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Zwischen Rechtsrock, Reichsbürgern und Identitärer Bewegung: ein Rückblick auf 2017

 

© Felix Steiner

Im zurückliegenden Jahr haben wir im Störungsmelder über zahlreiche Themen rund um die rechtsextreme Szene in Deutschland berichtet. Neben den Aktivitäten der Neonazi-Szene sind vor allem die Neuen Rechten stärker in den Blickpunkt getreten. Auch die sogenannten Reichsbürger haben uns im Jahr 2017 beschäftigt. Unser Rückblick

Von Lukas Beyer, René Garzke, Thomas Schade und Felix M. Steiner

In den vergangenen Jahren hat sich einiges am rechten Rand in Deutschland verschoben. Neonazi-Parteien wie die NPD, Die Rechte oder Der III. Weg sind deutlich weniger präsent, dafür dominieren neurechte Akteure wie die Identitäre Bewegung oder Ein Prozent die öffentliche Wahrnehmung. Dennoch gab es in diesem Jahr einige wichtige Ereignisse rund um die Neonazi-Parteien in Deutschland.

Am 17. Januar verkündete das Bundesverfassungsgericht sein Urteil im NPD-Verbotsverfahren. Die Richter stellten zwar fest, dass die NPD eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus aufweist und ihr politisches Konzept nicht mit dem Demokratieprinzip vereinbar ist. Sie entschieden sich aber wegen der politischen Bedeutungslosigkeit der Partei gegen ein Verbot. Von einer Rechtsprechung, die ihren Fokus mehr auf die politische Bedeutung als auf die konkreten Inhalte legt, könnten vor allem kleine Neonazi-Parteien profitieren.

Frank Franz und Peter Richter, der die NPD im Verbotsverfahren als Anwalt vertrat © Christian Martischius

 

Mehrfach vorbestraft: Thorsten Heise, Foto: Kai Budler
Neonazi-Multifunktionär Thorsten Heise © Kai Budler

Im März fand dann der Bundesparteitag der NPD in Saarbrücken statt. Rund 4.000 Menschen demonstrierten gegen den Parteitag, auf dem der Neonazi-Multifunktionär Thorsten Heise aus Thüringen um den Bundesvorsitz kandidierte. Trotz seiner Niederlage gegen den amtierenden Vorsitzenden Frank Franz wurde Heise zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Die Parteibasis stärkte nach Jahren der erfolglosen bürgerlichen Strategie erneut den offen neonazistisch auftretenden Flügel.

Jenseits der NPD: Streit und Mobilisierungsprobleme der Neonazi-Szene

Neben der NPD sind es vor allem die beiden Parteien Die Rechte und Der III. Weg, die in der Neonazi-Szene von Bedeutung sind. Die Rechte ist außerhalb ihrer Schwerpunktregion in Dortmund und Umgebung kaum wahrnehmbar. Zuletzt machte sie vor allem wegen interner Streitigkeiten Schlagzeilen. Doch die Neonazi-Kleinstpartei Der III. Weg besitzt für die Szene nach innen ohnehin eine größere Bedeutung als für die breite Öffentlichkeit. Sie und ihr Umfeld organisieren zum Beispiel lokale Flyer-Aktionen und Aufmärsche zum Ersten Mai. Diese gehörten in den letzten Jahren zu den größten Neonazi-Aufmärschen in Deutschland, und es kam wiederholt zu gewalttätigen Ausschreitungen. Ein interner Streit im Jahr 2016 führte allerdings zu einer Aufsplitterung der Szene am 1. Mai 2017. So marschierte Der III. Weg mit rund 700 Neonazis im thüringischen Gera auf. Bei der Abreise kam es zu schweren Ausschreitungen: Rund 150 Neonazis verließen den Zug, griffen Polizisten an und randalierten in der Stadt. Gleichzeitig demonstrierten mehrere Hundert Neonazis in Halle/Saale. Dort wurden sie bereits am Startpunkt durch Gegendemonstranten blockiert und reagierten ihrerseits mit brutalen Gegenangriffen.

Neonazi-Angriff in Halle: Ein Schwerverletzter nach Schlägen auf den Kopf © Thomas Schade

Dass die Neonazi-Szene insgesamt schlechter zu mobilisieren vermag, zeigte auch der Tag der deutschen Zukunft in Karlsruhe im Juni 2017. Waren an dem Aufmarsch einst bis zu 1.000 Neonazis beteiligt, ließen sich nach Karlsruhe kaum noch 300 Teilnehmer bewegen.

