrote his Ph.D. dissertation (and first book, “The Economics of Discrimination”) to demonstrate that racial discrimination was economically inefficient. American business leaders seem to have learned that there is no money to be made in exclusion: bringing in each new group has simply created new consumers to court. If you can capture nearly three-quarters of the economy’s growth — as the top 1 percent did between 2002 and 2006 — it may not be worth worrying about gay marriage or skin color.

Die europäischen Gesellschaftsmodelle, die alle (mit Ausnahme Großbritanniens) auf einem System von Schutzmechanismen und Ansprüchen für diejenigen beruhen, die bereits drin sind, werden auch darum so stark durch Migration herausgefordert: Einwanderungsgesellschaften tendieren zu stärkerer Ungleichheit. Soziale Sicherungssysteme werden unhaltbar. Die Hausse der so genannten Rechtspopulisten ist eine Reaktion darauf. Sie sind Anspruchsbewahrungsparteien der alteingesessenen Mittelschichten mit – auf den Sozialstaat bezogen – konservativer Tendenz (-> Wilders, Front National, „Freiheitliche“).

Removing the most blatant forms of discrimination, ironically, made it easier to justify keeping whatever rewards you could obtain through the new, supposedly more meritocratic system. “Greater inclusiveness was a precondition for greater economic stratification,” said Professor Karabel. “It strengthened the system, reinvigorated its ideology — it is much easier to defend gains that appear to be earned through merit. In a meritocracy, inequality becomes much more acceptable.”

(…)

Of the European countries, Britain’s politics of inequality and inclusion most resemble those of the United States. Even as inequality has grown considerably, the British sense of economic class has diminished. As recently as 1988, some 67 percent of British citizens proudly identified themselves as working class. Now only 24 percent do. Almost everybody below the Queen and above the poverty line considers himself or herself “middle class.”

Germany still has robust protections for its workers and one of the healthiest economies in Europe. Children at age 10 are placed on different tracks, some leading to university and others to vocational school — a closing off of opportunity that Americans would find intolerable. But it is uncontroversial because those attending vocational school often earn as much as those who attend university.

In France, it is illegal for the government to collect information on people on the basis of race. And yet millions of immigrants — and the children and grandchildren of immigrants — fester in slums.

Der Zusammenhang von Ungleichheit und Inklusion ist vielleicht so etwas wie das dirty little secret unserer Migrationsdebatte.

 

Der Muslim und die blonde Bestie

Der bayerische Landesvorsitzende der Partei „Die Freiheit“, Christian Jung, hat sich in einem Videoblog mit meinem Kommentar zum verdienten Untergang seiner Partei bei der Berlin-Wahl beschäftigt. Herr Jung wiederholt in seinem Kommentar den Vorwurf, ich hätte mit dem Wort von der „blonden Bestie aus Limburg“ Geert Wilders das Menschsein abgesprochen. Das ist Humbug. Man soll seine Witze nie erklären, beziehungsweise: wenn sie erklärt werden müssen, waren sie meist nicht gut.

Dennoch: Mir ging es um mehr als einen Witz. Es handelt sich bei der blonden Bestie um ein Nietzsche-Zitat aus der „Genealogie der Moral“. Das große Manifest Nietzsches gegen das „Gutmenschentum“ (wie man heute gerne sagt) präsentiert die „blonde Bestie“ als positives Gegenmodell zu dem von der christlichen „Sklavenmoral“ verzwergten „zahmen und zivilisierten Haustier“ des modernen Menschen.
Nun passt diese Anspielung auf den Herrn Wilders eigentlich recht gut, wenn man den Anspielungskontext kennt, und nicht nur wegen der Haarfarbe: „blondierte Bestie“ wäre da vielleicht noch besser gewesen. Ist es denn nicht ein immer wiederkehrender Refrain der rechtspopulistischen Moralkritik, dass die Weichheit der (im Gutmenschentum verallgemeinerten) christlichen Sklavenmoral uns dem unzügelbaren Machtwahn der eben nicht durch diese Moral gebremsten Muslime ausliefert (die wissen noch, was ein Wille zur Macht ist, und der Koran ist doch ihr „Mein Kampf“, wie Wilders sagt…)?

In gewisser Weise sind nämlich die Muslime im Blick der „Islamkritiker“ auch „blonde Bestien“ (wie Nietzsche den Begriff verstand, der übrigens explizit auch den „arabischen Adel“ dazu rechnete). Sie sind eben noch nicht verzwergte Gutmenschen, sondern (nietzscheanische) Barbaren mit einer (politischen) Barbarenreligion, die sie stärker macht als die abendländisch-christlichen Gutmenschen je sein können. So wird es doch in den entsprechenden Foren fortwährend dargestellt. Es liegt eine geheime Bewunderung für die vermeintlich barbarisch ungezügelt machtwilligen Muslime in der islamkritischen Suada: Es ist dies die Bewunderung, die Nietzsche für die „blonde Bestie“ aufbrachte, für die

frohlockende(n) Ungeheuer, welche vielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord, Niederbrennung, Schändung, Folterung mit einem Übermuthe und seelischen Gleichgewichte davongehen, wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei.

