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Ditib, KRM, ZMD, VIKZ, IGMG – und die DIK

Ich habe gestern eine Veranstaltung der Katholischen Akademie in Berlin über den Dialog mit dem Islam moderiert. Ich konnte also nicht selber mitdiskutieren, wie ich es an mancher Stelle allerdings gerne getan hätte. Und entsprechend werde ich auch die Redebeiträge der Teilnehmer nicht kommentieren. Zwei Dinge aber konnte ich loswerden.

An Stelle des angekündigten Bekir Alboga nahm Rafet Öztürk teil, auch er für die Ditib tätig, und zwar als „Koordinator für den interreligiösen Dialog“. Alboga konnte nicht kommen, weil in den Islamverbänden immer noch um eine gemeinsame Haltung zur Deutschen Islamkonferenz gerungen wird. Am Mittwoch dieser Woche soll eine erste Arbeitssitzung stattfinden.

Folgendes habe ich an die Adresse von Herrn Öztürk gesagt: „Ich will Ihnen gerne mal erläutern, wie sich der derzeitige Streit unter den Verbänden für einen Medienvertreter darstellt. Ich muss meinen Kollegen in der Redaktion klarmachen, warum wir eventuell noch einen Kommentar zum Thema der Islamkonferenz brauchen. Ich fange also an zu erklären: Die Ditib hat den ZMD dafür kritisiert, die DIK durch eine Boykottdrohung zu gefährden, weil ja bekanntlich der Islamrat, der eigentlich IGMG ist, als Mitglied des KRM nicht mehr an der DIK teilnehmen soll. Der VIKZ verhält sich neutral…. Zu diesem Zeitpunkt sind alle meine Kollegen in Sekundenschlaf verfallen. Und ich kann ihnen nicht einmal übel nehmen, dass sie sich für dieses Akronym-Chaos nicht mehr interessieren. Zwischen den genannten Organisationen gibt es keine nennenswerten theologischen oder politischen Unterschiede, die für ein deutsches Publikum interessant wären. Diese Unterscheidungen, lieber Herr Öztürk, haben mehr mit ihrer Herkunft als mit der Zukunft der Muslime in diesem Land zu tun. Wenn Sie sie nicht überwinden können, werden sie sich selbst marginalisieren, und dies vielleicht ganz zu Recht.“

Zweitens war es mir am Ende der Diskussion ein Bedürfnis herauszustreichen, dass Deutschland – anders als die Debatte manchmal suggeriert – ein Land mit ungeheurer Dynamik und Veränderungsbereitschaft ist. In wenigen Jahrzehnten sind hierzulande fast 2.700 Moscheegemeinden entstanden und mehrere Millionen Muslime (bis zu 4, je nachdem wie man rechnet) wurden aufgenommen. Viele der aktiven Muslime konnten hier erstmals erfahren, was Religionsfreiheit heißt: Der Imam wird eben nicht vom Staat geschickt (es sei denn, man geht in eine Ditib-Moschee). Die Gemeinden sind frei, ihre Dinge nach eigenem Gusto selbst zu verwalten. Und vom Geheimdienst wird man auch nur beobachtet, wenn es gute Gründe dafür gibt (anders als in vielen Heimatländern). Es ist auch ohne negative Folgen (jedenfalls seitens der staatlichen  Stellen) möglich, „Kulturmuslim“ oder Atheist zu sein. In anderen Worten: Deutschland ist ein besseres Land für Muslime als viele der Herkunftsländer.

Nach den Morden an den christlichen Missionaren in Malatya vor drei Jahren brachte der Hürriyet-Chef Ertugrul Özkök es auf den Punkt: „Wo ist die muslimische Toleranz für den anderen Glauben?“, fragte der Chefredakteur. „Türken haben in Deutschland mehr als 3000 Moscheen, und wir halten ein paar Kirchen und ein Dutzend Missionare nicht aus?“ Auch wenn 3.000 Moscheen wohl eher die Zahl der (türkisch geprägten) Moscheen in ganz Europa ist, hat er absolut den Punkt getroffen.

