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Herr Hamit geht zum Arzt

Sand ist kein gutes Peeling, Schuhe sollten in der richtigen Größe gekauft werden und von Hühneraugen wird besser geschwiegen. Szenen aus einem deutschen Sprechzimmer

Herr Hamit sieht aus wie ein Rinderhälftenträger im Ruhestand. Er rasiert sich jeden Tag nass, und weil ihn morgens die Sorgen anfallen, wird er schon früh am Tag zornig und zerschneidet die Haut am Kehlkopf. Das Wattebäuschen zum Blutstillen klebt ihm stundenlang am Hals, bis er sich daran erinnert und es mit einem Ruck entfernt.

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Frauen sterben, bevor sie sterben

Männer, diese aufgepumpten Wichte, pfuschen das Leben irgendwie so hin. Frauen beugen sich der männergemachten Welt – und altern und verzweifeln daran. Das Fax der Woche

Tischgesellschaft, sieben Frauen um die Vierzig. Was stimmt nicht? Sie sind lustig, sie werden lustiger: die Cocktails. Sie rühren mit dem Strohhalm im hohen Glas, strudelnder Eisbruch. Sie schauen und staunen nicht. Sie sind verlegen. Ehering am Finger. Sie reden nicht über ihre Männer. Entlastung. Pause. Schöner Frauenabend. Was stimmt nicht? Sie werden die Rechnung begleichen und zurückkehren.

Kellner sagt: Frauen sind ein Segen. Aber sie bestellen nur ein Getränk … Angst vor dem Rausch. Sie würden sich beschwipst eingestehen: Ich wollte es so. So ist es nicht richtig. Ich bin nicht für Beständigkeit gemacht. Ich will schön bleiben. Die Tage, sie sind Gift. Ich schwinde. Mein Mann wird dick wie ein Onkel. Ich liebe ihn, ich liebe ihn nicht, ich liebe ihn … Ich sitze am Nebentisch und denke: Frauen und Dichter, sie dürfen nicht sterben. Weiter„Frauen sterben, bevor sie sterben“

 

Der Furor des Atheisten

Mohammed-Karikaturen, Metallschweine an der Abendmahltafel? Natürlich darf sich die Kunst über Religion belustigen. Sie sollte nur gut und klug sein. Das Fax der Woche

Der Gottlose nennt Gott: den unbeweglichen Beweger, den großen Ingenieur. Er war nie und ist nicht willens zu glauben, das überlässt er den Kindern und Kindsköpfen. Ein strenger Meister. Er spricht zu einem Mann gleichen Sinnes, der ihn unterbricht, um die Propheten zu beleidigen. Ist das ein Satanistenkongress? Nein, es sind Zivilisten ohne Gott, sie pfeifen auf den himmlischen Beistand, sie fürchten den Herzinfarkt mit fünfzig, und aber nicht den Teufel.

Gott, sagt der eine, hat mit uns nix zu schaffen, kümmert dich etwa die Ameise? Der andere blutet seinen Hass in Demagogenparolen. Sie spucken auf das Heilige. Die Pfaffen, sie spucken auf ihre Schäfchen, also geht es manchmal gerecht zu in dieser Welt. Dann aber gerate ich zwischen die Fronten. Furor des Atheisten, ich weiche: Jedes Wort würde im Nu verrosten. Weiter„Der Furor des Atheisten“

 

Als rechtes Schwein musst du dir die Haare nicht rot färben

Verdient die Witwe eines Faschisten Mitleid? Unser Kolumnist besucht sie immerhin. Dabei fällt ihm ein: Er selbst war mal ein national blökendes Viech. Das Fax der Woche

Große Freude kommt auf beim Tod des Faschisten. Die Leute sagen: Er ist endlich in der Hölle, das ist ein großer Saal, in dem seine bleichen Kameraden, verreckt im Krieg, verreckt als Führers Soldaten, Totentänze tanzen. Dort muss der Faschist in die Mitte springen, immer wieder, und sich verbeugen vor den grinsenden Wärtern mit den Hornsprossen. Ein Sprung, dann zurück ins Glied, ein Sprung, noch einmal, keine Ermüdung, keine Erlösung, er wird springen müssen bis in alle Ewigkeit.