Herr Jung bestätigt in seinem Videobeitrag, dass ich damit nicht falsch liege, wenn er zwar einräumt, dass die Ahmadiyya dem Dschihad abgeschworen haben mögen (Aha! Aber war denn der Proteste gegen deren Moschee trotzdem richtig?) – dann aber postuliert, dass dies im Umkehrschluss ja heißen müsse, dass es „ansonsten zum Islam dazugehört, eine Politikreligion zu sein und den Dschihad auch zu betreiben, also den Kampf gegen Ungläubige zur Verbreitung der Religion“. Die wissen noch, wie man kämpft! Die sind durch nichts von ihrem Welteroberungsplan abzubringen!

Wer wollte bestreiten, dass „das“ (Dschihad, Machtstreben) zum Islam „dazugehört“! (Dieses Blog ist entstanden, um daran nochmal zu erinnern, um einen iranischen Dissidenten zu unterstützen, der von den Ajatollahs eingesperrt wurde.) Nur wie gehört es dazu?  Ist es identisch mit „Islam“, ist es der unwandelbare Kern?

Die gesamte rechtspopulistische „Islamkritik“ kommt ohne die dekadenzkritische Denkfigur Nietzsches aus der „Genealogie der Moral“ nicht aus, und – das zeigen die empörten Reaktionen auf meine Anspielung – sie weiß das nicht einmal: Der Westen, wird da suggeriert, werde an seinem Moralismus, seiner Bedenkenträgerei (Rechtsstaat) und seiner Naivität eingehen und im Dhimmitum enden, während ein vormoralisches Volk, getrieben von einer auf Herrschaft um jeden Preis angelegten Religion sich anschickt, sich und seinem Gott, der eigentlich nichts ist als Wille zur Macht, die Welt zu unterwerfen. Das ist das Weltbild von Wilders, Freysinger, PI und „Freiheit“, und darum war meine Pointe mit der „blonden Bestie“eben  kein Versuch, dem blondierten Herrn aus Limburg sein Menschsein abzusprechen – sondern vielmehr, im ironischen Gestus einen Hinweis auf seine ideologischen Grundlagen zu geben.

Soll man nicht tun, Ironie funktioniert nicht in der Blogosphäre. Ich weiß. Aber manchmal muss es doch sein. Und ich habe aus den Reaktionen durchaus etwas gelernt.

 

 

Der verdiente Untergang der Rechtspopulisten von der „Freiheit“

Bei all der berechtigten Aufregung über eine gewisse Partei (?), die es erstmals ins Berliner Abgeordnetenhaus geschafft hat, sollte man nicht vergessen, wer es nicht geschafft hat: „die Freiheit“ des René Stadtkewitz.

Trotz Wilders, trotz Sarrazin-Hype, trotz 9/11- Auftritt von Stadtkewitz in New York, trotz Unterstützung durch die blonde Bestie aus Limburg und den schweizer SVP-Mann Oskar Freysinger beim „Großen Treffen der europäischen Freiheitskämpfer“ kurz vor der Wahl. Oder vielleicht gerade wegen der Unterstützung des letzteren? War es vielleicht die Anti-Europa-Lyrik des Herrn Freysinger, die dem Berliner Wähler den Rest gegeben hat? Ich zitiere:

Der Euro-Stier stand hoch gereckt,
Die Vorderhufe vorgestreckt,
Begattungsfreudig, fruchtbar stampfend
Und aus den roten Nüstern dampfend,
Im Geifermaul noch ein paar Kräuter,
Im Geiste schon den Griff ans Euter,
So stand das geile Euro-Tier
Und unter seinen Hufen … wir! (…)

Wie dem auch sei: Nicht einmal in Stadtkewitz‘ heimischen Revier Pankow hat er sich merklich über ein Prozent hinaus bewegen können. Damit kann man das Thema Rechtspopulismus in Deutschland (als parteipolitische Kraft) erst einmal begraben. Keine „incertitudes allemandes“ auf dieser Seite.

Deutschland hat eine offene Debatte mitten durch die Parteienwelt hindurch, wo andere Länder rechtspopulistische Parteien haben, die stellvertretend die Themen Einwanderung, Migration, Islam hochziehen. Und das ist besser so. In diesem Sinn: Dank an Herrn Buschkowsky.

Man kann nach diesem Wahlergebnis ein bisschen gelassener mit Phänomenen wie PI umgehen: deren Mobilisierungskraft ist und bleibt marginal. Sie haben vor allem die Funktion von Wutsammelbecken für den anonymen Mob. Man muss das wahrscheinlich beobachten als potenzielles Radikalisierungsmilieu – genau wie die islamistischen Websites. Aber politisch ist nichts zu befürchten.

Ich habe Herrn Stadtkewitz übrigens vor einigen Monaten getroffen. Damals dachten wir in der Redaktion, man sollte mal über die Chancen des deutschen Rechtspopulismus recherchieren (nachdem es hieß, eine „Sarrazin-Partei“ – was auch immer das wäre – könnte 18 Prozent holen). Wir haben den Artikel nie geschrieben, was auch an der Performance von René Stadtkewitz lag. Der Mann lohnte die Aufregung nicht. Allerdings ist er eine verachtenswerte Figur.

