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Für die Aufklärung wird es eng – Das Medienlog vom Donnerstag, 10. November 2016

 

Nach einer Strafanzeige von Nebenklägern wegen der Aktenvernichtung beim Bundesverfassungsschutz vom 11. November 2011 nimmt die Kölner Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen gegen den verantwortlichen Abteilungsleiter Lothar Lingen auf. Mit dem Ende des heutigen Tags verjährt die Tat nach genau fünf Jahren. Die Verjährung würde nur aufgehalten, wenn Lingen zur Vernehmung geladen würde. „Das aber hat die Staatsanwaltschaft offenbar nicht vor“, merkt Wiebke Ramm in der Süddeutschen Zeitung an. Damit lasse sich nicht mehr überprüfen, ob in den vernichteten Dokumenten Hinweise auf weitere NSU-Unterstützer waren, wie es laut Aussage eines betroffenen V-Manns der Fall war.

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Lingen hatte damals eine Mitarbeiterin angewiesen, etliche Akten von V-Männern zu schreddern. Bei der Bundesanwaltschaft gab der Verfassungsschützer 2014 zu, er habe die Behörde damit vor unangenehmen Fragen bewahren wollen. Die Aussage wurde erst im Dezember dieses Jahres bekannt, daraufhin stellten die Nebenkläger und ihre Anwälte Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft nimmt nach ihren eigenen Angaben keine Ermittlungen auf, weil die Vernichtung vor Zeugen geschah und damit keine Vertuschung vorliegt.

„Durch das Treiben der Ermittler hat ein möglicherweise straffälliger Beamter sehr wahrscheinlich nichts zu befürchten“, heißt es bei uns auf ZEIT ONLINE. Die Anwälte haben nun versucht, per Beschwerde an den leitenden Oberstaatsanwalt doch noch die Vernehmung des Beamten zu erreichen. Für die Aufklärung wird es somit eng: „Der Verfassungsschützer hat die knapper werdende Zeit auf seiner Seite.“

In der Folge schaltete sich auch die Leiterin des Thüringer Untersuchungsausschusses, Dorothea Marx, in die Affäre ein: Sie erstattete ihrerseits Strafanzeige bei der Kölner Staatsanwaltschaft gegen Lingen, wie die Welt berichtet. Da Akten von Thüringer V-Männern vernichtet wurden, hätten diese bei der Aufklärung des NSU-Komplexes in Thüringen gefehlt.

Vergleichsweise wenig Beachtung findet der Inhalt des 320. Prozesstags, an dem ein früherer Bekannter des NSU-Trios und des Mitangeklagten Ralf Wohlleben als Zeuge aussagte. „Als hätte er sein Erinnerungsvermögen ausgeschaltet“, äußerte sich der Mann laut Ina Krauß vom Bayerischen Rundfunk – und zwar absichtlich. Sein Spitzname war in einer SMS erwähnt, die Ralf Wohlleben im Jahr 2000 an das NSU-Trio geschickt haben soll. Der frühere Skinhead gab jedoch immer wieder an, die damaligen Geschehnisse nicht mehr richtig im Kopf zu haben. Das Fazit: „So bleibt der Erkenntnisgewinn auch nach über dreistündiger Befragung gering.“

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 11. November 2016.