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Die 30-Millionen-Dollar-Rede

Endlich Ruhe. Nach sieben Vorwahlen sowie sage und schreibe neunzehn TV-Debatten, die zeitweise nur durch unfreiwillige Komik begeistern konnten, gönnt die Republikanische Partei sich und der amerikanischen Bevölkerung einen Moment des Durchatmens. Morgen wird noch ein vorläufiges Ergebnis der Caucuses im US-Bundesstaat Maine veröffentlicht (dort erstrecken sich die Vorwahlen über mehrere Wochen, daher ist es kein Endergebnis). Danach ist zweieinhalb Wochen Pause – die längste im großen, bunten Vorwahlzirkus.

Endlich Ruhe? Mitnichten! Die Vorwahlen in den USA sind in ihrer entscheidenden Phase. Und zwar gerade, weil derzeit scheinbar nicht viel passiert. Es sind keine Delegiertenstimmen zu holen und das Medienecho ebbt ein wenig ab. Genau darin besteht aber die große Herausforderung für die Kandidaten: Sie müssen präsent bleiben, sich im Spiel halten. Denn nach der Pause folgen zwei Vorwahlen am 28.2., eine weitere am 3.3. und am 6.3. dann der „Super Tuesday“ mit Abstimmungen in elf Staaten. An diesem Tag, so schätzen viele, werden entscheidende Weichen gestellt. Schwächen kann sich hier niemand erlauben.

Die Kandidaten sprechen dieser Tage – je nach Ausgangsposition – davon, „Momentum“ generieren oder erhalten zu wollen. Das geht nur mit Werbung. Und dafür kommt es ganz entscheidend auf finanzielle Ressourcen an. Jeder Dollar, der in TV-Spots etc. investiert wird, kann sich auszahlen. In der Zeit kurz vor den ersten Vorwahlen beispielsweise haben Unterstützer von Mitt Romney dessen schärfsten Konkurrenten Newt Gingrich mittels negativer Kampagnen massiv angegriffen; der Effekt war anhand Gingrichs sinkender Umfragewerte klar erkennbar.

Diese Materialschlacht dominiert den Wahlkampf. Und wer sie gewinnt, scheint klar zu sein. Die Federal Election Commission hat unlängst offengelegt, wie viel Spendengeld die Unterstützerorganisationen der einzelnen Kandidaten im Jahr 2011 erhalten haben. Diese Zuwendungen sind im Gegensatz zu direkten Spenden an die Kandidaten nicht reguliert und so übersteigen die Ressourcen dieser formal unabhängigen Gruppierungen jene der Kandidaten bei weitem – kurz gesagt: Hier spielt die Musik.

Das Ergebnis war zu erwarten und ist deutlich. Die Gruppe um Mitt Romney hatte Ende 2011 mit Abstand am meisten Geld zur Verfügung, über 30 Millionen Dollar; Newt Gingrichs Komitee lag bei zwei Millionen (hat aber nach Ende der Berichtsperiode eine große Einzelspende erhalten), diejenigen von Rick Santorum und Ron Paul konnten jeweils rund eine Million zusammenkratzen.

Wie lässt sich solch ein Vorsprung kompensieren? Das einzige verbleibende demokratische Korrektiv im Bereich der Medien ist ausgerechnet die TV-Debatte. Hier herrscht Waffengleichheit, die Kandidaten begegnen sich auf Augenhöhe. So konnte sich beispielsweise Newt Gingrich mit überzeugenden Auftritten gegen die Attacken aus dem Romney-Lager zur Wehr setzen und prompt wieder an Zustimmung gewinnen.

Die schlechte Nachricht für Romneys finanziell minderbemittelte Herausforderer ist allerdings, dass es in der anstehenden Vorwahl-Pause bis Ende Februar nur eine Fernsehdebatte geben wird. Diese Chance müssen sie nutzen. Keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, dass die Fernsehzuschauer angesichts der mittlerweile zwanzigsten Debatte mehr und mehr ermüden. Aber es hilft nichts: Wer gewinnen möchte, muss am 22.2. live auf CNN eine flammende Rede abliefern, die rund 30 Millionen Dollar wert ist…

 

Im Zug

Gestern in der Deutschen Bahn. Ein Fahrgast schräg gegenüber muss nachzahlen und grummelt zum Schaffner: „Andere zahlen nichts und fahren umsonst in Urlaub.“ Darauf der Schaffner, ein gemütlicher Berliner, trocken: „Beschweren Sie sich bei Frau Merkel!“ Der gesamte Waggon lacht.

