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Brussels Oil Unlimited

Wie lautete noch eines der Hauptargumente der Europäer gegen den Irakkrieg? Amerika gehe es in Wahrheit nur um die Bodenschätze des Landes? Heute, fünf Jahre nach der Invasion, geht es auch den Europäern um Öl aus Gas aus Saddams Ex-Reich.

„Die Verhandlungen laufen sehr gut“, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso kürzlich nach einem Geschäftsbesuch des irakischen Ministerpräsidenten in Brüssel. Die Europäische Union hofft, mit dem Irak schon bald ein Abkommen über Gaslieferungen abzuschließen, um ihre Nabucco-Pipeline zu befüllen. Mit der Röhre wollen die Europäer bis 2012 oder 2013 einen Bypass um Russland legen. Sie soll über 3300 Kilometer vom Kaspischen Meer über die Türkei nach Österreich verlaufen und wäre, wenn man so möchte, die stahlgewordene Unabhängigkeitserklärung Europas vom Staatsmonopolkapitalimus (kurz: Gazprom) des Kreml.

Während Russen und Chinesen den Irak längst als Zapfstelle betrachten, waren europäische Firmen bislang zögerlich, die menschlichen und finanzielle Gefahren auf sich zu nehmen, welche Ölerkundungen im Bürgerkriegsfeuer mit sich bringen.

Doch nun sorgen die steigenden Öl- und Gaspreise auch bei Europas Multis für eine gewagtere Risikoeinschätzung.

Firmen aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Norwegen drängen ins Zweistromland, berichtet ein Insider in einer Brüsseler Zentrale. „Alle Großen haben den Irak auf der Karte. Wenn Sie es Ihren Lesern deutlich machen wollen, sagen Sie ruhig: Es herrscht ein ziemlicher Konkurrenzdruck.“

Der deutsche Energiexperte Frank Umbach glaubt, die Europäer hätten erkannt, dass sie im Wettlauf um die irakischen Reserven nicht dieselben Fehler machen dürfen, die ihnen anderswo bereits unterlaufen sind: „Sie müssen jetzt ihre Pflöcke einschlagen, sonst könnten sie zu spät kommen, wie in Zentralasien.“

Turkmenistan etwa hat kürzlich einen Vertrag mit Gazprom über Öllieferungen geschlossen – damit wird es für die Europäer auf absehbare Zeit schwierig, als Zweitempfänger einzutreten. Immerhin sagte die turkmenische Regierung vergangene Woche zu, jährlich 10 Milliarden Kubikmeter Erdgas an die EU zu liefern – sollte die Nabucco-Trasse irgendwann stehen. Viel ist das nicht. Die EU rechnet aufgrund des Verbrauchsanstiegs damit, dass sie im Jahr 2020 620 Milliarden Kubmeter brauchen wird, 500 Milliarden davon aus dem Ausland. Nabucco hätte eine jährliche Kapazität von 31 Milliarden Kubikmetern. Doch die EU-Kommission hofft, damit immerhin den Wettbewerb auf dem Gasmarkt befeuern zu können.

Gegenüber dem Irak sieht die EU freilich auch die Chance, mit einem Energieabkommen zugleich Entwicklungsarbeit zu leisten. Die haben Russen und Chinesen dort sicher weniger im Sinn. Der Irak, sagte Kommissionschef Barroso, könne auf die Solidarität der EU zählen, um ein „friedliches, demokratisches Land“ aufzubauen. Der Premier aus Bagdad zeigte sich entzückt. Schon im Mai will er seinen Ölminister nach Brüssel schicken.

 

Mit jedem reden?

Genau zehn Jahre ist es her, dass sich Europas alte Terroristen domestizieren ließen. Im Karfreitagsabkommen von Belfast stimmten im April 1998 ehemalige Kämpfer der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) zu, künftig die Regierungsgewalt mit den Protestanten zu teilen.

Zustande gebracht hatte die Übereinkunft vor allem David Trimble, damals Regierungschef der nordirischen Provinz.

Am Rande der deutsch-britischen Königswinter-Konferenz in Oxford gibt es Gelegenheit, den Friedensnobelpreisträger zu fragen: Was lässt sich aus den damaligen Verhandlungen für heute lernen? Sollte der Westen auch mit den neuen Terroristen einen Dialog wagen? Mit Hamas? Mit Hisbollah? Mit jedem Gegner, sei er auch noch so radikal?

Trimble hat einen klaren Rat. „Wir sollten unterscheiden zwischen taktischen Kommunikationskanälen und ernsthaften politischen Verhandlungen.“ Subpolitische Kontakte könnten immerhin helfen, Blutvergießen zu verhindern. „Aber um einen echten Dialog in Gang zu bringen, muss die andere Seite an einer Einigung interessiert sein statt an einem Sieg.“

Zum falschen Zeitpunkt mit den falschen Leuten zu reden, warnt Trimble, könne „verheerende Folgen“ haben. Während der Verhandlungen mit der IRA, berichtet er, sei deshalb eine Art inoffizielles rotes Telefon installiert gewesen.

„Die Nordirlandverwaltung hat mit der IRA-Führung bestimmte Codewörter abgesprochen, die für Bombendrohungen benutzt werden konnten. Auf diese Art wussten wir wenigstens, wann wir einen Drohanruf ernst nehmen mussten.“

 

Tibet vor der Haustür

Es ist ein Tibet vor der Haustür Europas, aber kaum einen Journalisten interessiert es. Vor wenigen Wochen, Ende März, knüppelten Polizisten in der weißrussischen Hauptstadt Minsk junge Menschen nieder, die an einem Demonstrationszug für die Freiheit ihres Landes teilgenommen hatten. Viele von ihnen, so berichteten weißrussische Oppositionelle am Tag danach in Brüssel, seien verhaftet worden. Die EU geht davon aus, dass bis zu 80 friedliche Demonstranten in Arrest landeten.

Was mit ihnen in den Kerkern des moskautreuen Diktators Alexander Lukaschenka passiert, weiß niemand. Was man weiß, ist dass Lukaschenka weder EU- noch UN-Menschensrechtsbeobachtern die Einreise erlaubt und stattdessen öffentlich droht, Demonstranten „die Köpfe abzureißen“.

Eine Exil-Journalistin berichtete in Brüssel, nur noch wenige Untergrundzeitungen in Weißrussland wagten es, andere Nachrichten zu verbreiten als die gleichgeschalteten Massenmedien. Lukaschenka setze Kritik an seinem Regierungsstil mit Aufrührerei und Terrorismus gleich. Seine Geheimdienst sei mächtiger als jemals zuvor. Am 27. März verhafteten seine Agenten einige der letzten frei arbeitenden Journalisten im Land.

„Ich weiß nicht, wie es andere dort noch aushalten“, sagte Alhierd Baharewitsch, ein junger weißrussischer
Schriftsteller, der auf Einladung des Hamburgischen Landesvertretung in Brüssel aus seinen – in Weißrussland verbotenen – Büchern vorlas. „Ich habe es nicht. Ich konnte dort einfach nicht mehr atmen.“

Weißrussland grenzt an drei EU-Staaten, an Polen, Litauen und Lettland. Doch im Brüsseler Pressecorps erregte der Auftritt der weißrussischen Publizisten so gut wie keine Aufmerksamkeit. Fehlt dem Land vielleicht ein esoterisch-schillernders Exiloberhaupt? Oder ein hübscher Jedermanns-Gewissenskonflikt wie Olympia-Kommerz versus Moral?