Und dazu sollte man als Muslim in Deutschland auch gelegentlich mal was sagen, statt sich bloß über „Islamophobie“ zu beklagen. Wie islamophob kann ein Land sein, dass ohne große Aufwallungen (wenn man mal von den schändlichen Mordtaten wenige Jahre nach der deutschen Einheit absieht, die aber nicht explizit antimuslimisch waren, sondern ‚bloß‘ xenophob, und sie hatten die „Lichterketten“ zur Folge) die Bildung von 2.700 Moscheegemeinden in wenigen Jahrzehnten verträgt?

Bei allen Problemen ist das ein Grund zum Stolz auf dieses Land, und den sollten die Muslime, die davon profitieren, offensiv vertreten. Sie tun das aber nicht, sondern flüchten sich allzu oft eine unpolitische Opferhaltung.

Nach der Veranstaltung wurde ich von mehreren Verbandsvertretern aus dem Publikum auf diese Aussage angesprochen. Zu meinem eigenen Erstaunen stimmten sie mir zu.

 

Was guckst Du?

Der Blogwart war gestern abend in der „History“ Sendung des ZDF über „Helden“ und „Zivilcourage“. Klickst Du hier und guckst Du!

 

Westerwelle – ein Schadensbericht nach 5 Monaten

Diesen Artikel habe ich mit dem Kollegen Peter Dausend zusammen verfaßt. Aus der ZEIT Nr. 12 vom 18.3.2010, S. 4:

Er wirkt eigenartig erleichtert, endlich den edlen dunkelblauen Diplomatenpass gegen den gewöhnlichen roten eintauschen zu dürfen. Nach sieben Tagen Lateinamerika, nach sieben Tagen in Samthandschuhen, schaltet Guido Westerwelle auf Attacke um. Kaum auf dem Rollfeld in Berlin-Tegel angekommen, diktiert er sturmzerzaust in die Mikrofone: »So, jetzt bin ich wieder in Deutschland. Und mit Verlaub: Wer glaubt, er bekäme mit einer Verleumdungskampagne eine linke Mehrheit in Nordrhein-Westfalen zustande, unterschätzt die Wähler in Deutschland.« Der Chefdiplomat hat Feierabend, der Einpeitscher betritt die Bühne.
Knapp fünf Monate lang hat das Land Guido Westerwelle nun in dieser Doppelrolle erlebt. Kein Außenminister war je so unbeliebt. Seit Franz Josef Strauß hat kein Politiker mehr so polarisiert. Seine Dienstreisen in Begleitung von Freunden und Gönnern haben der FDP den Vorwurf eingebracht, ausgerechnet jene Partei, die in der Opposition den Staat noch abwickeln wollte, mache ihn sich, kaum in der Regierung, zur Beute. Und nun droht Schwarz-Gelb im wichtigsten Bundesland auch noch der Machtverlust. Westerwelle, der Triumphator vom 27. September 2009, hat Großes angekündigt – und dann Großes angerichtet. Zeit für eine Besichtigung des Flurschadens. In seiner Partei, im Außenamt, bei der deutschen Wirtschaft, in der Koalition – und bei ihm selbst. Weiter„Westerwelle – ein Schadensbericht nach 5 Monaten“

 

Achmadinedschad: 9/11 ein Werk der CIA

Der iranische Präsident hat in einer Rede vor dem Geheimdienst seines Landes den 11. September als einen Plot des amerikanischen Geheimdienstes bezeichnet. Er sei ausgeführt worden, um einen Vorwand zur Invasion Afghanistans zu haben.

Solchen Unfug kennt man natürlich auch in der westlichen Welt von unseren Verschwörungstheoretikern. Aber die sind in aller Regel nicht Regierungschefs.

