Die Erwartungen waren hoch – und wurden enttäuscht: Die Richter verschoben den für Mittwoch geplanten Start der Plädoyers und strichen den heutigen Verhandlungstag. Zuvor wollen sie über einen Antrag mehrerer Verteidiger entscheiden. Diese forderten, den Schlussvortrag der Bundesanwaltschaft auf Tonband aufzuzeichnen. Das solle auch den Angeklagten ein besseres Verständnis des auf insgesamt 22 Stunden angelegten Plädoyers ermöglichen.
Der Fall sei „ein Streit, der durchaus einen spannenden Kern hat“, schreibt Frank Bräutigam auf tagesschau.de. Denn ein Mitschnitt für interne Zwecke ist möglich – sofern der Richter zustimmt. Einen ersten Antrag dieser Art hatte der Vorsitzende Manfred Götzl aber unter Verweis auf die Persönlichkeitsrechte der Anklagevertreter abgelehnt.
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„Was ist wichtiger: dass die Angeklagten verstehen, was ihnen die Bundesanwaltschaft vorwirft und das auch nachlesen können oder der Wunsch der Staatsanwälte, unbefangen zu sprechen (…)?“, formuliert Annette Ramelsberger von der Süddeutschen Zeitung die Frage, mit der sich bis kommende Woche der Strafsenat beschäftigen muss. Die Verteidiger von Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben teilten mit, ihre in Untersuchungshaft sitzenden Mandanten litten unter Konzentrationsschwierigkeiten. Das seien „gewichtige Argumente“, meint Ramelsberger. Ganz abwegig seien sie Richter Götzl offenbar nicht vorgekommen.
Ist das Ansinnen also ein konstruktives oder nicht? Für Gisela Friedrichsen von der Welt ist die Antwort klar: Die Verteidiger „scheinen auf rabiaten Verzögerungskurs gepolt“, schreibt sie. Die Anträge seien nicht mehr als „ein Störfeuer – möglicherweise nicht das letzte“.
Auch Christian Gottschalk von der Stuttgarter Zeitung sieht in den Anträgen „die taktischen Winkelzüge“ der Verteidigung, die am Ende wohl ohne Erfolg bleiben würden. Für die Taktik gelte: „Dass sie unter dem Strich dem Wohle der Mandanten dient, das darf bezweifelt werden.“
„Wie viel muss ein Gericht leisten, um Anwälten die Arbeit und den Angeklagten das Verständnis zu erleichtern? Das ist eine berechtigte Frage, keine sinnlose Prozessbremse“, meinen wir von ZEIT ONLINE. Demnach ist zu erörtern, ob die Justiz ihre Aufgabe nicht richtig erfülle, wenn Angeklagte das Geschehen gar nicht verstehen. Allerdings haben auch Verteidiger ihren festen Platz in der Aufgabenverteilung – sie müssen ihren Mandanten verständlich machen, was passiert.
Ob der Konflikt beim #NSU-Verfahren heute durch den @GBA_b_BGH hätte vermieden werden können, darf man sich wohl schon fragen.
— Volker Beck (@Volker_Beck) 19. Juli 2017
Auch die lange Dauer des Verfahrens im Allgemeinen beschäftigt Prozessbeobachter dieser Tage. „Der Rechtsstaat wehrt sich sehr akribisch gegen seine Feinde“, kommentiert Hagen Strauß in der Westdeutschen Zeitung. Im Interview mit der Frankfurter Rundschau sagt die Ombudsfrau der Opfer-Angehörigen, Barbara John, das nun plötzlich angekündigte Prozessende sei im Sinne der Hinterbliebenen.
Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 21. Juli 2017.