Oder haben wir uns schlicht und einfach an ein dunkles Steinzeitregime als direkten Nachbarn gewöhnt?

 

Der Anfang vom Ende

Was hätte aus der Europäischen Union nicht noch werden können. Die Erfüllung von Kants Ewigem Frieden auf Erden. Eine Fackel der Vernunft und der Menschlichkeit in einer wölfischen, hobbesianischen Restwelt. Über ein halbes Jahrhundert glaubten wir uns auf einem guten Weg, schien manchem dieses Europa schon ein Beispiel für die erfolgreiche Selbstzähmung des Menschengeschlechts.

Und plötzlich soll das alles vorbei sein.

Die EU könne sich den „Fakten des modernen Lebens“ nicht verschließen, rechtfertigte sich die Brüsseler Medienkommissarin Viviane Reding. Deswegen soll (ja müsse, quasi) künftig in Flugzeugen jeder sein Handy benutzen dürfen. Vermittels einer im Flugzeug eingebauten Antenne können wir demnächst zwischen Bordmenü und Spielfilm alle munter gen Erde quasseln, simsen, surfen.

Ob sich Europa den Fakten des modernen Lebens tatsächlich nicht verschließen kann, sei jetzt einmal dahingestellt. Was es jedenfalls nicht muss, ist, schlechtes Benehmen als unvermeidbare Nebenwirkung der postindustriellen Informationsgesellschaft zuzulassen.

Wir Europäer haben in den vergangenen sechzig Jahren gelernt, Kriege sein zu lassen, mit dem Rauchen aufzuhören, CO2 zu sparen und uns auch sonst wie einigermaßen erwachsene Menschen zu benehmen. Im Interesse eines weiterhin gedeihlichen Miteinanders sollte es den Bürgern dieses Kontinents da zuzumuten sein, auf andere ähnlich überflüssige Störungen unserer Umwelt ebenso zu verzichten. „HALLO? IM FLUGZEUG! JA! IM FLUUUGZEUG!“ – Sind das die Notwendigkeiten der Moderne, die Frau Reding meint?

Über den Wolken fängt es an. Was erlauben sich (und uns) diese Brüsseler Bürokraten als nächstes? Noch billigere Ferienflieger? Noch billigere Handygespräche? Herr im Himmel! Es ist diese Art von Normenerosion, die schon ganz andere Imperien zu Fall gebracht hat.

 

„Endlich Freiheit”

Zum Abschied gab’s Applaus von den versammelten Journalisten im Theatersaal des Bukarester Parlamentspalastes. Ja, ein bisschen professionelle Wehmut schien diesem Präsidenten fast hinterher zu wehen, als er von der Bühne abtrat. Schließlich war Wladimir Putin während seiner zehnjährigen Amtszeit immer für eine dramatische Schlagzeile gut.

Nur heute nicht.

Wladimir Putin gab bei seinem letzten großen Auftritt vor der Weltpresse ganz den Versöhner. “Es gibt keine ethischen Trennlinien in Europa”, sagte der russische Präsident, der Anfang Mai sein Amt an den Nachfolger Dimitri Medwedew übergibt. “Wirklich nichts, was uns trennt.”

Das vielleicht am häufigsten gebrauchte Wort in seiner Rede lautete “Partner”. Freundlich und konstruktiv habe er mit seinen “Partnern” von der Nato geredet. Er freue sich auf das morgige Treffen mit seinen amerikanischen Partnern (George W. Bush wird mit Putin in Sotschi zusammenkommen, um über Großthemen zu sprechen, für die beim Nato-Gipfel keine Zeit war). Er sprach von seinen iranischen “Partnern”, die nun einmal das “legitime Recht auf die Entwicklung ziviler Kernenergie” hätten. Und er stellte klar, dass ohne den Partner Russland auch für die Nato wenig liefe. Sowohl im Kampf gegen Proliferation und Terrorismus wie auch bei der Mission in Afghanistan sei der Westen auf sein Land angewiesen.

“Deswegen kooperieren wir mit der Nato.”

Kein Wutausbruch über die Nato-Perspektive, die das Bündnis der Ukraine und Georgien am Abend zuvor ausgesprochen hatte. Lediglich sein – abstraktes – Mantra gegenüber einer Nato, die noch immer keine klare Zukunftsaufgabe definiert habe, wiederholte der Präsident: „Das Erscheinen eines mächtigen Militärbündnisses an Russlands Grenze würde als direkte Bedrohung betrachtet“, sagte er.

Doch je konkreter Putin wurde, desto diplomatischer erschienen seine Positionen. So zeigte er sich über den gestrigen Beschluss der Allianz, die amerikanischen Pläne für Raketenabwehrstellungen in Osteuropa zu unterstützen, nicht einmal mehr irritiert. Vielmehr sprach er offen von möglichen Kooperationen auch auf diesem Gebiet. Für das Missile Defense-Programm, erklärte der Präsident, müsse als Nächstes einmal eine gemeinsame Bedrohungsanalyse erarbeitet werden. Er stelle sich dabei vor, die Befehlsstrukturen “demokratisch” zu gestalten. So könne das System womöglich aus zwei Hauptquartieren gesteuert werden, “eines in Moskau, eines in Brüssel.”

Kein Wort mehr von der angeblichen Bedrohung, die die Raketenabwehr für Russlands Nuklearpotenzial darstelle. Über die vermeintlich kräfteverzerrende Wirkung des ABM-Systems hatte sich Putin noch bei seinem legendären Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 in einer Weise erzürnt, die manchen Beobachter an einen neuen Kalten Krieg zwischen Russland und der Nato glauben ließ.

Überhaupt, München. Es sei doch alles nicht so ernst zu nehmen gewesen, was er dort gesagt habe, stellte der Kreml-Chef klar.

“In München habe ich auf einer internationalen Konferenz gesprochen, deren Format einen bestimmten, wenn Sie so wollen, polemischen Ton erforderte, und die es mir erlaubte, sehr frei zu reden”, antwortete Putin auf die Frage eines Journalisten, ob er sich hinter den Kulissen des Bukarester Gipfels ähnlich erregt habe wie damals. Neinnein, so Putin, warum denn?

Um allerdings hinzuzufügen:

“Diese (Münchner) Konferenz hat uns vorangebracht.” Russland werde endlich wieder als Global Player ernstgenommen, sollte das heißen.

“Heute sind wir in einer völlig anderen Situation als damals”, so Putin über die Stimmung nach dem Gewitter. Die Stimmung habe sich gewandelt.

Bei aller altersmilder Rhetorik offenbarte Putin dennoch große Empfindlichkeit angesichts des aus seiner Sicht noch immer wachsenden Machtungleichgewichts, das zwischen der Nato und Russland herrsche. Auf die Frage, warum er Angst habe, wenn sich die Nato als Gemeinschaft demokratischer Staaten bis an die Grenzen seines Landes erstrecke, antwortete er ein wenig angespannt:

“Die Nato ist kein Demokratisierungsapparat! Erweiterungen lösen nicht automatisch Probleme.” Litauen etwa sei bis heute kein demokratischer Staat. Dort würden noch immer Tausende von Russen diskriminiert.