Juan Cole deutet dieses Dokument auf seiner Website ausführlich als Dokument eines speziell iranisch-manichäischen Weltbildes, das aus der altpersischen Zarathustra-Religion in den Schiismus eingewandert sei. Interessant.

Ich bin nicht Coles Meinung, dass Achmadinedschad niemals zur Vernichtung Isarels aufgerufen habe, sondern nur der historischen Überwindung der „zionistischen Einheit“ entgegengfiebere. (Hier meine Analyse seiner berühmten Rede.)

Ahmadinezhad, who was speaking at a meeting with the minister, deputy ministers, managers, and personnel of the Intelligence Ministry, congratulated the auspicious birthday anniversary of the prophet of light and compassion, His Holiness Muhammad al-Mustafa (peace be upon him) and the birthday anniversary of Imam Sadeq (Sixth Shi’i imam) (peace be upon him), IRNA reported on Saturday (6 March), quoting the presidential website. He said that the Intelligence Ministry’s personnel are the best collection of Hezbollahi (members of Party of God; meaning pious) forces and added: Today, the Islamic Republic of Iran’s intelligence system is the most virtuous intelligence system in the world.

The President said that the Lord of the Age’s Unknown Soldiers (intelligence forces) have a divine and sacred mission. He said: The Intelligence Ministry should be the most coordinated, organized, powerful, and flowing (Persian — Ravantarin) organization in the country.

The President said that the purpose of man’s creation was to establish a world government based on monotheism and justice. He added: Throughout history, devils fought against prophets and pious people. The climax of man’s fight against devils is taking place in our time. Today, the devils show that they are gathered at the forefront of the world arrogance.

He added: Man’s nature is a divine and heavenly one. When man’s thought and nature are limited to worldly affairs, then he will have no option but to fall.

The President said that capitalist thoughts have resulted in plundering, bullying, and the killing of mankind’s essence. He said: Liberal democracy is the result of a fight between power and wealth. The US-led world arrogance’s front against the Islamic Republic is the climax of the fight between the monotheism front and devils.
The head of the Supreme National Security Council said that all vices in history have gathered in the arrogance front. He said: The crimes committed by the world arrogant are unprecedented in history. Today, the heaviest massacre and terrorist actions in the world are carried out by their (the arrogant of the world) accomplices by raising the flag of human rights.

Ahmadinezhad said that the materialist thoughts were challenged and Marxism was destroyed after the emergence of the Islamic Republic. He said: Thanks to the grace of God, the capitalist system founded by the Zionists has reached the end of its path.

The president added: US invasions and NATO’s military expedition in the region are merely aimed at saving liberal democracy and the capitalist school of thought.

He said that the September 11 attacks and the demolition of the Twin Towers in the US were a complex scenario carried out by the intelligence (Persian — Eqdam-e Ettela’ati). He said: The 11 September event was a big lie. It paved the way for the military expedition to Afghanistan under the pretext of fighting with terrorism.

Ahmadinezhad referred to the arrest of Abodlmalek Rigi by the Soldiers of the Lord of the Age (the Iranian intelligence forces) and said: The arrest of this terrorist bandit has humiliated the intelligence services of the US, Britain, and the Zionist regime. . .

(Description of Source: Tehran IRNA in Persian — Official state-run online news agency, headed as of January 2010 by Ali Akbar Javanfekr, former media adviser to President Ahmadinezhad. URL:http://www.irna.ir)

 

Vergangenheitsbewältigung in Argentinien

Gestern beim Spaziergang durch Buenos Aires fand ich diesen versteckten Ort. Ich sah das Schild und dachte: Das erinnert dich doch an etwas?

Dann fiel mir die Gedenktafel gegenüber dem KaDeWe in Berlin ein, am U-Bahnhof Wittenbergplatz. Und da sah ich auch schon das Foto (links) eben dieser Tafel, das als Vorbild der argentinischen Gedenktafel hergehalten hatte: Offenbar hat man sich bewußt des deutschen Vorbilds bedient bei dieser Gedenktafel für die Opfer der Militärdiktatur.

