Einst schwer verletzte Opfer fassten vor Gericht ihr Leiden in Worte, die Hauptangeklagte Beate Zschäpe zeigte sich – wie üblich – ungerührt: Am Dienstag sind im NSU-Prozess die ersten Zeugen zum Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße gehört worden. 22 Menschen wurden am 9. Juni 2004 verletzt, als über 700 Nägel aus einem Sprengsatz schossen, abgestellt mutmaßlich von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Die Aussagen waren drastisch: „Was zwei Zeugen am Dienstag vor Gericht schildern, lässt manchem Zuhörer das Blut in den Adern gefrieren“, schreibt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.
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Vier Zeugen hörte das Gericht zum Auftakt. Besonders plastisch wirkten die Schilderungen der ersten beiden, zweier Freunde, die sich bei der Explosion direkt neben der Bombe befanden. „Ihre Körper sind durch Narben entstellt, ihre Psyche ist lebenslang versehrt“, heißt es bei Friedrichsen. Schwer wog allerdings auch, dass die Polizei bei ihren Ermittlungen die Opfer verdächtigte, ihnen DNA und Fingerabdrücke abnahm und ihnen den Kontakt miteinander verbot.
„Warum konzentrierte sich die Polizei auf einen kriminellen und nicht auf einen terroristischen Hintergrund?“, fragt Tim Aßmann vom Bayerischen Rundfunk in der Tagesschau. Fragen wie diese treiben auch die Opfer bis heute um. Mit der Enttarnung der Terrorzelle im Jahr 2011 kam allerdings eine Frage hinzu: „Handelte der NSU alleine oder gab es in Köln lokale Unterstützer?“
„Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte, hört sich alles an. Unbewegt wie so oft“, beobachtet Hayke Lanwert von der WAZ. Das galt auch, als ein Arzt Bilder der Verletzungen zeigte. Dabei habe es sich um einen der emotionalsten Momente des Tages gehandelt.
Auf ZEIT ONLINE haben wir uns gegen eine Analyse und für ein Wortprotokoll des Gerichtstags entschieden – um die Opfer mit ihren drastischen Schicksalen zu Wort kommen zu lassen. So lässt sich zumindest erahnen, wie erschreckend das Szenario auf der Keupstraße nach der Explosion gewirkt haben muss: „Alles war ohne Geräusche, wie in Zeitlupe“, so schilderte der Zeuge Sandro K. die Situation. Deutlich wird auch die Ohnmacht gegenüber der Ungewissheit über die Täter: „Weil man nichts abschließen konnte, habe ich versucht, das zu vergessen.“
Möglich war ihm das nicht: Das Auffliegen des NSU 2011 war ein Ereignis, das „die Welt des einstigen Zerspanungstechnikers erneut aus den Angeln hob“, schildert Harald Biskup im Kölner Stadtanzeiger.
Begleitet wurde der erste Vernehmungstag von einer Demonstration der Organisation Keupstraße ist überall, die vor dem Gericht auf das Versagen der Behörden und das Schicksal der Opfer aufmerksam machte. „Der Beginn der Aussagen der Opfer aus Köln wird als ein besonders wichtiger Tat im NSU-Prozess wahrgenommen“, folgert Frank Jansen im Tagesspiegel.
Nebenklageanwältin Gül Pinar kritisiert in einem Interview mit dem Blog Elalem den Stand der Aufklärung im Prozess. So gebe es „deutliche Anzeichen, die auf ein breites bundes- wie landesweites Unterstützernetzwerk des NSU hinweisen“, doch sei die Bundesanwaltschaft nicht bereit, von ihrer These eines engen Kreises von drei Haupttätern abzuweichen. Somit liefen viele NSU-Unterstützer noch frei herum. Das Fazit: „Die Anklageschrift ist falsch!“
Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 22. Januar 2015.