Als ungerecht bezeichnete Putin es auch, dass insbesondere die Baltenstaaten die erneuerte Fassung des Vertrages über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) noch immer nicht ratifiziert haben.

Ziel des KSE-Regimes ist es, das Arsenal bestimmter schwerer Waffen von den ehemaligen Flanken zwischen Nato- und Warschau-Pakt-Gebieten zu verbannen. Die Nato-Staaten lehnen eine Ratifizierung des Abkommens von 1999 seit dem Jahr 2000 ab. Nach Russlands Einmarsch in Tschetschenien fürchteten sie weitere militärische Ausfallschritte gegen abtrünnige Republiken und verlangten deshalb, dass Russland zunächst seine Truppen aus Georgien und Moldawien abzieht. Dieser Stillstand hält bis heute an.

“Wir sind das einzige Land, das den KSE-Vertrag umgesetzt hat”, sagte Putin ein wenig erregt. “Der Westen dagegen verlegt weitere Truppen an unsere Grenzen.” Im Dezember 2007 setzte Moskau den KSE-Vertrag aus. Jetzt, sagte Putin, sei erst einmal der Westen an der Reihe.

Doch mit diesem Konflikt muss sich nun bald Putins Nachfolger herumschlagen. Er sei froh, aus dem Amt zu scheiden, antwortete der Präsident auf die abschließende Frage einer Journalistin. “Ich freue mich, die Bürde des Amtes auf die Schultern meines Nachfolgers zu legen”, bekannte er mit freundlicher Miene. “Das bedeutet für mich nach zehnjähriger Präsidentschaft endlich die langerwartete Freiheit.”

Wenn das einmal für alle Russen gölte.

 

Koloss Demos

Wenn Rumäniens Diktator Nicolai Ceausescu das noch erlebt hätte, er wäre wahrscheinlich gestorben vor Zorn. Von den Säulenwänden seines „Haus des Volkes“ mitten in Bukarest hängen blaue Nato-Banner mit dem Logo des Gipfeltreffens. Riesige Tücher sind es, fast als habe Christo soeben mit der Verpackung des monströsen Gebäudes begonnen. Weithin sichtbar künden sie von der Zusammenkunft der 26 Staats- und Regierungschefs des einstigen Feindbündnisses Nato.

Schwierig, sich eine eindrucksvollere historische Zweckentfremdung eines politischen Monuments vorzustellen.

12 Stockwerke hoch, noch einmal so viele tief und 270 Meter lang, sollte der Volkspalast, ein neoklassischer Marmorgigant, von der Überlegenheit der Sozialismus kündigen. Stattdessen ist er steinernes Zeugnis des real existierenden Größenwahns jenes wohl repressivsten kommunistischen Regimes Europas geblieben. Der Palast sei, gleich nach dem Pentagon, das zweitgrößte Gebäude der Welt, wird desöfteren kolportiert. Das mag stimmen oder auch nicht. In der Liga der zynischen Bauten des Planeten dürfte er jedenfalls einen der vordersten Plätze einnehmen.

Ceaucescu ließ 1984 mit den Bauarbeiten beginnen, während viele Rumänien unter bitterer Armut, winterlicher Kälte und manchmal gar Hunger litten. Einen Mitarbeiterin des rumänischen Außenministeriums, Mitte Dreißig, die half, den Nato-Gipfel vorzubereiten, berichtet aus ihrer Schulzeit in den 80ern: „Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich im Winter im Klassenzimmer, wenn ich die Tafel wischen sollte, erst einmal die Eisdecke im Wassereimer durchschlagen musste. In dieser Kälte saßen wir den ganzen Tag in der Schule.“

In seine gigantomanische Wärmestube zog der Diktator Ceaucescu niemals ein. Kurz vor der Fertigstellung, im Revolutionsjahr 1989, wurden er und seine beim Volk noch verhasstere Frau nach einem Schnellverfahren exekutiert.

Dafür geben sich in dieser Woche nun gleich zwei Großmacht-Präsidenten eben dort die Klinke in die Hand. Sowohl George W. Bush wie auch Wladimir Putin werden bei dem Treffen im heutigen Bukarester Parlamentspalast ihre sicherheitspolitischen Vermächtnisse hinterlassen – der eine als mächtigster Förderer, der andere als lautester Herausforderer der Nato.

Fast möchte man den Bukarestern dafür danken, dass sie den Palast nicht, wie von einigen 89er-Revolutionären damals gefordert, mit ein paar Tonnen Dynamit pulverisierten, sondern ihn in seinem ganzen Gepränge fertig stellten und später sowohl für ihre Volksvertreter wie für internationale Konferenzen öffneten. Denn für die Gelegenheit dieser Woche, für das Aufeinandertreffen von neokonservativer und neozaristischer Hybris, ließe sich kaum eine sprechendere Kulisse finden. Ob sich Bush und Putin von der Architektur mahnen lassen? Immerhin, der Megabau steht heute eindrucksvoll für die Macht des Demos, der Bevölkerung. Die Umwidmung des Kolosses durch die Rumänen in einen wahren Palast des Volkes macht ihn, neben seinem Charakter als geschichtlichem Mahnmal, zugleich zu einer Trutzburg der Souveränität.

Ob sich dort drin nicht auch die Größten ein wenig kleiner fühlen?

Russlands Vertreter bei der Nato-Tagung wissen offenbar nicht recht, was sie empfinden sollen nach den Beschlüssen, die ihnen das Bündnis ein wenig weiter auf den Leib rücken lässt. Die für Georgien und die Ukraine in Aussicht gestellte Mitgliedschaft in der Nato hält Moskau laut offizieller Stellungnahme für einen „riesigen strategischen Fehler“. Etwas versöhnlicher äußerte sich der russische Nato-Botschafter Dimitri Rogosin gegenüber der Tageszeitung Kommersant:

„Es ist klar, dass Russland Ansichten Gehör fanden“, sagt er, „obwohl sie nicht das einzíge waren, was eine Rolle spielte.“

Dass einer der nächsten Nato-Gipfel im Kreml stattfindet, scheint nach Ansicht der Mehrheit der hiesigen Beobachter dennoch unwahrscheinlich.

 

Schlappe für Bush? Von wegen

Wie schnell sich Deutschlands öffentliche Meinung doch nach bekannten Mustern formt. George W. Bush ist also der große Verlierer des Nato-Gipfels. Trotzig wie ein Kind sei er gegen den erklärten Widerstand der Europäer angerannt mit seinem Wunsch, die Ukraine und Georgien in die Nato aufzunehmen. Und habe sich zum Ausstand von der Allianz eine bittere Schlappe eingefangen.

So weit, so oberflächlich.

Tatsächlich hat Bush mehr von seiner Position durchsetzen können als die Deutschen von ihrer. Das Ziel der Amerikaner war es nie, die Ukraine und Georgien schon morgen in die Nato aufzunehmen. Sie drängten vielmehr darauf, die beiden Staaten in den Membership Action Plan (MAP) aufzunehmen, in eine intensive Dialog- und Kooperationsphase, an deren Ende irgendwann die Mitgliedschaft stehen könnte. Dieser Prozess kann viele Jahre dauern.