Die Namen stehen für die Lager, in denen die Gegner der Diktatur festgehalten und oft auch ermordet wurden. (Hier eine Website, die mehr Info bietet.) Sehr merkwürdig, die deutsche Vergangenheitsbewältigung hier am anderen Ende der Welt als Modell behandelt zu sehen.

Foto: Jörg Lau

 

In eigener Sache

Verehrte Mitblogger, Ihr treu ergebener Blogwart befindet sich ab heute abend auf 8tägiger Lateinamerikareise.

Ich werde versuchen, mich von unterwegs zu melden.

 

Wilders Erfolg: Holland ist kein Modell

Natürlich ist das zunächst mal nur eine Koinzidenz. Aber vielleicht steckt ja etwas mehr in dieser Parallelität der Ereignisse:

In Holland gewinnt Geert Wilders mit seiner one-issue-Partei grosse Anteile der Wählerschaft in Almere und Den Haag. Die PVV nennt sich „Partei für die Freiheit“, hat aber eigentlich nur ein Thema: Die Muslime sind unser Unglück. Vor allem wegen des Versagens der etablierten (ehemaligen) Großparteien – Sozis und Christdemokraten – wächst der Nimbus des islamfeindlichen  Rechtspopulisten.

Zur gleichen Zeit in Deutschland: Innenminister de Maizière verkündet, wie hier bereits vorab berichtet, er werde die Deutsche Islamkonferenz fortsetzen. Die ganze Sache wird nun aber praktischer angegangen, weshalb zum Beispiel staatlicherseits mehrere Oberbürgermeister von Städten mit hohem Migrantenanteil dabei sein werden. Auf der Seite der Verbände wird auf den Islamrat verzichtet, eine Briefkastenfirma von Milli Görüs. (Der hatte die Chuzpe, am Tag vor der Verkündigung dieser Nachricht von sich aus auf die Mitarbeit zu verzichten. Nachdem man vorher behauptet hatte, ohne den Islamrat sei es keine Islamkonferenz mehr: sehr lustig!) Die feministischen Kritikerinnen Kelek und Ates werden zwar nicht mehr im Plenum dabei sein, aber de Maizière sagte gestern, er werde sie und andere als persönliche Berater mit dazuziehen.

Und noch eine weitere Nachricht von gestern, während unsere Nachbarn Wilders wählten: Die islamistischen „Sauerlandbomber“ erhielten hohe Haftstrafen zwischen 5 und 12 Jahren. Zwar hatten sie noch keine konkrete Anschlagsplanung gemacht. Aber die abgehörten Absprachen und das beschaffte Material ließen auf einen Anschlag von der Größe der Madrider oder Londoner Mordtaten schließen. Richter Breitling stellte fest, dass wir tiefe Einblicke in Radikalisierungsprozesse der Szene bekommen haben, aber mit unseren Erkenntnissen über die islamistische Gefahr erst am Anfang stehen.

Manche Kommentatoren von Wilders‘ Erfolg – wie etwa der früher eigentlich zurechnungsfähige vernünftige Kollege Rainer Haubrich in der WELT – wollen nun herbeischreiben, dass Holland uns voraus sei. Die Niederländer seien einfach schon weiter in ihrer Wahrnehmung der islamischen Gefahr. Und darum werde etwas ähnliches wie der Wildersche Erfolg auch hier möglich sein.

Ich glaube, es ist umgekehrt: Deutschland ist Europas Modell im Umgang mit dem Islam. Dialog und Sanktion, Gefühl und Härte – ohne Gegensatz, sondern im Einklang für das Ziel einer offenen Gesellschaft mit Zusammenhalt. Die Radikalen isolieren, verfolgen und verurteilen, den anderen die Hand ausstrecken. So einfach ist das.

