Papa zurrt das Pferd fest, stapft über den Kiesweg, Paket unterm Arm, der Dienstbote öffnet. Papa ruft freudig erregt: „Kinder, wir haben jetzt Internet!“ „Waaas?“, rufen die Kinder, die sich nach einer Partie Stadt-Land-Fluss in Sütterlin nun auf ihre Cembalo-Stunde vorbereiten. „Das Internet“, sagt Papa und schmeißt den Lodenmantel auf die Couchette, öffnet das Paket.
Ein Computer! Der Dienstbote stöpselt ein. „Ihr Internet ist jetzt begehbar, mein Herr“, sagt er routiniert beflissen, tippt, das Browserfenster zeigt: Google. „Wie geht denn das?“, rufen die Kinder unisono. „Hier kann man alles finden, was es gibt!“, jubelt Papa.
Er gibt bei Google „Haarpflege“ ein, weil das Landleben rau ist und Papas Ansatz schon schütter. 2.420.000 Treffer. „Wie soll ich denn da jetzt das richtige Produkt finden?“ Es läutet. Kameraschwenk: Tür. Ein junger Mann betritt den Salon. Akkurater Mittelscheitel, ein Grinsen, der Mann spricht: „Hallo, ich bin Mathias Weber, und ich habe ein Buch herausgegeben, damit Sie sich im Netz zurechtfinden!“ Kamerazoom: Gelbes Buch. Das Web-Adressbuch für Deutschland steht drauf. „Die besten 6.000 Webadressen! Gucken Sie mal!“ Der Dienstbote reicht es Papa. Mathias Weber empfiehlt sich, fern knirschen Autoreifen über den Kies.
„Ein netter Mann“, sagt Papa.
„Ja, gewiss“, sagt der Dienstbote.
„Wir haben Hunger!“, rufen die Kinder.
Kein Problem. Lebensmittel, Spielsachen, Urlaub, Kleidung, und wo man das im Internet findet. Steht alles auf mehr als 700 Seiten. Von der ersten Seite lächelt Mathias Weber und verspricht: zu 1.700 Themenbereichen nur die Top-Adressen. Papas Haare müssen sich gedulden, die Kinder haben Hunger. Und gesund soll’s sein, Gemüse also! Was sagt das Buch dazu?
Ein Treffer: Bonduelles Dosenessen. „Ach, nein“, sagt der Dienstbote und erinnert sich an den ihm vor langer Zeit versprochenen Gemüsegarten. Weiter. Nur die großen Marken: Nestlé, Thomy, alles von Unilever, Maggi, jawoll. Geknabbert werden Chio-Chips und funnyfrisches Zeug.
„Was sind denn das für große Bilder?“ fragt ein Kind.
„Öhm“, sagt Papa.
„Das ist Werbung, mein Herr“, sagt der Dienstbote.
Ein Screenshot verziert fast jede Seite. Meistens die der großen Marken. Und was ist mit Erotik?, denkt sich Papa. Gibt’s auch. Erotikgeschichten, Communities, Kunst, Bücher, Online-Magazin, Versand, Hostessen, Intimrasur, Küsse, Lexikon, Sadomaso, Onanie, Beratung und am Ende die pädagogische Anzeige von pro familia. Die Begleittexte zu den Seiten wurden einfach übernommen, oft gar nicht als Zitat angezeigt. Es reicht die Warnung auf Seite eins: „Für den Inhalt der Seiten ist der Herausgeber nicht verantwortlich.“
„Guck mal“, ruft ein Kind. „Hier steht, im Buch findet man Webseiten, die Suchmaschinen nicht finden!“
„Das steht auch lobend auf dem Buchrücken!“, sagt Papa.
Dienstbote: „Ja, und wie hat man dann die Seiten gefunden?“
Der Cembalolehrer kommt, und die Kinder müssen gehen.
„Wenn Sie gestatten. Ich finde die Auswahl in diesem Buch ein wenig einfältig“, sagt der Dienstbote.
„Das finde ich auch“, seufzt Papa.
„Wenn Sie noch mal gestatten, tippe ich mal etwas ein“, sagt der Dienstbote.
„Nur zu!“
Beide starren auf den Bildschirm, eine Seite öffnet sich. Weiß, mit sechs bunten Buchstaben.
Papa schaut den Dienstboten an, aus dem Cembalozimmer erklingen Bachs Goldberg-Variationen.
„Wie hieß das jetzt noch? Google?“
„Ja, Google, mein Herr, Google.“