Bevor im NSU-Prozess das Urteil fallen kann, muss der psychiatrische Gutachter Henning Saß sein Gutachten über die Hauptangeklagte Beate Zschäpe erstatten. Zuvor muss jedoch über Anträge der Zschäpe-Verteidiger entschieden werden, die unter anderem eine Audioaufzeichnung von Saß‘ Vortrag gefordert hatten. Ob die Expertise heute vorgestellt wird, ist daher noch unklar.
Saß prüft in seiner Analyse, ob bei einer Verurteilung zusätzlich die Sicherungsverwahrung für Zschäpe angebracht ist. Aus einer bekannt gewordenen Fassung des Dokuments ist bereits bekannt: Saß empfiehlt die Sicherungsverwahrung, sofern das Gericht Zschäpes Selbstbeschreibung als ohnmächtiges Anhängsel ihrer Komplizen als nicht glaubhaft auffasst. Der Gutachter selbst deutet Zweifel an ihrer Version an.
ZEIT ONLINE berichtet aus München und fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.
Das psychiatrische Gutachten über Beate Zschäpe muss bis zum nächsten Jahr warten: Zschäpes Anwälte erreichten am letzten Prozesstag dieses Jahres einen Aufschub. Nachdem die Richter den Antrag der Verteidiger auf Abberufung des Sachverständigen Henning Saß ablehnten, stellten diese einen Befangenheitsantrag gegen den gesamten Strafsenat. Nun ruht das Verfahren über die Feiertage. Die Gründe der Ablehnung des Gesuchs gegen den Psychiater „glichen einer kalten Dusche für die Verteidigung“, meint Gisela Friedrichsen von der Welt. Der Expertise des Sachverständigen hätten die Anwälte wenig entgegenzusetzen, daher sei „der Misserfolg vorauszusehen“ gewesen.
Unerwartet meldete sich am 322. Verhandlungstag einer der Angeklagten zu Wort: Ralf Wohlleben, der die NSU-Mordwaffe Ceska 83 beschafft haben soll. Er bestritt, an einer Schlägerei beteiligt gewesen zu sein, die sich im Sommer 1998 ereignet hatte. Geschildert hatte den Gewaltakt der Mitangeklagte Carsten S. Wohlleben warf diesem vor, er wolle ihn um jeden Preis belasten, berichtet Wiebke Ramm in der Süddeutschen Zeitung. Beiden wird vorgeworfen, am Transport der Waffe beteiligt gewesen zu sein, S. gilt als Kronzeuge gegen Wohlleben.
Ein Vermerk, gekennzeichnet mit dem Stempel „Geheim“, beschäftigt den NSU-Prozess: Drei Anwälte der Nebenklage legten den Bericht aus dem Brandenburger Verfassungsschutz am Mittwoch dem Münchner Oberlandesgericht vor und beantragten, ihn zu verlesen. Sein Inhalt ist brisant: Demnach hat ein Quellenführer des Geheimdienstes, der früher den V-Mann Carsten Sz. alias Piatto betreute, vor Gericht gelogen. Der Beamte Reinhard G. gab in seiner Zeugenaussage an, der Informant und damit die Behörde hätten von einem Hinweis auf eine geplante Waffenlieferung an den NSU nichts erfahren können. Das vertrauliche Dokument belegt, dass die Version von G. nicht stimmen kann. „Das NSU-Rätsel scheint auch in diesem Teilaspekt unaufklärbar – vor allem wegen des Agierens der Innenministerien und Verfassungsschutzämter“, kommentiert Per Hinrichs von der Welt.
Ausgesagt hatte Beate Zschäpe bereits im Dezember vergangenen Jahres. Doch ihre Einlassung ist damit noch nicht beendet: Zum vierten Mal hat Richter Manfred Götzl der Angeklagten am Dienstag neue Fragen gestellt, die ihr Anwalt Mathias Grasel durch Verlesen beantworten soll. Wesentliche andere Aspekte gibt es derzeit nicht: „Die Beweisaufnahme geht dem Ende entgegen. Der Fragebedarf an die Hauptangeklagte Zschäpe scheint weitgehend erschöpft“, bilanziert Tim Aßmann vom Bayerischen Rundfunk. Einen vierten Jahrestag werde es in dem Verfahren wohl nicht geben.
Wieder war es ein denkwürdiger Auftritt des Verfassungsschützers Reiner G., vormals tätig als Betreuer eines V-Manns aus dem NSU-Umfeld: Zu seiner mittlerweile dritten Vernehmung erschien G. vermummt, mit Kaugummi im Mund – und forderte, seine Aussage vom Blatt ablesen zu dürfen. Das lehnte Richter Manfred Götzl verärgert ab. „Es ist ein jämmerlicher Auftritt“, beobachtet Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung.
Die Fortsetzung des NSU-Prozesses verschiebt sich um einen Tag. Die Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben hatten in der vergangenen Woche einen neuen Befangenheitsantrag gestellt. Weil sich das Gesuch gegen alle fünf Richter des Staatsschutzsenats richtet, muss ein anderes Richtergremium des Münchner Oberlandesgerichts über den Antrag entscheiden. Aufgrund der Arbeitsbelastung sei der Termin vom Dienstag abgesagt worden, teilte das Gericht mit. Der Prozess geht am morgigen Mittwoch weiter.
An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.
Das nächste Medienlog erscheint am Mittwoch, 2. März 2016.
Und wieder ein Befangenheitsantrag: Nachdem das Gericht abgelehnt hatte, den als Waffenbeschaffer angeklagten Ralf Wohlleben aus der Untersuchungshaft zu entlassen, stellten seine Verteidiger am Donnerstag ein Ablehnungsgesuch gegen alle fünf NSU-Richter. Damit zeigt sich: „Wohlleben wehrt sich immer erbitterter gegen den Kurs der Richter. Er hat nichts mehr zu verlieren“, schreibt Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung. Auf ihn warte wahrscheinlich eine lange Gefängnisstrafe.
Ein Gutachter des Bundeskriminalamts hat am Mittwoch vor Gericht die Pistole gezeigt, mit denen der NSU neun Männer erschossen haben soll. Auffällig war, dass die im Brandschutt der Zwickauer NSU-Wohnung gefundene Waffe vom Typ Ceska 83, mittlerweile gereinigt, in bemerkenswert gutem Zustand ist. Auch die anderen 19 Pistolen, Revolver und Gewehre aus dem Bestand der Terrorzelle legte er vor. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe habe sich „von der Waffensammlung unbeeindruckt“ gezeigt, notiert Wiebke Ramm auf Spiegel Online.
Gegen die Richter im NSU-Prozess hagelt es derzeit Befangenheitsanträge – wohl nicht zufällig kurz vor dem Ende der Beweisaufnahme. „Das Verfahren zieht sich damit wie ein ausgelutschter Kaugummi – fader Beigeschmack inklusive“, schreibt Iris Marx vom Onlinemagazin Vice. Das liege allerdings auch an der umfassenden Prüfung der Beweislage, denn „die obligatorische ’smoking gun‘ in der Hand von Beate Zschäpe gibt es nicht“. Auf diese Akribie hätten die Angeklagten in einem fairen Verfahren einen Anspruch.
An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.