 

Wulffs Präsidentenfeier mit exklusivem Service

Am 30. Juni 2010 wurde der CDU-Politiker Christian Wulff im dritten Wahlgang zum zehnten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Am Abend richtete der Eventmanagner Manfred Schmidt, ein professioneller Kuppler von Politikern, Wirtschaftsleuten und Prominenten aller Art, für den vormaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten in seiner „exklusiven“ Penthouse-Residenz am Pariser Platz 4a mit „unverstelltem Blick“ auf Brandenburger Tor und Reichstag eine Siegesfeier aus.

Die erste Frage lautet: Wieso organisierte Schmidt für Wulff diese Jubelparty? Eine reine Nettigkeit unter Freunden? Oder womöglich eine Gefälligkeit als Dank für Gefälligkeiten, die Wulff ist seinem bisherigen Amt dem umtriebigen Geschäftsmann und „Partykönig“ erwiesen hatte?

Die zweite Frage lautet: Wieso feiert ein deutsches Staatsoberhaupt seine Wahl ins höchste Amt der Republik in einer „Eventlocation“, für die der Veranstalter Schmidt auf der Website seiner Firma folgendermaßen wirbt: „Nutzen auch Sie das Privileg eines erstklassigen Escortservices Ihrer Geschäftskunden und einer vorbildlichen Security. Drei separate Eingänge ermöglichen eine paparazzisichere Anfahrt und höchste Diskretion. In der Residenz am Pariser Platz können Sie einen hochexklusiven Event ungestört von der Öffentlichkeit genießen.“

 

Hallo Schloss Bellevue: Noch jemand da?

Lange nichts mehr gehört von Christian Wulff. Was macht er wohl so? Staatsbesuch bei den Scheichs, Sternsinger-Empfang, Neujahrsempfang – alles vorbei. Und jetzt?

Berater haben dem Bundespräsidenten offenbar empfohlen, erst mal auf Tauchstation zu gehen. Wulff entzieht sich der Medienmeute und dem Volk. Bis die ganze Sache vergessen ist.

Die Strategie scheint aufzugehen: Medien berichten mangels nennenswerter neuer Aufreger in der Causa Wulff nur noch über läppische Kleinigkeiten: hier ein geschenktes Bobby-Car für den Präsidenten-Nachwuchs, da ein Wiesn-Upgrade im Bayerischen Hof, dort doch Mitwirkung an der Sponsorensuche für eine Veranstaltungsreihe namens Nord-Süd-Dialog (hat nichts mit der Dritten Welt zu tun wie ehedem unter Willy Brandt). Ziemlich kleines Karo also. Und geeignet, bei Lesern das Gefühl zu wecken: Den Medien ist wirklich jedes Mittel recht, um Wulff zur Strecke zu bringen. Und bei manchem Journalisten wie Parteifreund macht sich offensichtlich Resignation breit: Der Mann sitzt das einfach aus!

Der CDU hat die leidige Affäre in den Umfragen bislang nicht geschadet, anders als dem Bundespräsidenten. Und Merkels bekannte Strategie des Abwartens hat sich wieder einmal bewährt. Bis jetzt, jedenfalls.

Dass Wulff vorerst verschwunden ist, fällt dabei nicht weiter auf. Er war ja schon vor seiner Affäre kaum sichtbar. Oder, wie der Satire-Kollege Hans Zippert schon vor Weihnachten in der Welt über den Bundespräsidenten schrieb: „Wulff schafft das Amt ab, indem er es ausübt.“

 

Große Koalition an der Saar, oder was nun?

Die Parteien sind schon dabei, die Weichen für 2013 zu stellen: Im Saarland möchte die Bundes-SPD nach dem Ende des Jamaika-Bündnisses, als neueste Variante, allenfalls eine Koalition mit der CDU auf begrenzte Zeit. Denn die Führungsgenossen im Willy-Brandt-Haus wissen, dass Große Koalitionen in aller Regel bei den nächsten Wahlen dem Juniorpartner mehr schaden. Und das wäre im Moment die SPD.

Deshalb drängt die strategisch vorausdenkende Generalsekretärin Andrea Nahles auf möglichst baldige Neuwahlen im kleinsten Bundesland. Die SPD liegt nämlich in Umfragen dort derzeit (noch) vorne und kann daher hoffen, nach einer Art Übergangsregierung mit der CDU künftig den Ministerpräsidenten zu stellen – egal in welcher Konstellation.

