In Teilen von Sachsen paktieren Neonazis, Reichsbürger und Querdenker in einer gemeinsamen Partei. Am Wochenende wollten sie den Staat an seine Grenzen bringen – und scheiterten.
Von Henrik Merker
Im Erzgebirge wollten Anhänger der rechtsextremen Partei Freie Sachsen am Samstag Hase und Igel mit der Polizei spielen. Die Hasen waren sie am Ende selbst, denn die Polizei hatte mehrere Hundert Kräfte im Einsatz und offenbar einen guten Überblick – trotz eines Großaufmarsches des Neonazis: In gleich vier Orten versuchte die Szene, Kundgebungen abzuhalten.
Zwei davon hatte das Oberverwaltungsgericht Bautzen zuvor untersagt. Dennoch folgten mehrere Hundert Anhänger der Querdenken-Bewegung, die die Corona-Pandemie leugnen, und Neonazis dem Aufruf der Freien Sachsen nach Chemnitz, um dort gegen Regierung und Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Die Veranstaltung geriet chaotisch. Eine Gruppe Rechtsextremer setzte sich an die Spitze, es kam zu körperlichen Auseinandersetzungen mit Polizisten. Eine Flasche flog, zerschellte am Helm eines Beamten.
Den Staat an die Grenzen bringen
In der Aggressivität spiegelt sich der Geist der erst Anfang März gegründeten Partei. Sie ist ein potentes Sammelbecken von Neonazis, Reichsbürgern und Querdenkern. Deutlich wurde an diesem Samstag, welche Ziele sie verfolgt: Ihre Anhänger wollen die staatliche Gewalt an ihre Grenzen zu bringen. Sie wollen einen vermeintlichen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung inszenieren, wie bereits in Kassel, Leipzig oder Dresden geschehen. Massenhafte Verstöße gegen Versammlungsauflagen interpretieren sie in ihren Telegram-Gruppen als vorrevolutionäres Zeichen. Dort kursieren auch Aufrufe, Polizisten und Politiker anzugreifen oder zu töten.
Rückhalt finden die Freien Sachsen dennoch: Sie sind in mehreren Kommunalparlamenten vertreten. In Chemnitz etwa trägt die rechte Partei Pro Chemnitz seit Kurzem den Beinamen Freie Sachsen, dort ist sie mit sechs Sitzen vertreten. Bei der Gründung dabei war der Leipziger Hans-Joachim Müller. Über Müller berichtete der Störungsmelder bereits Anfang 2020, er ist einer der ideologischen Hintermänner der QAnon-Bewegung in Deutschland. Auf YouTube erreicht er über 100.000 Zuschauende mit seinen Verschwörungsvideos, durch die auch antisemitische Inhalte einem größeren Publikum präsentiert werden.
Welche Rolle die Außenwirkung für die Freien Sachsen spielt, wurde ebenfalls auf der Demonstration in Chemnitz deutlich. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern befand sich auch der Szene-YouTuber Martin Lejeune. Der Berliner ist bekannt dafür, in der ersten Reihe von Querdenken-Versammlungen zu filmen und sich dabei als Journalist auszugeben.
Verbindungen in die Querdenker-Szene
Statt Distanzierung von den Neonazis folgte aus dem Gros der bürgerlich gekleideten Menge lautstarker Zuspruch für die Versuche der Rechtsextremen, sich polizeilichen Maßnahmen zu entziehen. Als eine Art Machtdemonstration riefen Hunderte, die sich den Corona-Leugnern zugehörig fühlten, gemeinsam Parolen. Nach einiger Zeit zerstreuten Polizisten auch die restlichen Gruppen.
Teilnehmende zu ihren Demonstrationen zu bringen, ist für die Freien Sachsen keine Schwierigkeit. Über den Busunternehmer Thomas Kaden haben die Freien Sachsen Verbindungen zum Milieu von Querdenken, er gilt als einer der Hauptlogistiker für die Anreise auf Demonstrationen. Zuletzt wurde Kaden auch auf einer Demonstration der rechtsextremen Partei Dritter Weg gesichtet.
Ein Mann hinter den Kulissen ist Erik Weber. Der Gastronom wurde für eine Wirtschaftsvereinigung in den Schwarzenberger Stadtrat gewählt, betreibt einen Gasthof und einen Event-Dienst. In seinen Räumen fand das Gründungstreffen der Freien Sachsen statt. Auf seinen Facebook-Seiten verbreitet er heimattümelnde Bilder neben Fotos der Wehrmacht. Auf einer seiner Seiten veröffentlichte er eine Zeile des Liedes O Deutschland hoch in Ehren. Das Lied aus dem Jahr 1859 wurde beim Hitlerputsch gesungen und gehörte zum Stammliedgut der NSDAP.
Illegale Kundgebung
Weber arbeitet im Stadtrat mit der AfD und den Freien Bürgern Schwarzenberg zusammen, eine weitere Vorläufer-Organisation der Freien Sachsen. Der sächsische Verfassungsschutz bezeichnet die Freien Bürger als Wahlliste, auf der „Neonationalsozialisten“ kandidieren.
Nachdem der Aufmarsch in Chemnitz gescheitert war, riefen die Freien Sachsen zur Demonstration ins wenige Kilometer entfernte Zwickau. Dort trafen sich rund 300 Gegner der Corona-Maßnahmen gemeinsam mit Neonazis auf einer angemeldeten Versammlung. In der Menge waren einige Eltern mit Kindern und auch führende Protagonisten der Leipziger Querdenken-Szene. Die Polizei schickte ihre Kräfte aus Chemnitz dorthin.
Am Abend sollte im nahen Schwarzenberg eine weitere illegale Kundgebung stattfinden, doch aufgrund des großen Polizeiaufgebots zogen die Teilnehmenden spontan in den Ort Schneeberg. Der Ort wurde 2013 bekannt für die sogenannten Lichtelläufe, ein Vorläufer der Dresdner Pegida-Bewegung. Tatsächlich kamen am Abend über hundert Demonstranten und Demonstrantinnen nach Schneeberg und protestierten an verschiedenen Orten. Die Polizei setzte mehrere Dutzend von ihnen fest.