Seit Prozessbeginn stehen drei Pflichtverteidiger an der Seite von Beate Zschäpe – obwohl die Angeklagte sie ablehnt. Wie arbeitet ein Anwalt, dessen Mandantin nicht einmal mit ihm spricht?
Wie lange werden sie brauchen – eine Woche, zwei Wochen? Welches Urteil werden sie fordern? Wen werden sie in ihrem Schlussvortrag so richtig in die Mangel nehmen?
Das Plädoyer von Beate Zschäpes Verteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm ist, abgesehen vom Urteil, die letzte große Unbekannte im Münchner NSU-Prozess. An diesem Dienstag soll es beginnen. Wie die drei Anwälte es gestalten, wissen weder Teilnehmer noch Beobachter des Terrorverfahrens – und auch nicht Zschäpe selbst. Denn die Hauptangeklagte spricht nicht mehr mit Heer, Stahl und Sturm.
Die Verteidigung der 43-Jährigen besteht aus zwei Lagern: die drei Altanwälte, die seit Prozessbeginn 2013 dabei waren. Alle drei sind aus der Staatskasse bezahlte Pflichtverteidiger. Auf der anderen Seite stehen Zschäpes sogenannte Vertrauensanwälte Mathias Grasel und Hermann Borchert, die erst im Laufe des Jahres 2015 dazukamen. Die beiden hatten ihr Plädoyer bereits Ende April gehalten. Sie forderten eine Strafe von höchstens zehn Jahren Haft.
Teamwork in der Verteidigung
Als das Verfahren am Anfang stand, bildeten Verteidiger und Mandantin noch eine geschlossene Reihe. Heer, Stahl und Sturm bombardierten den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl und dessen Kollegen mit Befangenheitsanträgen – gestellt im Namen von Zschäpe, wie es die Strafprozessordnung vorschreibt. Die Mandantin gab für jedes Gesuch ihre Zustimmung. Es war eine Art von Teamwork.
Schon ein Jahr später wurde mitten in einer Sitzung bekannt, dass es mit dieser Einmütigkeit vorbei war. Am 16. Juli 2014 verkündete Richter Götzl nach einer längeren Sitzungspause, was ihm ein Polizist während der Unterbrechung mitgeteilt hatte. Demnach habe die Angeklagte „kein Vertrauen mehr in ihre Verteidiger“. Er schaute zur Anklagebank: „Ist das richtig, Frau Zschäpe?“ Sie nickte. In den Gesichtern von Heer, Stahl und Sturm ließ sich ablesen, dass nicht nur die Zuschauer im Saal von dieser Nachricht überrascht waren.
Aufhören geht nicht
Zschäpe hätte ihnen auch lautlos das Misstrauen aussprechen können. Mit einem Brief aus dem Gefängnis an das Gericht, vielleicht in der einmonatigen Sommerpause, die damals kurz bevorstand. Doch die Angeklagte sorgte dafür, dass der Bruch zum großen Thema wurde. Als Zschäpe dann den vierten Pflichtverteidiger Grasel und den zusätzlichen Wahlverteidiger Borchert engagiert hatte, musste sie mit den alten drei auch nicht mehr sprechen. Sie behandelt sie wie Luft.
Einfach aufhören kann ein Pflichtverteidiger jedoch nicht. Heer, Stahl und Sturm haben es versucht, sie haben mehrmals ihre eigene sogenannte Entpflichtung beantragt. Dem gab das Gericht aber nicht statt. So müssen die drei nun eine Frau verteidigen, die nichts von ihnen wissen will.
Die Verbindung zwischen den Juristen ist organisch gewachsen. Heer übernahm das Mandant auf Empfehlung eines Anwalts aus Jena, mit dem sich Zschäpe im November 2011 bei der Polizei gestellt hatte. Er holte schließlich Stahl und Sturm dazu. Sturm hatte in einem großen Islamistenprozess bereits Erfahrungen mit Richter Götzl gesammelt.
Namen mit Signalwirkung?
Anfänglich kursierende Gerüchte, nach denen Zschäpe sie wegen ihrer Namen gewählt hatte, stammen aus dem Reich der Legenden. Einer Nähe zur rechtsextremen Szene sind sie unverdächtig – auch, wenn Stahl kürzlich rechtskonservative Polemik auf Twitter verbreitete. Den Tweet löschte er später.
[tweet https://twitter.com/KatharinaKoenig/status/988182137760354304 ]
Die martialisch klingenden Namen sind nicht das einzige, was die Juristen eint. Alle drei sind Anfang der Siebzigerjahre geboren, alle stammen aus dem weiteren Umkreis von Köln. Sturm lebte und arbeitete zur Anfangszeit des Verfahrens in Berlin. Kurz darauf hätten ihre Kollegen sie aus der Kanzlei gemobbt. Unterschlupf fand sie daraufhin bei Wolfgang Heer in Köln, sie betreiben jetzt eine gemeinsame Kanzlei.
Heer gilt als der bissigste der drei. Den ersten Befangenheitsantrag gegen die Richter faxte er noch vor dem ersten Prozesstag an das Oberlandesgericht. Als die erste Sitzung dann eröffnet wurde, verlangte er sofort eine Entscheidung über das weitere Vorgehen, da hatten sich die Richter noch nicht einmal gesetzt. „Er ist unser Kettenhund“, beschrieb Stahl den Kollegen gegenüber dem Spiegel.
