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Der Syrer meiner Mutter

Wie fremd muss für den Vater das bayerische Dorf gewesen sein, als er 1958 aus Syrien kam. Über die heutige Unbarmherzigkeit Flüchtlingen gegenüber würde er verzweifeln.

Der Syrer meiner Mutter tauchte Ende der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auf und blieb bis zum März 2012. Dann starb er. In der Zeit davor lebte er als Ausländer unter Bayern. Manchmal stieg er in ein Flugzeug und reiste nach Spanien, Amerika, Kanada, Südafrika, in ferne Länder, wo er ein Ausländer war wie jeder andere. Was er wohl dachte, wenn er wieder zurückkam in sein bayerisches Dorf, zu den Menschen mit dem schwer verständlichen Dialekt? Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, hätte man ihn kennen müssen. Kannte ich den Syrer meiner Mutter? Weiter„Der Syrer meiner Mutter“

 

Wer zu viele Ängste hat, der sollte zum Arzt gehen

Wer als junger Mensch Helmut Schmidt zuhörte, der begriff plötzlich das Denken der eigenen Generation. Lernen konnte man noch etwas anderes: den Mut zur Widerständigkeit.

Der Kanzler meiner Großeltern war Willy Brandt, der Kniefall in Warschau das Bild, mit dem sie sich ihr Leben nachträglich erklärten. Der Kanzler meiner Eltern war kein Kanzler, sondern die Sponti-Bewegung, Joschkas Turnschuhe im Bundestag, „besetzt Springer statt Nato-Doppelbeschluss“. Gegen Helmut Schmidt gingen sie auf die Straße. Mein Kanzler war ein Kanzler zum Abwählen. Sechzehn Jahre reichten. Wir wählten nicht Schröder, wir wählten Kohl ins Aus. Viele von uns zumindest. Doch wie auch immer wir politisch sozialisiert wurden, es gab eine Stimme, die, für manche leiser, für andere lauter, uns bei einer Zigarette erklärte, in welcher Welt wir eigentlich lebten – und vor allem: aus welcher wir kamen. Weiter„Wer zu viele Ängste hat, der sollte zum Arzt gehen“

 

Die lustige Frau

Der Humorkampf der Geschlechter: Wer ist witziger? Was sagen Freunde und Freundinnen, Kollegen und Kolleginnen dazu? Die mit Abitur und die ohne? Bitte sehr.

Na schön, niemand hat mich drum gebeten und darum hier jetzt ein Text zum Thema „Die öffentlich lustige Frau“. Darüber gibt’s schon Texte, aber nicht von mir. Obwohl ich ständig darüber reden soll. Warum, wieso und so? Als wüsste ich was darüber, nur weil ich angeblich eine lustige Frau bin, was ich bestreite, weil ich auch genauso eine sehr ernsthafte Frau bin, eine sehr schöne obendrein und meistens etwas nervös, albern oder verzweifelt. Die einzige Charaktereigenschaft, die ich wirklich habe, ist: Komplexität.

Alles, was ich über lustige Frauen weiß, habe ich mir selbst ausgedacht und zu einem Weltbild gebastelt (wie es übrigens die meisten Menschen tun, aber vielleicht nicht wissen).

Ich habe nichts als steile Thesen. Weiter„Die lustige Frau“

 

Die Karte zum Paradies muss wasserdicht sein

Gibt es etwas Schöneres als Urlaub hoch zu Rad? Wenn der Duft der Felder in der Nase kitzelt? Wenn Erinnerungen wach werden an vergangenes Glück? Eindeutig: ja.