Teilnehmer des Nazi-Aufmarsches in Karlsruhe © Christian Martischius

Jenseits der bundesweiten Entwicklung gab es im ganzen Jahr Hunderte Angriffe auf Flüchtlinge und Neonazi-Gegner. Auch 2017 gab es mehr als 1.000 registrierte Übergriffe auf Asylsuchende, dabei wurden allein bis September weit mehr als 200 Menschen verletzt. In einigen Regionen hat die Neonazi-Szene mit Veranstaltungen, Bedrohungen und Übergriffen versucht, „national befreite Zonen“ zu errichten. So berichteten wir 2017 mehrfach über die Situation in Eisenach, wo militante Neonazis seit Jahren äußerst gewalttätig gegen Engagierte vorgehen. Zuletzt kam es dort zu einem brutalen Übergriff auf den Sänger der Punkband Gloomster, die sich seit Jahren öffentlich gegen Neonazis positioniert. Auch in Südniedersachsen traten organisierte Neonazis des Freundeskreises Niedersachsen/Thüringen gewalttätig auf und es kam zu mehreren Übergriffen. Schon Anfang des Jahres 2017 fanden die Sicherheitsbehörden zahlreiche Waffen bei der Gruppierung. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen der Bildung einer bewaffneten Gruppe.

Rechtsrock – Hitlergruß, Hass und Versammlungsfreiheit

2017 nutzten Rechtsextreme vor allem Musik, um die eigene Szene zu stärken und zu politisieren. Sie versuchten sich über diesen Weg aber auch zu finanzieren. Für Neonazis bedeutende Veranstaltungen gab es vor allem in Thüringen. Nicht selten agierte die NPD als Organisatorin solcher Events und übernahm zentrale Aufgaben wie etwa die Anmeldung bei den Behörden als „politische Versammlung“. Diese Strategie nutzte der Thüringer NPD-Kreisvorsitzende und Stadtrat Gordon Richter aus Gera, als er für den 1. Juli den Rock für Deutschland anmeldete. Unter dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit feierte die Rechtsrockband Frontalkraft aus Cottbus ihr 25-jähriges Jubiläum mit 800 Neonazis als Gästen. Um den Schein einer politischen Versammlung aufrechtzuerhalten, gab es zwischen den musikalischen Beiträgen auch Redner, die bei Großkonzerten aber üblicherweise wenig Zeit und Aufmerksamkeit erhalten. Dieses Konzept ermöglichte es, am Einlass einen als Spende deklarierten Eintrittspreis von 30 Euro zu „erbitten“.

NPD-Stadtrat Gordon Richter aus Gera © Lukas Beyer

Wesentlich mehr Aufmerksamkeit erhielten allerdings zwei Großveranstaltungen der extremen Rechten im thüringischen Themar. Dort organisierte der Neonazi Tommy Frenck am 15. Juli den Rock gegen Überfremdung, zu dem mehr als 6.000 Neonazis aus ganz Europa anreisten. Auf dem Grundstück eines damaligen AfD-Politikers gab es zahlreiche Verkaufsstände mit rechtem Merchandise und Propaganda-Literatur. Am Abend der Veranstaltung zeigten zahlreiche Neonazis den verbotenen Hitlergruß und riefen dazu „Sieg Heil“, während sie teilweise betrunken zu Rechtsrock tanzten. Der Rock gegen Überfremdung wurde auch auf der Website des in Deutschland verbotenen Netzwerks Blood & Honour (Blut & Ehre) beworben. Blood & Honour  ist eine rechtsextreme Vernetzung, die Neonazi-Bands koordiniert und zu der Combat 18 als eine rechtsterroristische und bewaffnete Organisation gehört. Auf derselben Website wurde auch der Rock für Identität beworben, der zwei Wochen später mit rund 1.000 Neonazis ebenfalls in Themar stattfand. Im Zusammenhang mit den beiden Musikveranstaltungen registrierte die Polizei 36 Verstöße gegen § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen), 15 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, vier Körperverletzungen und zwei Verstöße gegen das Waffengesetz.

Rock gegen Überfremdung: Das Gelände in Themar war so überfüllt, dass es erweitert werden musste. © Jonas Miller

Aus einer kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke im Bundestag geht hervor, dass 34 rechtsextreme Musikveranstaltungen allein im dritten Quartal 2017 in Deutschland stattfanden. Diese Veranstaltungen sind wichtig für die Finanzierung und den Ausbau rechter Strukturen. 2018 wird daher wieder mit etlichen rechtsextremen (Groß-)Veranstaltungen zu rechnen sein. Bereits jetzt ist ein zweitägiges Festival rund um den Hitlergeburtstag im April für mehrere Hundert Personen in Sachsen angemeldet. Zivilgesellschaftliche Akteure werden sich auch im kommenden Jahr mit der Propaganda von Neonazis und deren Konzerten auseinandersetzen müssen.