Ziemlich genau das hat der Nato-Gipfel nun auch beschlossen. Nur, dass das Kind nicht so heißt. Zu sehr hätte man mit einem offiziellen MAP das ohnehin gekränkte Russland vergrätzt, lautete die deutsche Sorge. Offiziell berief sich die Bundesregierung darauf, in Georgien bestünden noch zwei ungelöste Regionalkonflikte, mit Abchasien und Südossetien. Und die Ukraine sei in der Frage der Nato-Mitgliedschaft tief gespalten, man dürfe der Bevölkerung keinen fremden Willen aufdrängen. Das Problem ungelöster Regionalkonflikte galt allerdings 1999, als Mazedonien in den MAP aufgenommen wurde, nicht. Der Staat, ein Zerfallsprodukt des ehemaligen Jugoslawiens war damals noch politisch zerrissen und stand kurz vorm Bürgerkrieg. Und wäre es nach dem Willen der Deutschen gegangen, dann wäre die Bundesrepublik 1955 wohl kaum der Nato beigetreten. Schließlich galt es als Zweck der Bündnisses „To keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down“. Adenauer setzte die Mitgliedschaft trotzdem durch – mit keineswegs unwillkommenen Folgen.

Und nun? Was ist das Resultat von Bukarest?

Russland ist natürlich auch so vergrätzt. Denn die Nato hat genau das getan, was Moskau befürchtet hat: Sie hat der Ukraine und Georgien eine klare Beitrittsperspektive gegeben. In dem Kommuniqué, das die 26 Staatschefs unterzeichneten, heißt es „dass beide Länder einmal Mitglieder der Nato werden“. (Org.: We agreed today that these countries will become members of NATO.*) Das ist MAP ohne es MAP zu nennen – bloß mit negativen diplomatischen Folgen.
„Sie können sich vorstellen, dass das nicht die Formulierung ist, die wir uns gewünscht haben“, sagt ein deutscher Diplomat unter Hinweis auf den starken amerikanischen Einfluss in den Beratungen. Immerhin sei es aber gelungen, das „Symbol“ des MAP nicht auszusenden. Dies sei das Ziel Deutschlands gewesen.

Doch um welchen Preis hat Deutschland dieses Ziel erreicht? Es hat dafür ein großes Stück seiner moralischen Glaubwürdigkeit drangegeben, glaubt der Kommentator der International Herald Tribune, John Vinocur:
„Von Angela Merkel nahm man lange an, sie sei in der Lage, einer anti-demokratischen Macht strategische Symbole vorzuenthalten. Was sich stattdessen durchsetzte, waren Deutschlands Wirtschaftsinteressen, privilegierte Deals und der Wunsch der Kanzlerin angesichts der Wahlen im kommenden Jahr nicht die Vorstellung einiger ihrer sozialdemokratischen Koalitionspartner in Zweifel zu ziehen, wonach der beste Platz für Deutschland in einer Äquidistanz zwischen den Vereinigten Staaten und Russland besteht.“

Zudem ist dieser „Erfolg“ allenfalls taktisch. Schon im Dezember sollen die Nato-Außenminister nun erneut über den Status von Georgien und der Ukraine beraten. Laut Beschluss des Gipfels sind sie ermächtigt, über die Anwendung von MAP gegenüber den beiden Aspiranten zu entscheiden („Foreign Ministers have the authority to decide on the MAP applications of Ukraine and Georgia.„).

Regelrecht peinlich für die europäische Diplomatie ist zudem, dass es ihr nicht gelungen ist, im Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien einen Kompromiss auszuhandeln. Aus kleinkarierten Gründen wollte Athen nicht, dass der Nachbarstaat unter seinem längst gewohnheitsmäßig gebrauchten Namen, sprich: Mazedonien der Allianz beitritt. Denn eine nordgriechische Provinz heißt genauso. Nun muss das Land tatsächlich draußen bleiben, während Kroatien und Albanien eine Beitrittseinladung in die Nato erhielten. So viel zum Konsenskünstler Europa.

Einen völlig ungeahnten Sieg konnte George W. Bush derweil bei seinen Plänen eines Raketenabwehrsystems in Europa erzielen. Die Nato-Staatschefs haben sich darauf geeinigt, das US-System zu befürworten, das eine Radarstation in Tschechien und eine Abfangstellung mit 10 Interzeptor-Raketen in Polen vorsieht. „Wir erkennen den wesentlichen Beitrag für den Schutz der Verbündeten von Langstreckenraketen an, den die geplante Errichtung von Europa-basierten US-Anti-Raketenstellungen bietet“, heißt es in dem Abschlusskommuniqué.**

Das Zustandekommen dieser Erklärung muss die Deutschen nicht nur überraschen (vor dem Gipfel gingen sie davon aus, die Missile Defense würde allenfalls am Rande angesprochen), es ist aus ihrer Sicht auch eine mittelschwere Katastrophe. Bisher hatte sich Berlin – ebenfalls aus Rücksicht auf Russland – erfolgreich um eine klare Haltung zur Raketenabwehr herumgedrückt. Immerhin wird in dem Kommuniqué betont, dass es sich vorerst weiter um ein US-, kein Nato-System handeln solle. Ansonsten müsste Deutschland, wie es einer seiner Vertreter in Bukarest formuliert, „wahrscheinlich 20 Cent zu jeden Euro beisteuern, der dafür ausgegeben wird.“

Indes werden Angela Merkels Diplomaten sämtliche Energien aufbieten müssen, um die Errichtung des Systems für Russland verdaulich zu gestalten. Bisher hatte Putin das Missile Defense Programme, das gegen Langstreckenraketen aus Iran installiert werden soll, wider alle technischen Fakten zu einer Bedrohung für sein Nuklearraketenpotenzial aufgeblasen.

Erhellend waren in diesem Zusammenhang die Äußerungen, die der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Duma, Konstantin Kosachev, am Rande des Gipfels auf einer begleitenden Konferenz machte. Russland habe eigentlich gar nichts gegen die Raketenabwehr, bekannte er nach einigen Nachfragen. Es wolle nur gerne als ernst zu nehmender Partner eingebunden werden.

„15 oder 20 Abfangraketen in Polen stellen keine ernsthafte Bedrohung für Russlands Raketenpotenzial dar, natürlich“, sagte Kosachev auf einem Plenum des German Marshall Funds. „Russland und Europa teilen dieselbe Bedrohung“, ergänzte er mit Blick auf das iranische Raketenprogramm. Doch gegenüber dem nato-fixierten Europa habe Russland schlicht mit der Brechstange auf sich aufmerksam machen müssen.

„Der höfliche Ton gegenüber der Nato hat uns zehn Jahre lang nicht weitergebracht“, sagte Kosachev. Russland werde erst wieder wahrgenommen, seit Wladimir Putin auf der Müncher Sicherheitskonferent 2007 den Westen in rüdem Ton angegriffen habe. „Jetzt hört man uns zu!“, rief Kosachev. Er hoffe nun, dass George W. Bush und Wladimir Putin bei ihrem anstehenden Treffen in Sotschi zu einer Lösung für den Raketenschild kämen.

