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An die Ungläubigen

Leer und beliebig sei die offene Gesellschaft, lautet der Vorwurf der Fundamentalisten. Was für ein Irrtum! Tatsächlich ist unser Glaube stärker als ihrer.

© Unsplash/Yvette de Wit (https://unsplash.com/)
© Unsplash/Yvette de Wit (https://unsplash.com/)

Der Hauptvorwurf der Feinde der offenen Gesellschaft an die säkularen Verfassungsstaaten und ihr Ideal der Freiheit und Toleranz ist der der Beliebigkeit und Leere.

Für sie sind individuelle Rechte keine Errungenschaften, sondern zerstörerische, gefährliche Risse im Kollektiv, die den Blick freilegen auf eine unübersichtliche Welt, verwirrend und im Wandel, eine Weite, in der jeder allein ist, hoffnungslos und klein, abgeschnitten von Gemeinschaft und Geschichte. Weiter„An die Ungläubigen“

 

Das Geheimnis sind die lasierten Eisstiele

Der bastelnde Mann ist der wahre Philosoph unserer Zeit. Wenn nur die lästigen Kinder nicht ständig mithelfen wollen würden!

Kein Witz: Diese Puppenstube hat unser Autor selbst gebastelt. © Jochen Schmidt
Kein Witz: Diese Puppenstube hat unser Autor selbst gebastelt. © Jochen Schmidt

Ich habe eine unerwartete Leidenschaft fürs Basteln entdeckt, die mich von allem anderen abhält. Wie sinnlos scheinen sinnvolle Tätigkeiten, wenn man stattdessen basteln kann! Es hat mit einem Fach in meinem Manuskriptschrank begonnen, das ich für meine Tochter als Puppenstube freigeräumt habe, dann kam ein Fach für ein Wohnzimmer dazu, eins fürs Badezimmer, und inzwischen sind es mit Dachgarten, Garage und Küche acht Fächer. Und das, wo ich so ungern an meiner richtigen Wohnung bastele, weil ich den Aufwand scheue, die Bohrmaschine vom Zwischenboden zu holen oder die Malerrolle auszuwaschen. Weiter„Das Geheimnis sind die lasierten Eisstiele“

 

Wer spricht da, bitte?

Früher wurden auf Wahlplakate, egal welcher Partei, Hitler-Bärtchen gemalt. Diesen Witz hat die Realität eingeholt. Besser wäre ohnehin: die Plakate gar nicht erst lesen.

© dpa
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Wer meint, Stimmen seien unsichtbar, der war noch nie in der Fos Bar in Berlin Gesundbrunnen. Im Zeichengewusel auf einer Toilettenwand findet sich nämlich der Satz: Ich sehe Stimmen. Wo doch Stimmen in Wahrheit nur zu hören sind. Auch wer seinem Fernseher zum Test den Ton abdreht, um, sagen wir, die rot gebrüllten Gesichter einer durchgedrehten Anne-Will-Runde zu studieren, der sieht nichts, zumindest keine Stimmen. Weiter„Wer spricht da, bitte?“

 

Halb taub? Ich sehe noch gut!

Immer mehr alte Menschen sitzen am Steuer. Ob sie ihr Auto und den Verkehr noch beherrschen, fragt niemand. Übernehmen wir endlich die Verantwortung.

© Photobac/shutterstock.com
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Im August fuhr ich durch Deutschland. Ich fuhr vor allem durch den Süden. So viele dicke Autos, die so langsam unterwegs waren, hatte ich noch nie gesehen. Was war während meines Jahres in England passiert? Einbruch der Autoindustrie in der Folge der VW-Krise, generelle Geschwindigkeitsbeschränkung nun auch auf der deutschen Autobahn? Die Schweizer Bekannten einer Bekannten mit dem 370-PS-Zweitwagen in der Zürcher Tiefgarage, den sie nur für Nachtfahrten auf der deutschen Autobahn von seiner samtschwarzen Haube befreien, taten mir nicht leid. Weiter„Halb taub? Ich sehe noch gut!“

