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Wenn Uwe tritt, tritt er hart

Hilfe, unser Kolumnist wird von Frauen in bunten Mao-Kitteln verfolgt! Vorbild: Angela Merkel? Zum Glück ist bald Weihnachten. Das Fax der Woche

Der nicht zugeknöpfte Mao-Kittel in bunt ist bei reifen Damen sehr beliebt. Ihr Vorbild: Frau Merkel. Die Frau am Ende des Großraumabteils ruft die Teilnehmer eines Fortbildungsseminars an und sagt jedes Mal: Haben Sie ein Luftstrommessgerät? Ja? Dann hake ich sie ab. Was? Nein. Sie dürfen teilnehmen. Ich streiche Sie nicht von der Liste. Ich führe Sie als Besitzer eines Luftstrommessgeräts. Danke. Ruhige Schicht…

Nach jedem kurzen Gespräch fummelt sie an den Kittelknöpfen, der Bewegungsmelder erfasst sie, die pneumatische Tür geht schnalzend auf. Es schnalzt achtzehn Mal, ich sitze zwei Reihen hinter ihr, und als die Dame zum neunzehnten Mal das Wort ‚Luftstrommessgerät‘ aufsagt, springe ich auf und laufe in geducktem Galopp durch die Gänge. Weiter„Wenn Uwe tritt, tritt er hart“

 

Lampedusa-Helden als Benimmlehrer!

Ein gewesener Ausländer – unser Kolumnist – gratuliert einem kommenden dunkelhäutigen Deutschen. Da kotzt der Pegida-Arier sich die Seele aus dem Leib. Das Fax der Woche

Eritreer schnalzen mit der Zunge. Ich weiß nicht, ob sie ihr Gegenüber ermutigen und bestätigen. Ich weiß nicht, ob es ein Laut des sanften Widerspruchs ist. Eritreer in Mainz: schöne Frauen, schöne Männer. Im Vergleich sehe ich aus wie Borstenviech. Man sollte sich ein Beispiel nehmen an Eritreern im Hochsommer: Sie sind vornehm, sie lächeln, auch wenn sie Kopfschmerzen haben.

Ich sehe und höre einen eritreischen jungen Mann Röhrennudeln essen – kein Schlucklaut, die Gabel stößt kein einziges Mal auf den Teller. Der wahre Adel kommt aus Eritrea. Ich sehe und höre eine adelige deutsche Dame essen: schön, leise, unbürgerlich. Kein Schmatzen, kein Rachenröhren. Das perfekte vornehme Liebespaar: eine blaublütige deutsche Dame und eritreischer Mann des Volkes. Höflichkeit ist eine Himmelsgabe. Weiter„Lampedusa-Helden als Benimmlehrer!“

 

Schlamm-Murat zerbeißt Transensocken

Per Bus von Istanbul nach Frankfurt? So mittelwitzig. Pöbelnde Sitznachbarn, Angst an der Grenze. Plötzlich klebt dem Fahrer eine Brustwarze im Gesicht. Das Fax der Woche

Tag der Rückreise. Der Digitalwecker im nicht bezogenen Nachbarzimmer klingelt seit 4.05 Uhr, ich rufe die Gastbetreuung an. Wecker verstummt um 4.29 Uhr. Schlaf unmöglich. Liege im Bett wie eine frisch geschlüpfte denkende Made. Option 1: Zugfahrt von Istanbul nach Frankfurt. Sechs Umstiege, unter anderem in Dimitrovgrad, Budapest Nordbahnhof, Budapest-Keleti. Dauer: 47,04 Stunden. Nix. Option 2: Busfahrt. Ja. Laufe nach dem Frühstück im geduckten Galopp zur Apotheke. Apothekerin misst Knie-, Waden- und Fußknöchelumfang, reicht mir die passenden Thrombosestrümpfe. Beim Hochziehen reiße ich mir zwei Büschel Beinhaare aus. Besser Bein als Arsch, sagt der Pförtner beim Abschied. Weiter„Schlamm-Murat zerbeißt Transensocken“

 

Werft mir einen Fischkopf hoch!

Wie schön sie singen, die Türken! Liebesballaden im Abenddämmer. Ziemlich blöd, wenn einem ausgerechnet dabei eine Gräte im Hals steckenbleibt. Das Fax der Woche

Die Türken sind schön, schön in der Arbeit, beim Überqueren der Straßen, beim Hupen, beim Schwitzen, bei der beiläufigen Verrichtung einer Arbeit, beim Beten und Fasten, beim Abschiedskuss, beim Abendgruß, beim Fastenbrechen, bei der Stille, die sich ausbreitet, wenn sie angefeindet werden. Beim Fluchen.