Ein Vertreter der Bundesregierung sagte der ZEIT dazu, damit biete sich die Chance, „aus der Missile Defense ein konstruktives Großprojekt für die USA, Europa und die Nato zu machen“ – mit Hilfe starker deutscher Vermittlung. Ein Vertreter der US-Regierung sagte der ZEIT, denkbar sei es, die Installationen des Raketenschildes in ähnlicher Weise überwachen zu lassen, wie es die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) bei Nuklearanlagen tue, sprich mithilfe von Kameras und Sensoren.

Voraussetzung dafür wäre freilich, dass Wladimir Putin bei seinem mit Spannung erwarteten Auftritt in Bukarest nun nicht noch antiwestlichere Laune demonstriert als seinerzeit in München.

Aber das wäre dann selbstverständlich wieder die Schuld von George W. Bush.

* Die vollständigen entsprechenden Passagen in der Abschlusserklärung der Staatschefs lauten:

NATO welcomes Ukraine’s and Georgia’s Euro‑Atlantic aspirations for membership in NATO. We agreed today that these countries will become members of NATO. Both nations have made valuable contributions to Alliance operations. We welcome the democratic reforms in Ukraine and Georgia and look forward to free and fair parliamentary elections in Georgia in May. MAP is the next step for Ukraine and Georgia on their direct way to membership. Today we make clear that we support these countries’ applications for MAP. Therefore we will now begin a period of intensive engagement with both at a high political level to address the questions still outstanding pertaining to their MAP applications. We have asked Foreign Ministers to make a first assessment of progress at their December 2008 meeting. Foreign Ministers have the authority to decide on the MAP applications of Ukraine and Georgia.

(…)

Ballistic missile proliferation poses an increasing threat to Allies’ forces, territory and populations. Missile defence forms part of a broader response to counter this threat. We therefore recognise the substantial contribution to the protection of Allies from long‑range ballistic missiles to be provided by the planned deployment of European‑based United States missile defence assets. We are exploring ways to link this capability with current NATO missile defence efforts as a way to ensure that it would be an integral part of any future NATO‑wide missile defence architecture. Bearing in mind the principle of the indivisibility of Allied security as well as NATO solidarity, we task the Council in Permanent Session to develop options for a comprehensive missile defence architecture to extend coverage to all Allied territory and populations not otherwise covered by the United States system for review at our 2009 Summit, to inform any future political decision.

We also commend the work already underway to strengthen NATO‑Russia missile defence cooperation. We are committed to maximum transparency and reciprocal confidence building measures to allay any concerns. We encourage the Russian Federation to take advantage of United States missile defence cooperation proposals and we are ready to explore the potential for linking United States, NATO and Russian missile defence systems at an appropriate time.

 

“Wir schätzen Mut”

Schneidende Worte hat George W. Bush für seinen letzten Nato-Gipfel gewählt. In Bukarest trat er vor dem offiziellen Beginn des großen Allianztreffens vor kleinem, zumeist pro-atlantisch gesinntem Publikum ans Rednerpult. Wie erwartet, gab der amerikanische Präsident in Kurzform sein sicherheitspolitisches Vermächtnis zu Protokoll.

Es kulminierte in einem Bekenntnis, das die einen Verbündeten als Liebeserklärung begreifen durften. Gewisse andere liegen sicher nicht falsch, wenn sie es als endgültigen Ausdruck tief empfundener Bedeutungslosigkeit werten.

“Wir schätzen Mut”, bekannte Bush über die Washingtoner Weltsicht. “Wir schätzen Völker, die die Freiheit lieben. Und wir schätzen Menschen, die glauben, dass Freiheit zu Sicherheit führt.”

Dafür erntete der scheidende US-Präsident donnernden Applaus vor allem von den jungen Rumänen, die für den Vortrag ausgewählt und in den ersten Reihen platziert worden waren. Für viele Osteuropäer ist Amerika noch immer die Macht des anti-totalitären Guten, weshalb das entschlossene Engagement rumänischer Soldaten im Irak und Afghanistan an der Seite der US-Truppen deshalb unangezweifelt bleibt.

Den wenigen Vertretern Deutschlands im Saal hingegen fiel es sichtlich schwer, sich zum Beifall ebenfalls von ihren Stühlen zu erheben. Zu belastet ist das Verhältnis zu diesem weltenbrennerischen Neocon noch immer. Und zu sehr begreift manch Germane Bushs Worte als Anspielung auf ein Deutschland, dass hier in Bukarest schon im Vorfeld des eigentlichen Gipfels als lästiger Bedenkenträger und Entscheidungsbremser abgestempelt ist.

“Schon verstanden”, knurrte ein deutscher Regierungsvertreter auf dem Weg nach draußen.

Wirklich?

Was sich in Bukarest abzeichnet, ist – Bushs Abschied von der Weltbühne hin oder her – eine Neukalibrierung des westlichen Verteidigungsbündnisses. Deutschland droht, dabei in die Riege der unsicheren und deshalb unwichtigen Kantonisten abzusteigen.

Aller Voraussicht nach werden die 26 Staats- und Regierungschefs der Nato am Donnerstag die drei Balkanstaaten Kroatien, Mazedonien und Albanien als Neumitglieder ins Bündnis aufnehmen. Schon diese Erweiterung war für Deutschland schwer zu schlucken. Albanien, so ist aus Diplomatenkreisen zu vernehmen, sei aus Berliner Sicht für eine Nato-Mitgliedschaft eigentlich noch nicht reif.

Doch nun drängt die scheidende US-Regierung auch noch, Georgien und Ukraine einen Fahrplan für die Mitgliedschaft anzubieten. Deutschland ist zwar nur einer von mehreren europäischen Staaten, die diesen Schritt für verfrüht halten. Dennoch trifft die Deutschen in Bukarest die geballte Wut vieler Georgier, Osteuropäer und Amerikaner.

Der Grund dafür liegt nicht allein im Nein zu einer eurasischen Nato-Ausdehnung. Die vielen Neins und Jeins der Deutschen zu wichtigen Nato-Projekten addieren sich vielmehr allmählich zu einer Haltung, die von vielen Verbündeten als – freundlich ausgedrückt – verwunderlich begriffen wird. Oder, unfreundlicher: als schleichender Abschied Deutschlands aus den Kernstaaten der Allianz.

Das zweite und dritte Nein der Deutschen betrifft Afghanistan. Die Bundesregierung werde keine zusätzlichen Soldaten schicken, schon gar keine in den Süden, machte die Bundeskanzlerin kürzlich unmissverständlich klar. Bush sagte darauf hin in einem Interview mit der WELT, er werde von Deutschland keine Entscheidungen mehr fordern, die politisch unmöglich seien. Mit anderen Worten: Er schreibt die Germanen ab.

Auch an den weitreichenden Einsatzbeschränkungen für seine Truppen am Hindukusch will Deutschland nicht rütteln – obwohl der Nato-Generalsekretär ohne Unterlass die Abschaffung aller nationalen “caveats” fordert.