Eins ist mir aus dem Gespräch lebhaft in Erinnerung geblieben: Er hatte vor Jahren gegen die geplante Ahmadiyya-Moschee in Pankow agitiert und suggeriert, es handele sich um eine gefährliche Gruppe.

Ich fragte ihn also, ob er nicht wisse, dass die Ahmadiyyas in Pakistan schwerstens verfolgt werden von den wirklich gefährlichen radikalen Islamisten?

Ob er wisse, dass die erste Berliner Moschee von 1924 eine Ahmadiyya-Moschee war?

Ob er nicht wisse, dass die Ahmadiyya-Muslime unpolitisch seien, den Begriff Dschihad seit dem Auftreten ihres Propheten Mirza Ghulam Ahmad ablehnen, in dem übrigens manche Anhänger eine Wiederkehr Jesu manifestiert sehen?

Keine Antwort vom Freiheitskämpfer darauf. Nur glasige Blicke und der Kommentar: Es sei ja hier um einen Stellvertreterkampf gegen die freiheitsfeindliche Ideologie des Islam gegangen. Und da, so die Suggestion, ist dann eh alles erlaubt, und es kommt eben nicht so auf die Feinheiten an.

In Erinnerung an dieses Gespräch freut mich der Untergang der „Freiheit“ ungemein.

 

„In einem Jahr bin ich weg“ – eine Rundreise durch den europäischen Antisemitismus

Meine Reportage erscheint morgen auf Seite 3 der ZEIT (aus Anlass des Gedenktages zur Befreiung des KZ Auschwitz):

Amsterdam/Malmö/Budapest
Vor einiger Zeit hat Raphael Evers aufgehört, die Tram in seiner Heimatstadt Amsterdam zu benutzen. Auch auf den Markt geht er nicht mehr. Er ist ein sichtbarer Jude – ein Rabbiner mit Rauschebart, breitkrempigem Hut und einem schwarzen Anzug mit Frackschößen, der mittags in Sal Meijers Kosher Sandwichshop ein Broodje Meijer mit gepökeltem Rindfleisch und Senf isst und sich dabei die Sorgen älterer Gemeindemitglieder anhört. Das Lokal im Amsterdamer Süden ist ein sicherer Ort. Die Straßen sind es nicht mehr. »Ich werde beschimpft, manchmal sogar angespuckt. Für Juden wie mich gibt es No-­go-­Areas­ in dieser Stadt. Das ist mir in Fleisch und Blut übergegangen.«
Das »jüdisch-christliche Erbe« wird in Europa derzeit gern beschworen, um sich vom Islam abzugrenzen. Doch der Vereinnahmung der Juden zur Verteidigung des Abendlands widerspricht das prekäre Lebensgefühl vieler, die ihr Judentum offen leben. Zwar gibt es durch die Einwanderung aus dem Osten eine neue Blüte; erstmals nach dem Holocaust. Doch wer wissen will, wie es heute um das jüdische Leben in Europa steht, der stößt auf Beklommenheit, Verunsicherung und Angst – das zeigt sich auf einer Reise nach Amsterdam, Malmö und Budapest.
»Bewusste Juden«, so wurde am 5. Dezember der liberale Politiker Frits Bolkestein in der Zeitung De Pers zitiert, »müssen sich darüber klar werden, dass sie in den Niederlanden keine Zukunft haben.« Sie sollten mit ihren Kindern lieber nach Israel oder in die USA emigrieren. Der 77-jährige Bolkestein war Vorsitzender der regierenden liberalen Partei VVD und später EU-Kommissar. Bolkestein habe, so Evers, seine Landsleute warnen wollen. Aber die Grünen, die sonst gerne über Rassismus reden, kritisierten den Überbringer der schlechten Nachricht. Ihre Spitzenkandidatin Femke Halsema erklärte, Bolkestein müsse wohl den Verstand verloren haben. Für Rabbiner Evers sind solche Reaktionen Teil des Problems.
Er ist als Direktor des Rabbinerseminars das Gesicht des Judentums im Lande. Er ist ein lebensfroher Typ. Er will kein Opfer sein, und er muss seiner Gemeinde Zuversicht vermitteln. Leicht ist das nicht. Das Klima sei »nicht gut« für »offen lebende Juden«, sagt er: »Aber wir dürfen nicht fliehen. Damit würden wir ja den Antisemiten recht geben! Sprechen Sie mit meinem Sohn, der kann Ihnen mehr erzählen.«
Benzion Evers ist wie sein Vater in der Gemeinde tätig. Aber nicht mehr lange: »In einem Jahr bin ich weg. Ich beende noch mein Studium, dann gehe ich mit meiner Frau nach Israel. Mein Vater sagt das zwar nicht öffentlich, aber ich glaube, nach seiner Pensionierung geht er auch weg.« Der 22-jährige Benzion hat sich schon in der Pubertät darauf eingerichtet, dass man in der Stadt besser keine Kippa, sondern eine Baseballkappe trägt. Er hat gelernt, den arabischstämmigen Schülern, die ihn und seine jüdischen Freunde als »Kanker Joden« (Krebsjuden) mobben, aus dem Weg zu gehen. Und er hat sich damit abgefunden, dass er sich permanent für Israels Politik rechtfertigen muss: »Man kann so leben. Aber es nimmt einem die Luft zum Atmen, wenn man seine Religion und seine Identität verstecken muss. Unseren Kindern wollen wir das nicht zumuten.« Benzion betont, er fliehe nicht nach Israel. Fünf seiner neun Geschwister sind schon in Israel. »Vielleicht macht der Antisemitismus nur den kleineren Teil meiner Entscheidung aus«, sagt Benzion. »Aber als Holländer finde ich, in unserem Land sollte so etwas überhaupt keine Rolle spielen.«
Seine Großmutter, Bloeme Evers-Emden, geboren 1926, ist eine Auschwitz-Überlebende. Sie war auf dem gleichen Transport wie Anne Frank. Sie kam zurück und lebte als Zeitzeugin in Amsterdam. Heute unterstützt sie seine Entscheidung. Eine Million Besucher kamen letztes Jahr ins Anne Frank Haus und ließen sich vom Schicksal dieser Ikone des Leides unter den Nazis bewegen. Wozu dient die Vergangenheitsbewältigung, wenn zugleich die Familien von Überlebenden aus dem Land gegrault werden?
Wer Frits Bolkestein in seinem Büro mit Amstel-Blick aufsucht, findet einen weißhaarigen Herrn vor, der einen sehr klaren, wenn auch bedrückten Eindruck macht. »Wenn Orthodoxe hier in Amsterdam eine Bar-Mizwa feiern, brauchen sie Wachleute. Die jüdischen Gemeinden müssen bei uns für ihre Sicherheit selbst bezahlen, die Regierung und die Stadtverwaltung schauen weg. Und die Politik hat Angst, das Problem anzugehen.«
Der muslimische Antisemitismus ist ein unangenehmes Thema in den Einwanderungsgesellschaften Europas, deren politisches System von Rechtspopulisten bedroht wird. Geert Wilders hat gleich versucht, aus Bolkesteins Äußerungen Profit zu schlagen: Nicht die Juden, sondern die Marokkaner müssten gehen. Die Parteien der Mitte scheuen sich, das Thema aufzugreifen, weil es Wilders nutzen könnte.

