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Die Zweifel an V-Mann Brandt – Das Medienlog vom Donnerstag, 25. September 2014

Zum dritten Mal hat der Thüringer Neonazi und ehemalige V-Mann Tino Brandt im NSU-Prozess ausgesagt. Thema der Fragen von Verteidigern und Nebenklagevertretern waren unter anderem Wehrsportübungen, die der Zeuge in den neunziger Jahren abgehalten haben soll, und seine Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz. Für Gisela Friedrichsen von Spiegel Online ist klar, dass Brandt unglaubwürdig ist: „Er verharmlost, beschönigt, erzählt karg oder weitschweifig, wie es ihm gefällt.“ Er habe selektiv andere be- oder entlastet oder bei passender Gelegenheit Namen vergessen.

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Das Wechselspiel des Tino Brandt

Mit Geld vom Verfassungsschutz baute V-Mann Tino Brandt eine rechtsextreme Organisation auf. Im NSU-Prozess bestätigt er, dass die Gruppe erst durch das Staatsgeld groß und wichtig wurde.

Seinen besten Mann in der Thüringer Naziszene ließ sich das Landesamt für Verfassungsschutz einiges kosten: Mal gab es 100 Mark auf die Hand, manchmal 800. Es gab Extrageld für einen Computer und ein Internetmodem, in den neunziger Jahren Hightech. Zuschüsse für ein Auto und, wenn der Mann mal in juristischen Schwierigkeiten steckte, Ersatz für die Anwaltsgebühren. Alle Gelder schon versteuert, das versicherten die Beamten Tino Brandt. Der verdiente durch die Zahlungen vom Geheimdienst bald besser als in seinem Job als Verlagskaufmann.

Brandt ist einer der bekanntesten Neonazis Deutschlands. Zum dritten Mal sitzt er als Zeuge im NSU-Prozess in München, wieder setzt er eine Marke nicht nur durch das, was er sagt, sondern auch durch seinen massiven Leib, den er nach der vorigen Vernehmung um einen Rauschebart ergänzt hat.

Zu diesem Termin lässt er sich von den Verteidigern der Angeklagten und den Anwälten der Nebenklage befragen. Es geht um seine Zeit und Kontakte im Thüringer Heimatschutz (THS), der Organisation, die er in den neunziger Jahren gründete und in der er Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kennenlernte. Und natürlich interessieren sich die Anwälte für seine Spitzeltätigkeit, die von 1995 bis 2001 dauerte und während der die Verfassungsschützer ihm insgesamt geschätzt 200.000 Mark zusteckten, bar und in Sachleistungen.

Brandt erzählt gern von seiner Zusammenarbeit mit dem Landesamt, auch bei Fragen zu seinem Netzwerk in der rechtsextremen Szene zögert er nicht mit den Antworten – auch wenn die häufig „Daran erinnere ich mich nicht“ lauten. Der 39-Jährige ist keinen Schritt von seiner früheren Ideologie abgerückt, auf Auftritte wie diesen vorbereitet durch etliche Rechts- und Rhetorikschulungen. Nicht auszuschließen, dass er seine Vernehmung genießt – so wie er damals das Pendeln zwischen Informantengesprächen mit seinen V-Mann-Führern und Aufmärschen wie zum Rudolf-Heß-Gedenken genoss.

Deutlich wird erneut, dass Brandt wohl nur durch dieses Wechselspiel zu einer Szenegröße mit derartiger Strahlkraft aufsteigen konnte: Herbert Hedrich, der Verteidiger des Angeklagten André E., fragt, ob es den THS ohne die Zahlungen vom Landesamt überhaupt gegeben hätte. „Er hätte sicher nicht die bundesweite Bedeutung und die Größe erreicht“, antwortet der Zeuge. Der THS galt als das wichtigste Sammelbecken für Thüringer Neonazis.

