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„Das Ende von Suhrkamp“

Der Suhrkamp-Verlag will bald bekannt geben, ob er nun nach Berlin umzieht oder nicht. Jetzt schaltet sich der Ex-Verlagschef Günter Berg ein: „Ein Umzug bedeutet die ganz bewusste Entscheidung gegen den Fortbestand einer einzigartigen verlegerischen Tradition – nicht mehr und nicht weniger“, sagte er der Zeitschrift Journal Frankfurt . „Es ist das Ende des Suhrkamp Verlags, wie wir ihn kennen.“ Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit wirbt seit längerem offen um den Verlag. Die rund 130 Beschäftigten des Verlags haben sich zu 80 Prozent gegen einen Umzug ausgesprochen.

 

Wir brauchen Geisterjäger!

Wie kürzlich versprochen, hab ich mich auf Gespensterjagd begeben. Im Internet, bei Google News. Sie glauben gar nicht, was da alles spukend umhergeht:

„Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der Weihnachtsfestvernichtung.“ (Scharf-links.de)
„Aber ein Gespenst geht um in Deutschland und der Welt, es ist das Gespenst der Autokrise“ (Vanity Fair)
„Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst der Deflation.“ (sueddeutsche.de)
„Ein Gespenst geht um im IOC. Es ist das Gespenst der Restauration. (Auch sueddeutsche.de)
„Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst des Populismus“ (open PR.de)
„Bei Karl Marx hieß es: ‚Ein Gespenst geht um in Europa.‘ Bei seinen Urenkeln in der Linken ist es heute ein Geist, ein problematischer. Er hat einen Namen: Professor Norman Paech.“ (tagesspiegel.de)

Buhuuuu! Seit Marx sein Gespenst in die deutsche Sprache ließ, hat sich noch kein Ghostbuster erbarmt, dessen Nachkommen wieder einzufangen. Wie lange wollen wir noch warten? Bis es heißt: Ein Gespenst geht um, es heißt Gespenst, und es geht um, am liebsten in Schreibtischnähe.

 

Shakespeare modert

Wie Literatur und Alltag sich verbinden, können wir verschieden finden. Am besten geht das mit Google News:

Sueddeutsche.de schreibt: „Donauschützer wittern Morgenluft“

Welt Online kann das auch: „Lyon trifft und wittert noch einmal Morgenluft“

RP Online lässt’s wehen: „Die Grünen wittern Morgenluft“

Und die Allgemeine Zeitung Mainz: „Der TuS Nieder-Wiesen wittert Morgenluft“

Wie das Neue Deutschland: „Koch und seine Freunde wittern Morgenluft“

Elegant das Näschen hoch in Wien: „Für das neue Geschäftsjahr 2008/09 wittert man beim Energieversorger wieder Morgenluft.“

Und was dräut da in der Frankfurter Rundschau: „Im Hintergrund allerdings dürfte stehen, dass der aktivistische, den Neonazi-Kameradschaften zugeneigte Parteiflügel Morgenluft wittert.“

Was die Morgenluft ihnen kündet, ist Hoffnung. Doch Shakespeare, Schöpfer dieser Wendung, meinte etwas anderes: „But, soft! methinks I scent the morning air“, lauten die Worte, die er dem Geist von Hamlets Vater in den Mund legte. Und der Geist jubelt nicht oder freut sich neuer Taten, sondern er muss zurück ins modrige Grab, wenn er das Morgenlüftchen spürt. Und hoffen kann nur Hamlet, da er nun weiß, wer seinen Vater zum Geist gemacht hat. Doch am Ende stirbt auch er.

Das nächste Mal bei Google News: „Ein Gespenst geht um in…“

 

Sie fragen, Reich-Ranicki antwortet

Meine Lieblingsrubrik auf faz.net ist „Fragen Sie Reich-Ranicki“. Dort beantwortet der Kritiker schlaue und dumme Fragen zur Literatur, mal nett, mal feuerspeiend. Manchmal zerstört er auch Träume. So fragt ein F. Scharpf:

„Wo finde ich die schönsten Liebesgedichte? Wenn ich in den Buchhandlungen suche, finde ich, dass die Gedichte oftmals einfach zu platt geschrieben sind. Sind die schönsten Gedichte nur die, die man selbst geschrieben hat?“

Nawodenkensedennhin. Achtung, MRR weiß Rat:

„Erstens: Die Liebesgedichte, die man selbst geschrieben hat, sind in der Regel Dreck und Mist.

