Wenn alle Götter jung sind wie Neymar oder Kroos, müssen viele gestandene Helden frühzeitig abdanken. Dabei zeigt uns der Fußball doch, wie anmutig das Alter sein kann.
Er fliegt, noch immer fliegt er. WM 2014 in Brasilien, ein unerwartet nickliges Vorrundenspiel gegen Ghana. Ich konnte es nicht sehen, sondern nur blechern hören über die Kopfhörer eines alten, kleinen Taschenradios, das ich immer wieder leise fluchend nach stabilem Empfang auf meinem Schoß ausbalancierte, auf einer Busfahrt über Long Island, New York, umgeben von Amerikanern, denen Soccer kaum mehr bedeutet als eine weitere europäische Extravaganz und die ungläubig den Kopf schütteln, wenn sie hören, dass so ein Spiel tatsächlich 0:0 enden kann. Weiter„Noch einmal fliegen und sein Herz verlieren“
Pegida-Märsche und AfD-Gestänker verderben vielen die Lust am Party-Patriotismus zur EM. Die Rechten haben sich die Deutungshoheit über das Nationalgefühl zurückerobert.
Vor zwei Jahren um diese Zeit konnte man sich vor Schwarz-Rot-Gold kaum retten. Von Flutschfinger bis Fliegenklatsche trug alles die deutschen Farben. Sie nisteten als Schminkset im Deckel des Nutellaglases, umschmiegten eine Traumkombination von Putzmitteln im praktischen Wischeimer und lagen als Wimpel jeder zweiten Zeitschrift bei. Denn die WM in Brasilien stand an, und seit dem „Sommermärchen“ von 2006 galt es als deutscher Brauch, zu den internationalen Fußballturnieren massenhaft Flagge zu zeigen. Weiter„Schland flaggt ab“
Wer nicht glaubt, dass man über Männer, Geschlechterkampf und Familie mit Humor und Geist schreiben kann, sollte die Text der kürzlich verstorbenen Fanny Müller lesen.
Wie stellt man Fanny Müller in eine Reihe mit Kafka und Brecht? So: Es war spätabends, als K. ankam. „Oh“, sagte Herr K. und erbleichte. „Genau wie Jonni!“ schreit Frau K. Weiter„Mit Mutterwitz durchs Vaterland“
Lange hat unsere Autorin den Eskapismus der Naturfreunde belächelt. Nun hat sie zum ersten Mal ihren Balkon bepflanzt. Sofort ploppen die wahren Fragen des Lebens auf.
„Alles Gute für die Tomaten“, wünscht mir die Kassiererin, wir zwinkern uns vertraulich zu. Eine halbe Stunde lang bin ich durchs Pflanzenparadies gelaufen, an Bergen in Plastik eingeschweißter Blumenerde und gestapelter Balkonkästen vorbei, eine mir bislang verschlossene, eine von mir verschmähte Welt. Wer Zeit hat, seine Nachmittage mit der Auswahl roter, blauer oder roséfarbener Pflanzen zu verbringen, hat, so dachte ich bisher, aus der Geschichte nichts gelernt. Biedermeier, Spießertum, Landlust, es gibt viele Namen, unter denen der kleingärtnerische Eskapismus firmiert: Die Welt ist aus dem Ruder geraten und man selbst kauft Pflanzendünger. Weiter„Die Welt ist aus dem Ruder? Kauft Blumendünger!“
Die neue Rechte hantiert mit perfiden demagogischen Begriffen. Die Linke postet Katzenbilder. Höchste Zeit für ein bisschen Ideologiegeschichte.
