Zwei Zwillingsbrüder sind am Donnerstag als Zeugen geladen: Gil W. und Ron E. aus Thüringen waren in den neunziger Jahren Anführer einer Bande, die mit Waffen handelte und zumindest geplant haben soll, auch die rechte Szene damit auszurüsten. Unklar ist, ob das NSU-Trio auf diesem Wege an einige der Waffen aus seinem umfangreichen Arsenal kam – darunter auch die Mordpistole Ceska 83, mit der Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt der Anklage zufolge neun Menschen erschossen.
Ob die Brüder mit Mundlos und Böhnhardt in Kontakt standen, ist bislang nicht bekannt. Ein Vertrauter der beiden, Jens L., hatte in dieser Frage bei seinen Vernehmungen im Februar und in der vergangenen Woche nicht für Klarheit gesorgt. W. und E. sollen auch Kontakt zu dem Schweizer Hans-Ulrich M. gehabt haben, der die Ceska laut Bundesanwaltschaft in seinem Heimatland beschaffte und nach Deutschland brachte.
ZEIT ONLINE berichtet aus München und fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.
Zu Prozessbeginn hatte er bereits ausgesagt, am Mittwoch äußerte er sich erneut: Carsten S. widersprach der Aussage seines Mitangeklagten Ralf Wohlleben, nachdem er in eigener Verantwortung die Mordpistole Ceska 83 für das NSU-Trio besorgt haben soll. S. stellte klar: Wohlleben habe ihn beauftragt. „Wessen Aussage glaubwürdiger ist, wird am Ende das Gericht entscheiden“, merkt Ina Krauß vom Bayerischen Rundfunk an. S. habe bei seiner Aussage nervös gewirkt.
Ein Gutachter des Bundeskriminalamts hat am Mittwoch vor Gericht die Pistole gezeigt, mit denen der NSU neun Männer erschossen haben soll. Auffällig war, dass die im Brandschutt der Zwickauer NSU-Wohnung gefundene Waffe vom Typ Ceska 83, mittlerweile gereinigt, in bemerkenswert gutem Zustand ist. Auch die anderen 19 Pistolen, Revolver und Gewehre aus dem Bestand der Terrorzelle legte er vor. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe habe sich „von der Waffensammlung unbeeindruckt“ gezeigt, notiert Wiebke Ramm auf Spiegel Online.
Im Oktober 2006 überfiel Uwe Böhnhardt erfolglos eine Zwickauer Sparkasse – und ging mit äußerster Brutalität vor: Einem Auszubildenden schoss er in den Bauch, zwei Angestellte schlug er mit einem Ventilator. Am Dienstag arbeitet das Gericht die Tat weiter auf. Geladen ist der Sachverständige Oliver Peschel, der die Verletzungen analysiert, zudem zwei Ärzte, die den Lehrling im Krankenhaus behandelten. Zwei Kommissare berichten von den Ermittlungen nach dem Raub, bei dem Böhnhardt zum einzigen Mal ohne seinen Komplizen Uwe Mundlos vorging.
Ebenfalls geladen ist ein Sachverständiger des Bundeskriminalamts. Er hatte sich mit dem Schalldämpfer beschäftigt, den Mundlos und Böhnhardt bei einigen Morden auf die Tatwaffe Ceska 83 geschraubt haben sollen. Der Schalldämpfer wird als wichtiges Indiz dafür gewertet, dass sich der NSU die Pistole besorgen ließ, um ein Mordwerkzeug zu besitzen.
Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Die Berichte darüber fassen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.
Die Aussage des Zeugen Jens L. war bemerkenswert – weil sie gespickt war mit garantiert wahren Anekdoten aus der Zeit eines kriminellen Bandenmitglieds, garniert mit reichlich vulgären Ausdrücken. Nicht, weil sie etwas zur Aufklärung im NSU-Komplex beigetragen hätte. L. war Teil einer von zwei Zwillingen geführten Gruppe, die Waffen nach Jena schaffte – angeblich, um mithilfe der rechten Szene den Kampf gegen ausländische Drogenbanden führen zu können. „Aufschneidereien und Übertreibungen“ abgezogen, bleibe „ein Bild übrig von der Wendezeit im ‚wilden Osten'“, in dem auch der NSU hatte entstehen können, schreibt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.
Beamte des Bundeskriminalamts haben Hunderte Menschen im Zuge ihrer Ermittlungen im NSU-Komplex vernommen. Die Aussage des Mitangeklagten Holger G. sei eine der wichtigsten gewesen, sagte der Staatsanwalt Gerwin Moldenhauer am Mittwoch aus. Der Hamburger, der seinerzeit die Bundesanwaltschaft unterstützte, hatte sowohl G. als auch den ebenfalls angeklagten Carsten S. vernommen. Ohne G.s Angaben im November 2011 wären die Ermittler „womöglich erst viel später oder nie auf die Personen gestoßen“, die für die Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 verantwortlich waren, schreibt Frank Jansen im Tagesspiegel. Darunter war unter anderem Ralf Wohlleben, der erst kürzlich im Prozess ausgesagt hatte.
Die Befragung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben ist nach zwei Tagen abgeschlossen. Die Bundesanwaltschaft verzichtete auf Fragen – seine in weiten Teilen unglaubwürdige Aussage zwingt offenbar nicht, die Anklage zu überdenken. Klar ist nun, dass sich „Wohlleben und zuvor schon Beate Zschäpe womöglich keinen Gefallen mit ihren Aussagen gemacht haben“, kommentiert Per Hinrichs von der Welt. Die Beweisaufnahme habe die Ergebnisse der Ermittler als stichhaltig bestätigt. Weiter„Der rechtsextreme Biedermann – Das Medienlog vom Freitag, 15. Januar 2016“
Der als Mordhelfer Angeklagte Ralf Wohlleben hat sich nach seiner Aussage im Dezember erstmals Fragen des Gerichts gestellt – und blieb bei seiner Version: Nicht er, sondern der Mitangeklagte Carsten S. sei für die Beschaffung der NSU-Mordwaffe Ceska 83 verantwortlich gewesen. Seine Selbstbeschreibung klingt eher wie ein harmloser Mitläufer als Unterstützer einer rechtsextremistischen Terrorgruppe. „Nun hakt Richter Manfred Götzl nach – und bringt Wohlleben ins Schwimmen“, beobachtet Konrad Litschko von der taz. Auffällig sei bei der Befragung gewesen, wie oft der Angeklagte sich auf Erinnerungslücken berufen habe.
Seit Beate Zschäpes vierter Anwalt Mathias Grasel in den NSU-Prozess eingestiegen ist, wird über seine Rolle spekuliert: Ist er wie ein Sekretär, zuständig für die Anträge und Briefe seiner Mandantin? Oder wird er in der Verhandlung, anders als bisher, noch konstruktive Beiträge leisten? „Dass Grasel keinen Plan und keine Strategie habe, wie manche behaupten, könnte sich als Irrtum erweisen“, heißt es in einem Portrait der Nachrichtenagentur dpa. Schließlich habe er über seine Strategie bislang geschwiegen. Denkbar sei auch, dass er das Verfahren zum Platzen bringen will. Er könnte den NSU-Prozess „aus den Angeln heben und alles noch einmal von vorn beginnen lassen, diesmal vom Start weg mit ihm“.