Die Türken sind schön, wenn sie von Bestimmungsorten sprechen. Wenn sie die heiße Suppe auslöffeln, wenn sie Brot in die Fleischbrühe tunken. Bin ich in Istanbul unter meinesgleichen? Es wäre eine Lüge, zu glauben, dass es so sei. Ich bin in der Fremde, unter schönen Türken, und ich lächle sie an. Es ist gut, unter jenen zu sein, die man für Bestien hält. Nur noch wenige Tage bis zum Abschied, bis zur Rückkehr. Weiter„Werft mir einen Fischkopf hoch!“

 

Triumph des Turbokonsums

Was soll man mit teuren Schweizer Uhren, die eine Atombombe überstehen? Auf dem türkischen Markt lernt man: Das wahre Glück liegt im billigen Imitat. Das Fax der Woche

Jetset-Basar im Stadtteil Rami. Zeltsiedlung, die Zelte bestehen aus Planen und Segeltüchern, die sich über den Ständen spannen. Die Patrizierhäuser im alten Byzanz wären bei dieser Hitze zerschmolzen. Das Volk kauft Imitate. Marktschreier klettern die Metallpfosten hoch, preisen laut Frauenunterwäsche in ziemlichen Worten. Keine einzige unbegleitete junge Frau. Die Händler möchten nicht erleben, dass die Mütter zornig werden. Sie sind Denkmäler der Sittsamkeit.

Es geht das Gerücht, dass erst vor wenigen Tagen eine Mutter Stand und Händler zerlegte: Der junge Mann hatte im Überschwang einer frommen Schwester ein halbtransparentes Nachthemd zugeworfen. Die Mutter schimpfte ihn ein Harnhaupt und einen Madenbeutel, sie hätte ihn fast mit ihrem Sonnenschirm aufgespießt. Weiter„Triumph des Turbokonsums“

 

Defilee der halbnackten Terrassendamen

Der Kellner in Istanbul bittet, nicht immerzu an den Stringtangabikinis zu zupfen. Ist der entblößte Arsch der Russin das Fleisch des Fortschritts? Das Fax der Woche

Der Heimkehrer steckt in der Rattenfalle. Es wird nicht besser werden, es wird nicht. Goldtaler regnen vom Himmel. Vor knapp zwei Jahren zog Mustafa von Berlin nach Istanbul, er glaubte an den scharfen Schnitt, an den harten Wechsel. Die Deutschtürken in der Szenenkneipe hatten gejauchzt und gejubelt: Das ist herrlich, Mustafa, du wirst in unserer Heimat gedeihen! Er gedieh nicht, er schrumpfte, er fühlte sich ganz und gar nicht gesegnet. Die Hippen der Stadt pfiffen auf ihn, sie hatten das Meer, den Himmel, und große Dichter, die das Meer und den Himmel besangen. Mustafa, das Mustermännchen, langweilte sie.

Lärm, Lähmung und Legenden, das war für ihn der Orient, man musste gründlich aufräumen, alles Brackige und Bröckelnde verschwinden lassen. Die neuen Freunde sagten: Geh doch rüber, wenn’s dir bei uns nicht gefällt, geh‘ doch wieder zurück, und stutz‘ dort die Hecken. Seitdem hängt er sich an jeden Gast aus Deutschland. Jetzt starrt er auf die Bonsai-Mandarinenbäume in den weißen Übertöpfen. Auf einem Schild am Spieß ist zu lesen, dass der Verzehr der Früchte nicht empfohlen wird, sie sind mit Pestiziden besprüht. Schöne Aussicht auf den Bosporus. Weiter„Defilee der halbnackten Terrassendamen“

 

Neohippies dösen mit Katzen

Unser Kolumnist trifft in Istanbul auf die großen Menschheitsfragen: Wer eignet sich welches Land an, wer flieht vor dem Volkszorn, und wer gibt das Leben in der Heimat auf?

Erster Tag meiner Ankunft, mein Vorsatz: Nähe zum einfachen Volk, raus aus dem klimatisierten Hotelzimmer. Junge Syrer fahren große Ballen auf Sackkarren durch die Gassen. Ein frommer Händler gibt Auskunft: Das sind unsere neuen Bürger, sie flohen vor den verfluchten Kopfabschneidern, jetzt sind sie hier bei uns, hier in ihrer neuen Heimat. Weiter„Neohippies dösen mit Katzen“

 

Die Rentner schäumen

Motzen, pöbeln, schnarchen und schreien. Auf Busreisen nach Istanbul wie auch im sonstigen Leben zeigt sich schnell: Der Mensch ist nicht gut.