Das Wort Gutmensch fällt in dieselbe Kategorie wie Warmduscher oder Sitzpinkler: Ich bekenne mich zu jeder der drei Zuschreibungen und komme mir dabei auch noch cool vor. Ich betrachte rücksichtsvolles Verhalten als das Gegenteil von Schwäche, ich finde, es ist alles andere als ein Beweis von Männlichkeit, seinen Urin über den Rand der Kloschüssel zu verspritzen, und wenn ich damit prahlen will, dass ich kein Weichei bin, muss ich nicht zu Hause kalt duschen, sondern kann zum Beispiel die verbürgte Anekdote raushauen, wie ich tief in Sibirien (im Dorf Scheregesch nahe der Stadt Taschtagol in den Mustagbergen) mit einer russischen Wandergruppe in der Banja war und es als Einziger fertigbrachte, die Flasche Bier, die ein Scherzkeks auf den Grund des Eisbeckens versenkt hatte, wieder hochzuholen. Dies nur kurz zum Einstieg, damit ihr wisst, was für ein harter Hund und netter Kerl ich bin. Weiter„Was heißt hier linksgrün?“
Sein Leben bestand daraus, auf den tödlichen Schuss zu warten. In welchem Krieg er sich befand, war gleichgültig geworden. Der fiktive Monolog eines Scharfschützen
Im Saal steht, vor einer Reihe mit Rüstungen, ein Tisch. Daran sitzt ein Mann in Tarnfleck mit Rucksack. Der Mann schaut sich eine Weile aufmerksam im Raum um, dann holt er eine Flasche Wodka und zwei geschliffene Gläser aus dem Rucksack. Weiter„Der Harnisch der Gerechtigkeit“
Entspannt euch, liebe Migrationspanikmacher. Gesellschaft ist auch nichts anderes als ein Betriebssystem. Das Update von Windows 95 habt ihr schließlich auch überlebt.
Erinnert ihr euch noch an Windows 95? Das war mal so ein Computerbetriebssystem, vor sehr, sehr vielen Jahrhunderten. Damals, als Computer noch diese riesigen, hässlich beigen Staubfänger in Wohn- und Arbeitszimmern waren, Röhrenmonitore hatten und ganze Klangkaskaden von sich gaben, wenn man sie anschaltete. Laptops waren damals noch zentnerschwere Ziegelsteine, mit deren Transport in die Unibibliothek man sich regelmäßig an den Rand eines Bandscheibenvorfalls schleppte, und nicht diese federleichten Airbooks, hinter denen sich die jungen Leute von heute gern mal in Cafés verschanzen. Weiter„Immer nur Erbsensuppe und „Wetten, dass..?“ geht eben nicht“
Eigentlich ganz einfach: drei Kinder, zwei Gehälter, gebraucht werden fünf Zimmer. Nicht nur auf dem Berliner Wohnungsmarkt ist so eine Suche zu einem Albtraum geworden.
Wir suchen eine Wohnung. In Berlin. Fünf Zimmer. Kein Scherz. Wir suchen seit einem Jahr. Ich erinnere mich an eine Zeit, die nicht lange her ist, als Umzugslader zum Straßenbild gehörten. Junge Menschen, in deren Köpfen sich das Berlin der Gegenwart zu einem Mythos der Hauptstadt und dann zu einer wilden, steil aufragenden Fantasie zusammengebraut hatte, sodass aus ihren Augen ein Strahlen kam, das an Niedlichkeit kaum zu überbieten war. Die Laster standen auf den Gehwegen. Kaffee wurde getrunken. Germanistikstudenten trugen Nachtschränke, Medizinstudentinnen trugen Stehlampen. Weiter„Ruhiges Ehepaar bevorzugt“
Zehn Kilometer liegen zwischen Buchenwald und Weimar. Sah man vom Schillerhaus aus den Rauch der Krematorien? Unsere Autorin will ihrem Sohn das Unvorstellbare zeigen.
„Land der Dichter und Denker, Land der Richter und Henker“, ist das diesjährige Motto der Klassenfahrt meines Sohnes. Er ist in der 10A. Weimar steht, vermute ich, für die Dichter, Buchenwald für den Rest. Nun hat sich herausgestellt, dass er fehlen wird, weil er für vier Monate ins Ausland geht, und ich als beflissene jüdische Mutter erkläre: „Alles darfst du verpassen, MSA, Bundesjugendspiele, Klassenarbeiten, aber nicht die Gedenkstättenfahrt!“ Weiter„Ausflug ins Land der Dichter und Henker“
Es gibt nichts Schlimmeres als Männer mit dünnen Waden. Das musste auch unser Autor einsehen. Seither hat er viel in seinem Leben geändert. Nicht nur das Schuhzubinden.
Seit ich eine Zeitlang Mitglied in einem Fitnessstudio war, erkenne ich manchmal auf der Straße Leute wieder, die dort in der Masochistenecke mit den freien Hanteln trainiert haben, sie schleppen ihre Sporttasche immer noch mehrmals die Woche an diesen Ort, in ihrer Alltagskleidung sehen sie allerdings ganz unscheinbar aus. Weiter„Das Wundermittel heißt grüne Banane“