Die Vorzeichen von Beate Zschäpes heutiger Aussage waren schon am Vortag zu spüren: Großer Publikumsandrang, alle Blicke auf die Hauptangeklagte – und schon gestern Abend stellten sich Menschen vor dem Strafjustizzentrum an, um sicher einen Platz zu bekommen. Was aber wird bei der Aussage und in deren Nachgang passieren?
Fragen des Gerichts will Zschäpes Anwalt Mathias Grasel schriftlich erhalten und durch Verlesen beantworten – wie die Aussage selbst. „Schwer vorstellbar, dass sich der Senat in seiner Verhandlungsführung derart beschneiden lässt“, merkt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online an. Sie hält die Aussage für eine Inszenierung. Der Wert der Aussage wäre damit, wie von mehreren Anwälten erwartet, gering.
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Ziel der Angeklagten sei offenbar, „in einem günstigeren Licht zu erscheinen als bisher und das Bild von sich zu verbessern“. Das könnte schiefgehen: So weigert sich Zschäpe, Fragen der Nebenkläger zu beantworten. Dabei handle es sich um „einen Affront gegen die Opfer des NSU„.
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— Sarah Tacke (@TackeSarah) 8. Dezember 2015
Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl gab am Dienstag bekannt, dass Zschäpe ihren neuen Wahlverteidiger Hermann Borchert zum Pflichtverteidiger machen will. Borchert hatte Zschäpe bei der Abfassung ihrer Aussage unterstützt. Möglicherweise stammt von ihm auch die Vorgabe, dass Zschäpe Fragen des Strafsenats nur in schriftlicher Form akzeptiert. „Es könnte ein extrem mühsames Prozedere werden“, glaubt Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung.
Zschäpes alte drei Anwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm halten den Inhalt der Aussage offenbar „für nicht kalkulierbar“, wie der SWR-Korrespondent Holger Schmidt anmerkt. Daher rieten sie ihr von der Einlassung ab, was zum Zerwürfnis führte. Anscheinend habe sie den Altverteidigern nicht ihr ganzes Wissen anvertraut. Im Kern gehe es beim Konflikt mit den dreien „offenbar um Vertrauen – und Macht“. Das Vertrauen habe sich aber Anwalt Grasel erworben.
Für den Verlauf der Aussage erwartet der Rechtsanwalt Ernst Fricke auf Focus Online vier mögliche Szenarien: Zschäpe könnte demnach die Hintergründe des NSU aufklären, viele neue Fragen aufwerfen oder sogar ein komplettes Geständnis ablegen. Wahrscheinlich sei auch, dass sie die Erklärung als Abrechnung mit ihren drei Stammverteidigern nutzen wird. Ob Zschäpe „das weitere Verfahren beschleunigen oder in die Länge ziehen wird, hängt ganz vom Inhalt ihrer Erklärung ab“.
Nach Ansicht von Harald Biskup von der Frankfurter Rundschau befindet sich Zschäpe „in einer Zwickmühle: Versucht sie, ihre eigene Rolle schönzureden und ihren Anteil an den Verbrechen als weit weniger gravierend hinzustellen als von der Bundesanwaltschaft unterstellt, müsste sie Helfer oder zumindest Mitwisser preisgeben“. Das aber wird wohl nicht der Wille der mutmaßlich noch immer überzeugten Rechtsextremistin sein. Sollte sie auspacken, könnte es für ihre Mitangeklagten Ralf Wohlleben und André E. eng werden.
Zu möglichen Inhalten der Aussage, in der es auch um die Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex gehen könnte, äußert sich der Autor dieses Blogs im Interview mit dem Portal dbate.de.
Basiswissen zum heutigen Prozesstag und den Hintergründen des NSU-Prozesses vermittelt Per Hinrichs in der Welt. Ein Hintergrundstück in englischer Sprache liefert die Deutsche Welle.
Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 10. Dezember 2015.