Seit Jahren findet eine schleichende Verrohung des öffentlichen Raums statt: Weil Ajax Amsterdam als »jüdischer Club« gilt (im Vorstand und auch im Team gab es gelegentlich Juden), rufen die Fans des Konkurrenten Feyenoord Rotterdam von den Stadionrängen »Hamas, Hamas, Juden ins Gas!«. Erst seit sich ein paar Holocaust-Überleben­de darüber in Briefen an die Vereine beschwert haben, beginnt die Liga einzuschreiten.
Seit dem Gazakrieg nimmt der Antisemitismus zu. 2009 – im letzten erfassten Zeitraum – wurde eine Steigerung der judenfeindlichen Straftaten um 48 Prozent registriert. Im Januar 2009, während des israelischen Krieges gegen die Hamas in Gaza, wurden 98 Taten gezählt, neun gewalttätig. Anfang Januar 2011 wurden mitten in Amsterdam Werbeplakate für ein Anne-Frank-Theaterstück mit dem Wort »PaleSStina« überschmiert.
Trotz der Vergangenheit kommen immer mehr junge Israelis nach Europa – ausgerechnet Berlin ist in den letzten Jahren zum Lieblingsreiseziel aufgestiegen. Gleichzeitig entdecken junge Europäer ihr Judentum wieder. Aber viele Juden, besonders orthodoxe, leben wie Rabbiner Evers – vorsichtig, innerhalb selbst gezogener Grenzen. Es gibt einen antisemitischen Alltag, einen offenbar akzeptierten Normalpegel des Hasses – auch in Deutschland: Jahr für Jahr werden im Schnitt 50 jüdische Friedhöfe geschändet, statistisch also jede Woche einer. Es sind meist Juden, die sich um den Antisemitismus kümmern müssen. Auch darum hat sich eine Bedrücktheit über das jüdische Leben gelegt.
Die Frage, wie tolerant Europa ist – wie der Alte Kontinent mit religiöser Vielfalt umgeht –, ist zuletzt anhand von Kopftüchern, Minaretten und Burkas diskutiert worden. Die Offenheit für Muslime ist zu Recht zum Maßstab geworden für das multireligiöse Europa. Darüber droht aus dem Blick zu geraten, wie sich alte Vorurteile, eine neue Demografie und der ewige Nahostkonflikt zu einer giftigen Mischung verquirlen, die Juden das Leben schwer macht. Das multireligiöse Europa muss zeigen, dass die Lehren aus dem Holocaust für alle gelten, auch für die Einwanderer und ihre Kinder.
Eine treibende Kraft der letzten Welle antisemitischer Taten sind muslimische Jugendliche, die selber unter der Engherzigkeit der europäischen Gesellschaften leiden, wenn sie Symbole ihres Glaubens tragen. Zwar wäre es falsch, nur auf sie zu schauen: Ungarn hat nahezu keine Muslime und doch ein wachsendes Problem mit Judenhass. Hier hat nämlich – wie in Teilen Ostdeutschlands – der Rechtsradikalismus Wurzeln geschlagen und sich unter Ministerpräsident Viktor Orbán als normaler Teil des politischen Lebens etabliert. Das neue Phänomen des muslimischen Antisemitismus jedoch ist ein besonders heikles Thema für die Einwanderungsgesellschaften West- und Nordeuropas. Die Hassbekundungen einer kleinen Teilgruppe meist junger, männlicher Migranten muslimischer Herkunft gegenüber Juden gefährden den Religionsfrieden in einem zunehmend multireligiösen Europa.

