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Mit Gewalt gegen die Maskenpflicht

 

Mit Rechtsextremen haben viele Kritiker der Corona-Maßnahmen kein Problem. Worin das mündet, zeigt die Demonstration in Berlin: Der Protest artete in Gewalt aus.

Von Henrik Merker

Aufgebrachte Demonstranten diskutieren mit Polizisten. © Henrik Merker

Vor der russischen Botschaft in Berlin arbeiten sich Greiftrupps der Polizei durch eine Menschenmenge. Im Minutentakt nehmen sie Demonstranten fest, die um sich schlagen und brüllen. Unter ihnen Attila Hildmann, Vegankoch, Reichsbürger-Führer und eine der Galionsfiguren des Widerstands gegen die Corona-Politik der Bundesregierung. Polizisten setzen Pfefferspray ein, während Flaschen in ihre Richtung und auf Reporterinnen und Reporter fliegen.

Die Gewalt auf der Hauptstadt-Demonstration vom Samstag zeigt, was passiert, wenn sich demokratisch legitime Kritik gegen die Schutzmaßnahmen mit radikalen Ideen mischt. 38.000 Menschen kamen nach Polizeiangaben in die Innenstadt, doch längst nicht alle mit friedlichem Protest im Sinn. Die Versammlung war der Beleg, dass die Stuttgarter Gruppe Querdenken 711, die als Organisator auftrat, ein rein funktionelles Verhältnis zu den Maßnahmen hat. Die Restriktionen sind willkommener Anlass, um offen über einen Sturz der deutschen Regierung nachzudenken.

Mehr als Sorge um die Grundrechte

Was in Gewalt mündete, begann mit sonderbaren Szenen: Für die große Versammlung auf der Friedrichstraße ordnete die Polizei Maskenpflicht an. Die Demonstrantinnen und Demonstranten stimmten per Handzeichen ab, ob sie der Anordnung Folge leisten wollten – fast alle stimmten dafür. Doch praktisch niemand zog anschließend den Mund-Nasen-Schutz auf. Auch den Mindestabstand ignorierten die Teilnehmer hartnäckig. In der Folge beendete die Polizei die Kundgebung.

Neonazis der Bruderschaft Deutschland stehen auf der Friedrichstraße. © Henrik Merker

Schon im Vorfeld war klar, dass viele Demonstranten nicht aus simpler Sorge um ihre Grundrechte anreisen würden. Zur Teilnahme hatten auch rechtsextreme Parteien wie NPD und Der III. Weg aufgerufen. International mobilisiert hatten nach eigenen Angaben militante Anti-Antifa-Gruppen, die dieselbe Symbolik wie die Autonomen Nationalisten verwenden. Auf der Friedrichstraße tummelten sich unter anderem die neonazistische Bruderschaft Deutschland und der Berliner NPD-Chef Sebastian Schmidtke. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer trugen Kleidung der Neonazi-Szene wie Pullover der Marke Thor Steinar. Niemand störte sich daran.

Sehnsucht nach dem Umsturz

Auf der Hauptbühne am Großen Stern forderte ein Redner die Demonstranten auf, vor Ort eine verfassungsgebende Versammlung zu bilden. In den kommenden zwei Wochen wolle man eine neue Verfassung schreiben, das deutsche Volk solle sie dann vor Ort beschließen. Die Teilnehmer applaudierten frenetisch.

Wie ernst es extremistischen Teilnehmern mit der Sehnsucht nach dem Umsturz war, zeigte sich vor dem Reichstagsgebäude: Am Abend versuchten Neonazis, das Gebäude zu stürmen. Polizisten hielten sie auf, drängten sie von den Treppen herunter. Einige Teilnehmer riefen “Wir sind friedlich, was seid ihr” in Richtung der Beamten.

Die Teilnahme und breite Akzeptanz für gewaltbereite Neonazis ist keine Überraschung. Die von Esoterik durchströmte Szene der Verschwörungsgläubigen hängt einer Heile-Welt-Romantik an, in der alle Menschen eine Familie bildeten und zusammenstehen sollten. Wer sich ihnen jedoch entgegenstellt oder widerspricht, wird ausgeschlossen. Das gilt sowohl für vermeintliche Antifa-Gruppen als auch für Kritiker ihrer Ideologie sowie Journalisten, die nicht in ihrem Sinne berichten. Da nichts davon für die extreme Rechte gilt, rückt deren Personal wie von selbst nah an andere Corona-Aktivisten heran.

Die eigentliche Kritik spielt eine Nebenrolle

Ebenfalls vertreten waren Mandatsträger der AfD. Am Sturm auf das Parlamentsgebäude beteiligte sich ein Brandenburger Funktionär der AfD-Jugend JA. Auf der Kundgebung an der Friedrichstraße machte ein Mann Megafon-Durchsagen und bezeichnete sich als AfD-Abgeordneter.

Ein Demonstrationsteilnehmer behindert ein Kamerateam. © Henrik Merker

Die Zusammensetzung der Demonstration ähnelt der in Chemnitz 2018, wo ebenfalls Neonazis und vermeintlich normale Bürger gemeinsam gegen die Regierung demonstrierten. Wie in Chemnitz die Flüchtlingskrise, wurde die Kritik an Maßnahmen in Berlin zum Nebenschauplatz. Stattdessen ging es um Fundamentalkritik am demokratischen System, an der Parteiendemokratie und um die Ablehnung des Grundgesetzes.

Reichsbürger und Holocaustleugner mischten mit

Die Außenwirkung der Demonstration wurde von Anhängern der rechtsgerichteten, aus den USA stammenden QAnon-Ideologie dominiert. Deren deutsche Anhänger verbreiten die Mythen der Reichsbürgerszene. Sie glauben an den Weiterbestand des Deutschen Reichs, die Existenz der Bundesrepublik leugnen sie. Viele Anhängerinnen und Anhänger vermuten eine jüdische Weltverschwörung, was sie auch für Holocaustleugner attraktiv macht. Auch an den Zusammenstößen vor der russischen Botschaft waren Geschichtsklitterer und Antisemiten beteiligt.

Das Gewaltpotenzial war lange vor der Demonstration bekannt. In Chat-Gruppen hatten Teilnehmer Parolen wie „Wir stürmen Berlin und beenden die rote Diktatur“ und „Ab jetzt sind auch Waffen zur Gegenwehr erlaubt“ ausgegeben. Dennoch schien die Polizei die Lage unterschätzt zu haben; immer wieder ließ sie die Menge gewähren. Auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor brachen Demonstranten durch die aufgestellten Zäune. Die Polizisten zogen sich zurück.

Am Abend allerdings hatte sich die Lage wieder beruhigt. Rund 70 Rechte harrten nahe dem Reichstag aus, umstellt von einer Polizeieinheit. Von der erträumten Revolution blieb nicht viel übrig. Doch in Chatgruppen diskutieren Verschwörungsaktivisten bereits über neue Pläne.