Nachdem Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt im Januar 1998 geflüchtet waren, habe der Verfassungsschutz Extra-Prämien ausgelobt für Hinweise, die auf den Aufenthaltsort des Trios schließen ließen. Brandt sagt, er habe zwar Informationen zum Trio geliefert, aber versucht, „von dem Thema ein Stück fernzubleiben“.

Nebenklagevertreterin Seda Basay erkundigt sich nach sogenannten Wehrsportübungen, die Brandt veranstaltet haben soll, um seine Kameraden für den nationalen Kampf fit zu machen, Schießtraining inklusive. Brandt tut das als „Unsinn“ ab, „in Thüringen habe ich nie Waffen in der Hand gehabt“. Eine Aussage, die genaueste Betrachtung verdient: Denn andernorts war der THS-Gründer zumindest Teilnehmer entsprechender Trainings, etwa in den USA und Südafrika, was durch Fotos dokumentiert ist.

Zudem war er Pächter eines Grundstücks im thüringischen Kahla. Zwei Nachbarn riefen damals die Polizei, als sie dort vier Männer sahen, die mit einem Luftgewehr auf Schießscheiben schossen, die auf Holzkisten angebracht waren. Auf Lichtbildvorlagen erkannten die Nachbarn Tino Brandt, Uwe Böhnhardt sowie die Szenemitglieder André K. und Mario B. Brandt behauptet dennoch, er sei nicht dort gewesen. Auch wisse er nicht, ob Böhnhardt das Grundstück jemals betreten habe.

Nebenklageanwalt Mehmet Daimagüler müht sich, die politische Einstellung von Brandt herauszuschälen – der damit offen und ungezwungen in der Öffentlichkeit auftritt, wie zu seinen Zeiten beim Thüringer Heimatschutz. Er spricht von „Familienzusammenführung von Ausländern im Heimatland“und „Rückführung“. Es braucht nicht viel Fantasie, um zu erraten, dass Brandt von Deportationen spricht – vorgesehen unter anderem für Frauen, „die vollverschleiert in Deutschland rumlaufen“.

Auch zur Anklage, die in München verhandelt wird, hat Brandt eine eindeutige Meinung: „Ich halte diese NSU-Mordgeschichte nicht für glaubhaft und sehe das hier als Schauprozess.“ Er könne sich nicht vorstellen, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die zehn Menschen ermordet haben.

 

Wende im NSU-Prozess? – Das Medienlog vom Mittwoch, 24. September 2014

Zwei Themenkomplexe beschäftigten den NSU-Prozess am 142. Prozesstag: erst die Brandstiftung in der letzten Wohnung des NSU-Trios in Zwickau, dann der Auftritt des Thüringer Neonazis Tino Brandt. Der Wohnungsbrand vom November 2011 wirft noch heute wichtige Fragen auf, weil er Beate Zschäpe zugeschrieben wird. Sie ist deshalb wegen versuchten Mordes angeklagt. Die Zeugenaussage eines Zwickauer Polizisten lieferte womöglich neue Erkenntnisse. „War das nun eine Wende im NSU-Prozess? Ist der Vorwurf des versuchten Mordes (…) nun entkräftet?“, fragt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.

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143. Prozesstag – Weitere Vernehmung von Tino Brandt

Zum dritten Mal nimmt Tino Brandt am Mittwoch im Zeugenstand Platz. Der frühere Vordenker der Thüringer Neonazis und V-Mann für den Verfassungsschutz soll weitere Angaben zur Radikalisierung des NSU-Trios in den neunziger Jahren machen. Dabei könnte sich auch zeigen, ob Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt schon damals Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele ansahen.

Der 39-Jährige aus Rudolstadt gründete in den Neunzigerjahren das Nazi-Sammelbecken Thüringer Heimatschutz, in dem sich auch Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt engagierten. Zumindest kurz nach dem Abtauchen des Trios im Jahr 1998 unterstützte Brandt die Kameraden, indem er gefälschte Pässe besorgen ließ. Seit 1994 war er als V-Mann „Otto“ Informant des Thüringer Verfassungsschutzes, bis er 2001 enttarnt wurde. Viele Prozesbeobachter hoffen daher, dass Brandt auch Informationen zur dubiosen Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex liefern kann.