Auch in Malmö stößt man auf das Wort Gaza, wenn man nach Erklärungen für die Ereignisse der vergangenen Jahre sucht. Aber was hat Fred Kahn, der Vorsitzende der kleinen Gemeinde von Südschweden mit ihren 800 Juden, mit dem Stück Land zu tun, in dem die Hamas regiert? Der freundliche Herr mit Glatze und Schnurrbart, ein pensionierter Professor für Biochemie und Mikrobiologie, ist Schwede durch und durch. Früher, sagt Kahn, war Judenhass ein Phänomen der südschwedischen Neonazi-Szene. Heute machten vor allem Jugendliche aus dem islamisch geprägten Einwanderermilieu Probleme. Fast ein Fünftel der Bevölkerung Malmös ist muslimisch. Fred Kahn betont mehrfach, dass »99 Prozent der Muslime absolut friedlich« seien. Es gebe exzellente Verbindungen zu islamischen Gemeinden. Der Zentralrat der Juden, betont er, habe sich seit Jahren gegen die in Schweden grassierende Islamophobie gewandt. »Wir wissen«, sagt Kahn, »dass es überall, wo gegen religiöse Minderheiten gehetzt wird, am Ende auch gegen die Juden geht. Wir sind gegen Kopftuch- und Minarettverbote und verteidigen jedermanns Religionsfreiheit.«
Die Frage ist allerdings, wer für die Freiheit der Juden einsteht, unbehelligt Zeichen ihrer Religion zu tragen wie die Kippa oder den Davidstern. Der Rabbiner der Gemeinde, ein Orthodoxer, wurde auf der Straße mehrfach schon als »Scheißjude« beschimpft, den man »leider vergessen habe zu vergasen«. Seit dem Gazakrieg, sagt Kahn, sei das Klima so feindselig geworden, dass die meisten die Kippa lieber zu Hause lassen. Es gab Brandanschläge auf eine Kapelle, Verwüstungen jüdischer Friedhöfe und Pöbeleien gegen die Teilnehmer eines jüdischen Kinder-Ferienlagers. Etwa 30 jüdische Familien, schätzt der Vorsitzende, hätten die Stadt bereits verlassen, seit die Angriffe zunehmen. Manche gingen nach Stockholm, wo es mehr jüdische Infrastruktur gebe, in der man sich sicher fühlen könne, manche auch nach England oder Israel.
Der sozialdemokratische Bürgermeister der Stadt, Ilmar Reepalu, hat lange geschwiegen. Nachdem Berichte lokaler Medien den Antisemitismus skandalisierten, gab er ein Interview, das in Fred Kahns Augen alles noch schlimmer machte. Reepalu forderte von Malmös Juden, »sich klar von den Menschenrechtsverletzungen des Staates Israel gegen die Zivilisten in Gaza zu distanzieren«. Diese Äußerung kommt einer symbolischen Ausbürgerung gleich. Eine Ungeheuerlichkeit: Müssen sich schwedische Juden von Israel distanzieren, um sich das Recht auf Unversehrtheit als Bürger zu verdienen? Der Bürgermeister aber setzte in einem späteren Interview noch nach: »Wir akzeptieren weder Zionismus noch Antisemitismus noch andere Formen ethnischer Diskriminierung.« Das ist eine subtile Version der Behauptung, der Zionismus sei eine Form des Rassismus wie der Antisemitismus. Ein linker Bürgermeister, der sich nicht vor seine jüdischen Bürger stellt und stattdessen den als »Antizionismus« posierenden Affekt gegen Juden auch noch füttert? »Wenn Juden aus der Stadt nach Israel auswandern wollen, hat das für Malmö keine Bedeutung«, sagte er. Reepalu ist weiter im Amt und wird von seiner Partei gestützt.
In Budapest kommen die Angriffe gegen Juden aus einer anderen politischen Richtung. Ungarn hat mit über 100 000 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde Osteuropas. Nach dem Kollaps des Kommunismus gab es ein wahres Revival jüdischen Lebens. Die größte und schönste Synagoge des Kontinents steht an der Dohany-Straße im Zentrum der Hauptstadt, und Péter Feldmájer, Vorsitzender des ungarischen Zentralrats, residiert in einem holzgetäfelten Büro an ihrer Rückseite. Seine Augen leuchten, wenn er von den Tausenden nichtjüdischen Gästen spricht, die jedes Jahr zum jüdischen Sommerfest kommen. Seine Synagoge ist eine der Hauptattraktionen für Touristen, seit sie aufwendig saniert wurde.
Leider hatten auch die Rechtsradikalen ein grandioses Revival in den letzten Jahren. »Unter dem Kommunismus«, so Feldmájer, »war das alles verboten. Da konnte man es nicht sehen, aber es war immer da. Heute ist es wieder völlig normal, jemanden in der Öffentlichkeit als ›verdammten Juden‹ zu beschimpfen – als hätte der Holocaust nie stattgefunden. Was übrigens viele aus dieser Szene behaupten.«