Der Landesvorsitzende Heiko Maas dagegen möchte eine Neuwahl eigentlich meiden: Er ist schon zweimal als Spitzenkandidat gescheitert (2009 an den Grünen, die sich statt für Rot-Rot-Grün für Jamaika entschieden) und fürchtet, eine dritte Niederlage wäre sein politisches Ende. Daher möchte er lieber die Chance ergreifen, jetzt wenigstens Vize und „Superminister“ unter der CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer zu werden. Nach dem Motto: Besser der Spatz in der Hand…

Die Linie gibt aber ganz offensichtlich nicht er vor, sondern die Parteizentrale in Berlin. Und die hat aus den eingangs genannten Gründen – mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 – kein Interesse, ein Signal für Schwarz-Rot zu senden. Sondern, wenn schon, für Rot-Schwarz.

An einer Großen Koalition wird die SPD an der Saar allerdings wohl so oder so nicht vorbeikommen, auch nicht nach Neuwahlen. Denn Oskar Lafontaine, der Landesfraktionschef und immer noch un-heimliche Vorsitzende der Linken, hat klargestellt, seine Partei stehe für ein rot-rot-grünes Bündnis nicht mehr zur Verfügung. Auch er will offenkundig für 2013 schon mal ein Zeichen setzen. Seine Rache an der SPD, seiner alten geliebt-gehassten Partei, währt ewig.

All das bestätigt meine Prognose: 2013 wird es auch im Bund wahrscheinlich nur um die Frage gehen: Schwarz-Rot oder Rot-Schwarz, Merkel oder Steinbrück/Steinmeier/Gabriel.

 

Ministerpräsident = Präsident + Kanzler

Fast scheint der Punkt erreicht, an dem alles zum Thema gesagt ist, nur noch nicht von jedem. Aber ein kleiner, systematischer Punkt scheint mir unerwähnt bislang. Vielleicht, weil er irrelevant ist. Aber vielleicht ist er auch einfach untergegangen, aber doch bemerkenswert.

„(Sie oder er) vertritt das Land nach außen“.
„(Sie oder er) übt im Einzelfall das Begnadigungsrecht aus.“

Klingt nach Bundespräsident. Artikel 59 des Grundgesetzes lautet allerdings: „(1) Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten.“ Und in Artikel 60 heißt es: „(2) Er übt im Einzelfalle für den Bund das Begnadigungsrecht aus.“ Um den Bundespräsidenten geht es demnach bei den obigen Zitaten nicht.

Die Zitate stammen aus der niedersächsischen Landesverfassung (und finden sich in sehr ähnlicher Form in praktisch allen deutschen Landesverfassungen). Sie lauten im Original:

„(1) Die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident vertritt das Land nach außen.“ (Art. 35)
„(1) Die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident übt im Einzelfall das Begnadigungsrecht aus.“ (Art. 36)

Aus systematischer Sicht zeigen diese beiden Artikel stellvertretend, dass das Amt eines Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslandes gleichzeitig all jene Aufgaben umfasst, die auf Bundesebene teils die Bundeskanzlerin, teils der Bundespräsident ausübt. Ein Ministerpräsident ist Kanzler und Präsident, Regierungschef und Staatsoberhaupt in Personalunion.

Den Luxus getrennter Ämter – Kanzler + Präsident – leisten sich die Bundesländer nicht. Aber das bedeutet nicht, dass es die Aufgaben und die Rolle eines Staatsoberhaupts auf Länderebene nicht gibt. Der Ministerpräsident übernimmt sie – beide. Damit müsste also jeder Ministerpräsident wissen, „wie Präsident geht“, denn es ist ein ureigener Teil seines Jobs.

 

Ein Senior als neuer Bundespräsident?

Das Thema Wulff lässt uns nicht los. User haben mich auf einen neuen Gedanken gebracht: Vielleicht ist unser Bundespräsident ganz einfach zu jung für das Amt. Ihm fehlt ganz augenscheinlich die notwendige Reife, die Abgeklärtheit und Distanz zu sich selbst, die man oft erst mit dem Alter erwirbt. Er ist – trotz schwieriger Jugend in einfachen Verhältnissen und obwohl er lange brauchte, um in Niedersachsen nach oben zu kommen – offensichtlich vom Leben nicht gehärtet.