Zweitens: Suchen Sie zunächst einmal bei Goethe, Heine und Brecht – und lesen Sie vor allem kurze Gedichte.“

Recht hat er. Aber das mit den kurzen muss er mir noch mal erklären.

 

Meldung des Schreckens

… aber irgendwie hab ich’s ja immer gewusst:

„Jeder vierte Erwachsene oder Jugendliche liest nie Bücher.“

Wir sind zu dritt im Büro. Dem Nächsten, der reinkommt, schenk ich ein Buch. Einfach so. Man weiß ja nie.

 

Entdeckt: das Internet!

Papa zurrt das Pferd fest, stapft über den Kiesweg, Paket unterm Arm, der Dienstbote öffnet. Papa ruft freudig erregt: „Kinder, wir haben jetzt Internet!“ „Waaas?“, rufen die Kinder, die sich nach einer Partie Stadt-Land-Fluss in Sütterlin nun auf ihre Cembalo-Stunde vorbereiten. „Das Internet“, sagt Papa und schmeißt den Lodenmantel auf die Couchette, öffnet das Paket.

Ein Computer! Der Dienstbote stöpselt ein. „Ihr Internet ist jetzt begehbar, mein Herr“, sagt er routiniert beflissen, tippt, das Browserfenster zeigt: Google. „Wie geht denn das?“, rufen die Kinder unisono. „Hier kann man alles finden, was es gibt!“, jubelt Papa.

Er gibt bei Google „Haarpflege“ ein, weil das Landleben rau ist und Papas Ansatz schon schütter. 2.420.000 Treffer. „Wie soll ich denn da jetzt das richtige Produkt finden?“ Es läutet. Kameraschwenk: Tür. Ein junger Mann betritt den Salon. Akkurater Mittelscheitel, ein Grinsen, der Mann spricht: „Hallo, ich bin Mathias Weber, und ich habe ein Buch herausgegeben, damit Sie sich im Netz zurechtfinden!“ Kamerazoom: Gelbes Buch. Das Web-Adressbuch für Deutschland steht drauf. „Die besten 6.000 Webadressen! Gucken Sie mal!“ Der Dienstbote reicht es Papa. Mathias Weber empfiehlt sich, fern knirschen Autoreifen über den Kies.

„Ein netter Mann“, sagt Papa.
„Ja, gewiss“, sagt der Dienstbote.
„Wir haben Hunger!“, rufen die Kinder.

Kein Problem. Lebensmittel, Spielsachen, Urlaub, Kleidung, und wo man das im Internet findet. Steht alles auf mehr als 700 Seiten. Von der ersten Seite lächelt Mathias Weber und verspricht: zu 1.700 Themenbereichen nur die Top-Adressen. Papas Haare müssen sich gedulden, die Kinder haben Hunger. Und gesund soll’s sein, Gemüse also! Was sagt das Buch dazu?

Ein Treffer: Bonduelles Dosenessen. „Ach, nein“, sagt der Dienstbote und erinnert sich an den ihm vor langer Zeit versprochenen Gemüsegarten. Weiter. Nur die großen Marken: Nestlé, Thomy, alles von Unilever, Maggi, jawoll. Geknabbert werden Chio-Chips und funnyfrisches Zeug.

„Was sind denn das für große Bilder?“ fragt ein Kind.
„Öhm“, sagt Papa.
„Das ist Werbung, mein Herr“, sagt der Dienstbote.

Ein Screenshot verziert fast jede Seite. Meistens die der großen Marken. Und was ist mit Erotik?, denkt sich Papa. Gibt’s auch. Erotikgeschichten, Communities, Kunst, Bücher, Online-Magazin, Versand, Hostessen, Intimrasur, Küsse, Lexikon, Sadomaso, Onanie, Beratung und am Ende die pädagogische Anzeige von pro familia. Die Begleittexte zu den Seiten wurden einfach übernommen, oft gar nicht als Zitat angezeigt. Es reicht die Warnung auf Seite eins: „Für den Inhalt der Seiten ist der Herausgeber nicht verantwortlich.“

„Guck mal“, ruft ein Kind. „Hier steht, im Buch findet man Webseiten, die Suchmaschinen nicht finden!“
„Das steht auch lobend auf dem Buchrücken!“, sagt Papa.
Dienstbote: „Ja, und wie hat man dann die Seiten gefunden?“