Kristof Domina, ein junger Politikwissenschaftler, hat soeben das Athena Institute gegründet, einen Thinktank, der sich mit der rechtsradikalen Szene Ungarns beschäftigt. Er hat eine interaktive Karte der hate groups veröffentlicht, darunter 13 aktive Neonazi-Gruppen. Die Internetplattform kuruc.info, die regelmäßig den Holocaust leugnet und zur Gewalt gegen Roma und Juden auffordert, hat nach Dominas Erkenntnissen täglich bis zu 100 000 Besucher – eine erschreckende Zahl in einem Land von 10 Millionen Einwohnern. Kristof ist einer der wenigen nichtjüdischen Kritiker des Antisemitismus im Land. Er hofft, dass Ungarns EU-Ratspräsidentschaft die Aufmerksamkeit für diese Entwicklungen erhöht. Péter Feldmájer wünscht sich eine klare Verurteilung des alltäglichen Antisemitismus durch die Regierung. Aber er glaubt wohl selbst nicht daran. Orbáns konservative Regierungspartei Fidesz zögert, die offen antisemitische Partei Jobbik seit deren Zwölf-Prozent-Wahlerfolg im vergangenen Jahr in die Schranken zu weisen.
Für junge Juden wie die Studenten Tamás Büchler und Anita Bartha, beide Anfang 20, ist es eine Last, sich mit überwunden geglaubten Stereotypen zu beschäftigen. Sie engagieren sich in jüdischen Gruppen – Tamás als Koordinator für die Jewish Agency, Anita für eine lokale Jugendgruppe namens Jachad. Sie suchen eine positive Identität, sie wollen weg von deprimierenden Themen wie Holocaust und Antisemitismus. Die offizielle Vertretung der Juden, finden sie, reite zu viel darauf herum. Sie gehören zu der Ge­ne­ra­tion, die nach dem Kommunismus in Freiheit das Judentum wiederentdecken konnten, das ihre Eltern oft verheimlichen mussten. Die beiden tun die ungarischen Nazis als hässliche Folklore ab. Sie weigern sich, ihr Judentum von außen festlegen zu lassen und ihr Leben in Angst zu verbringen.
Vielleicht sind die Nazis mit ihren Pfeilkreuzen und Árpád-Bannern gar nicht das größte Problem. Anita berichtet von einer Untersuchung, nach der 40 Prozent der Geschichtsstudenten an ihrer Uni antisemitische Klischees vertreten. Tamás geht mit einem Aufklärungsprojekt in Schulklassen und muss immer wieder erleben, dass die Kinder darüber erstaunt sind, dass er keine große Nase hat. Er lacht, aber es klingt ein bisschen bitter. Wenn man die beiden fragt, wo sie ihre Zukunft sehen, lautet die trotzig-stolze Antwort: »Wir müssen nicht hier bleiben, anders als unsere Eltern unter dem Kommunismus.«
Aber zu gehen käme ihnen vor wie Verrat oder Niederlage. Entschieden haben sie noch nichts. Aber es ist beruhigend, die Option zum Gehen oder Bleiben zu haben: »Ich liebe diese Stadt wie verrückt«, sagt Anita. »Es ist die beste Stadt der Welt.«

 

Das Grundsatzprogramm der Partei „Die Freiheit“

Das Grundsatzprogramm der neuen Partei „Die Freiheit“ ist veröffentlicht. Darin steht viel Allgemeines über Grundwerte, Aufklärung –  und „Freiheit“, natürlich – wie üblich in solchen Texten, die kaum jemand je liest.

Ich glaube, die potentiellen Kandidaten für den Beitritt zu dieser neuen Partei werden sich mehr für die wenigen konkreten Aussagen interessieren als für dieses abstrakte Werte-Gesumse – zum Beispiel für den Vorschlag, das Baurecht für Moscheen zu ändern. Die Erschwerung des Moscheebaus ist sicher ein Alleinstellungsmerkmal dieser Partei (damit ist Herr Stadtkewitz, der Parteigründer, schließlich bekannt geworden, als er in Pankow gegen die Ahmadiya-Muslime hetzte, als seien das natürliche Dschihadisten, während jene in Pakistan regelmäßig von Sunni-Extremisten ermordet werden, weil sie als Häretiker gelten, aber das ist für Herrn Stadtkewitz zu kompliziert). Wie passt die Erschwerung des Moscheebaus zum Bekenntnis zur Religionsfreiheit, die bei uns schließlich im Art 4 der Verfassung garantiert ist? Gar nicht, außer man behauptet schlankweg, Moscheen dienten nicht der Religionsausübung (oder wie das Vorbild Wilders: der Islam sei keine Religion). So steht es denn auch im Programm.

Wenn man nun aber dieses Programm liest, fällt etwas übel auf. Gleich zu Anfang geht es um „Patriotismus und Identität“. Ich habe hier öfter dargelegt, dass ich glaube, gerade eine Einwanderungsgesellschaft brauche Patriotismus und Leitkultur.