Der Nachtexpress nach Istanbul fährt auf dem Frankfurter Bahnhofsplatz vor. Die lauernden Türken werden munter. Mann mit geschwärztem Leistenbart schiebt mich zur Seite, die Tochter folgt im Galopp. Freie Platzwahl. Der Fahrer weist mir hinten einen Sitz zu. Der Gang ist mit Koffern vollgestellt, kein Durchkommen, ich schiebe mich nach vorne. Der Fahrer zeigt auf meine Aussiedlertasche und sagt: Was scheppert da? Sind es kleine Kupferkessel? Sind es Sparschweine? Ich sage: Es scheppern die Süßstoffspender für meine Mutter, ich habe gleich eine ganze Batterie gekauft. Weiter„Die Rentner schäumen“

 

Gaunermongole lernt Flötentöne

Sie töten schlafende Männer und ringen Widder nieder. Unser Kolumnist hört von starken Frauen in fernen Ländern und ist beeindruckt. Das Fax der Woche

Safran heißt Safran, weil er mit dem Verkauf von Importsafran Millionär werden wollte. Der Händler seines Vertrauens, ein ostanatolischer Mongole, kassierte das Geld, schickte ihm gelbrot gefärbtes, verbrocktes Pulver in Hanfsäcken, und tauchte unter. Safran und sein Cousin zweiten Grades klapperten die Städte an der türkisch-arabischen Grenze ab. Sie wurden für Schleuser, Spione und ein Homo-Pärchen gehalten. Wilde verrotzte Dorfkinder bewarfen sie mit Steinen, dem Cousin riss die Augenbraue auf, Safran strauchelte und krachte mit der Stirn auf die Kühlerhaube.

Sie fuhren in andere Dörfer, sie waren Deutschländer und sprachen ein miserables Gossentürkisch, die Kurden und Araber im Grenzgebiet spuckten aus und starrten sie an. Eine Dorfhexe sagte: Der Gaunermongole? Er hat sich zu weit vorgebeugt und ist in den Brunnen gefallen. Er erscheint mir jeden dritten Mittwoch im Traum. Er hat in einen rostigen Teller Löcher gebohrt, er will ihm Flötentöne entlocken, und weil es ihm nicht gelingt, bittet er mich, ihm beizubringen, wie man Flöte spielt. Ich bringe ihm stattdessen bei, wie man auf den Kniescheiben trommelt … Weiter„Gaunermongole lernt Flötentöne“

 

Der Dichter soll sich waschen!

Schöne Frauen umsummen den Mann der mächtigen Verse. Dabei stinkt der fies nach Krötensud. Unser Kolumnist aber sitzt im Spuckeregen ihrer Verachtung. Das Fax der Woche

Der Dichter, der sich nicht wäscht, gibt mir die Hand. Er riecht wie eine Mitgifttruhe, die man nach einem Jahr im neuen Haus eröffnet: Mottengift, Haut einer Hexe, die sich mit Krötensud eingerieben hat. Die schönen Frauen stehen auf und klatschen. Sehen sie nicht, dass er vor Fett glänzt? Sehen sie nicht, dass er torkelt, betrunken von der halben Flasche Schnaps, die er auf dem Balkon der Pension trank? Sie sehen es, und doch lieben sie ihn. Es zählen seine Verse. Es zählt nicht der Säuferbart, der ihm auf der Brust aufliegt wie ein Latz. Hoch lebe die Poesie, auch wenn der Dichter stinkt.

Er kommt aus einem fremden Land, er dichtet in der Sprache meiner Eltern, ich verstehe die einfachen Worte, die Frauen, Tagelöhner, Hausierer und Händler alter Gerätschaften beseelen. Für die Jungsubversiven ist er ein Mann des Staates. Sie werfen ihm vor: Einer der ihren hat auf das heilige Buch gespuckt, während eines surrealistischen Happenings. Der Dichter stürmte auf die Bühne, packte den Kerl am Kragen, zerrte ihn nach draußen, und drückte sein Gesicht in das Häufchen eines Königspudels. Sie werfen ihm vor: Der Dichter weint sich nicht an der Schulter ausländischer Journalisten aus. Auch will er nicht doofe Studentinnen zu Besuch in Istanbul mit Protestklamauk ins Bett kriegen. Sie werfen ihm vor: Der Dichter stinkt jeden Leseraum voll, er soll sich waschen, sie schenken ihm Shampoo und Duschgel. Weiter„Der Dichter soll sich waschen!“