Der Cembalolehrer kommt, und die Kinder müssen gehen.
„Wenn Sie gestatten. Ich finde die Auswahl in diesem Buch ein wenig einfältig“, sagt der Dienstbote.
„Das finde ich auch“, seufzt Papa.
„Wenn Sie noch mal gestatten, tippe ich mal etwas ein“, sagt der Dienstbote.
„Nur zu!“
Beide starren auf den Bildschirm, eine Seite öffnet sich. Weiß, mit sechs bunten Buchstaben.
Papa schaut den Dienstboten an, aus dem Cembalozimmer erklingen Bachs Goldberg-Variationen.
„Wie hieß das jetzt noch? Google?“
„Ja, Google, mein Herr, Google.“

 

In Tesa-Gewittern

Das Literaturarchiv Marbach hat ein Problem mit Ernst Jünger, bzw. seinem Klebe-Fimmel. Sein Nachlass sei gefährdet. Das berichtet die dpa und liest sich so: „Blätter verklebten, Klebstoffe verfärbten das Papier und Schriften verlören die Farbe – und das obwohl die Klebestreifen nicht selten als «dokumentenecht» gekennzeichnet seien. Am Beispiel der Jünger-Hinterlassenschaften werde nun eine Expertengruppe nach Lösungen forschen, hieß es.“

Oder nach Lösungsmitteln. Denn Jünger habe „die Leidenschaft gehabt, nahezu jedes Blatt seiner Aufzeichnungen mit getrockneten Blüten, Blättern oder auch Insekten zu verzieren, die er mit
Klebestreifen fixierte. «Bei frühen Manuskripten wurden nur einzelne Blätter beklebt, bei den späteren ist fast jedes Blatt betroffen», berichtete das Literaturarchiv. Manche Klebestreifen seien
beschriftet oder umrandet.“

Und dann diese Schweinerei: „Viele Blätter im Jüngerschen Nachlass wiesen typische Schäden auf, die erst durch Selbstklebebänder entstünden. Darüber hinaus seien viele Blätter vielfach miteinander verklebt. In den Laboren der Tesa AG (Hamburg) sollen die Klebebänder auf ihre chemische
Zusammensetzung hin analysiert werden. Das Archiv erhofft sich von dem Forschungsprojekt Lösungsvorschläge, wie zukünftig mit Klebebändern in Kulturbeständen umgegangen werden sollte, wenn sie – wie bei Jünger – unmittelbar ein Teil des Objektes sind und zur Geschichte des Bestandes gehören.“

Also liebe ambitionierte Schriftsteller der Zukunft: Mit Klebstreifen kommt ihr nicht nach Marbach.

 

Nicht lesen, sondern spielen!?

Kinder sollen lesen. So lautet die einmütige Forderung von Lehrern, ambitionierten Eltern und Psychologen. Doch es wird immer schwieriger, Kind und Buch zusammen zu bringen. Die Kleinen ballern lieber auf Zombies, fliegen Kampfjets oder stapfen schwertschwingend in Fantasie-Welten herum. Kurzum: Sie spielen Videospiele. (Oder hüpfen in Castingshows herum, und beweisen nachgerade mangelnde Lesekompetenz. Egal, soll hier nicht Thema sein.)

Der amerikanische Autor PJ Haarsma will nun Computerspiel mit Roman verbinden: Seine Science-Fiction-Serie The Ring of Orbis wird zugleich online spielbar gemacht. Die Charaktere, die ganze Welt der Bücher finden sich im Spiel wieder. Der Clou: Im Spiel werden Fragen gestellt, welche nur beantworten kann, der die Bücher kennt. Der Zwang des Faktischen: Nur wer liest, kann weiter spielen.

Auch der Scholastic-Verlag, der in den USA Harry Potter veröffentlicht, hat kürzlich The Maze of Bones ins Netz gestellt – ein Online-Spiel, das sich auf der zehn Bücher langen Mystery-Serie gründet.

Das Ziel dieser Verknüpfung ist Folgendes: Es ist nicht bloß Marketing, es soll Geschichten weiter bringen als es ein Buch jemals könnte. Eine Art von neuem Erzählen, berichtet die New York Times. Dort wird gar ein Englischlehrer zitiert, ein Jay Parini, der sagt, Videospiele könnten in 20 Jahren ebenso große Universen erschaffen, wie ein Dickens- oder Dostojewski-Roman.

Hmm, also ich weiß ja nicht. Die Brüder Karamasov als Videospiel? Was meinen Sie?

 

Alles Gute, Wolf Wondratschek

Einer meiner Lieblingsautoren hat heute Geburtstag. Wolf Wondratschek wird 65 Jahre alt. Sie kennen ihn nicht? Er schuf den großartigsten Buchtitel der deutschen Literaturgeschichte: Früher begann der Tag mit einer Schusswunde. Ein Auszug:

Herzlichen Glückwunsch!