Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Gegenschlag der Anwälte

 

Beate Zschäpes Verteidiger wollten ihre Posten im NSU-Verfahren loswerden, scheiterten jedoch. Dennoch steht der Prozess vor einer Wende.

Gedemütigt, degradiert. Drei Tage lang, die gesamte vorige Woche im NSU-Prozess, saßen die Verteidiger Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer mit ihrer Mandantin Beate Zschäpe auf der Anklagebank. So als ob nichts wäre. Dabei hatte sich Zschäpe zuvor einen vierten Pflichtverteidiger besorgt, den Münchner Mathias Grasel. Sie hält Sturm, Stahl und Heer für inkompetent. Sie glaubt, sie könne das alles besser. Grasel sitzt nun als ihr verlängerter Arm neben der Angeklagten.

Doch an diesem Montag, dem 219. Verhandlungstag, holen die aufs Abstellgleis geschobenen Anwälte zum Gegenschlag aus. Richter Manfred Götzl will gerade den einzigen Zeugen des Tages aufrufen, da meldet sich Wolfgang Heer zu Wort: „Ich habe mir diesen Schritt reiflich überlegt“, sagt er – und beantragt, seine Bestellung zum Pflichtverteidiger aufzuheben, die vor über vier Jahren ein Haftrichter am Bundesgerichtshof verfügt hatte. Er will nicht mehr der Anwalt von Zschäpe sein.

Die Verteidigung sei „unter gegenwärtigen Bedingungen nicht mehr möglich“, trägt Heer vor und wendet sich schließlich an Götzl: „Ich habe Sie mehrfach davor gewarnt.“ Die Warnungen habe der Richter jedoch „in den Wind geschlagen“. Zweite Wortmeldung: Wolfgang Stahl, der neben Heer sitzt. Er schließt sich an. Schließlich Anja Sturm. Auch sie will nicht mehr. „Die Gründe sind Frau Zschäpe bekannt.“ Selbige wirkt auf einmal überaus gelöst, es scheint fast, sie lächle. Ein seltenes Bild.

Doch die Vorfreude, die ungeliebten Anwälte nun endlich loswerden zu können, währt nur rund fünf Stunden. Dann lehnt Götzl den Antrag nach etlichen Beratungspausen ab. Das hatte sich bereits abgezeichnet. Ein Antrag auf die sogenannte Entpflichtung von Pflichtanwälten muss hohe rechtliche Hürden erfüllen, er muss gut begründet sein.

Hätte Götzl unerwartet zugestimmt, wären die Folgen unkalkulierbar gewesen. Mit einem einzigen Anwalt an ihrer Seite, der gerade erst in den Prozess eingestiegen ist, wäre Zschäpe nicht angemessen vertreten gewesen. Wegen des rechtsstaatlichen Prinzips, das jeder Angeklagte, auch ein mutmaßlicher Terrorist, ein Recht auf eine gute Verteidigung hat, hätte der bereits seit mehr als zwei Jahren laufende Prozess von vorn beginnen müssen – und Zschäpe, bis zu einer Verurteilung als unschuldig anzusehen, wäre nach fast vier Jahren Untersuchungshaft eventuell sogar auf freien Fuß gesetzt worden.

Nun kommt es so nicht. Warum es mit der Verteidigung nun ein Ende haben soll, das weiß nur Zschäpe, denn dazu machen die Juristen in dem Antrag keinerlei Angaben. Sie verweisen auf ihre berufliche Schweigepflicht, sie würden sich strafbar machen. Und Zschäpe macht keine Anstalten, sie von ihrer Verschwiegenheit zu entbinden. So bleibt sogar Richter Manfred Götzl im Dunkeln über die genauen Motive.

Es gibt natürlich einen augenscheinlichen Anlass: Wenn die Mandantin nicht mehr mit uns will, dann wollen wir nicht mehr mit der Mandantin – so könnten die drei Anwälte gedacht haben. Die Verteidigung von Deutschlands bekanntester Angeklagten hatte sie berühmt gemacht. Indem sie beim Gericht einen weiteren Verteidiger für sich beantragte und bekam, stellte Zschäpe sie zuletzt jedoch als ihre unliebsamen Anhängsel dar. Warum sollten die so Geprügelten noch vernünftig mitarbeiten? Sollten sie Neuanwalt Grasel bereitwillig Einblick in ihre Unterlagen gewähren oder ihn zu ihren Besprechungen einladen? Naheliegend ist doch, dass drei stolze Charaktere lieber versuchen, die Verteidigung zu torpedieren.

Zschäpe tritt dem Antrag auf Abberufung ihrer bisherigen Anwälte nicht entgegen, doch er hat ja sowieso keinen Erfolg. Ob ihr der Antrag ihrer nun zum Bleiben verdonnerten Verteidiger zuvor bekannt war, ob er also gar eine einvernehmliche Lösung darstellt, dazu äußert sich Heer auf Nachfrage nicht.

Die Kämpfe sind jedenfalls noch lange nicht ausgefochten. Kurz nach dem Antrag am Morgen liest Götzl einen Brief von Zschäpe vor, in dem sie fordert, dass die Sitzordnung auf der Anklagebank geändert werden soll. Sie wolle mit Grasel vorn in der Nähe der Richterbank sitzen, gefolgt von den alten Anwälten. Derzeit ist es umgekehrt. Verteidiger Heer habe jedoch gesagt: „Ich werde meinen Platz nicht räumen.“ Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten drückt Götzl das Bedauern aus, „sich unter erwachsenen Menschen mit der Frage der Sitzordnung befassen zu müssen“.

Zschäpe hatte gegenüber einem Gerichtspsychiater von der psychischen Belastung gesprochen, die sie im Prozess erfährt. Nun, da ihre eigene Verteidigung aus zwei im Kleinkrieg miteinander stehenden Lagern besteht, dürfte es nicht einfacher werden.

Anwalt Stahl teilt Richter Götzl mit, der Antrag auf Abberufung als Zschäpes Pflichtverteidiger habe nichts mit deren Ansinnen auf eine neue Sitzordnung zu tun. Und auch nicht mit dem neuen Verteidiger. Das Problem sei erst an diesem Morgen „virulent geworden“. Was die Anwälte in der Frühe mit Zschäpe besprochen hatten, ist freilich unklar.

Vor einigen Wochen gab es schon einmal Streit zwischen Zschäpe und ihren Anwälten. Da wollte sie ihre Verteidigerin Anja Sturm nicht mehr haben. Damals schrieben die drei ihr einen Brief und kündigten an, um ihre Entpflichtung zu bitten, falls Zschäpe vor Gericht aussagen würde. Dies wiederholte Heer schließlich in einem Gespräch mit dem Richter. Bisher hat die Angeklagte kein Wort zu den Tatvorwürfen gesagt, was in einem Indizienprozess wie diesem keine unkluge Verteidigungsstrategie ist.

Ob nun eine Aussage von Zschäpe unmittelbar bevorsteht, ist Spekulation bis hin zum Wunschdenken. Doch noch nie zuvor waren die Hinweise darauf so verdichtet wie in diesen Tagen. Und sollte die Angeklagte tatsächlich aussagen, wäre jeder bisher von der Verteidigung gestreute Zweifel, jeder Widerspruch in den Zeugenbefragungen vergessen und nutzlos. Ihre Verteidigungsarbeit aus 219 Prozesstagen untergehen zu sehen, vielleicht wollten Sturm, Stahl und Heer das nicht live und im Gerichtssaal ertragen müssen.