Kein Tag ohne neue Manöver in der Krise zwischen Beate Zschäpe und ihren alten drei Verteidigern. Am Freitag wurde bekannt, dass die Hauptangeklagte ihre Anwälte Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer wegen Geheimnisverrats angezeigt hatte. Thema waren Gespräche, die ihre Rechtsvertreter mit Richter Manfred Götzl geführt hatten. Doch handelt es sich bei der Anzeige womöglich nur um den Versuch, die drei endlich loszuwerden. Für Götzl werde es nämlich „noch schwieriger zu argumentieren, das Vertrauensverhältnis zwischen Zschäpe und den Verteidigern sei nicht erschüttert“, analysiert Helene Bubrowski in der Frankfurter Allgemeinen.
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Zusätzlich reichte Zschäpe auch Misstrauensanträge gegen Sturm und Stahl ein; ein ähnliches Gesuch gegen Heer ist bereits anhängig. Das Gesuch an das Gericht soll also offenbar von der Anzeige gestützt werden. „Sollte Zschäpe sich durchsetzen, geriete der NSU-Prozess in schwere Turbulenzen“, schreibt Frank Jansen im Tagesspiegel. Dass es dazu kommt, halten die meisten Prozessbeobachter jedoch für unwahrscheinlich. Schließlich könne es „nicht im Sinne des Rechtsstaates sein, sich nach Belieben vorführen zu lassen“, kommentiert Markus Decker im Kölner Stadtanzeiger. Scheitere das Verfahren, wäre dies „eine Katastrophe für die Hinterbliebenen der Opfer“.
Auf ZEIT ONLINE loben wir, dass das Gericht die Anzeige nicht einmal mit einer Unterbrechung des Verfahrens würdigt. Denn: „Ein Prozess darf nicht von einer Angeklagten gesprengt werden, weil diese mit ihren Vertretern im Clinch liegt.“ Sie selbst äußerte sich etwa gegenüber einem Gerichtspsychiater bereits über Interna der Verteidigung, nun bedient sie sich „bürokratischer Kniffe“. Dies spricht für ihr Handeln als „Akt der Hilflosigkeit“.
Zschäpe habe sich „von Missmut über Ablehnung bis hin zu blindem Hass“ gesteigert, befindet Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online. Sie habe im Prozess geschwiegen, selbst jedoch am meisten über die Kommunikation zwischen sich und den Verteidigern preisgegeben.
Auch Andreas Speit von der taz glaubt, Zschäpe habe die Anwälte angezeigt „in der Hoffnung, sie doch noch loszuwerden“. Richter Götzl hatte Anwalt Heer aus einem Gespräch wie folgt zitiert: „Wenn sie hätte aussagen wollen, hätte sie das gekonnt.“ Bisher jedoch sei ihr unterstellt worden, sie habe allein auf Rat ihrer Verteidigung geschwiegen. „Trifft die Behauptung zu, müsste über Zschäpes politische Einstellung und persönliche Willenskraft neu diskutiert werden.“
Über die Folgen der Anzeige haben die Süddeutsche-Autorinnen Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz in einem Video diskutiert. Sie sind der Meinung: „Das Gericht darf sich nicht zum Spielball von Zschäpe machen lassen.“ Zudem müsse bedacht werden, dass auch die vier anderen Angeklagten im Prozess auf die Idee kommen könnten, Störaktionen zu verursachen.
Die als „Nazi-Jägerin“ bekannt gewordene Journalistin Beate Klarsfeld kritisiert Zschäpes Auftreten während des Prozesses im WDR-Radio. Die Hauptangeklagte könne sich praktisch als Leiterin des Verfahrens präsentieren: „Ich meine, das kann nicht sein, der Prozess muss ein Prozess sein, wie grausam diese drei haben morden können.“ In ihrer Selbstdarstellung wirke sie wie eine Heldin, das habe „etwas Ungesundes an sich“.
Das nächste Medienlog erscheint am Dienstag, 28. Juli 2015.