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V-Mann Piatto: verkleidet und vergesslich – Das Medienlog vom Donnerstag, 4. Dezember 2014

 

Am 167. Prozesstag hat der ehemalige V-Mann Carsten Sz. alias Piatto im NSU-Prozess ausgesagt. Er hatte 1998 Hinweise auf Kontaktleute des kurz zuvor untergetauchten Trios aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gegeben. Sz., der im Zeugenschutz lebt, erschien mit Perücke maskiert im Gerichtssaal. Das bedeutete jedoch nicht, dass er offen über die rechte Szene sprach – vielmehr zeigte sich, dass er „angeblich zu den entscheidenden Punkten keine Erinnerung mehr hat“, wie Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung notiert.

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Sz. war wegen eines Mordversuchs 1995 zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden. Noch während der Haft begann er als Freigänger für den Brandenburger Verfassungsschutz zu spitzeln. Dabei lieferte er viele Hinweise auf die radikale Organisation Blood & Honour. Mit der rechten Szene will er da schon gebrochen haben. Piatto war „einer der schillerndsten Grenzgänger zwischen fanatischem Rechtsextremismus und intensiver Spitzelei für den Verfassungsschutz“, schreibt Frank Jansen vom Tagesspiegel.

In seiner Zeugenaussage konnte er sich zwar an einige Figuren der Szene, etwa den mutmaßlichen Waffenbeschaffer Jan W., erinnern, doch nicht an seine Meldungen dazu. So entstehe das Gefühl, „da habe ein Mann längst mit seinem einstigen Fanatikerleben abgeschlossen und müsse doch heute noch einen hohen Preis dafür zahlen“, kommentiert Jansen. Dies könne ein Grund für die angeblichen Erinnerungslücken sein.

Ungehemmt sprach Sz. nur über den Charakter der sächsischen Division von Blood & Honour, die er ausspionierte. Für ihn war die Gruppe „der absolute Hardliner-Verband“, wie er Richter Manfred Götzl mitteilte. „Vielleicht ist es das Protektorat des Geheimdienstes, das es dem Zeugen möglich macht, derart offen über die Gruppe zu sprechen“, merken wir auf ZEIT ONLINE an – für andere Punkte galt dies jedoch nicht. Seine Gedächtnisschwierigkeiten betonen auch Sabine am Orde in der taz und Julia Jüttner auf Spiegel Online.

Aus den sogenannten Deckblattmeldungen seiner V-Mann-Zeit geht jedoch eindeutig hervor, dass Piatto entsprechende Hinweise an seine Quellenführer vom Verfassungsschutz weitergab. „Abgeleitet aus diesen Unklarheiten entsteht der Eindruck, dass Brandenburgs Behörden vor 16 Jahren die NSU-Problematik unterschätzten“, kommentiert Tim Jaeger vom RBB. Der Zeuge habe indes nicht gesagt, wie „die Unterstützung aus Brandenburg für das NSU-Trio damals ausgesehen hat“. Dafür habe er ein lebendiges Bild der rechten Szene gezeichnet.

Die Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben beantragten gegen Ende des Verhandlungstags, ihren Mandanten nach gut drei Jahren aus der Untersuchungshaft freizulassen. Die Gründe aus dem Antrag resümiert Oliver Bendixen vom Bayerischen Rundfunk. Einen ähnlichen Antrag hatten die Anwälte bereits im Juli gestellt.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 5. Dezember 2014.