Daher der Vorschlag, auch von einigen Usern: Präsident sollte künftig ein gereifter Nicht- oder Nicht-mehr-Politiker sein, so wie einst „Papa“ Heuss oder Richard von Weizsäcker. Einer oder eine, der oder die viel durchlebt hat, der anderes kennt als nur Parteigeschacher. Der das Amt des Staatsoberhaupts, das wie kein anderes von der Person lebt, nicht als Highlight einer Politikerkarriere betrachtet, sondern als Herausforderung, als Pflicht, auch als Last. Der es nachdenklich und klug ausfüllt, mit fröhlicher Gelassenheit, so wie Gustav Heinemann, ein zu unrecht vergessener, für mich großer Bundespräsident.

Sicher: Auch ein höheres Alter wäre keine Garantie, dass ein Nachfolgekandidat ein guter, ein besserer Präsident würde. Aber manches spricht dafür, wie schon ein Blick auf die Reihe unserer Bundespräsidenten. Und auch ein Blick ins Ausland zeigt, dass gealterte, gar greise Männer (oder Frauen) an der Spitze des Staates oft erst über die Würde und Stärke verfügen, die es manchmal braucht: In Italien hat der 86-jährige Ex-Kommunist Giorgio Napolitano kraft seiner persönlichen Integrität sein Land im vergangenen Jahr durch eine schwere Krise geführt, als Silvio Berlusconi es an den Rand des wirtschaftlichen und politischen Ruins gebracht hatte.

Deshalb sollten die Verantwortlichen, wenn es womöglich demnächst, spätestens aber 2015 um einen Nachfolger für Christian Wulff geht, darüber nachdenken, ob man diesmal nicht jemanden auswählt wie den früheren SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel (85) – oder eben Joachim Gauck (71). Beide haben sich seit langem vom Klein-Klein und den Machtspielen des politischen Alltags verabschiedet oder waren nie richtig darin verwickelt. Sie kennen den Krieg noch (Vogel als Wehrmachts-Unteroffizier) und wirklich harte Zeiten. Beide verfügen über die persönliche Autorität, die in diesem Amt und in diesen Zeiten notwendig wäre. Beide wären mit Sicherheit unbequeme, bisweilen störrische Präsidenten. Aber nach meiner Ansicht gerade deshalb eine Wohltat – für das Land und für unsere Demokratie.

 

Vorhersagemodel sagt Obamas Wiederwahl im Herbst voraus

Die Vorwahlen in New Hampshire sind vorüber. Während sich das Feld der Präsidentschaftskandidaten der Republikaner in den nächsten Wochen weiter ausdünnen wird kann sich der amtierende amerikanische Präsident schon heute auf seine Wiederwahl einrichten, weil er alle republikanischen Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen im November diesen Jahres schlagen wird. Diese Einsicht verdanken wir keiner Kristallkugel, sondern einem statistischen Vorhersagemodell, das sogenannte Primary Model, was mein Kollege Helmut Norpoth, Professor für Politikwissenschaft an der Stony Brook University in New York entwickelt hat. Damit war er mal wieder der erste der akademischen Kollegen, der sich 2012 mit dieser Prognose aus der Deckung wagt.

Das außergewöhnliche an seinem Modell ist, daß es bereits jetzt schon Vorhersagen zum Ausgang der Präsidentschaftswahlen im November ermöglicht. Erwartungsgemäß werden viele Prognosen ja genauer, je näher man sich dem Ereignis nähert. Man denke nur an den Wetterbericht fürs kommende Wochenende. Sein Primary Model hat jedoch den Gewinner nach Stimmen der US amerikanischen Präsidentschaftswahlen seit 1996 immer richtig vorhergesagt.

Wie kann man das beinahe 10 Monate vorher bereits wissen? Sind die Wahlkämpfe nicht entscheidend und ist es gar nicht wichtig, wer gegen wen antritt? Regelmäßige Leser dieses Blog wissen, warum wir in der Wahlforschung den Ausgang von Wahlen vorhersagbar können, selbst wenn die entsprechenden Umfragen schwanken.

Norpoths Primary Model schafft diese Aufgabe, indem es sich die Regelmäßigkeiten der Vorwahlergebnisse von Präsidentschaftskandidaten der Republikaner wie der Demokraten systematisch ausnützt, die seit 1912 verzeichnet sind. In einem statistischen Modell ermöglichen diese Ergebnisse – neben weiteren längerfristig wirksamen Faktoren – hinreichende genaue Prognosen über das zu erwartende Stimmergebnis für unterschiedliche Kandidatenkonstellationen.