 

Gar elump war der Pluckerwank

Superduper off-topic: Meine Kritik des neuen Films von Tim Burton (ZEIT Nr. 10, S. 50) – Alice im Wunderland:

Es ist einfach zwingend, dass der grosse Phantast des amerikanischen Kinos, Tim Burton, sich eines Tages an “Alice im Wunderland” versuchen mußte. Seine Welt waren immer schon die bizarren Alp- und Tagträume, die Freaks und Misfits. Und sein großes Thema ist die Würde derAußenseiter – von den Gespenstern in dem frühen Film Beetlejuice über seine beiden Batman-Variationen bis zu dem unvergesslichen “Edward mit den Scherenhänden”.
Wer nun Burtons “Alice” sieht, erkennt, was vor allem der wunderbare Edward bereits Lewis Carroll verdankt. Denn der Gothic-Punk-Frankenstein erlebte ja eine Umkehrung des Schicksals von Alice: Ein Wesen aus einer Märchenwelt fand sich plötzlich in der bizarr überspitzten amerikanischen Vorstadtnormalität wieder, zwischen fein gestutzten Hecken und hoch toupierten Fönfrisuren. Und siehe da, der Freak war im Herzen normaler als die Bürger. Immer schon war das Burtons Obsession: das Monströse im Normalen und das Normale im Monströsen zu suchen.

Kein Wunder also, dass er nun Alice um eine Lesart bereichert: Sie ist bei ihm nicht das gelangweilte, überschlaue kleine Mädchen, das mit merkwürdigen sprechenden Tieren durch die Unterwelt streift. Alice ist eine junge Frau um die 20, die der viktorianischen Vermählung mit einem reichen, aber langweiligen Bräutigam entflieht und sich nach dem Sturz durchs Kaninchenloch in einer Traumwelt voller Bewährungsproben wiederfindet. Die schöne Mia Wasikowska gibt dem erwachenden Eigensinn mit blonden Wallehaaren und mürrischem Blick ein neues Gesicht: “Dies hier ist mein Traum”, insistiert sie, als die Bewohner des Wunderlandes in Frage stellen, ob sie überhaupt die “richtige Alice” sei. Sie war schon einmal hier, als junges Mädchen. Nun, an der Schwelle zur Erwachsenenwelt, ist sie wiedergekommen, um den Drachen Jabberwocky zu erschlagen, der roten Königin (Helena Bonham-Carter) und dem Herzbuben (Crispin Glover) Paroli zu bieten, den Märzhasen und den verrückten Hutmacher (Johnny Depp) immer wieder auf den Teppich zu holen, wenn diese beiden völlig durchzudrehen drohen.
Es ist wohl der Drehbuchautorin Linda Woolverton zu verdanken, dass das Märchen bei aller anarchistisch-surrealen Treue zu Carrols Phantasie eine feministische Ertüchtigungsmoral bekommen hat: Am Ende, zurückgekehrt aus den Prüfungen des Wunderlands, steigt Alice gar ins Geschäft des Vaters ein, im Ostasienhandel. Nach China zieht es sie, in ein reales Wunderland also. Linda Woolverton war schon an Disneys Girlpower-Drama “Mulan” beteiligt. Alice gerät ihr zur Schwester der säbelschwingenden Chinesin.
