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Wohlleben-Anwälte: Propaganda im NSU-Prozess – Das Medienlog vom Donnerstag, 24. November 2016

 

Erneut haben die Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben den Tod des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß zum Thema im NSU-Prozess gemacht. Sie wollen beweisen, dass Heß ermordet worden sei und ihren Mandanten, offenbar Anhänger der Mord-These, so dem Extremismusverdacht entziehen. Die Anwälte beantragten, den Historiker und NPD-Politiker Olaf Rose als Sachverständigen zu laden. Damit hätte die Wohlleben-Partei „erneut offen rechtsextremistische Propaganda betrieben“, schreibt Wiebke Ramm in der Süddeutschen Zeitung. Nebenklageanwälte waren ob des Vorstoßes empört und bezeichneten ihn als Geschichtsrelativismus.

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In dem Antrag ist unter anderem von „unter Beweis gestellten Friedensbemühungen“ die Rede, die Heß Respekt „in der ’sogenannten‘ rechten Szene“ verschafft hätten. Tatsächlich wird Heß in rechtsextremen Kreisen bis heute als verhinderter Friedensstifter im Zweiten Weltkrieg verehrt. Das Gesuch zeige, dass „die drei Juristen (…) immer weniger Hemmungen haben, den NSU-Prozess für unverhohlene Nazi-Propaganda zu missbrauchen“, merkt Björn Hengst auf Spiegel Online an.

Einziger Zeuge des Prozesstags war ein Beamter des Berliner Landeskriminalamts, der zur möglichen Ausspähung einer Synagoge in der Hauptstadt durch Beate Zschäpe und Uwe Mundlos befragt wurde. Der Ermittler hatte im Jahr 2000 einen Wachpolizisten befragt, der die NSU-Mitglieder in einem Café nahe dem Gotteshaus gesehen haben will. An die Vernehmung hatte der Zeuge nun kaum noch Erinnerungen. „Er weiß nur noch, dass sich der Kollege damals ziemlich sicher war“, resümiert Ina Krauss vom Bayerischen Rundfunk. Beate Zschäpes Verteidigerin Anja Sturm teilte daraufhin mit, sie halte die Aussage des Schutzmanns für nicht verwertbar, weil sie nicht ausreichend hinterfragt worden sei.

Zschäpe will in der übernächsten Woche Fragen mit Bezug zum Mord an der neunjährigen Peggy Knobloch beantworten, wie bei dpa nachzulesen ist. Richter Manfred Götzl hatte der Hauptangeklagten Ende Oktober mehrere Fragen zu dem Fall gestellt. Er wollte wissen, ob sie über Informationen verfüge, die sie „nicht aus den Medien“ hat. Der Mord steht möglicherweise in Zusammenhang mit dem NSU-Komplex, weil DNA-Spuren von Uwe Böhnhardt am Fundort von Peggys Leiche in Thüringen festgestellt wurden. Auch will Zschäpes Anwalt Mathias Grasel eine Stellungnahme zu dem vorläufigen Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Henning Saß abgeben.

Im Fall der Aktenvernichtung beim Bundesamt für Verfassungsschutz gibt es nun doch Ermittlungen durch die Kölner Staatsanwaltschaft – allerdings nicht wegen der Schredder-Aktion am 11. November 2011, sondern wegen eines zweiten Falls mehrere Tage später. Verantwortlich war beide Male ein Abteilungsleiter mit dem Tarnnamen Lothar Lingen. Grundlage der neuen Ermittlungen sei eine E-Mail, die belegt, dass Lingen von einem Vernichtungsverbot aller relevanten Dokumente wusste, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Der erste Fall ist mittlerweile verjährt, der zweite jedoch nicht, weil die Ermittlungen bereits laufen. In den Unterlagen waren Berichte von V-Männern mit NSU-Zusammenhang abgeheftet.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 25. November 2016.