Klar verteilte Aufgaben
So sind die Aufgaben klar verteilt. In einem Stil grober Breitbeinigkeit scheuen Heer und Stahl keine Auseinandersetzung mit Richtern, Staatsanwälten und Nebenklageanwälten. Heer forderte einmal, im Gerichtssaal das Lachen zu verbieten, nachdem eine Formulierung von ihm für Heiterkeit gesorgt hatte. Stahl achtet auf verächtliches Augenverdrehen oder andere Missfallensbekundungen und erbittet sich lautstark Respekt. Anders Sturm: In Diskussionen wirkt sie oft stocksteif, verhaspelt sich und schaut ihr Gegenüber nur selten an.
Einer von den dreien hat in der Regel immer die richtige Antwort parat. Doch das hilft wenig, wenn die Mandantin die Verteidigungsstrategie torpediert. Völlig rätselhaft schien anfangs, warum Zschäpe ihnen 2014 das Vertrauen entzog und – ebenfalls erfolglos – ihre Entlassung beantragte.
Was ging in Zschäpe vor?
ZEIT ONLINE hat mit einer Person gesprochen, die damals Umgang mit der Angeklagten hatte. Sie erinnert sich so an Zschäpe: „Sie war noch nie so verwirrt“ und „in großer Not“. Zschäpe habe sich demnach daran gestört, dass die Verteidiger in Zeugenbefragungen Schwächen gezeigt und Informationen aus den Akten nicht parat gehabt hätten. In einer Erklärung, die Zschäpe an das Gericht schickte, wählte sie allerdings eine deutlich mildere Formulierung: Sie beklagte sich, dass die Anwälte Fragen nicht gestellt hätten, die sich ihr als Laie aufgedrängt hätten.
Schnell kamen Vermutungen auf, Zschäpe wolle vielleicht aussagen. Damit stellte sie sich völlig quer zu der sorgsam erarbeiteten Verteidigungsstrategie, die sie anfangs mittrug. Vielleicht fühlte sie sich von Heer, Stahl und Sturm aber auch eingeengt, nicht ernst genommen? Dafür spricht ein Brief, den die Altanwälte ihrer Mandantin schrieben. „Ihr Gebaren, uns konkrete Anweisungen erteilen zu wollen und sich quasi als ‚Vorsitzende der Verteidigung‘ zu geben, widerspricht nicht nur unserem Selbstverständnis, sondern diametral dem Institut der Verteidigung insgesamt. Offensichtlich haben Sie immer noch nicht verinnerlicht, dass wir nicht ihre ‚Vertreter‘ sind“, heißt es darin.
Machtkampf in der Verteidigung
Mit anderen Worten: In der Verteidigung tobte ein Machtkampf. Denn ein Verteidiger im Strafverfahren ist kein Dienstleister seines Mandanten, sondern „ein unabhängiges Organ der Rechtspflege“, wie es in der Bundesrechtsanwaltsordnung heißt. Das Schlüsselwort lautet „unabhängig“: Der Anwalt verteidigt so, wie es seiner Auffassung nach am besten ist – und nicht, wie es der Mandant gerne hätte.
Gegen ihre Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt konnte sich Zschäpe behaupten. Dass es mit ihren Anwälten so nicht funktionierte, wollte sie nicht akzeptieren. Lieber engagierte sie zwei Verteidiger, die den Prozess nicht von Anfang an kannten und die mit dem Stoff erkennbar überfordert sind. Selbst in heiklen Situationen melden sich die Neuen, Grasel und Borchert, so gut wie nie zu Wort.
Aber sie unterstützten Zschäpe dabei, im Dezember 2015 auszusagen – knapp anderthalb Jahre nach der ersten Vertrauenskrise mit ihren Altanwälten. Grasel las eine schriftliche Einlassung der Angeklagten vor. Schnell war klar, dass diese Art von Prozesstaktik scheitern musste. Die Einlassung steckte voller Ungereimtheiten, Widersprüchen und offenen Fragen, die Zschäpe nicht beantworten wollte.
Lässt sich das Urteil noch beeinflussen?
Heer, Stahl und Sturm hätten an dieser Stelle die Arbeit einfach einstellen und im Sitzungssaal die Decke anstarren können. Dann aber wäre Zschäpe faktisch ohne Verteidigung. Die Anwälte machen nun auf andere Weise weiter, selbst wenn es aussichtslos scheint. Im März vergangenen Jahres stellten sie vier Befangenheitsanträge gegen die Richter. Drei davon ließ Zschäpe per Brief platzen, indem sie mitteilte, dass sie diese nicht unterstütze.
Im Sommer dann griffen die Altverteidiger das Gutachten des Gerichtspsychiaters Henning Saß an, in dem die Angeklagte als voll schuldfähig eingestuft wurde. Dazu ließen sie eine kritische Überprüfung von einem anderen Psychiater erstellen. Die Neuverteidiger Grasel und Borchert wählten einen anderen Weg. Sie ließen wiederum einen anderen Psychiater ein alternatives Gutachten über Zschäpe fertigen – der Autor wurde später für befangen erklärt, seine Expertise hat damit kein Gewicht mehr.
Nun, zum Ende des NSU-Prozesses, gibt es zwei Plädoyers für Zschäpe: eins von den alten, eins von den neuen Verteidigern. Die Einflussmöglichkeiten auf das Urteil gehen gegen null – für beide Seiten. Das liegt an der mutmaßlichen Schuld von Zschäpe, an der Beweislage, aber auch am Verhalten der Angeklagten im Prozess. Über die Arbeit von Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm wird das Urteil nichts aussagen. Hätte es Hoffnungen gegeben, der Höchststrafe zu entgehen, hat Zschäpe sie selbst zerstört.