Die besten Chancen für die Republikaner im Herbst hat nach diesen Modellprognosen dabei noch Mitt Romney, der ehemalige Gouverneur des Bundesstaates Massachusetts. Sollte Romney seinen Erfolg von New Hamshire fortsetzen und sich aufmachen, die Vorwahlen der Republikaner zu gewinnen, würde Obama ihn mit 53.2 zu 46.8 Prozent schlagen. Obama würde sogar zwischen 56 und 57 Prozent der Stimmen gewinnen, die entweder für die Demokraten oder die Republikaner abgegeben wurden, wenn der republikanische Kandidat doch noch Paul, Huntsman, Gingrich oder Santorum heißen würde.

Neugierig? Mehr dazu (allerdings in English) unter:
Norpoth, Helmut (2004), „From Primary to General Election: A Forecast of the Presidential Vote,“ P.S. Political Science and Politics, XXXVII, 4, 737-740.

 

Wulff kurz vor dem Ende

In der Daueraffäre Wulff kippt die Stimmung in der CDU und der Unionsfraktion, wie von mir in diesem Blog schon in der vergangenen Woche prognostiziert. Vor allem in seinem CDU-Heimatverband Niedersachsen geht die Angst um, Wulff könne ihnen – wenn er im Amt bleibt – im nächsten Jahr bei der Landtagswahl die Mehrheit kosten. Ähnlich dürfte es in Schleswig-Holstein sein, wo schon in diesem Frühjahr gewählt wird. Deshalb wächst der Druck auch auf Angela Merkel

Man kann und sollte die jüngsten Äußerungen der Kanzlerin und ihres Sprachrohrs Peter Altmaier daher als Ultimatum an den Bundespräsidenten verstehen: Wenn er jetzt nicht ganz schnell sein Versprechen einlöst, alle verbliebenen Ungereimtheiten aufzuklären, dann war es das.

Merkel verliert die Geduld. Für Christian Wulff ist es 2 vor 12.

 

 

Wulff klebt am Amt. Na und?

Viele Bürger, Leser und Debattenteilnehmer zur Causa Wulff auch in diesem Blog stellen – oft empört oder entsetzt – die Frage: Kann dieser Bundespräsident wirklich auf seinem Posten bleiben? Trotz seines vielfältigen, offenkundigen Versagens, das er in dieser Affäre unter Beweis gestellt hat?

Andere meinen: Wäre das so schlimm? Haben wir, hat unser Land nicht viel gravierendere Sorgen und Probleme als die Frage, ob ein medioker Politiker seinem Amt – einem gar nicht so bedeutenden – gewachsen ist?

Noch anders gewendet: Wäre es eine Staatsaffäre, wenn Christian Wulff nicht gehen müsste? Weil die Kanzlerin und ihre Koalition, aber auch die Opposition im Moment offensichtlich kein Interesse an seiner Ablösung haben. Und weil die Aufregung über Wulff und sein Krisengebaren langsam abebbt und sich die Medien wieder anderen Themen zuwenden. Wie das so ist, wenn eine Affäre lange dauert und keine Konsequenzen zeitigt.

Oder würde es vielmehr eine Staatskrise bedeuten, wenn Wulff schließlich doch noch zurückträte, als zweiter Bundespräsident binnen eineinhalb Jahren nach Horst Köhler?

Nein, eine Staatskrise wäre das sicherlich nicht. Im Gegenteil. Unser politisches System würde dann zeigen, dass es in der Lage ist, mit solchen Skandalen umzugehen und einen unfähigen, überforderten Politiker aus seinem Amt zu entfernen. Die Bundesversammlung würde rasch einen Nachfolger wählen, einen hoffentlich überparteilichen und besseren; Angela Merkel wäre leicht beschädigt (ist sie jetzt schon), weil es ihr Präsident ist, ihr zweiter; die Republik würde diese minder bedeutende Affäre alsbald vergessen.

Wenn. Wenn aber Wulff weiter an seinem Sessel klebt (was ihm gar nicht zu verdenken ist: Viele andere Politiker täten das auch und haben es getan – weil sie meist ja nichts anderes haben) und niemand diesen Präsidenten von seinem Amt befreit, dann, so ist zu befürchten, droht der Demokratie tatsächlich eine weitreichende neuerliche Erschütterung. Weil das in den Augen vieler Bürger den Argwohn verstärkte, dass unser politisches System seiner Funktion eben nicht mehr gerecht wird, sich selbst zu reinigen.

Erst die Finanz- und Eurokrise. Dann Guttenberg. Jetzt Wulff: Man stelle sich mal vor, es ginge um die Kanzlerin, also jemand wirklich bedeutenden, mächtigen. Aber Wulff ist ja „nur“ Bundespräsident. Gott sei Dank.