Reichsbürger: Eine neue Gefahr?

Im Oktober 2016 hatte im mittelfränkischen Georgensgmünd ein sogenannter Reichsbürger einen SEK-Beamten erschossen und zwei weitere Polizisten verletzt. Der Vorfall zeigte auf drastische Weise, welches Risiko von der bisher oft eher als wirr beschriebenen Szene ausgeht. Die Reichsbürgerszene ist facettenreich und äußerst gefährlich. Das zeigten auch zahlreiche Razzien, bei denen immer wieder scharfe Waffen bei Reichsbürgern gefunden wurden. Die Sicherheitsbehörden rechnen der Szene insgesamt bis zu 12.000 Personen zu, von denen etwa 800 zur extremen Rechten gezählt werden. In einem internen BKA-Lagebericht heißt es, dass die Bewegung zur „äußersten Gewalt bis hin zu terroristischen Aktionen“ bereit sei.

Mit kruden Thesen: Vor dem Bundestag versammelten sich Reichsbürger © Theo Schneider
Mit kruden Thesen: Vor dem Bundestag versammelten sich Reichsbürger (Symbolbild) © Theo Schneider

Rechtsextreme Fußball-Fanszene am Beispiel Cottbus

Neonazis nutzen immer wieder die Fankurven von Fußballvereinen, um sich öffentlichkeitswirksam zu inszenieren oder um Nachwuchs zu gewinnen. Umso bemerkenswerter war es, dass sich im Mai 2017 nach gemeinsamen Recherchen der Potsdamer Neuesten Nachrichten und des rbb die rechtsextreme Hool-Gruppe Inferno Cottbus (FC Energie Cottbus) auflöste. Getrieben war die Auflösung nach mehr als 18-jährigem Bestehen offenbar von der Angst vor einem Vereinsverbot. Denn die Recherchen hatten offenbart: Inferno Cottbus und ihre Nachwuchstruppe Unbequeme Jugend hatten ein kriminelles Netzwerk aufgebaut. Immer wieder bedrohten die Neonazis andere Energie-Fans, schüchterten sie gezielt ein und verbreiteten ein Klima der Angst. Brisant dabei war: Die beiden Gruppen bestehen aus einem Geflecht von Neonazis, Kampfsportlern, Rockern und Hooligans. Zuletzt gingen die Sicherheitsbehörden davon aus, dass das kriminelle Netzwerk etwa 100 Personen umfasst.

Rechtsextrem: Beim Spiel in Babelsberg wurde im Cottbusser Block der Hitlergruß gezeigt. © Presseservice Rathenow

Nach der vorgeblichen Auflösung von Inferno Cottbus zeigten Recherchen der Potsdamer Neuesten Nachrichten im September jedoch, dass die Gruppe im Hintergrund weiter aktiv ist. Weil Bedrohungen durch die Neonazi-Hools anhielten, sah sich die unpolitische und größte Energie-Ultragruppe Ultima Raka zum Aufgeben gezwungen und stellte ihre Aktivitäten „für unbestimmte Zeit“ ein.

Die Identitäre Bewegung – Ein Jahr zwischen militanten Übergriffen und Misserfolgen

Die medial aktivste rechtsextreme Gruppe war 2017 wohl die Identitäre Bewegung. Neben verschiedenen Prestigeprojekten setzten die Rechtsextremen vor allem auf Altbewährtes: viele kleine Banner-Aktionen, Störungen von Podiumsdiskussionen und gewalttätige Angriffe. Eine Demonstration in Berlin, die Defend-Europe-Kampagne und eine Dating-App brachten kein Prestige, sondern Spott und Häme. Auch die Sicherheitsbehörden gingen mit mehreren Razzien gegen Teile der Identitären vor.

Konnten sie 2016 mit der Besetzung des Brandenburger Tors noch große Resonanz erzielen, entfalteten Aktionen der personell recht überschaubaren rechtsextremen Truppe dieses Jahr kaum Wirkung. Den ersten großen Flop kündigte Martin Sellner im Februar 2017 an, eine rechte Dating-App namens Patriot Peer. Sie hatte schnell ihren Ruf als „Nazi-Tinder“ weg. Noch Ende Oktober fand in Halle ein Workshop statt, bei dem die App fertiggestellt werden sollte. Seither ist es um das Projekt still geworden, die Website ist aber weiterhin online. Die Serie der gefloppten Aktionen setzte sich fort. Am 19. Mai versuchten 50 Identitäre, das Bundesjustizministerium in Berlin zu stürmen. Als das misslang, setzten sie sich mit einer „Blockade“ vor das Ministerium. Für eine wirkliche Blockade reichte es nicht, selbst Justizminister Heiko Maas stieg einfach über die sitzenden Rechtsextremen hinweg. Bei der Aktion wäre es beinahe zu einem tragischen Vorfall gekommen. Als einer der Rechtsextremen mit einem Transporter fliehen wollte, überfuhr er fast einen Polizeibeamten. Der Fahrer war Berliner AfD-Funktionär, wurde später per Haftbefehl gesucht. Das Ergebnis: 50 Platzverweise, eine Festnahme und der nächste Running Gag – die „Ibster-Blockade“. Spätestens seitdem ein Synonym für völlig missglückte Protestaktionen, die im Nachgang mit Bildern und Videos als Erfolg verkauft werden sollen.