Ich aber besuche die Witwe, die der Wahn des Mannes in den Ehejahrzehnten durchdrang. Sie erstarrt in der Tür: Bin ich der Rächer der niederen Rasse? Will ich sie in den jenseitigen Tanzsaal befördern, dass die trotz knackender Gelenke die Tänze der negroiden Völker üben muss? Ich spreche mein Beileid aus, sie bittet mich herein. Hat der Faschist ihr geraten, sich zu hüten vor dem Mitgefühl der Kaukasier? Dummes Zeug, sie trauert, der Sohn und die beiden Töchter trauern. Schöne Menschen, leider. Was habe ich erwartet? Dass die Sündenschwärze des Vaters auf die Kinder abfärbt? Weiter„Als rechtes Schwein musst du dir die Haare nicht rot färben“

 

Kerl mit Narbenfresse in Schwanenlandschaft

Die Studentin redet von benutzten Mädchenschlüpfern und will 50 Euro. Für unseren Kolumnisten kommt es dicke: Er wird für einen Freier gehalten. Das Fax der Woche

Die junge Frau spricht mich im Park der schwarzen Schwäne an. Sie sieht dem Model mit den dicken Augenbrauen ähnlich. Ich reiche ihr eine Mentholzigarette, ich gebe ihr Feuer, ich starre wieder aufs Wasser. Sie muss nach dem ersten Zug husten. Platzregen, Kindergeschrei in der Ferne, Sirene des Notfallwagens, ich ziehe mich unter die dicken Äste der Eiche zurück.

Sie mustert mich. Was sieht sie? Einen unrasierten Mann in Schwarz, Schlammspritzer an Stiefelspitze und Hosenbein, vernarbte Wangen. Kerl mit Narbenfresse in Schwanenlandschaft. Was sehe ich? Studentin im Flohmarktmantel, modische Turnschuhe, straffer Haarknoten auf dem Kopf, keine einzige lose Strähne. Ich wünsche ihr einen guten Tag. Sie bittet mich, zu bleiben und klopft auf den Platz neben ihr auf der Parkbank. Weiter„Kerl mit Narbenfresse in Schwanenlandschaft“

 

Mutters Rettung ist alles, was zählt

Er kann nichts mehr sehen, nichts mehr riechen. Schmeckt nur noch Asche. Die Mutter unseres Kolumnisten liegt im Koma. Wie hält man diese Angst aus? Das Fax der Woche

Mutter fällt ins Zuckerkoma, Zuckerwert 600mg/dl, sie liegt auf der Intensivstation, Lebensgefahr, düstere Prognose. Mein Vater erlöscht, meine Schwester erlöscht, ich erlösche. Drohender Tod, tausend Stacheln im Fleisch. Vater lauert im Flur, die Schwestern scheuchen ihn, der Arzt ist Meister der Keimfreiheit, er bittet ihn, zu weichen. Vater bleibt. Die Frau im Koma stand ihm über ein halbes Jahrhundert zur Seite. Er sitzt in der harten Plastikschale. Die Schwestern und der Arzt beraten: Dieser Mann soll bleiben.

Ich bin weit weg, ich bin unterwegs, ich rufe Vater an, er sagt: Hoch lebe die Medizin, Gebete helfen, bete für ihre Gesundung. Meine Schwester wird zur Löwin in Berlin. Sie ermittelt Nummer und Durchwahl der Station, sie ruft mich an, sie ruft im Krankenhaus an und stellt auf Lautsprecher. Nach vielen Versuchen dringt sie endlich zum Arzt durch. Er spricht im breiten Dialekt der Bauern, guter Mann. Weiter„Mutters Rettung ist alles, was zählt“

 

Porträt mit falscher Schläfenlocke

Der Ami will als Jude gemalt werden. Und zwar bitteschön von unserem Kolumnisten, der bekanntlich Moslem ist. Der Typ will ihn wohl verschaukeln. Das Fax der Woche

Ich male den Juden mit einer falschen Schläfenlocke. Das Haar kringelt sich auf dem Handteller, die Hand hält er in Brusthöhe. Die Pose des Mystikers, der es aufgegeben hat, auf das Ende aller Tage zu warten. Immer wieder sagt er: Mach mir den Jid.

