Weitere Attacken im Gericht: Die Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben beantragten am Donnerstag, den Prozess auszusetzen und ihren Mandanten aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe werde nicht ausreichend verteidigt, wie sich bei einem kleinen Scharmützel am Vortag gezeigt habe, begründeten die Anwälte ihren Antrag. Dies sei auch eine Gefahr für ihren Mandanten. Die Forderung ist kurios, weil die Anwälte sich in ihrer Argumentation um die Verteidigung eines anderen Mandanten sorgen. „Hat Zschäpe nun sieben Verteidiger?“, fragt Tim Aßmann vom Bayerischen Rundfunk.
Der Antrag ist ein kompliziertes Konstrukt, andere Prozessbeteiligte erklärten ihn in der Verhandlung prompt für unberechtigt. „Das Gericht dürfte zu dem Schluss gelangen, dass Zschäpe sehr wohl ausreichend verteidigt ist“, meint auch Aßmann.
„Möglicherweise kommt der Dissens zwischen den Verteidigern Zschäpes den Anwälten Wohllebens gelegen“, schreibt Frank Jansen vom Tagesspiegel. Beate Zschäpe schloss sich durch ihren neuen Anwalt Mathias Grasel dem Antrag an, was als „klarer Affront“ gegen die drei weiteren Anwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm zu werten sei. Die drei angestammten Verteidiger hatten Grasel am Vortag vorgeworfen, dass er schlecht eingearbeitet sei. Grasel beschwerte sich wiederum, dass ihm die anderen Anwälte nicht ihre Prozessmitschriften überlassen hätten.
Anlass für den Streit ist der Betrugsfall um ein nicht existierendes Opfer im NSU-Prozess. Diesen Fall will die Verteidigung in irgendeiner Form nutzen, glauben wir bei ZEIT ONLINE: „Es scheint, als wollten die Anwälte nicht hinnehmen, dass die Affäre um eine erfundene Nebenklägerin in den Medien ein großes Thema ist, im Prozess aber verpufft.“ Es war nicht das erste Mal, dass sich die Wohlleben-Verteidigung auf Zschäpe bezieht. Zschäpe hatte die Äußerungen von Anwalt Olaf Klemke, den sie offenbar sehr schätzt, in der Vergangenheit sehr genau verfolgt.
„Was sie ihren bewährten Verteidigern verwehrt, versucht sie nun offensichtlich von der Verteidigung des Mitangeklagten Wohlleben erledigen zu lassen“, schreibt auch Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online. Dass Zschäpe sich dem Antrag anschloss, sei jedoch auch für Grasel selbst eine Ohrfeige gewesen.
Zweimal schon hatten die Richter abgelehnt, Wohlleben aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Nun griffen dessen Verteidiger „zu einem Strohhalm“, schreibt Annette Ramelsberger von der Süddeutschen Zeitung. Erfolgsaussichten hätten sie damit nicht. „Dieser Prozess ist so leicht nicht zu erschüttern, er läuft ab wie ein Uhrwerk, langsam, stetig, und auch kleinere Erschütterungen können den Ablauf nicht wirklich stören.“
Im Nachgang des Nebenklagebetrugs um ein Opfer des Kölner Bombenanschlags von 2004 betrachten die Spiegel-Online-Autoren Jörg Diehl und Wiebke Ramm erneut den Fall des Anwalts Ralph Willms, der sich das vermeintliche Opfer gegen Zahlung einer Provision vermitteln ließ. Wurde er von dem Vermittler, einem anderen Nebenkläger, getäuscht, „müsste Willms sich den Vorwurf gefallen lassen, äußerst leichtgläubig gewesen zu sein“. Der Anwalt Jochen D. Uher errechnete dem Text zufolge, dass für das Mandat mindestens 123.000 Euro Honorar aus der Staatskasse geflossen sind – mehr als bislang bekannt.
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Das nächste Medienlog erscheint am Montag, 12. Oktober 2015.