Ein klares Jein ringen sich die Deutschen zu den Raketenabwehrplänen ab, mit denen die USA Langstreckenraketen aus dem Iran abfangen wollen. Hier bestehe noch Prüfungsbedarf, wiederholen deutsche Diplomaten immer wieder gebetsmühlenhaft.

Ein weiteres Nichts ist aus Angela Merkels Ankündigung geworden, die Nato wieder zur wichtigsten Plattform für transatlantische Beratungen zu machen. Tatsächlich sind die Tagungen rund um den Bukarester Gipfel zwar von der ersten Regierungsriege vieler Nato-Partner besetzt. Die Bundesregierung hingegen hat es nicht geschafft, prominente Botschafter auf die wichtigen Plenen zu entsenden. “Dramatisch” nennt ein amerikanischer Beobachter die dünne deutsche Beteiligung an den Strategiedebatten.

Nicht nur den Amerikanern, auch den Osteuropäern drängt sich bei all dem der Eindruck auf, Deutschland leide unter einer geopolitischen Kompassstörung. Statt klarer Solidarität mit der Nato sei es Berlins erste Sorge, Moskau nicht zu vergrätzen. Ein Vertreter Georgiens sprach gar von deutschem “Appeasement” gegenüber Wladimir Putin.

Das mag überzogen sein. Aber das Label haftet. Deutschland, so viel ist sicher, gilt nicht länger als wichtigster transatlantischer Brückenpfeiler auf dem europäischen Kontinent. Für diese Aufgabe steht mittlerweile ein anderer bereit. Frankreichs Präsident Sarkozy wartet nur darauf, die Rochade zu vollenden, die Deutschland so sichtbar in Bukarest eingeleitet hat.

 

Die unerträgliche Leichtigkeit des EU-Parlamentarierdaseins

Man kann Elmar Broks Vorschlag zum Olympiastreit abwegig finden, aber er ist wenigstens handfest. Der Europaabgeordnete und außenpolitische Koordinator der Europäischen Volkspartei (EVP) fordert angesichts der “besorgniserregenden Situation in Tibet und angrenzenden chinesischen Provinzen”, die Olympischen Spiele in Zukunft nur noch in ihrem Mutterland Griechenland abzuhalten.

Seit 1936, so erinnert der CDU-Mann Brok, würden die Spiele immer wieder zu propagandistischen Zwecken missbraucht. “Damit wäre dann ein für allemal Schluss.”

Über Broks Initiative hinaus enthielt die heutige Debatte im Europäischen Parlament über die Lage in Tibet zwar eine Menge weiteren Klartext. Doch mit welcher Wirkung?

„Es ist eine Tatsache, dass China beim Minderheitenschutz und bei den Menschenrechten internationalen Standards nicht genügt”, sagte der EVP-(CDU)-Abgeordnete Thomas Mann. “Daran hat leider auch die Vergabe der Olympischen Spiele nach Peking, anders als ursprünglich beabsichtigt, nichts geändert.“

Was in Tibet geschehe, sei “kultureller Genozid”, so Mann.

„Wir haben deshalb die EU-Kommission in einem ersten Schritt ersucht, eine internationale Beobachtermission nach Tibet zu entsenden. Für den Fall, dass die Zentralregierung in Peking nicht nachgibt, sollten alle weiteren Möglichkeiten geprüft werden, angefangen von Protesten im Rahmen der Olympiade bis hin zu politischen und wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen als letztem Mittel.“

Die Grünen schlugen vor, darüber nachzudenken, dass an der Eröffnungsfeier der Spiele weder europäische Staatschefs noch Athleten oder Journalisten teilnehmen sollten.
Die Europäische Union sollte gar einen Boykott der Olympischen Spiele nicht ausschließen, sagt der SPD-Politiker Jo Leinen.

Das mag ja alles aufrechte Empörung sein. Aber wie kommt es bloß, dass diese spitzen Töne aus Brüssel zugleich etwas wohlfeil wirken? Dass die Politiker hier auf viel entschlossenere Weise nach Boykott und Sanktionen rufen als ihre Parteigenossen in den nationalen Parlamenten oder Regierungen?

Die Antwort ist ein bisschen traurig: Es liegt wahrscheinlich auch daran, dass die Europaparlamentarier wissen, dass ihre Forderungen ohnehin niemand richtig ernst nimmt. Das Europäische Parlament ist nicht in der Lage, Druck auf irgendeine Regierung auszuüben, denn keine Regierung ist von seiner Unterstützung abhängig.

Sicher, die Europaparlamentarier können an die EU-Kommission appellieren und auf ihren Kurs Einfluss nehmen (was viele EP-Abgeordnete mit großem Sachverstand tun). Aber die Kommission selbst ist eine Behörde, deren Betrieb von Beschlüssen der europäischen Regierungen vorgezeichnet wird.

So verwundert es kaum, wenn dort, eine Etage höher in der europäischen Verantwortung, der Kommissionspräsident José Manuel Barroso schon viel mildere Töne anstimmt. Die Olympischen Spiele seien keine politische Veranstaltung, sagte er, deshalb unterstütze er auch die Idee eines Boykotts nicht. (Eine gewagte logische Trennung, nebenbei bemerkt. Denn so betrachtet, dürften die Spiele auch dann stattfinden, wenn Chinas Soldaten in Tibet ein zweites Tiananmen-Massaker anrichten würden.)

Das Europäische Parlament hat es so leicht, als moralisches Schwergewicht aufzutreten, weil es politisch de facto machtlos ist. Es ist die Soft Power der Soft Power, und dieses personifizierte Gewissen Europas ist deshalb so rein, weil es sich mit Taten gar nicht erst belasten kann.

Das nimmt der Erregung der Europa-Politiker nicht die Ehrlichkeit. Aber unehrlich ist es auch nicht zu sagen, dass der Wortdampf aus Brüssel doch sehr an ein Parfüm erinnert. Schön ist er, aber ätherisch.

 

Biedermann oder Brandstifter?

In Brüssel beginnt das Rennen um den neuen Chefposten der EU. Deutschland und Frankreich setzen auf zwei sehr unterschiedliche Kandidaten: Tony Blair und Jean-Claude Juncker

Der historische Zufall könnte es wollen, dass im Januar 2009 gleich zwei neue Führer der freien Welt in ihren Ämtern vereidigt werden. Ein Präsident in Washington, Amerika. Und einer in Brüssel, Europa. Falls der Vertrag von Lissabon (ehemals „Europäische Verfassung“) in allen 27 Mitgliedstaaten pünktlich abgesegnet wird, bekommt die EU zu eben jenem Datum ihre lang erwarteten, neuen Superposten:

Einen Präsidenten des Rates und einen Außenminister (der freilich nicht so heißen darf). Das Präsidentenamt wird der mächtigste Job sein, den die EU je zu vergeben hatte. Sein Inhaber wird nicht mehr bloß – wie bisher – für sechs Monate den Zeremonienmeister für die Treffen der EU-Regierungen geben. Er (oder sie) soll stattdessen zweieinhalb Jahre lang die Tagesordnung der Union bestimmen und den Kontinent nach Außen vertreten.