ZEIT ONLINE berichtet aus München und fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

Geheimnisvolle Warnung

Warnte Beate Zschäpe ihre Nachbarin vor dem Feuer, das sie gelegt hatte? Ihre Verteidiger streuen Zweifel am Vorwurf des versuchten Mords. Auch V-Mann Tino Brandt sagt aus.

Am Nachmittag des 4. November 2011, kurz nach 15 Uhr, entschieden Minuten über Schicksale. Das der gebrechlichen und schwerhörigen Rentnerin Charlotte E., die in letzter Minute von ihren Nichten vor einem Brand in der Nachbarwohnung gerettet wurde. Außerdem das von Beate Zschäpe, die in diesen Minuten möglicherweise zur versuchten Mörderin wurde – denn sie hatte das Feuer laut Anklage im NSU-Prozess gelegt, um Beweise zu vernichten. Das Haus in der Zwickauer Frühlingsstraße brannte nieder.

Ob Zschäpe wegen versuchten Mords verurteilt wird, hängt unter anderem von der Antwort auf eine Frage ab: Versuchte sie, die Nachbarin vor den Flammen zu warnen? Das Münchner Oberlandesgericht hörte dazu einen Zwickauer Polizisten, der die damals 89-Jährige befragt hatte, eine Woche nach der Tat. Dabei machte sie zum letzten Mal verwertbare Aussagen – heute ist E. dement und lebt in einem Pflegeheim. Neue Versuche, sie zu vernehmen, scheiterten.

Aufgabe des Polizisten war, E. als sogenannte Entlastungszeugin zu befragen. Denn die gab an, es habe an ihrer Tür geklingelt – war es Beate Zschäpe, die die alte Frau auf das Feuer aufmerksam machen wollte? E., die an einem Stock ging, brauchte vier Minuten zur Tür. An der Gegensprechanlage meldete sich niemand. Als sie aus dem Fenster schaute, sah sie niemanden vorm Haus stehen. Erst eine Viertelstunde später roch sie den Qualm.

Ob Zschäpe schellte, ist also unklar. Doch kritzelte der Polizist einige Tage nach der Vernehmung eine interessante Notiz unter das Protokoll ihrer Aussage: „Ich gehe davon aus, dass Zschäpe bei Frau E. geklingelt hat.“ Wie kam er zu dieser Schlussfolgerung? Das kann er in der Verhandlung nicht mehr schlüssig erklären.

Die Einschätzung beruhte womöglich auf dem Wissen, dass ein Handwerker an die Haustür geeilt war, nachdem er die Flammen aus dem Haus schlagen sah. Er klingelte im ganzen Haus. Als er ins Treppenhaus gehen wollte, kam ihm Frau E. entgegen, gestützt von ihren Nichten. Wer also hatte geklingelt, als die betagte Frau noch oben in ihrer Wohnung war? Zschäpe? Der Handwerker? Die Frage bleibt unbeantwortet. Denn der Polizist fragte nicht nach, ob sie möglicherweise ein zweites Schellen hörte.

Für Zschäpes Verteidiger ein Unding: Ihr Anwalt Wolfgang Heer kündigt für die kommende Woche eine „umfassende Erklärung“ zu dem Brandkomplex an – darin dürfte er sich darüber beschweren, dass der Beamte eine möglicherweise entlastende Tatsache links liegen ließ. Umso frustrierender muss es für die Verteidiger sein, dass das Wissen von Frau E. mit ihrer fortschreitenden Krankheit unerreichbar geworden ist. Fraglich ist allerdings, ob ein einmaliges Klingeln bei einer Schwerhörigen als Warnung ausreicht – die Richter stehen vor einer weiteren komplexen Deutungsfrage.