Aber dies hier ist etwas anderes. Dass den Freiheitlichen zu Patriotismus sofort einfällt, dass jetzt mit der Nazizeit Schluss sein muss, ist bezeichnend. Der Clou ist ja m. E. gerade, dass ein neuer deutscher Patriotismus nach dem Krieg nur durch die Vergangenheitsbewältigung möglich wurde (vom Auschwitz-Prozess bis zur Weizsäcker-Rede und immer weiter bis zur Aufarbeitung der NS-Vestrickung unserer Ministerien).

Es gibt keinen Gegensatz zwischen Vergangenheitsbewältigung und Patriotismus, im Gegenteil: Die Bereitschaft zu ersterer ist die Voraussetzung für jeden glaubwürdigen Patriotimus hierzulande. Aber die Freiheitlichen konstruieren  gleich zu Anfang ihres Programms einen Widerspruch zwischen beidem, und das läßt Übles ahnen:

„Ein Volk, welches nicht zu sich selbst steht, ist langfristig dem Untergang geweiht. Jahrzehnte hindurch haben Meinungsmacher und Politiker dabei mitgewirkt, das Schuldbewusstsein der Deutschen wach zu halten, was die Identifikation mit ihrer eigenen Nation schwinden ließ. Wir Deutsche dürfen uns nicht auf die zwölf Jahre einer verbrecherischen Periode reduzieren lassen, es muss uns erlaubt sein, auf die kulturellen und historischen Leistungen des Deutschen Volkes stolz zu sein, ohne die Tiefpunkte unserer Geschichte auszublenden. Den eigenen Patriotismus über den der anderen Nationen zu stellen – das lehnen wir ab.

Wer verbietet denn bitte den Stolz auf unsere historischen Leistungen? Die Identifikation mit der Nation schwindet, wenn man sich mit dem NS beschäftigt? Im Gegenteil, meine Herren: Ehrliche Identifikation mit Deutschland setzt die Bereitschaft voraus, sich den dunklen Seiten zu stellen  – ohne Schuldstolz, aber auch ohne Ressentiment und Verschwörungstheorien, irgendwelche finstren Kräfte würden hier künstlich „das Schuldbewußtsein wachhalten“. (Früher wurde das immer den Juden unterstellt. Hier werden nur „Meinungsmacher und Politiker“ beschuldigt, aber das Muster ist das alte.) „Die Freiheit“ will gezielt proisraelisch erscheinen. Aber die zwölf Jahre, die sollen nun schön in Ruhe gelassen werden. Eine gewisse Spannung tut sich da auf, vorsichtig gesagt.

Interessant auch diese Passage:

„Jüdisch-Christliche Wurzeln

Wir sind uns unserer jüdisch-christlichen Wurzeln stets bewusst und wollen Staat und Gesellschaft aus christlich-abendländischem Geist gestalten. Wir gehen dabei vom positiven Menschenbild aus, wie es das Neue Testament der Bibel verkündet. Mann und Frau sind gleich an Würde. Alle bürgerlichen Rechte und Pflichten, alle Menschenrechte und das Selbstverständnis des Staates basieren auf diesem Menschenbild. Die lange abendländische Tradition Deutschlands ist nicht beliebig austauschbar.“

Jüdisch-christliche Wurzeln will ja heute einfach jeder für sich reklamieren. Aber dann ist es doch das Menschenbild des Neuen Testaments, das ja so schön „positiv“ ist. (Wirklich?) Und schon sind die Juden hinten vom Karren gefallen. Deren Menschenbild braucht man dann doch nicht, thank you Ma’am, wir haben ja das NT. Dessen Menschenbild (inklusvie Paulinischer Erbschuld?) ist ja soo positiv. Im Gegensatz zum negativen Menschenbild des „Alten Testaments“, oder was? In der Tat wird ja in den Römerbriefen das Christentum von Paulus herausgearbeitet als Befreiung des Menschen vom „Gesetz“ – also von der jüdischen Gesetzesreligion. Daraus sind die herrlichsten und grauslichsten Dinge gemacht worden: die „Kirche der Freiheit“ ist darin angelegt, und der christliche Antsemitismus ebenso. (Ach, was solls, auch das ist ja zu kompliziert. Darum geht es doch nicht. Es geht doch nur darum, eine Front gegen die Musels aufzubauen. und da wird der Jude kooptiert.)

In diesem schwierigen Feld tappen die Freiheitlichen mit ihrer Evokation des „christlich-jüdischen“ Erbes herum, nichts ahnend ganz offenbar. Ich kann nur sagen, die zunehmende Instrumentalisierung dieser oft genug verhängnisvollen deutsch-jüdischen Geschichte macht mir Sorgen. Ganz offenbar geht es bei der Verwendung der Codewörter christlich-jüdisch ja um den Ausschluß der Muslime. Es gibt schon genug, was uns vom Islam trennt, es gehört sich nicht, Religionen für diesen Kulturkampf zu instrumentalisieren.

