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Corona-Demos: Pegida im neuen Gewand

 

Bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen nutzen Rechtsextreme die Angst von Bürgern, machen Stimmung gegen den Staat. Die Veranstaltungen ähneln den rechten Pegida-Demonstrationen, sagt Sozialwissenschaftler Fabian Virchow.

Interview: Tom Sundermann

Demonstranten bei einer Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen in Stuttgart Anfang Mai © dpa/Sebastian Gollnow

Maskenpflicht, Kontaktverbote, Lockdown: Während der Krise leiden in Deutschland die Grundrechte. Das treibt Menschen zu Demonstrationen gegen die Maßnahmen. Viele mit begründetem Protest gegen die Eingriffe. Manche jedoch auch mit wirren Verschwörungstheorien und einige auf politischer Mission. Laut und zahlreich mischen Rechtsextreme bei den Veranstaltungen mit, versuchen, die Stimmung in der Ausnahmesituation zu ihrem Vorteil zu nutzen.

Der Sozialwissenschaftler Fabian Virchow forscht an der Hochschule Düsseldorf zum Thema Rechtsextremismus und beobachtet die Proteste. Im Interview spricht er über die Motive und die Botschaft der rechten Demonstranten – deren Zulauf bald wieder abklingen könnte.

ZEIT ONLINE: Derzeit gehen Menschen in ganz Deutschland gegen die Schutzmaßnahmen auf die Straße. Sie scheinen aus verschiedensten Lagern zu kommen. Gibt eine politische Richtung bei den Demonstrationen den Ton an?
Fabian Virchow: Das erkenne ich allgemein derzeit nicht. Viele Teilnehmer verstehen sich als weder links noch rechts. Organisierte Linke sehen wir bis auf wenige Ausnahmen nicht auf diesen Veranstaltungen. Manchmal werden diese Demos von rechtsextremen Akteuren organisiert. Allerdings gibt es Unterschiede zwischen Ost und West: Im Westen sind Esoteriker und Impfgegner stärker vertreten, im Osten treten häufiger Rechtsextreme auf. Was die Gruppen eint, ist zum einen der Widerstand gegen die Schutzmaßnahmen, zum anderen Misstrauen und Ablehnung gegenüber politischen Eliten.

Sozialwissenschaftler Fabian Virchow © privat

ZEIT ONLINE: Was treibt Rechtsextreme zu den Protesten?
Virchow: Zum einen versuchen sie, den Unmut der anderen Demonstranten aufzugreifen und zu einer Kritik am politischen und gesellschaftlichen System insgesamt zuzuspitzen. Bei der rechtsextremen Partei Der III. Weg, die systematisch teilnimmt, haben wir es ja mit einer grundsätzlichen Ablehnung der Demokratie zu tun. Auch sie behauptet, dass das Virus in seiner Gefahr überbetont wird, das eigentliche Problem hingegen das sogenannte System sei.

ZEIT ONLINE: Welche Botschaft verbreiten sie?
Virchow: Sie übertreiben absichtsvoll die Folgen der Schutzmaßnahmen und inszenieren sich als Verteidiger der Grundrechte. Sie behaupten, die Maßnahmen würden nur dazu dienen, die Bevölkerung zu kontrollieren und ein angeblich volksfeindliches System am Leben zu erhalten. Das Virus wird dann als Beweis angeführt, dass die Globalisierung falsch sei, oder sie beklagen, dass während des Shutdowns die Abschiebungen weitgehend eingestellt wurden.

ZEIT ONLINE: Haben sie ein klares Feindbild?
Virchow: Sie verbreiten Verschwörungserzählungen, nach denen Individuen oder kleine Gruppen einflussreiche und mächtige Drahtzieher sind. In der jüngeren Vergangenheit war insbesondere Angela Merkel eine Hassfigur, jetzt wird Bill Gates vielfach angeführt, und immer wieder klingen antisemitische Motive an.

ZEIT ONLINE: Sind diese Proteste vergleichbar mit der Pegida-Bewegung?
Virchow: In gewisser Hinsicht. Die Teilnehmer sind teilweise dieselben. Wir sehen auch Aktivistinnen und Aktivisten der Reichsbürger und rechte Hooligans. Es ist eine neue Gelegenheit, mit den gleichen Themen auf die Straße zu gehen, die jetzt lediglich mit Blick auf Covid-19 gerahmt werden. Aber es sind auch neue Spektren dabei, etwa aus dem esoterischen Bereich. Entsprechend vielfältig sind die Botschaften bei den Demonstrationen: vom offenen Rassismus über Ablehnung des Rundfunkbeitrages bis hin zur Ablehnung von Impfungen oder längst widerlegtem Unsinn unter dem Stichwort QAnon.

ZEIT ONLINE: Die Krise macht Menschen Angst. Haben es Rechtsextreme dadurch leichter, ihre Botschaft in die Köpfe der Bürger zu bringen?
Virchow: In Krisen suchen Menschen verstärkt nach Orientierung. Es ist also zumindest eine Möglichkeit, auf Menschen zuzugehen. Ob das nachhaltig Erfolg hat, ist noch offen. Ich gehe davon aus, dass sich erst mittelfristig wirklich zeigen wird, ob diese rechten Kräfte profitieren. Wenn es darum gehen wird, die jetzt bereitgestellten Unterstützungsgelder und Kredite wieder einzusparen, wird die extreme und die populistische Rechte wieder mit migrationsfeindlichen Forderungen der Ausgrenzung und Diskriminierung auftreten.

ZEIT ONLINE: Was wird von den Protesten bleiben?
Virchow: Das lässt sich derzeit nur mutmaßen. Wahrscheinlich ist aber, dass die Proteste nicht weiterwachsen, wenn die Einschränkungen weiter gelockert werden. Einzelne Akteure, die sich in den sozialen Medien profiliert haben, haben zwar mehr Reichweite bekommen. Aber erst in der nächsten Krise wird sich zeigen, wie viele Menschen sie wirklich hinter sich versammeln können.