Deutschland fährt Rad. Die Dicken, die Kleinen, die Ausgemergelten, die Alten, die Frauen, alle sind sie mit dem Rad unterwegs. Und ich meine nicht auf dem Rad mal eben zum Markt, sondern: Fernradwege, Routen quer durch ganze Bundesländer. Strecke ist gefragt, die ganze Welt per Drahtesel. Und bald vielleicht noch weiter: Auf dem Mars ist ja nun Wasser gefunden worden. Weiter„Die Karte zum Paradies muss wasserdicht sein“

 

An der Festung Europa

Hinter meterhohen Eisengittern liegt das Flüchtlingslager in der spanischen Mittelmeer-Exklave Melilla. Eine Reise zu einem Grenzzaun

Irgendwo hinter den Alpen stehe ich in einer vierköpfigen Warteschlange in einem Flugzeug vor der Toilette. Die Frau, die sich hinter mich stellt, sieht mich eine Weile aufmerksam an und sagte dann: „Irgendwoher kenne ich Sie!“

Ich sage, dass ich mindestens drei Doppelgänger habe, und hoffe inständig, dass wir uns nicht kennen, denn ich fliege nach Afrika und auf dem Weg dorthin möchte ich niemanden kennen. Ich reise zu einem Grenzzaun. Ich möchte an einem Langgedicht arbeiten. Ich bin dann asozial und maulfaul, deshalb reise ich allein. Weiter„An der Festung Europa“

 

Sex ohne Liebe, ewig verwirrend

Das größte Problem mit unserer Sexualität entstand, als plötzlich die Romantik dazu kam. Wenn man das seinem Hund erklärt, was sagte er wohl dazu?

Adele, komm mal her! Mach Sitz! Und hör gut zu. Heute erkläre ich dir die Sexualität.

Hm. Das wird jetzt hoffentlich nicht zu heikel. Die Sexualität sollte dir eigentlich besser dein Frauchen erklären. Aber jetzt habe ich nun mal diesen Job übernommen, und das ist vielleicht auch gut so. Tun wir eben was gegen diese alten Geschlechterrollenzuweisungen. Weiter„Sex ohne Liebe, ewig verwirrend“

 

Ziviler Ungehorsam: 48 %

Verständnis für die Unabhängigkeitsbestrebungen heißt nicht Einverständnis. Wenn die Katalanen nun versuchen, ihren eigenen Staat zu bauen, droht Spanien ein Trauerspiel.

Die Katalanen sind bekannt für ihren Hang zu masochistischer Gedenkkultur. Das Datum, an dem sie ihre politische Eigenständigkeit verloren, begehen sie als Nationalfeiertag. Und nun dies: Am 15. Oktober muss Artur Mas, derzeit katalanischer Regierungschef, auf die Anklagebank. Zur Last gelegt wird ihm ziviler Ungehorsam, was ja durchaus nach alter Volksheldentugend klingt. Weiter„Ziviler Ungehorsam: 48 %“

 

Gibt es einen Plural von Heimat?

Wenn Menschen wegen ihrer Religion ihr Zuhause verlieren, kann etwas nicht stimmen. Findet man Geborgenheit tatsächlich im Glauben oder helfen in Berlin auch Currywurst und Sechs-Tage-Rennen?

Der Sommer ist vorbei, das ist ganz offensichtlich, jedenfalls in Berlin. Alle sind zurück, und es gibt kein Durchkommen mehr am Landwehrkanal oder am Nollendorfplatz. In der Uhlandstraße ist es aussichtlos, in welche Richtung auch immer abzubiegen. Überall Stau, alles eine riesige Baustelle: „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr…“ Haben sie alle plötzlich Rilke gelesen? Aber ich will nicht klagen: „Der Sommer war heiß und lang.“ Weiter„Gibt es einen Plural von Heimat?“

 

Wenn die große Liebe plötzlich auf dich zählt

Die Wohnzimmertür geht auf und Adriano Celentano kommt rein. Das muss ein Missverständnis sein, will unsere Autorin vom Sofa aus noch rufen. Aber da singt er auch schon.

Gestern habe ich geträumt, dass ich in einem lila Samtanzug auf einem mir unbekannten Sofa liege und versuche einzuschlafen. Alles ist so hergerichtet, wie ich es mag: Zwei weiche Kissen und eine Decke, die schwer auf mir liegt. Ich atme ein, ich atme aus. Plötzlich öffnet sich die Tür und Adriano Celentano, ebenfalls in einem lila Samtanzug, kommt schüchtern herein. Weiter„Wenn die große Liebe plötzlich auf dich zählt“