Und dann noch dies: „Mann und Frau sind gleich an Würde“? (Das sagt übrigens auch der Zentralrat der Muslime, und wird ganz mau, wenn es um die Frage gleicher Rechte geht). Warum spricht man  nicht von gleichen Rechten? Ist hier ein Vorbehalt?

Dass das Selbstverständnis unseres Staates und die Menschenrechte auf dem „positiven Menschenbild“ des NT beruhen, ist nichts als höherer Bullshit.

Wir haben einen säkularen Staat (wenn auch mit Offenheit für die eingehegte Mitwirkung der Religionen), und wir müssen uns dagegen wehren, dass alle möglichen Hobbytheologen jetzt daran herumfummeln.

 

„Die Islam-Debatte ist primitiv“

Meint Daniel Pipes in einem Interview mit Ramon Schack (in der NZZ), das anläßlich unseres Berliner Disputs geführt wurde.

Zitat:

„Wie beurteilen Sie eigentlich die aktuelle Debatte in Europa und den USA um den Islam, die Integration von muslimischen Einwanderern usw.?

Die aktuelle Islam-Debatte im Westen ist primitiv. Unsere Probleme bestehen doch nicht aus Moscheebauten, Minaretten oder Kopftüchern. Es handelt sich um eine Phantomdebatte, an den eigentlichen Problemen wird vorbeidiskutiert. Wir müssen Massnahmen ergreifen, um die unbestrittenen, einmaligen Vorzüge der westlichen Zivilisation zu verteidigen, und dabei die Herzen der moderaten Muslime gewinnen, nicht aber Hysterie und Misstrauen streuen.

Sie selbst haben den niederländischen Politiker Geert Wilders öffentlich unterstützt. Begrüssen Sie den Aufstieg von islamfeindlichen, rechtspopulistischen Parteien in Europa?
Wilders‘ politische Agenda ist natürlich bizarr und nicht ernst zu nehmen, sein Parteiprogramm voller unhaltbarer Versprechungen und einfacher Lösungen. Allerdings hat er das Recht, seine Meinung zu äussern. Ich betrachte es als Skandal, dass er nicht ohne Leibwächter das Haus verlassen kann. Der Aufstieg dieser Parteien in Europa, die ja keinen einheitlichen Block bilden, ist das Resultat eines Versagens der politischen Klasse. Es wäre den etablierten Politikern und Parteien zu raten, sich dieses Themas anzunehmen, die Debatte zu führen und zu moderieren. Andernfalls wird die innenpolitische Lage in Europa weiter eskalieren, mit einer zunehmenden Radikalisierung auf allen Seiten.“

Mit diesen Äußerungen habe ich überhaupt kein Problem. Aber ich muss sagen, dass ich Pipes nicht verstehe, und das wird durch dieses Gespräch unterstützt. Er heizt doch selber eben jene haltlosen Debatten mit an, die er hier nun plötzlich als „primitiv“ oder „hysterisch“ bezeichnet. Er war es doch, der die geplante Moschee am Ground Zero als „Triumphalismus“ denunzierte. Er war es, der sogar noch die muslimische Miss America runtermachte zu einem Beleg für politische Korrektheit und affirmative action (lies: Dhimmitum auf seiten der Juroren). Er stilisiert das angebliche Verbot von Sparschweinen in England zum Beleg für für die Islamisierung Europas.

Und Wilders: Dass er ihn nun so runtermacht, wundert mich auch, denn er begrüßt ausdrücklich das Aufkommen rechtspopulistischer Parteien überall in Europa. So geschehen in unserer Debatte vorletzten Mittwoch in Berlin.
Mir fehlen die Worte dafür, dass er die  Türkei langfristig als eine „größere Bedrohung“ denn Iran ansieht und sie als schechthin „verloren“ für den Westen abtut. In Berlin hatte er sogar gesagt, die Türkei sei „the enemy“. Zugleich wird aber Iran als so gefährlich hingestellt, dass Obama „endlich handeln“ müsse, vulgo: bombardieren.
Und so hat man immer einen Feind im Ärmel. Ist der Iran erst ausgeschaltet, muss man sich etwas für den langfristigen „Feind“ Türkei überlegen.

 

Zur Verteidigung der deutschen Islamdebatte

Mein Statement bei der Diskusssion mit Daniel Pipes letzte Woche in Berlin (mit Überschneidungen, aber entscheidenden Verbesserungen (hopefully) zum Vortrag in Delhi):
Things have become tense in Germany lately. Debates about Muslims as a minority, about Islam as a defining factor of our national identity, about the new emerging German “We” are raging.
That is not necessarily a bad thing at all. Sleepwalking into segregation is not an alternative. So it’s good that the general public has woken up to the issues we are debating tonight. I’d rather have a contentious, sometimes even ugly debate than the silence of complacency and avoidance that has been around for much too long. We are moving fast past avoidance, or – to use a more positive word – past tolerance. Tolerance has very often been another word for ignorance. In our pluralistic, increasingly diverse societies, this just doesn’t work anymore: if your neighbor, who came as a guest, has made up his mind to stay for good, you will take another look at him. And he will take another look at you.

This is when conflicts in an immigration society really begin: they are not over, when everybody stops lying to themselves and starts admitting that “this is not temporary” (and by the way, it never was). No, conflicts do not end here, they begin.
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