Ich will keinen Streit. Ich bin bei der Arbeit, Tusche, Farben, Pinsel, ich werde keinen Strich verziehen, weil der Mann, der mich für die Arbeit bezahlt, den bösen Hasser in mir entdecken will. Der Bekannte eines Bekannten. Amerikaner im Berliner Exil, sein Land unter Obama entgleitet ihm. Ultrakonservativ. Kommt nach Kiel, um Möwen schreien zu hören. Möwen hat er auch in Berlin, ihm egal, nicht dasselbe, Möwe und Meer, das passt, Möwe und Fluss ist falsch.

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„Der besorgte Bürger“ – der Witz des Jahrzehnts

Der Mittelstand schmilzt und schreit panisch nach Härte. Am Zaun der Reichen gaffen und in Primatenlauten die Proleten beschimpfen – wie abstoßend! Das Fax der Woche

Früh am Morgen, der zweite Becher des Tages halbleer, Kumpel spricht von der Dekadenz in Deutschland: Banditenbanden überall, wie kommt man dem Pack bei? Was meint er? Schlag die Zeitung auf, sagt er, lies die Frontmeldungen aus dem Hinterland, du wirst erkennen.

Er rauscht ab zur Arbeit, ich blättere im Journal. Flüchtlingsboot gekentert, Hunderte Tote. Mutmaßlicher Triebtäter bei Autounfall verunglückt. Politiker schwätzen. Heimatpflege im Regionalteil. Ein Militär, Kachelfresse mit Rasurbrand, will Soldaten in die weite Welt schicken. Todesanzeigen. Weiter„„Der besorgte Bürger“ – der Witz des Jahrzehnts“

 

Massaker überlebt, der Rest ergibt sich

Eben wurden sie noch Ebola-Araber genannt. Jetzt schenkt eine alte Dame den Flüchtlingen Butterkuchen. Nett, findet unser Kolumnist. Aber hilft das? Das Fax der Woche

Der Stiefbruder des toten Flüchtlings im Meer wohnt bei mir um die Ecke: ein bleicher schwarzer Mann im Jackett vom Roten Kreuz. Er wird ausbleichen vor Kummer. Wer tröstet ihn? Gute Deutsche, von denen es im Viertel wimmelt. Sie kneten ihm die Schulterpolster in die rechte Form, sie streichen ihm die Wange heiß, sie bringen ofenheißen Kuchen und frisch gebrauten Kaffee in der Thermoskanne.

Wer möchte schon Volk aus Afrika und aus den zerschossenen Gebieten unten im Osten in der Nachbarschaft dulden? Die Deutschen tun’s, hier bei uns. Sie päppeln sie auf, die Fremdgesichtigen, die Deutschen von morgen. Doch das ist nicht wichtig, wichtig ist: Der trauernde Mann, er kam mit Frau mit werdendem Kind im Bauch, man nannte sie im Auffanglager Ebola-Araber, türkenähnliches Gesocks, Viertelmenschen. Weiter„Massaker überlebt, der Rest ergibt sich“

 

Beten für die Selbstauslöschung des Kapitalistenschweins

Überall nur Randalefuzzis, antideutsche Vollidioten oder rotlackierte Karrieristen. Wo stecken die wahren Linken? Unser Kolumnist macht sich auf die Suche. Fax der Woche

In stockdunklen Irrgärten begab ich mich auf die Suche nach dem wahren Linken unserer Zeit. Ich hatte das Gerücht gehört, dass sich die Führer der invaliden Individuen in den Clubs und in den Museen versteckten. Dort fand ich nur Theorietraktate: komplizierte verschachtelte Sätze in Kleinbuchstaben. Wer so etwas liest, bekommt einen Schaden, dachte ich, griff zur Taschenlampe, suchte nach dem Seminarmarxisten und fand ihn im Efeuversteck.

Ich leuchte ihn an, er begann zu sprechen: Ich habe mit meinesgleichen das Volk befreit, für einige wenige glückliche Wochen. Nach einem Kneipenbesäufnis rieb ich mir den wehen Schädel, reib ich mir die Augen, und ich erkannte. Dass wir Schmerzfreiheit nicht garantieren konnten. Dass deshalb unsere sumpfigen Zechbrüder wieder durchs Werkstor strömten. Ich aber betete für die Selbstauslöschung des Kapitalistenschweins … Weiter„Beten für die Selbstauslöschung des Kapitalistenschweins“