Tim Burton hat diesen Film zwar nicht mit speziellen 3D-Kameras gedreht wie Cameron seinen Avatar. Alice wurde für die 3D-Vorführung nachträglich aufbereitet. Das mag die merkwürdige Flachheit mancher Aufnahmen erklären, in denen die Figuren scherenschnitthaft vor den Hintergründen kontrastieren. Aber das ist kein Unglück: Es gibt dem Film einen Touch von Laterna Magica, der wunderbar zum Stoff passt. Sich die 3D-Kassengestellbrille aufzusetzen bedeutet ein Einverständnis damit, dass das Kino wieder ein Stück weit zur Jahrmarktattraktion zurückkehrt, mit der alles einmal angefangen hat.
Burton hat einen unverklemmten Hang zu Trash, Rummelplatz und Krawall, wie er immer wieder bewiesen hat. Nicht zufällig hat er dem schlechtesten Filmemacher aller Zeiten – dem Scifi-Amateur Ed Wood ein filmisches Denkmal gesetzt. Aber er ist eben auch ein großer Stilist, der seine visuelle Schöpferkraft hier ganz ausleben kann. Es sind die kleinen Episoden, die den Film sehenswert machen: der verrückte Fünf-Uhr-Tee beim Hasen und Hutmacher oder die Szene, in der die eiskalte rote Königin (Helena Bonham Carter) ihre Diener in Froschgestalt verhört. Auch die alte Grinsekatze, die sich beim Rede in Luft auflöst, erfreut, besonders in der englischen Originalversion, in der die Cheshire Cat mit Stephen Frys Stimme .spricht.
Hätten die streckenweise sehr dominanten Action-Elemente sein müssen? Der Jabberwocky, den Alice schließlich erlegen muss, um die Terrorherrschaft der roten Königin zu brechen, ist aus den Alien-Filmen geliehen. Bei Carroll entstammt er bekanntlich einem Nonsensgedicht. Die lange Drachentöterszene ist eine Konzession an das durchschnittliche Gewaltniveau heutiger Phantasyfilme. Und sie dient natürlich der Bebilderung von Girlpower. Wie weit ist diese Alice in der Ritterrüstung doch von dem kitschigen blonden Mädchen entfernt, das man aus früheren Verfilmungen kennt! Gebraucht hätte man die Action aber eigentlich nicht, denn die beiden Antipoden von Alice in der Unterwelt – Depps psychotischer Hutmacher und Bonham Carters gnadenlose Königin – bringen schon genug Spannung in den Film. Sie sind bei Burton alptraumhafte Figuren des verfehlten Erwachsenseins, gegen das sich Alice stemmt in ihrem Versuch, endlich zu ihrem eigenen Leben aufzuwachen. Ihr gelingt es schließlich auch – anders als seinerzeit Edward, der aus der Menschenwelt zurück in sein Märchenschloss fliehen musste, weil seine Scherenhände auch bei bestem Willen lebensgefährlich für seine Umwelt blieben.
Und wer will, kann in diesen beiden Werken von Tim Burton ein Sinnbild für die Ungleichheit der Größenphantasien erkennen, die heute beiden Geschlechtern angeboten werden: Mädchen kommen heute überall hin (wenn auch erst einmal nur in Gedanken). Jungs aber bleiben in ihren Luftschlössern gefangen.