Am Nachmittag tritt zum dritten Mal der Zeuge Tino Brandt in den Zeugenstand, erneut vorgeführt aus der Untersuchungshaft, in der er wegen des Verdachts auf Kindesmissbrauch sitzt. Brandt gilt als zentrale Figur im Komplex NSU, der kräftig am Unterstützernetzwerk der Zelle mitgewebt haben soll. In den neunziger Jahren gründete er das Nazi-Sammelbecken Thüringer Heimatschutz, in dem sich auch Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tummelten.

Dass Brandt in der rechten Szene über ein dickes Adressbuch verfügte, gilt als unbestritten. Fragen danach weicht er jedoch aus: Richter Manfred Götzl erkundigt sich etwa nach Kontakten bei der radikalen Neonazi-Organisation Blood & Honour. „Ich habe ein schlechtes Namensgedächtnis“, sagt Brandt, „darüber hat sich schon der Verfassungsschutz beschwert.“ An den Geheimdienst in Thüringen hatte er jahrelang als V-Mann Informationen geliefert, bis er im Jahr 2001 enttarnt wurde.

Die Spitzeltätigkeit steht im Zentrum seiner Befragung – und dabei melden sich erneut die Zschäpe-Anwälte zu Wort. Verteidiger Wolfgang Stahl interessiert sich vor allem dafür, ob Brandt bei den Schlapphüten aus dem Nähkästchen plauderte oder Informationen so weitergab, wie es ihm passte. „Wenn es um Straftaten ging – da hatten wir die Vereinbarung, dass das den Verfassungsschutz nichts angeht“, antwortet Brandt. Denn die Behörde habe sich als „kein Polizeiorgan“ gesehen und sich mehr für die Teilnehmerzahlen bei rechten Aufmärschen interessiert.

Ob die seichten Recherchen des Amts mitverantwortlich waren, dass ein Trio aus drei gewaltbereiten Rechten trotz Nähe zu mehreren V-Männern wie Brandt ungestört abtauchen konnte? Auch Stahl zeigt sich verblüfft über die Informationsbeschaffung der Beamten: „Hat den Verfassungsschutz nichts interessiert? Hat der nie nachgefragt?“, will er wissen. Brandt, der Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt persönlich kannte, sieht die Beziehung zwischen Behörde und Informant wesentlich entspannter: „Wir waren eine junge patriotische Gruppe. Was hätte ich denen Problematisches berichten sollen?“

 

Gruseliges Bild der Rechtsextremen – Das Medienlog vom Dienstag, 23. September 2014

Der Zeuge Thomas B. sagte am 141. Prozesstag über seinen Jugendfreund Uwe Böhnhardt aus – und beschrieb ihn als Mann mit explosivem Temperament. „Die Aussage zeichnet ein gruseliges Bild von der mentalen Verwahrlosung junger Ostdeutscher in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung“, bilanziert Frank Jansen im Tagesspiegel. Denn mit dem Freundeskreis um Böhnhardt begann B. als Jugendlicher Autos zu knacken und zu trinken. Zu seiner Aussage wurde der 37-Jährige aus einer Suchtklinik ins Gericht gebracht. Auch für Uwe Böhnhardt wurden damals die Weichen gestellt: „Die Zeit in der Gang Anfang der 1990er Jahre, so scheint es, hat Böhnhardt auf fatale Weise geprägt.“

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142. Prozesstag – Tino Brandt erneut Zeuge

Zum dritten Mal ist der Neonazi und frühere V-Mann Tino Brandt als Zeuge im NSU-Prozess geladen. Von ursprünglich geplanten drei Vernehmungen konnte im Juli nur anderthalb Tage abgehandelt werden, weil Beate Zschäpes Entpflichtungsantrag gegen ihre Verteidiger dazwischenkam. Bei dem Termin nannte Brandt Zschäpe „keine dumme Hausfrau“, die selbstbewusst war und sich mit rechtsextremen Ideen auskannte.

