Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Ein tiefer Graben des Misstrauens – Das Medienlog vom Freitag, 20. November 2015

 

Die Ungewissheit dauert an: Auch nach einer Woche gibt es noch keine Entscheidung über den jüngsten Befangenheitsantrag der Anwälte des Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Diese ist frühestens am kommenden Dienstag zu erwarten. Der Streit um die angemessene Verteidigung der Hauptangeklagten Beate Zschäpe, Grundlage des Antrags, schwelte am Donnerstag unterdessen weiter – vor allem, weil Zschäpes neuer Verteidiger Mathias Grasel und ihre drei Stammanwälte nicht miteinander kommunizieren. „Zwischen den alten und den neuen Verteidigern liegt ein tiefer Graben, sie sprechen sich offensichtlich nicht ab“, bilanziert Alf Meier vom Bayerischen Rundfunk.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Die alten Anwälte wollten die Aussage eines BKA-Beamten verhindern, weil sie sich zu einer ausreichenden Verteidigung nicht in der Lage sehen. Aus demselben Grund hatten sie bereits in der vergangenen Woche ihre eigene Entlassung beantragt. Zur Aussage des Ermittlers kam es schließlich doch, der Zeuge wurde auf Antrag hin jedoch nicht offiziell entlassen und muss noch einmal nach München kommen. Einen Revisionsgrund schuf der Vorsitzende Richter Manfred Götzl mit seiner unbeirrbaren Strategie nicht, schreibt Meier: „Schließlich hat die Angeklagte sich selbst in den Schlamassel manövriert.“

Solange der Misstrauensantrag gegen die Richter in der Luft hängt, leidet das Verfahren unter einer gewissen Lähmung, wie Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online berichtet: „Da der Senat sich also noch immer in einer Situation befindet, in der er wichtige prozessuale Schritte nicht vornehmen darf, plätschert der NSU-Prozess gegenwärtig vor sich hin.“ Sie merkt an, dass an diesem Tag ein Fingerabdruck auf einem Zeitungsartikel gesichtet wurde – doch niemand fragte, zu wem die Spur gehört. Von der Befragung des BKA-Zeugen berichtet auch Annette Ramelsberger in der Süddeutschen Zeitung.

In einem weiteren Bericht setzt sich Friedrichsen auf Spiegel Online mit Zschäpes fünftem Verteidiger Hermann Borchert auseinander – und kommt zu dem Schluss, dass die Hauptangeklagte von ihm womöglich schlecht beraten ist. So hatte Borchert bereits im Jahr 2012 einem Mörder gegen den Rat von dessen ursprünglichen Verteidigern zu einer Aussage geraten – der Mann besiegelte damit die Höchststrafe für sich selbst.

Beate Zschäpe soll mit Borcherts Hilfe für den 8. Dezember ihre Aussage geplant haben. In einem Interview mit der Münchner Abendzeitung spricht der Nebenklageanwalt Stephan Lucas, der die Kinder des ersten NSU-Opfers Enver Şimşek vertritt, über die vorgesehene Einlassung. Lucas bezweifelt demnach, dass die Angeklagte umfänglich reinen Tisch machen wird: „Da es für ein Geständnis bislang keine Anzeichen gibt, wird es der Verteidigung vermutlich darum gehen, die Rolle Zschäpes in ein für sie günstiges Licht zu rücken.“

Die Verstrickungen des Mitangeklagten André E. und seiner Frau beleuchtet Andrea Röpke in einem Artikel im Blick nach Rechts. Einer der Belege für die enge Verbundenheit: Das Ehepaar hatte in seiner Wohnung eine Art Schrein für die verstorbenen NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt errichtet, die sich am 4. November 2011 in Eisenach erschossen hatten.

Das nächste Medienlog erscheint am Montag, 23. November 2015.