Und? Wo bleiben die Vorwahlen? Richtig vermutet. Wer am Ende auf dem europäischen Chefsessel Platz nimmt, wird nicht öffentlich ausgehandelt, sondern hinter den Kulissen der Regierungszentralen. Zählen lassen sich immerhin schon so manche Ausschläge in Europas Hauptstädten, vor allem in Paris und Berlin. Sie deuten – neben anderen Namen – vor allem auf zwei Kandidaten hin. Deren Profile könnten allerdings unversöhnlicher kaum sein. Sie heißen Tony Blair und Jean-Claude Juncker.

Als entschlossener Verfechter des ehemaligen britischen Premierministers gilt Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy. Erst lud er Blair auf den Parteikongress seiner UMP ein, wo der Brite Mitte Januar eine programmatische Europarede hielt. Und wie zum Schulterklopfen bemerkte Sarkozy wenig später: „Wenn wir den Präsidenten der Europäischen Union ernennen, sollten wir die Hürden hoch legen und uns nicht nach den kleinsten gemeinsamen Nenner umsehen.“

Genau den aber hat offenbar Angela Merkel im Sinn. Das Kanzleramt lässt diskret durchblicken, Deutschlands Wunschkandidat für das Spitzenamt sei der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker. Von Sarkozys Vorstoß, so ließen Merkels Getreue durchsickern, sei die Kanzlerin „überrascht“ gewesen.

Mr. Maastricht gegen Mr. Golfkrieg – ist da die Wahl nicht klar? Nein

Ginge es allein um historische Verdienste für Europa, die Wahl dürfte wohl klar sein zwischen Mr. Maastricht und Mr. Golfkrieg, zwischen Mr. Euro und Mr. Brüsselrabatt. Aber: Geht es bei dieser Wahl um Kontinuität – oder nicht eher um Aufbruch? Geht es darum, den Kandidaten mit dem Posten belohnen? Oder nicht vielmehr darum, den Posten mit dem Kandidaten aufzuwerten? Historie und Zuschnitt des Präsidenten-Amtes sprechen eher für Letzteres. Ein Hauptziel des Lissabon-Vertrages soll es, sein Europa mehr Gesicht, Stimme und Gewicht in der Welt zu verschaffen. Gemessen an diesem Zweck dürfte die bisherige Binnenbilanz des Kandidaten nicht unbedingt ausschlaggebend sein. Zwar ist Juncker schon heute so schwer mit EU-Orden aller Art behängt, dass man ihn getrost zum Ehrenpräsidenten ernennen könnte. Doch in der Außenwirkung bleibt er weit hinter dem Weltpolitiker Blair zurück.

Die Stimmung im Bauch von Brüssel indes reicht von latenter bis aggressiver Anglophobie. Auf den Empfängen der EU-Hauptstadt ist derzeit kaum ein Politiker oder Funktionär zu treffen, der nicht vor Ekel seinen Rotwein verschütten würde, sobald er „Blair“ hört. Ein Lügner und Kriegstreiber an der Spitze der Europäischen Union? Ein dieser unsolidarischen Briten ausgerechnet? Das Europäische Parlament schaudert’s quer durch die Fraktionsbänke. „Blair hat sich in Wort und Tat gegen eine Vertiefung der EU engagiert“, richtet der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe Werner Langen. „Ihm fehlt schlicht und einfach die europäische Integrationskraft für diese neue EU-Führungsposition.“

Die geballte Abscheu gegen Tony, den Ami-Pudel, lässt sich auf der Internetnetseite stopblair.eu nachlesen, wo „europäische Bürger jeglicher Herkunft“ zum „Widerstand“ gegen den Ex-Premier aufrufen. Er sei ein „Komplize“ bei George Bushs menschenverachtender Terroristenjagd; er erkenne die Grundrechtecharta für Europa nicht an; er blockiere die gemeinsame Sozial-, Steuer und Außenpolitik der Union. Großbritannien sei weder Teil des Euro- noch des Schengenraums. All dies stehe in „krassen Widerspruch zu den Werten des europäischen Projekts“. Bis Mitte März hatten über 25 000 Personen die Online-„Petition“ gegen den Briten unterzeichnet.

Ein Gutteil dieser Empörung dürfte freilich aus Enttäuschung geboren sein. Wie kein anderer Premier seit Churchill war Blair 1997 mit dem Versprechen angetreten, die Insel fester an Europa zu vertäuen und der Währungsunion beizutreten. Daraus ist nichts geworden, Großbritannien blieb bei seinen „opt outs“, seinen Vorbehalten gegenüber tieferer EU-Integration.

Juncker mag in der EU ein Schwergewicht sein. In der Welt ist er ein Nobody

Jean Claude-Junker dagegen verkörpert wie kaum ein anderer den ungebrochenen Anspruch vom einigen, friedensstiftenden Staatenbund. Der 54-jährige polyglotte Christdemokrat ist der am längsten amtierende Regierungschef der Europäischen Union, er wirkte federführend am Maastricht-Vertrag mit, war Chef der Euro-Gruppe und lenkte schon zwei EU-Ratspräsidentschaften. Die „europäische Methode“ nennt er „den politischen Willen zu Kompromisslösungen.“ Seiner Chancen auf das Spitzenamt scheint sich Juncker schon ziemlich sicher zu sein. «Ich kann mich der Zärtlichkeiten zur Zeit kaum erwehren», sagte er vergangene Woche in Brüssel. Er schließe nicht aus, den Posten zu übernehmen – vorausgesetzt, er könne dann mehr sein als ein „Grüßaugust“.
Aber bei aller innerkontinentalen Moderationskraft verkörpert Juncker eben auch die entrückte Selbstbezogenheit des Systems Brüssel. Im europäischen Universum mag der Luxemburger ein Schwergewicht sein. In der Welt ist er ein Nobody.

Zudem hängt Juncker mit mindestens einer Hirnhälfte noch immer der Europa-Idee des 20. Jahrhunderts an. Sein Wir-Gefühl schöpft sich aus der Vergangenheit, aus seiner Kindheit in der Nachkriegszeit, an die er oft erinnert. „Manchmal denke ich mir, um den Menschen vorzuführen, was Europa ist, müsste man drei Monate lang wieder Grenzen, Grenzpfähle, Barrieren in Europa errichten, damit die Menschen merken, was Fortschritt ist“, sagte er in einer Grundsatzrede Ende 2006. Die Friedensaufgabe Europas sei „noch nicht erledigt“, glaubt er. Wohl auch deswegen unternahm Juncker 2003, im Schatten des Irakkriegs, den Versuch, zusammen mit Belgien, Deutschland und Frankreich als Gegengewicht zur angelsächsisch dominierten Nato ein eigenes europäisches Militäroberkommando in Brüssel zu installieren. Viel mehr als Mini-Planungszelle ging aus diesem „Pralinengipfel“ nicht hervor.