Der 39-Jährige aus Rudolstadt gründete in den Neunzigerjahren das Nazi-Sammelbecken Thüringer Heimatschutz, in dem sich auch Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt engagierten. Zumindest kurz nach dem Abtauchen des Trios im Jahr 1998 unterstützte Brandt die Kameraden, indem er gefälschte Pässe besorgen ließ. Seit 1994 war er als V-Mann „Otto“ Informant des Thüringer Verfassungsschutzes, bis er 2001 enttarnt wurde. Viele Prozesbeobachter hoffen daher, dass Brandt auch Informationen zur dubiosen Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex liefern kann. Der Zeuge sitzt derzeit wegen des Verdachts auf Kindesmissbrauchs in Untersuchungshaft.

Zudem befasst sich das Gericht mit zwei Vernehmungen der Zeugin Charlotte E.. Die heute 91-Jährige war in ihrer Zwickauer Wohnung in Lebensgefahr geraten, als Zschäpe am 4. November 2011 nebenan laut Anklage Feuer legte. Als Zeugen kommen ein Polizist, der E. kurz nach der Tat befragt hatte, und ein Zwickauer Richter, der sie im Mai 2014 in ihrem Altenheim aufgesucht hatte. Die Vernehmung vor Ort war notwendig geworden, weil die Zeugin dement ist und nicht reisen kann. Berichten zufolge hatte der Termin keinen Erfolg.

ZEIT ONLINE berichtet aus München und fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

„Ich hatte Angst vor Uwe Böhnhardt“

Gemeinsam knackten sie Autos und brachen ein – doch vor allem fürchtete der Zeuge Thomas B. die Wutausbrüche des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt.

Als er 16 ist, fliegt Thomas B. mit einem Knall aus der rechten Szene. Ein geklautes Auto, eine Runde auf dem alten Truppenübungsplatz in Jena, die Kumpels schauen zu. Der Wagen springt, B. wird durch die Frontscheibe geschleudert und bleibt bewusstlos liegen. Die Freunde hauen ab, sie wollen keinen Ärger. Außerdem hat B. zuvor mehrere von ihnen bei der Polizei angeschwärzt, weil sie ein Waffenlager betreiben sollen. Einem Verräter hilft man nicht.

Nach dem Vorfall im Mai 1993 lag B. zwei Wochen lang im Koma. Der Tag wirkt nach bis heute. B. will mit den Kameraden von damals nichts mehr zu tun haben. Am 141. Prozesstag ist der heute 37-Jährige als Zeuge geladen, weil er in seiner Zeit als Mitläufer unter Nazis in Kontakt zu wichtigen Kameraden kam. Dazu zählen Uwe Böhnhardt, als NSU-Mitglied mutmaßlicher Mörder von zehn Menschen, und Enrico T., der geholfen haben soll, eine Pistole zur Gruppe zu schmuggeln.

T. ist ein Mensch mit vielen Problemen. Ein Ausreißerjunge, der in der Pubertät in Jena Halt bei den Jugendlichen mit Springerstiefeln und Bomberjacken suchte, aber immer wieder Prügel bezog – „das war eine harte Zeit“. Ein Mann, der auch heute noch kämpft: mit Angstzuständen und Alkohol. Zu seinem vorigen Zeugentermin im Juli schaffte er es nicht nach München, er versackte auf halbem Weg in einer Kneipe.

Jetzt muss er, der mit seinen graumelierten Haaren viel älter aussieht, wieder von der Gesellschaft der Rechten erzählen. Kamerad Böhnhardt ist ihm bis heute in Erinnerung geblieben: „Das war ein ziemlich lustiger Typ. Der hatte immer so ein Lächeln im Gesicht.“ In einer Clique habe man sich zum Mopedschrauben und zum Saufen getroffen. Ob Böhnhardt einer gewesen sei, der den Ton angab, wisse er nicht mehr, sagt der Zeuge.

Die Wutausbrüche des Kameraden hat er hingegen nicht vergessen: „Ich hatte Angst vor ihm. Das war ein lockerer Typ, aber der konnte ruckzuck umschalten, wenn ihm etwas nicht gepasst hat.“ Dann habe er rumgebrüllt und zugeschlagen.