 

Schuld ist nicht die Digitalisierung

In Bibliotheken ging man früher ähnlich wie in die Kirche. Heute sind diese Orte der Besinnung verschwunden oder zu lärmenden Bücherhallen geworden. Ein Abschiedsbrief

© Dean Mouhtaropoulos/Getty Images
© Dean Mouhtaropoulos/Getty Images

Die Bibliothek ist, schon seit ich denken kann, immer ein zentraler Ort in meinem Leben gewesen. Lange Zeit glaubte ich, dass die Bibliothek für mich vielleicht das ist, was für meine spanische Großmutter früher die Kirche war. Genau wie meine Großmutter ging ich mindestens einmal die Woche hin, schmökerte, stöberte und fand – wenn es mir einmal nicht so gut ging – in der Stille und dem vertrauten Geruch von altem oder druckfrischem Papier häufig Trost. Weiter„Schuld ist nicht die Digitalisierung“

 

Benjamin Blümchen ist nicht weiß

Minderheiten werden in der Unterhaltungskultur kaum repräsentiert. Das fängt schon bei Kinderserien an. Gerade an ihnen könnte man lernen, wie Ausgrenzung entsteht.

© Sanjay Kanojia/AFP/Getty Images
© Sanjay Kanojia/AFP/Getty Images

Von der Generation der „Kassettenkinder“ spricht man bei Kindern mit den Geburtsjahrgängen der 1970er und 1980er Jahre, deren eigener Ermächtigungsraum das Kinderzimmer war und deren Autonomie darin bestand, sich selbst aussuchen zu dürfen, welche Episode welcher Hörspielheld*innen sie als nächstes hören wollen. Und die von den Eltern dabei in Ruhe gelassen wurden. Klassiker dieser deutschen Kinderhörspiele sind zweifelsohne Benjamin Blümchen, Bibi Blocksberg und TKKG. Weiter„Benjamin Blümchen ist nicht weiß“

 

Die Lücke im System

Wie ein verrücktes Aderngeflecht überziehen Kritzeleien und Graffiti die Stadt. Durch sie können wir in andere Welten schlüpfen. Und in dunkle Abgründe.

© Brendon Thorne/Getty Images
© Brendon Thorne/Getty Images

Seit einiger Zeit trainiere ich, meinen Kopf, der immerzu hinrucken will zu all den Buchstaben auf den Wänden der Stadt, still zu halten. Das ist nicht einfach. Denn diese überall wimmelnden Lettern erzeugen eine Art Taubenimpuls, der den Kopf unwillkürlich vorstoßen lässt zur Schrift. Egal, wie dumm und durchschaubar ist, was dort geschrieben steht. Immerhin, das Training zeigt Effekte und die großen Sprüche kann ich mittlerweile im Augenwinkel vorübergleiten lassen. Stünde beispielsweise in blutroten Lettern an den Wänden einer Chemiebank der Satz „Lasset alle Hoffnung fahren, ihr, die ihr hier eintretet“, ich würde ihn vermutlich gar nicht bemerken. Weiter„Die Lücke im System“

 

Bewusstseinszustand? Hoffnung!

Der Sommer wird begleitet von einem permanenten Hintergrundrauschen: Terrornachrichten und Hetzbotschaften auf fast allen Kanälen. Wir müssen sie endlich abschalten.

© Sasha Dudkina/eyeem.com
© Sasha Dudkina/eyeem.com

Lange habe ich mir keine Auszeit genommen, die Sommer verbringe ich ohnehin meist in der Stadt, aber nicht in diesem Jahr. Ich habe mir vorgenommen, an einen ruhigen Ort zu fahren, ans Meer, auf eine kleine kroatische Insel, um zu schwimmen, zu lesen, die Gegenwart ein Hintergrundrauschen werden zu lassen, die Wellen zu betrachten, die kommen und gehen. Weiter„Bewusstseinszustand? Hoffnung!“

 

Auf dem Rücken ein ganzes Land

Der Wanderrucksack in der DDR war natürlich viel schlechter als der aus Westdeutschland. Aber: Soll man ihn deswegen nun zum Sommer wegschmeißen?