Mittlerweile zeigt sich Juncker zögerlich, Europa nach der Verhedderung über den Verfassungsvertrag schon bald wieder mit großen Ideen zu strapazieren. Er hält eine „Reflexionsphase“ für angemessen. Und bitte, den Menschen nicht immer Angst vor der Globalisierung machen! Europa müsse sich viel stärker um das Soziale kümmern. „Es muss wieder heimeliger werden auf diesem Kontinent“, diktierte er Handelsblatt-Reportern Ende 2005 in den Block. „Menschen brauchen Sicherheit.“

Europa muss künftig selbstbewusster auftreten

Aber ist Zurückhaltung die passende Tugend für das Europa des 21. Jahrhunderts? Immerhin muss sich Brüssel wie vielleicht nie zuvor als Krisenmanager bewähren. Zu den Herausforderungen zählen Instabilität an Europas Rändern, eine schwächelnden amerikanischen Supermacht, aufstrebende Mächte in Asien, eine Mittelmeerperipherie, die nur zu gerne an das Reich des Reichtums andocken würde, und – siehe die deutsch-französische Kontroverse um die Mittelmeerunion – ungelöste Führungsfragen in den eigenen Reihen. Hinzu kommt ein Russland, das zunehmend wie eine Imperialmacht des 19. Jahrhunderts auftritt und mit dem sich Konflikte über den Energiekorridor des Kaukasus entzünden könnten.

Nach dem Polonium-Mord an einem Kreml-Kritiker in London und der Schließung der British Council-Büros in Russland ist das Verhältnis zwischen Großbritannien und Moskau zum Zerreißen gespannt.
Die „strategische Partnerschaft“, die Deutschland mit dem Energieriesen so gerne pflegen möchte, wäre unter einem EU-Präsidenten Blair vermutlich nicht mehr ganz so störungsfrei zu haben.

Der Brite versprühte den Ehrgeiz eines Wettsprinters, als er auf Sarkozys Parteikongress – auf Französisch übrigens – seine Europavisionen ausbreitete. „Europa ist keine Frage von Links oder Rechts, sondern eine Frage von Zukunft oder Vergangenheit, von Stärke oder Schwäche“, sagt der Labour-Mann. „Es geht um Heute versus Gestern. Weniger um Politik als um eine Geisteshaltung, um Offenheit statt Geschlossenheit.“

Bei den großen Zukunftsherausforderungen scheinen sich Blair und Juncker zwar einig. Terrorismus, Einwanderungssteuerung, Klimaschutz, Energie und Bildung seien die Megathema für das kommende Jahrzehnt. Aber während sich Juncker eher als Innenarchitekt für das „Haus“ Europa versteht, tritt Blair als weltpolitischer Landschaftsgärtner auf. Das bringt dem Briten Imperialismusverdacht und Anerkennung zugleich ein. So hat ihn der Irakkriegsmakel am Ende doch nicht dafür disqualifiziert, vom Nahost-Quartett aus EU, USA, Russland und UN als Gesandter für den Nahen Osten eingesetzt zu werden. Zudem: Blair hat in Europa selbst einen Friedensschluss vermittelt, dessen Nachhaltigkeit viele für unmöglich gehalten hätten. Im April jährt sich zum zehnten Mal das Karfreitagsabkommen, das den zähen Bürgerkrieg in Nordirland beendete. Neben Bill Clinton wird man in Belfast dafür vor allem den Mann aus der Downing Street feiern.

Juncker der Biedermeierkandidat gegen Blair den Großmachtpolitiker? So einfach ist es nicht.

Auch Juncker etwa neigt in der Frage der Gasversorgung durchaus zu Klartext: „Herr Putin sitzt alleine da, und dann kommen da 27 Europäer und erklären ihm, wie die europäische Energiepolitik geregelt werden muss. Das ist nicht sehr glaubwürdig“, befand der Luxemburger unlängst auf einem Podium der Bertelsmann-Stiftung. „In Fragen europäischer Energiepolitik müssen wir eine Kampfformation bilden, anstatt wie ein aufgeregter Hühnerhaufen auf Russland zuzustürmen.“

Zwischen Brüssel und Moskau könnte sich imperiale Rivalität entwickeln

Man könnte allerdings noch weiter gehen. Zwischen Brüssel und Moskau droht sich allmählich eine imperiale Systemkonkurrenz zu entwickeln. Während sich Europa durch Überzeugung ausbreitet, setzt Russland auf Einschüchterung und Unterwerfung. Wie lange dies in den rohstoffreichen „Pufferzonen“ Ukraine und Kaukasus noch gut geht, weiß derzeit niemand. Besäße Juncker die Entschlossenheit, diese Scharnierstaaten an Europa zu binden, sollten sie dies in der näheren Zukunft erflehen? Oder würde er sich ins Schneckenhaus Europa zurückziehen und die Anwärter im Osten auf später, auf irgendwann vertrösten? Tony Blair fiele es auf Grundlage einer britisch-nüchternen Vorstellung von einer großeuropäischen Freihandelszone womöglich leichter, eine solche Erweiterungsentscheidung zu treffen.

Doch die vorerst spannendste Frage bleibt eine taktische. Wie viel offenen Streit wollen sich Merkel und Sarkozy zugunsten ihrer jeweiligen Protegés antun – vor allem jetzt, da der Streit um die Mittelmeerunion gerade erst beilegt ist? Wahrscheinlich ist, dass die Präsidentenfrage unter Aufwendung erheblicher diplomatisch-kaschierender Energien als Postenpaket verhandelt wird, also zusammen mit der Besetzung des Außenbeauftragten und der Kommissionspräsidenten.

Kompromisskandidaten aus Irland und Belgien

Schon werden statt Junckers und Blairs eine Reihe von Kompromisskandidaten gehandelt. Guy Verhofstadt zum Beispiel, der ehemalige belgische Premier, oder Bertie Ahern, Regierungschef von Irland. Dem Liberalen Verhofstadt schwebt eine tiefere wirtschaftliche Integration vor. In seinem Manifest „Die Vereinigten Staaten von Europa“ plädiert er für ein Europa der sozialen Entschlackung und harmonisierten Steuern.
Aus deutscher Sicht wäre er aber wohl vor allem ein bequemer, weil unaufgeregter Prozesssteuerer – denn bei allem Verhandlungsgeschick ist der Belgier mit den politischen Pferdestärken eines Ministerialreferenten gesegnet.

Und Ahern? Der Ire gilt als umgänglich in Brüssel, und beliebt vor allem bei den Polen. Sein Land würde eine Kandidatur Ahern „wohlwollend“ betrachten, ließ der polnische Regierungschef Donald Tusk unlängst wissen. Ahern ist allerdings kaum beleidigt, wenn man ihn als einen Provinzpolitiker bezeichnet. Er selbst nennt sich einen „homebird“, einen Stubenhocker.

„Bertie“, sagt der EU- Korrespondent einer großen irischen Tageszeitung, „mag Europa. Aber in Europa mag am liebsten Irland. In Irland mag er am liebsten Dublin. Und in Dublin mag er am liebsten seinen Pub.“
In Brüssel, mit anderen Worten, würde Ahern vermutlich so spielführend auftreten wie ein Hobbit beim Basketball.

Immerhin, einen Vorteil hätte seine Kandidatur: Sie würde mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass sich Iren geschmeichelt führen würden. Und auf sie kommt es an im Sommer. Die Iren sind das einzige Volk, das per Referendum über den Lissabon-Vertrag abstimmen muss. Und sagen sie Nein, dann bekommt Europa im nächsten Januar – überhaupt keinen Präsidenten.