Im Juni starteten die Rechtsextremen ihre Kampagne Defend Europe. Mit dem Schiff C-Star wollten die Identitären Flüchtlingshelfer bei ihrer Arbeit im Mittelmeer behindern. Unter mongolischer Flagge scheiterte das Schiff bereits am Sueskanal, da die richtigen Papiere fehlten. Mehrere Häfen gaben ihnen keine Anlegeerlaubnis, in Nordzypern wurde der Kapitän des Schiffs kurzzeitig als Schlepper inhaftiert, Teile der Crew hatten Asyl beantragt. PayPal und andere Institute froren Spendenkonten ein, YouTube löschte sogar einige der Propaganda-Videos.
Als am Ende noch der Motor des Schiffes streikte, war die Aktion vollends der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Fahrt der Kampagne endete in Barcelona, die Identitären ließen Crew und Schiff zurück. Die Crew des Schiffes saß dann über Monate ohne Geld und Proviant im Hafen fest, das Rote Kreuz kümmerte sich um sie. Was nach einem beispiellosen Desaster klingt, bezeichnen die Rechtsextremen im Nachhinein als „totalen Erfolg“.

Martin Sellner, ehemaliger Neonazi und führender Kopf der Identitären in Österreich © Felix M. Steiner

Mit einem europaweiten Aufruf mobilisierte die Identitäre Bewegung dann am 17. Juni 2017 für eine Demonstration in Berlin. Rund 800 Identitäre, Neonazis und Pegida-Anhänger folgten dem Aufruf. Doch nach rund 600 Metern wurde die Demonstration durch mehrere Blockaden gestoppt. Die Folge: Die Rechtsextremen versuchten, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen, es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Nachdem die Identitäre Bewegung ihre Demonstration aufgelöst hatte, kam es zu teils erheblichen Zusammenstößen mit der Polizei. © Michael Trammer/24mmjournalism

 

Das Haus der Identitären am Steintor-Campus der Uni Halle © Thomas Schade

Für die neurechte Szene ist der Start eines eigenen Hausprojektes wohl eines der wichtigsten Aktionen in diesem Jahr. Im Sommer bezogen Kader eines lokalen Ablegers der Identitären eine Immobilie in Halle/Saale. Der AfD-Bundestagskandidat Andreas Lichert hatte das Haus als Bevollmächtigter für die in Hessen ansässige Titurel Stiftung gekauft. Die Stiftung vermietet das Haus an Ein Prozent, eine rechte Crowdfunding-Gruppe, die irgendwo zwischen AfD, Neonazis und den Identitären zu verorten ist. Der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider hat mittlerweile sein Wahlkreisbüro in der Immobilie eingerichtet. Abgrenzungsbeschluss? Egal! Mehr als 100 Anwohner haben sich in einer Initiative zusammengeschlossen, um gegen das rechtsextreme Hausprojekt in ihrem Viertel zu demonstrieren. Mitte November zeigte sich dann die hohe Gewaltbereitschaft der identitären Kader in Halle. Zwei Männer stürmten nach einer Pöbelei mit Schild, Helm und Baseballschlägern bewaffnet aus dem Haus. Die Pöbler waren schon längst weg. Die Rechtsextremen trafen auf zwei Zivilpolizisten, griffen diese mit Pfefferspray an. Die Beamten waren gezwungen, zur Verteidigung ihre Dienstwaffen zu ziehen. Die Rechtsextremen wurden nach dem Angriff festgenommen. Mitte nächsten Jahres soll der Prozess beginnen. Auch 2018 wird die Identitäre Bewegung durch multimedial inszenierte Aktionen versuchen, ihre Ideologie in die Öffentlichkeit zu tragen. Vor allem eine reflektierte Presseberichterstattung zu den Aktionen ist von zentraler Bedeutung, um rechtsextremer Ideologie in der Öffentlichkeit Einhalt zu gebieten.