Der Wanderrucksack: Unverzichtbarer Begleiter
Copyright: Sean Gallup/Getty Images

Als Kurator meiner Wohnung muss ich ständig unpopuläre Entscheidungen treffen. Beim Sichten der Bestände fiel mir jetzt meine alte Kraxe in die Hände, sie stammt vom VEB Wassersport- und Campingbedarf Pouch. Pouch ist eine Gemeinde bei Bitterfeld, dort wurden in der DDR vor allem Faltboote, aber auch Campingartikel hergestellt, ehrlich gesagt wusste ich damals gar nicht, dass es sich um einen Ort handelte, für mich war es einfach ein Begriff, der für Dinge stand, die man nur im Urlaub brauchte. Aus Platzgründen müsste ich meine Kraxe eigentlich wegschmeißen, aber es hängen zu viele Erinnerungen daran, ich kann mich nicht davon trennen. Sie war in Rumänien, Bulgarien, in der Tschechoslowakei, der Sowjetunion, in Polen und noch viele Jahre nach der Wende hat sie mich begleitet, weil sie ja nicht kaputtging.

Der Kauf war ein Glücksfall gewesen, ich war im richtigen Moment im Haus für Sport und Freizeit am Frankfurter Tor in Berlin-Mitte aufgetaucht, wo sich heute auf vier Etagen eine Humana-Filiale befindet, interessanter als die alten Lumpen ist aber die spektakuläre Aussicht auf die beiden Türme von Hermann Henselmann. Ich traute meinen Augen nicht, es gab eine Lieferung Kraxen, die Verkäuferin legte mir eine zurück, weil ich erst nach Hause musste, um Geld zu holen, man konnte damals ja nicht mit Karte bezahlen. Es war eine Anschaffung fürs Leben, daran zweifelte ich nicht, deshalb war ich auf Reisen auch immer besonders nervös, weil nicht nur der Inhalt des Rucksacks, sondern schon der Rucksack selbst so wertvoll und unersetzbar für mich war. Die Kraxe war überhaupt die Voraussetzung dafür, mit Freunden wandern fahren zu können, wir schleppten ja alles mit, nach Rumänien sogar das Essen für drei Wochen. Weiter„Auf dem Rücken ein ganzes Land“

 

In Fluten heißer Höschen

Geplant waren drei Monate Arbeit. Dann kamen die Bandscheibe und ein Dreibettzimmer mit Frau Helga und Frau Birgit. Meldungen aus den Tiefen der deutschen Seele

© Ina Fassbender/Reuters Pictures
© Ina Fassbender/Reuters Pictures

Drei Monate lang sollte ich auf den Bosporus schauen und an meinem Roman arbeiten. Meinen Koffer aus braunem Tweed, den die Zeit schon seit meinem Abschied von der Sowjetunion auf den Wellen des Zufalls in meiner Griffweite tanzen lässt, hatte ich schon gepackt. An jenem Ort am Bosporus hätte ich ihn ausgepackt und nach Worten gesucht. Tarabya ist ein Ort, von dem man mir erzählte, er sei das Paradies auf Erden. „Tarabya“, las ich auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes, „das sich zirka zwanzig Kilometer nördlich vom Stadtzentrum Istanbuls am Bosporus befindet, hieß ursprünglich Pharmacia oder Phamakias. Jedoch wollte niemand in einem Ort namens Gift wohnen, daher wurde er in Therapia (Genesung) geändert – so eine Argonautensage.“ Weiter„In Fluten heißer Höschen“