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Schwacher Euro, guter Euro

 

Ich muss mich noch daran gewöhnen, dass der Euro gegenüber dem Dollar auf einem ziemlich stabilen Abwärtstrend ist und dass das in der gegenwärtigen Situation eine gute Sache ist.

Grafik: tägl. Dollar/Euro-Wechselkurs bis 23. Nov. 2016

Was die Leistungsbilanz Eurolands angeht, langfristig vermutlich die wichtigste Determinante des Wechselkurses, könnte der Überschuss kaum größer sein. Auch die staatlichen Haushaltsdefizite, die manchmal beim Wechselkurs eine wichtige Rolle spielen, sind ziemlich gering – aggregiert über die 19 Euroländer liegen sie in diesem Jahr bei 1,8 Prozent des BIP. Das sieht alles viel besser aus als in den USA.

Von daher müsste der Euro sehr fest sein. Warum ist er es nicht? Ein Grund dürften die heutigen und künftigen Zinsdifferenzen gegenüber den USA sein, ein anderer die politische Unsicherheit. Populistische Parteien haben in Frankreich, Italien, in den Niederlanden und sogar in Deutschland an Boden gewonnen. Sie alle plädieren dafür, aus dem Euro auszutreten, wenn nicht sogar aus der Europäischen Union. In den nächsten zehn Monaten können die Wähler in diesen Ländern darüber entscheiden, ob sie das tatsächlich wollen. Es geht los mit dem italienischen Referendum am 4. Dezember, dann kommen am 15. März die Wahlen in den Niederlanden, gefolgt von der Präsidentschaftswahl in Frankreich am 7. Mai und der Bundestagswahl im September. Um es pointiert zu sagen: Es ist riskant, Aktien oder Bonds zu kaufen, die auf eine Währung lauten, die es vielleicht bald nicht mehr gibt.

Vor allem Italien ist ein Wackelkandidat. Weniger wegen der hohen staatlichen Verschuldung, sondern wegen der gewaltigen notleidenden Kredite der Banken, besonders der einstigen Großbank Banca Monte dei Paschi, deren Marktwert inzwischen bei nur noch sieben Prozent des Buchwerts liegt. Marktführer UniCredit geht es besser, aber ihr Marktwert beträgt auch nur 24 Prozent. Italienische Banken sind im Ausverkauf, aber niemand will sie. Das kann für die Gläubiger noch sehr teuer werden. Die folgende kleine Tabelle zeigt, wie sich in den vergangenen Monaten eine Flucht aus italienischen Anleihen entwickelt hat. Die Anleger lassen sich nicht mehr davon beeindrucken, dass die realen Bondrenditen angesichts einer Inflationsrate von Null im Vergleich zu den deutschen und amerikanischen sehr hoch sind, dass das staatliche Haushaltsdefizit nur noch 2,4 Prozent des BIP beträgt und dass die Leistungsbilanz einen Überschuss von 2,8 Prozent des BIP aufweist – das Land also dabei ist zu gesunden.

Tabelle Vverkaufsdruck an den Rentenmärkte

Dass US-Unternehmen demnächst die Gewinne, die sie im Ausland geparkt haben, im Zuge einer Steueramnestie repatriieren könnten, verstärkt den Verkaufsdruck auf den Euro.

Dann natürlich der Ausblick für die Zinsen: Es ist nunmehr fast sicher, dass die Fed die Leitzinsen am 14. Dezember erstmals nach einem Jahr wieder anheben und die Zügel dann 2017 weiter anziehen wird, während die EZB vorläufig bei ihrer expansiven Politik bleiben dürfte. Wenn ich als Anleger schon von einem Ausverkauf der generell überteuerten Bonds ausgehen muss und daher versuche, die durchschnittliche Laufzeit zu verkürzen, gehe ich logischerweise in den Geldmarkt, wo die Zinsen am höchsten sind – der 3-Monats-Dollar-LIBOR liegt am Mittwoch bei 0,92 Prozent, der vergleichbare Euro-Libor dagegen bei -0,33 Prozent, eine Differenz von 1,35 Prozentpunkten zugunsten der Dollaranlage.

Da ich schon mal dabei bin, die negativen Faktoren für den Euro aufzuzählen, muss ich auch erwähnen, dass Donald Trump versucht, die amerikanische Wachstumsrate durch deutlich höhere Staatsausgaben und niedrigere Steuern zu verdoppeln. Ob das gelingt, ist nicht sicher, aber am Markt ist man geneigt, ihm erst einmal zu glauben. Dann würde es bei den amerikanischen Aktien so etwas wie einen Turboeffekt geben – die Bewertungen und damit die Kurse könnten weiter steigen. Euroland hat dem bisher nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Vorteil Dollar.

Obwohl der Euro ziemlich angezählt wirkt, geht es den meisten anderen Währungen gegenüber dem Dollar noch schlechter. Das hat zur Folge, dass der Euro gegenüber der Gesamtheit wichtiger Währungen eher aufwertet. Insofern ist es vielleicht falsch, von einem schwachen Euro zu reden. Der Euro hat nur ein Dollarproblem.

Grafik: Nominaler effektiver Wechselkurs des Euro, tgl. bis 23. November 2016

Man könnte allerdings auch sagen, dass die Amerikaner ein Europroblem haben. Ganz sicher ist, dass unser Leistungsbilanzüberschuss gegenüber den USA wegen der Euroabwertung und des schwächeren Wirtschaftswachstums noch mehr zunehmen wird – und dass die jetzige Dollarstärke den kommenden Dollarcrash schon in sich trägt.

Bei all dem dürfen zwei Vorteile für Europa nicht übersehen werden: Eine robuste amerikanische Wirtschaft wirkt in der Währungsunion über den steigenden Außenbeitrag stimulierend (mehr Jobs, allerdings leider keine analoge Zunahme des Pro-Kopf-Einkommens) und die bessere Konjunktur führt zu einer steigenden Auslastung der Kapazitäten und damit zumindest potenziell zu höheren Inflationsraten sowie einer Wende in der Geldpolitik irgendwann im nächsten Jahr. Die Entwicklung in den USA bestärkt jene, die von der EZB einen Ausstieg aus der Nullzinspolitik fordern.