Die Beschreibung deckt sich mit den Schilderungen von Zeugen aus der Szene oder der des Vaters von Uwe Mundlos, der Böhnhardt im Gericht eine „tickende Zeitbombe“ nannte. Nur ergeben diese Aussagen das Bild eines Impulsivtäters und nicht das des kalkulierenden Killers aus der Anklageschrift, der mit seinem Partner Uwe Mundlos beinahe lautlos Geschäftsleute überfällt.

B. zufolge war Böhnhardt sehr wohl in der Lage, sich zusammenzureißen. Etwa, wenn es um ihr gemeinsames Hobby ging: Autodiebstahl. „Ich habe geguckt: Da steht ein Auto, gefällt mir, nehme ich mir.“ Böhnhardt habe nicht einfach einen Wagen aufgebrochen, sondern ihn beobachtet, ein Zeitfenster recherchiert, damit er nicht überrascht werden konnte. „Da war er zu clever dazu.“ Dass er gemeinsam mit Böhnhardt in einen Jenaer Abholmarkt eingebrochen und Waren im Wert von 1.000 Mark gestohlen haben soll, daran kann sich B. hingegen nicht mehr erinnern.

B. hat sich nach eigenen Angaben von den rechtsextremen Kreisen gelöst. Seine Aussage ergibt ein unromantisches Abbild dieser Szene, von der viele Aktive vor Gericht behaupten, es gehe vielen dort um hehre politische Ziele. B. erzählt von einem Waffenversteck an einer Burgruine und einem Mann mit dem Spitznamen Papst. Dieser Typ, „die Stadtglatze von Jena“, habe jegliche Waffen besorgen können.

Und auch sein Kumpel Enrico T. sei ausgerüstet gewesen. In seinem Haus an der Saale habe er ihm Revolver und Pistolen gezeigt, die dort auf einem Tisch lagen. T. wird beschuldigt, als Mittelsmann den Kontakt zwischen zwei Waffenschmugglern hergestellt zu haben. So soll die Pistole Ceska 83, mit der neun Migranten erschossen wurden, aus der Schweiz in die Hände des NSU gelangt sein.

Heute, sagt B., empfindet er die Zeit in der Szene als Trauma. Der Unfall auf dem Übungsplatz war es schließlich, der ihn vom Ausstieg überzeugte. Als er im Krankenhaus lag, hätten einige der früheren Kumpels versucht, ins Krankenhaus zu kommen und ihn zu töten. Daraufhin streuten Familie und Freunde die Nachricht, er sei tot. Erst dann ließen die Kameraden ihn in Ruhe.

 

Keine Berichte zum NSU-Prozess

Am Montag, 22. September, gibt es keine Berichte in den deutschen oder englischsprachigen Onlinemedien.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Das nächste Medienlog erscheint am Dienstag, 23. September 2014.

 

141. Prozesstag – Jugendfreund von Böhnhardt geladen

Der Zeuge Thomas B. aus Thüringen hatte bei seinem letzten Vernehmungstermin im Juli für Furore gesorgt – weil er nicht erschienen war. Als Grund dafür gab er an, auf halbem Wege nach München Durst bekommen zu haben und in eine Kneipe gegangen zu sein. Es war bereits die zweite Vernehmung, die er platzen ließ. Am Montag könnte B. von der Polizei vorgeführt werden.

B. ist ein Jugendfreund von Uwe Böhnhardt und beging gemeinsam mit ihm Straftaten. In Vernehmungen beschrieb er ihn als aggressiv. Zudem erwarten die Prozessbeteiligten Informationen zum Schmuggel der NSU-Waffe Ceska 83. B. kannte den Zeugen Enrico T. und sagte bei der Polizei, dass dieser eine andere Waffe von einem Schweizer Kompagnon erhalten habe. Zudem brachte er T. bei den Ermittlern mit dem Mord an einem Kind in Verbindung.

ZEIT ONLINE berichtet aus München und fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.