 

Neustart der Islamkonferenz – ohne Kritiker?

Wer hätte gedacht, dass die Einbürgerung des Islams zu einer Prestigesache für christdemokratische Innenminister werden würde. Aber so ist es: Thomas de Maiziere will die Deutsche Islamkonferenz, Lieblingsprojekt seines Vorgängers Schäuble, fortführen – allerdings weder mit den gleichen Schwerpunkten, noch mit den gleichen Beteiligten. Unter anderem sollen die Islamkritikerinnen Necla Kelek und Seyran Ates beim »Neustart« (de Maiziere) nicht mehr dabei sein.
Wird nun, nach drei Jahren knisternder Konflikte um Kopftücher, Moscheebauten und Schwimmunterricht, auf Weichwaschgang geschaltet? Knickt der Minister, fragt mancher, vor den konservativen bärtigen Herren von den Islamverbänden ein, die schon lange von den feministischen Quälgeistern erlöst werden wollen?
Dem widerspricht, dass de Maiziere auch den Vertreter des konservativsten Verbandes, Ali Kizilkaya vom »Islamrat«, nicht wieder einlädt. Und auch die eher taffen Sprüche des Ministers lassen keinen Kuschelkurs ahnen: Er würde radikale Imame rausschmeißen, hat er im Interview mit der ZEIT gedroht. Die Muslime selbst müssten die »Haupttrennlinie zwischen dem friedlichen Islam und dem gewalttätigen Islamismus ziehen«, forderte er.
Im übrigen: Kizilkaya hat alle wesentlichen Beschlüsse der Konferenz nicht mitgetragen. Und Necla Kelek hat die Islamkonferenz von der anderen Seite her für »gescheitert« erklärt. Sehr überrascht können beide nicht sein, dass die Karawane jetzt ohne sie weiterzieht. Die Konflikte zwischen Islamkritikern wie Kelek und Verbandsvertretern hatten zuletzt etwas Rituelles: »Eurer Islam ist nicht integrierbar!« stand gegen »Ihr seid gar keine Muslime!«
Es ist richtig, dass de Maizière diesen nicht sehr zielführenden Schlagabtausch nicht fortsetzt. Die Konferenz ist dennoch nicht gescheitert. Im Gegenteil: Sie war die mutigste Tat der Großen Koalition. Sie brachte einen Realitätsschock, an dem wir uns noch lange abarbeiten werden, wie unsere nicht enden wollenden Debatten zeigen.
Deutschland hat sich mit der Konferenz das Instrument einer lernenden Gesellschaft geschaffen: Die Mehrheit hat Bekanntschaft mit der Stimmenvielfalt des Islams gemacht – von säkular-feministisch bis neoorthodox bekopftucht. Nicht nur die Mehrheit übrigens: Auch die Muslime selber haben die Buntheit ihres Glaubens zur Kenntnis zu nehmen gelernt. Weder die frauenbewegten Kritkerinnen noch die säuerlichen älteren Herren können heute noch alleine beanspruchen, für »den Islam« zu sprechen. Sichtbar wurden außerdem: Kulturmuslime, die zwar nie in die Moschee gehen, aber wollen, dass ihre Kinder etwas über den Glauben der Väter lernen; deutsche Konvertiten, die oft viel konservativer sind als geborene Muslime; Aleviten, Ahmadis, Schiiten, und sogar muslimische Atheisten. Was will de Maiziere nun mit dem Instrument anfangen? Er sieht sich mehr als Zusammenhaltsminister denn als Sicherheitssheriff. Aber wie entsteht »Zusammenhalt«?
Nicht durch Sonntags- oder Freitagspredigten, das hat die Islamkonferenz gezeigt, sondern durch angst- und hassfrei durchstandene Konflikte. Konflikte sind nicht nur unvermeidlich in einer religiös bunteren Gesellschaft: Klug eingehegt und moderiert, können sie ein Medium der Integration sein.
Es ist gut, dass der neue Minister nun alles praktischer angehen will. Drei Felder interessieren ihn besonders: Religionsunterricht, Geschlechtergerechtigkeit und Islamismus. Er will mehr Praktiker auf dem Podium sehen als bisher ­ in Sachen Religionsunterricht, Imamausbildung, Koedukation, Förderung von Einwanderern im Staatsdienst. Recht so: Doch das Bild dürfen nicht mehr die türkisch dominierten Verbände bestimmen. Sonst entsteht der Eindruck, Deutschland verhandele mit der Türkei (oder deren Mittelsmännern) über die Integration der eigenen Bürger.
Die Konferenz braucht mehr unabhängige muslimische Intellektuelle mit theologischer Kompetenz. Dass Navid Kermani nicht mehr dabei sein soll, wie jetzt gestreut wird, wäre darum unverständlich. Unter den hiesigen Muslimen gibt es keinen zweiten freien Kopf wie den Deutsch-Iraner.
Konkretion ist gut. Aber es wäre falsch, den Debattenmotor Islamkonferenz stillzulegen, um bei der notwendigen Anpassung der deutschen Friedhofsordnung an islamische Begräbnissitten vorwärts zu kommen. Wir brauchen den Streit, eher noch mehr davon: Dass in Deutschland radikale Islamisten vom muslimischen Mainstream isoliert sind und wir (bisher), anders als unsere Nachbarn, keine erfolgreichen islamfeindlichen Rechtspopulisten haben, ist auch ein Verdienst der  Islamkonferenz.